E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Reihe: Küsten Krimi
Schlennstedt Der Teufel von St. Marien
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86358-750-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Reihe: Küsten Krimi
ISBN: 978-3-86358-750-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Am Nordturm der Lübecker Marienkirche hängt eine enthauptete Leiche. Es ist der Bruder eines stadtbekannten Kriminellen. Zur gleichen Zeit explodiert ein Sprengsatz auf dem Grundstück eines erfolgreichen Unternehmers. Bei ihren Ermittlungen geraten Kommissar Birger Andresen und sein Team immer tiefer in einen Sumpf aus finsteren Machenschaften und religiösem Fanatismus. Welche Rolle spielt dabei eine vor zweihundert Jahren aktive Christenbewegung?
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2 Der Anruf am Freitagmorgen kam um kurz vor sieben. Fast im selben Moment schrillte Wiebkes Wecker los. Andresen saß kerzengerade in seinem Bett und versuchte die unterschiedlichen Geräusche zuzuordnen. Dann sprang er auf, trat Wiebke bei seinem ungelenken Versuch, vom Bett zu klettern, versehentlich gegen den Oberschenkel und stürzte in die Küche, wo er das Mobilteil des Telefons gestern Abend liegen gelassen hatte. Andresen erkannte die Nummer auf dem Display. Einen Moment lang überlegte er, ob er es einfach klingeln lassen und wieder unter die warme Daunendecke kriechen sollte, um sich an Wiebkes weichen Körper zu schmiegen. Noch bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, wusste er, dass er sich anders entscheiden würde. Er nahm ab. »Sechs Uhr achtundfünfzig.« »Hier auch«, kam die Antwort zurück. »Birger, du musst so schnell wie möglich kommen. Zum Portal der Marienkirche, sofort.« »Könntest du mir bitte sagen, was … Ach egal, ich bin gleich da.« Andresen legte auf, ließ den Hörer zurück auf den Küchentisch gleiten und ärgerte sich sofort, das Telefonat einfach so abgebrochen zu haben. Aber wahrscheinlich hätte ihm Kregel ohnehin keine Details am Telefon verraten. Dass etwas Ernstes geschehen sein musste, hatte er bereits am Tonfall seines Kollegen gehört. Er ging zurück ins Schlafzimmer und schlüpfte rasch in seine Jeans, die über einem Stuhl hing. Wiebke saß müde auf der Bettkante und fuhr sich durch ihre blonden langen Haare. Mit fragendem Blick sah sie ihn an. »Ben hat angerufen. Es ist etwas passiert.« »Was denn?« Andresen zuckte mit den Schultern und griff nach einem dicken Pullover. »St. Marien«, murmelte er nur. »Soll ich mitkommen?« »Du weißt doch, wozu das führt.« »Jaja, schon gut. Ich frage nicht noch einmal, auch wenn ich es ehrlich gesagt nicht verstehe.« Andresen verzog den Mund, schluckte die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, jedoch hinunter. Es war längst alles gesagt zu diesem Thema. Sibius, sein Chef, hatte ein kategorisches »Nein« ausgesprochen. Und wenn Andresen ehrlich war, legte auch er keinen allzu großen Wert darauf, dass Wiebke ausgerechnet in den Fällen ihrer Arbeit als Journalistin nachging, in denen er ermittelte. »Ich melde mich bei dir. Es wird wohl später werden.« Er beugte sich zu ihr hinunter, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und flüsterte ihr rasch etwas ins Ohr. Sie musste lächeln und zog ihn so heftig an sich, dass Andresen neben ihr auf dem Bett landete. Für einen kurzen Moment übermannte die beiden die Leidenschaft, ehe sich Andresen endgültig aufraffte und von Wiebke verabschiedete. Um zehn nach sieben verließ er sein Altstadthaus in der Großen Gröpelgrube, in dem er seit mittlerweile fast zehn Jahren lebte. Am Koberg bog er ab auf die Breite Straße und ging vorbei an der altehrwürdigen Schiffergesellschaft, internationalen Fast-Food-Geschäften und den zahlreichen Filialen großer Modeketten. Schließlich schlüpfte er unter einem der Torbögen des Kanzleigebäudes hindurch und trat auf den Kirchenvorplatz. Augenblicklich hielt er inne und starrte auf das, was sich vor seinen Augen abspielte. Obwohl er damit gerechnet hatte, dass Kregels besorgter Anruf nicht ohne Grund erfolgt war und etwas Schlimmes geschehen sein musste, war er derart überrascht, mit welchem Aufgebot seine Kollegen bereits vor Ort waren, dass er nicht bemerkte, wie sich ihm sein Kollege Kai Lorenz von der Seite näherte. »Was für ‘ne Scheiße! Und das gerade jetzt. Eigentlich wollte ich Urlaub nehmen, hätte ich es bloß gemacht.« Andresen sah Lorenz irritiert an. Seine Aufmerksamkeit war zu stark von den anderen Kriminalpolizisten, Technikern und der Spurensicherung gefangen, als dass er dessen Worten hatte folgen können. »Hörst du mir eigentlich zu? Hier ist das totale Chaos ausgebrochen. Wir schaffen es nicht einmal, den Tatort abzusperren. Wir können schließlich kaum die halbe Innenstadt lahmlegen.« »Kannst du bitte mal der Reihe nach erzählen? Ich würde gerne erst mal verstehen, was überhaupt passiert ist. Ben hat mir am Telefon nichts weiter gesagt.« Andresen fiel wieder ein, dass er es selbst gewesen war, der das Telefonat beendet hatte. Lorenz schüttelte den Kopf und unterdrückte ein verständnisloses Grummeln. »Dann schau mal nach oben. Vielleicht wird dir dann klarer, wovon ich spreche.« Langsam hob Andresen den Kopf und blickte am Nordturm der St. Marien zu Lübeck hinauf. Augenblicklich hatte er das Gefühl, als bliebe ihm der Atem weg. Mit der linken Hand zupfte er am Kragen seines Pullovers, um mehr Luft zu bekommen. Er spürte, dass das Blut in seinen Adern pulsierte und gleichzeitig ein Kälteschauer durch seine Gliedmaßen fuhr. Am Nordturm der Marienkirche baumelte der leblose Körper eines Menschen. Soweit Andresen es von unten erkennen konnte, fehlte dem Toten der Kopf. »Was zur Hölle …?«, stieß er aus. Andresen wollte tausend Fragen auf einmal stellen, schaffte es jedoch nicht einmal, eine einzige zu formulieren. »Komm mit, ich erzähle dir, was wir wissen«, sagte Lorenz. »Wie lange hängt der denn schon da oben? Warum kümmert sich keiner darum?« Lorenz reagierte nicht auf Andresens Fragen und ging stattdessen weiter in Richtung Kirchenportal. Andresen sah Frank Sibius, den Leiter der Mordkommission. Er stand windgeschützt im Eingangsbereich und hantierte hektisch mit seinem Handy herum. Neben ihm sprach Kriminalmeisterin Barbara Kracht mit einem Kollegen der Schutzpolizei. »Was ist hier los?«, rief Andresen schon von Weitem. Jetzt registrierte auch Sibius Andresens Ankunft. »Na endlich, wo hast du denn so lange gesteckt? Wir halten gleich eine kurze Teambesprechung ab. Der Küster hat uns einen kleinen Raum im Innern der Kirche aufgeschlossen.« »Frank, ich weiß noch nicht einmal, was überhaupt geschehen ist. Ich habe gerade eben erst das Opfer gesehen. Sollten wir die Leiche nicht so schnell wie möglich von dort oben runterholen? Wenn die Leute diesen Anblick sehen müssen.« »Erst müssen die Techniker ihre Arbeit erledigen. Außerdem ist die Bergung nicht ganz unkompliziert.« »Warst du schon oben?« Sibius nickte. Im selben Moment rief er aufgeregt etwas in sein Telefon, in der Hoffnung, die Leitung, die er aufzubauen versuchte, würde endlich stehen. Andresen ging auf seine Kollegin Barbara zu und zog sie ein Stück zur Seite. »Was ist passiert?«, flüsterte er beinahe. »Viel weiß ich auch nicht. Aber der Mann ist offenbar erstochen worden. Angeblich mit einem Schwert oder zumindest einer gewaltigen Klinge. Anschließend hat man ihn dann wohl geköpft und mit einem Seil in die Position gebracht, in der er jetzt da oben hängt.« Barbara seufzte als Ausdruck ihrer Fassungslosigkeit über den Anblick des Toten rund fünfzig Meter über ihr. »Wissen wir schon, wer er ist?« »Nein, wir können …« »Birger, kommst du bitte mal!« Barbara wurde von Sibius unterbrochen. Andresen war überrascht, welchen Tonfall sein Chef anschlug. Üblicherweise hielt er sich gerne bedeckt und überließ Andresen die Ermittlungsleitung. »Wie es aussieht, handelt es sich um so etwas wie einen Ritualmord.« Sein ohnehin schon ernstes Gesicht wirkte steinern. »Ich hatte Siederdissen von der Technik gerade dran. Sie haben einen grauenhaften Fund gemacht. Auf dem Altar im Mittelschiff der Kirche liegt offenbar der Kopf des Toten. Er ist mit einem glatten Schnitt vom Rumpf abgetrennt worden.« Einen Augenblick lang zögerte Andresen, dann wurde er hektisch. »Ich gehe rein. Ich will es mit eigenen Augen sehen.« »Pass aber auf, Birger! Das Areal ist noch nicht vollständig abgesperrt. Ich will nicht, dass sich irgendein Unbefugter Zutritt verschafft und Wind von den Einzelheiten des Mordes bekommt. Du weißt ja selbst, wohin das führen kann.« Noch bevor Andresen sich gegen den Seitenhieb wehren konnte, klingelte Sibius’ Handy. Er verschwand und ließ einen aufgebrachten Andresen zurück. Die Anspielung seines Chefs war nicht die erste dieser Art gewesen. Die Recherchen seiner Freundin Wiebke im Fall des zweifachen Frauenmörders, der die Lübecker Kripo im letzten Sommer beschäftigt hatte, und Wiebkes anschließende Entführung hatten ihre Spuren hinterlassen. Andresen drängelte sich an zwei Technikern, die er nicht kannte, vorbei, glitt unter dem Absperrband vor dem Kircheneingang hindurch und stemmte sich gegen das große hölzerne Portal. Als er das Innere der Kirche betrat, verharrte er für einen Augenblick. Das gewaltige Mittelschiff der St. Marien zu Lübeck war überwältigend. Der Innenraum war nach dem Krieg größtenteils puristisch konzipiert worden, was der baumeisterlichen Leistung jedoch keinen Abbruch tat. Der Gigantismus, mit dem das Gotteshaus vor mehr als siebenhundert Jahren erbaut worden war, beeindruckte noch heute. Ein Geräusch durchbrach seine Gedanken. Das schnelle Klicken einer Fotokamera hallte durch das riesige Kirchenschiff. Andresens Blick fiel in Richtung des Altars, wo mehrere Techniker in weißen Schutzanzügen ihrer Arbeit nachgingen. Er ging die sieben Treppenstufen, die zum Altar führten, hinauf und begrüßte sie mit einem kurzen Nicken. Erst jetzt bemerkte er die Blutspur, die sich quer über den Altar und den Steinboden erstreckte. Ein junger Techniker, der neben ihm stand, sah seinen fragenden Blick und hielt mit unerschrockener Miene eine große Klarsichttüte hoch. Andresen versuchte nicht hinzuschauen, hatte im Augenwinkel jedoch bereits den dunkelrot verschmierten Kopf in der Tüte erkannt. In...




