E-Book, Deutsch, 229 Seiten
Schmidt Das Uni-Experiment: Wissen, Macht, Tod!
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7431-9089-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 229 Seiten
ISBN: 978-3-7431-9089-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Marlene Schmidt, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte an der Freien Universität Berlin. Ihre Ausbildung zur Redakteurin absolvierte sie auf der Journalistenschule Axel-Springer. Sie lebt zusammen mit ihrer Familie in Berlin.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Prolog
Berlin, 2. Februar 2015
Gegenwart
Das Handy klingelte und rotierte wie verrückt auf der Holzplatte des Frühstückstisches. »Hoffentlich kein Todesurteil!« Normalerweise redete Inga nicht mit sich selbst. Nur, wenn sie nervös oder aufgeregt war. So wie jetzt. In ihrem roten Lieblingsnachthemd hechtete sie die 32 Stufen hinunter ins Erdgeschoß des Reihenhauses und geriet gefährlich ins Straucheln, weil sie den Schulranzen auf dem vorletzten Treppenabsatz übersah und mit dem linken Fuß streifte. Verdammt! »Finn, wie oft hab ich dir gesagt, deine Klamotten nicht auf der Treppe liegen zu lassen? Das ist lebensgefährlich!«
Die atemlose Stimme seiner Mutter perlte durch die Luft der offenen Wohnküche und rauschte an dem pubertierenden Gymnasiasten vorbei, der gerade im Kühlschrank nach einer Milchtüte fingerte. Der Elfjährige machte sich nicht einmal die Mühe, sich umzudrehen und seine Mutter anzusehen, oder sie überhaupt in irgendeiner Weise zu begrüßen. Das ging schon eine ganze Weile so. Eigentlich ziemlich genau, seitdem er in der 7. Klasse war, jeden Morgen duschte und sich stundenlang im Bad die Haare gelte. Normaler Abnabelungsprozess, behauptete ihre Mutter.
Zu spät! Der Anrufer hatte bereits aufgelegt. Ein Blick aufs Display verriet ihr zwei verpasste Anrufe von ihrer Mutter und 46 neue WhatsApp-Nachrichten aus ihrer Naturwissenschaftsgruppe in den letzten fünf Minuten. Doch der erhoffte Anruf des Zahnarztes war leider nicht darunter. Inga kannte seine Nummer auswendig. Wenn das so weiterging, war der Akku gleich leer, bevor Inga losmusste. Seit vorgestern war ihr Ladekabel spurlos verschwunden. Sie musste unbedingt daran denken, sich ein Neues zu kaufen, sonst wäre sie nicht mehr erreichbar. Sie sah auf die Uhr. Viel Zeit hatte sie nicht mehr. Sie entschied, erst mal schnell unter die Dusche zu springen.
Das Badezimmer im zweiten Stock war mit seinen 25 Quadratmetern das größte Zimmer im Haus und Ingas absoluter Lieblingsort. Weiße Fliesen, grüne Palmen und dicke, flauschige, rote Badematten. Das Schönste für Inga aber war die Fußbodenheizung, denn sie hatte immer kalte Füße. Besonders, wenn es - wie jetzt im Winter - Minustemperaturen gab. Oft zündete sie Kerzen auf den Rändern der Whirlpool-Badewanne an und verbrachte mit einem Schmöker Stunden in der Wanne. Seit neuestem war sie stolze Besitzerin einer Badewannenbuchstütze mit einer Glashalterung. Eine tolle Erfindung, fand Inga.
»Stell endlich dieses Gebimmel ab! Das geht schon den ganzen Morgen so und das kann keiner mehr ertragen!«
Inga erschrak, als ihr Mann so plötzlich vor der Dusche stand und schimpfte. Sie hatte nicht bemerkt, dass er ins Bad gekommen war. »Außerdem sollst du Amy zurückrufen! Sie hat eben auf meinem Handy angerufen, weil sie dich auf allen anderen Kanälen nicht erreicht hat. Ich möchte nicht, dass deine Freundinnen meine Nummer haben. Das ist verdammt nochmal mein Diensthandy!«
»Ja, Mark! Da gebe ich dir völlig Recht, das war ganz schön dreist von Amy.«
Inga freute sich insgeheim aber diebisch über ihre raffinierte Freundin. »Aber Mark, du siehst doch, dass ich unter der Dusche stehe. Wenn mein Handy dich so nervt, dann stell es doch bitte kurz auf lautlos!«
»Das würde ich nie wagen. Nachher bin ich wieder schuld, wenn du etwas verpasst!«
»Sag mal, Mark, hast du zufällig mein Ladekabel gesehen?«
»Ach, ist es mal wieder weg? Sieh mal in die Kinderzimmer!«
»Hab ich schon. Fehlanzeige! Aber in dem Durcheinander kann man auch nichts finden. Hast du nicht noch eins übrig?«
Mark band sich eine rotblau gestreifte Krawatte um. In dem grauen Anzug und dem blauen Hemd sah er ziemlich schick aus. Seine hellbraunen Haare waren kurz geschnitten und an den Schläfen grau meliert. Er war 1,87 Meter groß und hatte eine schlanke, athletische Figur. Seine schwarzen Budapester waren blitzblank poliert. Schuhe putzen konnte er. Das hatte er damals bei der Bundeswehr gelernt. Aber warum zog er bloß die Schuhe immer im ganzen Haus an? Auch noch auf den schönen Badematten! Das ärgerte Inga jedes Mal, aber sie war es leid, ihn immer wieder darauf anzusprechen. Äußerlich ähnelte er ein bisschen dem Schauspieler Richard Gere in dem Film »Pretty Woman.«
Mark gelte sich die Haare. »Ich guck gleich mal nach einem alten Ladekabel. Wenn ich eins finde, lege ich es dir unten auf den Tisch. Ich geh in fünf Minuten zur Arbeit. Warte heute Abend nicht auf mich, ich komme erst sehr spät zurück.«
»Warum, hast du noch einen Termin?«
Doch Inga bekam keine Antwort mehr. Mark war schon wieder aus dem Badezimmer verschwunden. Dafür nahm sie plötzlich einen intensiven Geruch wahr. Hatte er ein neues Parfum? Es roch herrlich verführerisch und erinnerte sie an einen Duft von früher. Doch ihr fiel der Name nicht ein. Sie sah durch die milchige Duschverglasung zum Waschbecken und entdeckte auf Marks Ablage eine dunkle Flasche Aftershave. Sie kniff die Augen etwas zu und konnte so den Schriftzug »Horse Sugar« lesen. Der Name sagte ihr nichts.
Inga seufzte, ließ den heißen Wasserstrahl noch eine Weile weiter ihren Nacken massieren. Sie hatte heftige Kopfschmerzen, die bis tief hinunter in den Rücken zogen. Bestimmt vom vielen Rotwein gestern Abend. Oder sie hatte sich mal wieder verlegen. Sie dachte wieder an den erhofften Anruf des Zahnarztes, der einfach nicht kam und überlegte, ob sie sich einfach selber nochmal melden sollte. Das Warten und die Ungewissheit machten sie langsam fertig. Sie war nicht nur hypochondrisch veranlagt, sondern hatte auch keine Geduld. Zuletzt hatte sie vorgestern Abend mit dem Zahnarzt gesprochen. Er hatte ihr seine private Handynummer gegeben, als sie heulend in seiner Praxis stand. Er versprach, sich sofort zu melden, sobald ein Befund vorläge. Bestimmt hatte er ihn schon und traute sich nur nicht, ihr die bittere Wahrheit zu sagen. Das Zuschlagen der Haustür weckte sie aus der Lethargie.
Schnell drehte sie den Hahn der Dusche zu, trocknete sich ab und wickelte sich ein dunkelblaues Frottee-Handtuch um den Körper. Am liebsten wäre sie wieder in ihr flauschiges, warmes Bett zurückgekrochen. Aber das ging leider nicht, sie musste gleich in die Uni. Heute war ihr erster, wichtiger Vortrag. Ausgerechnet heute hatte sie diese verdammten Kopfschmerzen. Sie schluckte zwei Aspirin mit einem Glas Wasser hinunter und betrachtete ihr trauriges Spiegelbild: Ihre Augen hatten dunkle Ränder und ihr blondes, zotteliges Haar stand wie bei einem Igel stachelig nach allen Seiten ab. Ihr rotbackiges Gesicht glühte noch vom heißen Wasser. So konnte sie unmöglich in die Uni. Sie nahm die Bürste in die Hand und bändigte zuerst ihr störrisches Haar. Da fiel ihr die verdächtige Stille im Haus auf, was um diese Uhrzeit morgens zwischen 7 und 8 Uhr normalerweise nie der Fall war. Sie rief ins Treppenhaus: »War schon jemand mit dem Hund spazieren?«
Doch es kam keine Antwort! Das hat bei pubertierenden Teenagern aber nichts zu sagen. Wahrscheinlich saßen sie vorm iPod und frönten ihrer Spielsucht. Da vergaßen und überhörten sie alles um sich herum. Sie rief deshalb nochmal und viel lauter als zuvor. »Ben und Finn, seid ihr noch da?«
Stille! Sie lief ans Fenster und sah gerade noch, wie ihre Söhne mit den Schulranzen bepackt auf ihren Fahrrädern um die Häuserecke bogen.
Traurig murmelte sie vor sich hin. »Euch auch einen schönen Tag!«
Sie blieb noch eine Weile so am Fenster stehen und blinzelte durch das grelle Sonnenlicht in Richtung Straße. Das Thermometer zeigte sechs Grad an. Die kahlen Bäume wirkten trist ohne Blätter. Es waren nachts schon Minusgrade, und für die nächsten Tage war Schnee angesagt. Doch Inga konnte weit und breit keine Wolke am Himmel entdecken. Ein Umzugswagen blockierte die halbe Einfahrt. Ein wütender Autofahrer, der nicht vorbei konnte und anscheinend keine Lust hatte, halb über den Bürgersteig zu fahren, hupte. Der Möbelpacker zeigte frech den Mittelfinger. Der Autofahrer stieg aus und schien sich verbal zu verlustieren.
Inga massierte sich mit den Fingern die Schläfen und beobachtete die Szenerie noch eine Weile. Es pochte gewaltig. Mist, jetzt musste sie auch noch mit dem Hund Gassi gehen! Dabei war das morgens die Aufgabe der Jungs. Gerade als sie den Blick abwenden wollte, bemerkte sie den Mann. Er stand an den Mülltonnen, keine fünf Meter entfernt und starrte zu ihr hoch. Direkt in ihre Augen. Inga erschrak. Wie lange stand er da wohl schon? Er sah ziemlich groß und schmuddelig aus: lange, strähnige Haare, ungepflegter Vollbart. Der Mantel war braun, dick und abgewetzt. In der Hand hielt er einen langen Holzstiel. Vermutlich von einem Besen. Schnell wich Inga vom Fenster zurück. Sie bekam eine Gänsehaut. Wieso hatte er sie so angesehen? Sie ging aus dem 2. Stock eine Etage tiefer in eines der Kinderzimmer und lugte seitlich an der Gardine vorbei nach draußen. Doch da war niemand mehr, der Mann war weg! Auch das Fahrrad mit den vielen Tüten am Lenker, das eben noch neben den Mülltonnen gestanden hatte, schien sich in Luft aufgelöst zu haben. So schnell? Merkwürdig! Hatte sie sich das vielleicht nur eingebildet?
Das Klingeln des Handys unterbrach ihre Gedanken. Die Nummer ihrer Mutter leuchtete im Display. Sie ging nicht ran, überflog stattdessen die neuen Nachrichten. Inzwischen waren es 112. Die meisten aus dem WhatsApp-Chat ihrer Naturwissenschafts-Gruppe....




