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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Schmidt Wir holen uns die Stadt zurück

Wie wir uns gegen Mietenwahnsinn und Bodenspekulation wehren können
21001. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8437-2296-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie wir uns gegen Mietenwahnsinn und Bodenspekulation wehren können

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-8437-2296-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mietenexplosion, Wohnungsnot, Gentrifizierung - Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Der Wohnungsmarkt ist aus den Fugen geraten. Wer die teuren Mieten in den Innenstädten nicht bezahlen kann, wird verdrängt. Die Politik scheint machtlos, der soziale Frieden ist in Gefahr. Florian Schmidt setzt sich schon seit Jahren für soziales Wohnen in den Städten ein, früher als Aktivist, heute als erfolgreicher Berliner Baustadtrat. Er will in der Wohnungspolitik einen Mentalitätswechsel herbeiführen und ruft uns alle auf zum selbstbewussten Kampf für mehr Gemeinwesen und Selbstverwaltung sowie für mehr geteilten Raum und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Florian Schmidt hat Soziologie, Kunstgeschichte und Volkswirtschaftslehre in Hamburg, Barcelona und Berlin studiert. Seit 2006 ist er Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, seit 2016 Bezirksstadtrat für Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin. Von 2011-2016 war er Sprecher der Initiative 'Haus der Statistik'.
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Vorwort


Die Städte in Deutschland stehen mit dem Rücken zur Wand. Weil die Mieten explodieren, haben immer mehr Menschen Angst, sich ihr Zuhause nicht mehr leisten zu können. Die Politik scheint machtlos. Spätestens ab 2010 begann die Wohnungskrise in deutschen Großstädten. Wurden etwa in Berlin im Jahr 2007 noch über 100 000 Wohnungen zu bezahlbaren Konditionen zur Neuvermietung angeboten, was 50 Prozent aller angebotenen Wohnungen entspricht, waren es 2013 nur noch 15 000 Wohnungen, also lediglich zwölf Prozent der Angebote.1 Seit zehn Jahren eskaliert die Lage in Berlin und in anderen deutschen Großstädten. Heute gilt: Wer einen alten Mietvertrag hat, kann sich in der Regel über eine günstige Miete freuen. Wer aber umziehen möchte, für den ist heute ein Wohnungswechsel oft keine Option mehr, eine Bunkermentalität ist die Konsequenz.

Seit 2016 bin ich Baustadtrat für Friedrichshain-Kreuzberg, den Bezirk in Berlin mit den höchsten Mietsteigerungen. Hier wohnt die Bevölkerung, die größtenteils jung, international und kreativ ist, dicht beisammen lebt und wenig Einkommen hat. Sie möchte den Mietenwahnsinn nicht länger hinnehmen und rebelliert. Auf diese Weise wurde der Bezirk zum Labor für den Widerstand gegen die Mächte des Wohnungsmarktes und deren Protagonist:innen: große börsennotierte Wohnungsunternehmen, Glücksritter auf der Suche nach dem schnellen Geld, Haus- und Wohnungseigentümer:innen aus aller Welt, die die Mieten nach oben schrauben, und Weltkonzerne, die das hippe Kreuzberg als Teil ihrer Marketingstrategie nutzen und dort sehr hohe Mieten bezahlen können, wo zuvor andere entmietet wurden. Obwohl einige Punktsiege erzielt werden konnten, ahnen viele, dass die Rebellion im Kiez allein keine Lösung bringt, sondern den Ausverkauf der Stadt, der Nachbarschaft und der eigenen vier Wände lediglich verlangsamt. Auch das steigert die Wut der antikapitalistischen Gemeinschaft im traditionell linken Friedrichshain-Kreuzberg.

Ganz konkret gingen politische Maßnahmen und Verordnungen, wie die Ausübung des Vorkaufsrechts und der Milieuschutz, Hand in Hand mit den öffentlichen Protesten gegen Unternehmen wie Deutsche Wohnen, Heimstaden, Google, Amazon, Akelius, die Accentro Real Estate oder die Ideal Versicherung. Durch den Druck der Straße wurden deren Vorhaben über den Haufen geworfen. Auch Proteste gegen Vermieter, die kleinere Ladenbetreiber mit Produkten für die Nachbarschaft durch Ladenbetreiber mit Produkten für Touristen austauschen wollten, waren erfolgreich. Es gab in Friedrichshain-Kreuzberg sogar eine rebellische Zusammenarbeit von Bürgerinitiativen und Politik: Als der Konzern Deutsche Wohnen im Winter 2018 vier Blöcke mit über 700 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee erwerben wollte, wurden ihm durch ein spektakuläres Modell, genannt »gestreckter Erwerb«, rund 800 Wohnungen weggeschnappt. Die Mieter:innen übten ihr Vorkaufsrecht aus und verkauften die Wohnungen gleich an eine öffentliche Wohnungsbaugesellschaft weiter. Das Land Berlin investierte rund 50 Millionen Euro, damit in dieser Toplage auch langfristig bezahlbarer Wohnraum erhalten bleibt. Damit hatte die mietenpolitische Revolution in der Prachtallee der DDR ihr Exempel gefunden.

»Kein Profit mit der Miete« ist der Slogan der neuen mietenpolitischen Bewegung in Berlin und anderen deutschen Städten. Vor meinem Amtsantritt als Baustadtrat war ich einige Jahre in unterschiedlichen stadtpolitischen Initiativen aktiv und habe Mieter:inneninitiativen, innovative Baugenossenschaften, Künstler:innenkollektive sowie Gruppen, die Volksentscheide auf den Weg gebracht haben, kennengelernt und unterstützt. Viele dieser Initiativen haben die Politik maßgeblich beeinflusst. 2012 gründeten Aktivist:innen gemeinsam mit Parlamentarier:innen einen runden Tisch zum Stopp des Ausverkaufs von öffentlichen Grundstücken, 2014 entschied die Stadtgesellschaft durch einen Volksentscheid, dass der ehemalige Flughafen Tempelhof nicht bebaut werden soll – die regierende Politik fügte sich mürrisch. 2016 hat die rot-schwarze Regierung, um einen Volksentscheid zur Mietenpolitik zu verhindern, eilig einige Forderungen der Volksentscheidsinitiative in eine Gesetzesreform gegossen. Im Jahr 2019 wurde eine Initiative gegründet, die durch einen Volksentscheid die Verstaatlichung von großen Immobilienunternehmen ermöglichen möchte. Ein Vorstoß, der die öffentliche Debatte in Schwung gebracht hat, und ein Weckruf für alle. Sie nennt sich »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« und versuchte im September 2021, ihre Ziele mit einem Volksbegehren durchzusetzen, über das parallel zur Bundestagswahl abgestimmt wurde.

Die Herausforderungen sind riesig. Es geht um kein geringeres Ziel, als den sozialen Zusammenhalt in den Städten zu erhalten. Ansonsten ist die Gefahr groß, sich bald in segregierten, also nach arm und reich sortierten Städten wiederzufinden. London und Paris lassen grüßen. Niemand will das. Doch Banlieues, soziale Unruhen und abgehängte Bevölkerungsgruppen drohen auch in Deutschland zu entstehen – gerade in Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus steigt das Risiko, dass sich die Gesellschaft noch weiter spaltet.

Eine urbane Revolution ist daher notwendig. Ich wähle diesen Begriff absichtlich, weil es sich um solch eine radikale gesellschaftliche Veränderung handelt, wohl wissend, dass man unter Revolution eigentlich einen Wandel versteht, der abrupt ist oder sich zumindest in einem relativ kurzen Zeitraum abspielt. Die urbane Revolution wird einen Zeitraum von mindestens zwanzig Jahren erfordern. Sie ist friedlich, und sie bricht Tabus. Sie stellt die Eigentumsfrage und die Frage, wie das Leben in den Städten in Zukunft organisiert sein kann. Und sie kann die Gesellschaft wieder zusammenführen.

Ihre Bausteine sind:

  • Rebellion und Selbstorganisation als Lebensstil,
  • mehr nachbarschaftlicher Austausch und Zusammenhalt,
  • kollektives Eigentum und Selbstverwaltung,
  • weniger privater Raum, mehr geteilter Raum,
  • die Vertreibung der Autos aus der Stadt.

Die Akteur:innen dieser Revolution sind:

  • rebellische stadtpolitische Bewegungen,
  • radikale, aber pragmatische Politiker:innen,
  • gemeinwohlorientierte immobilienwirtschaftliche Organisationen.

Aktuell herrschen Panik und euphorische Spannung zugleich. Initiativen kämpfen gegen den Markt, manchmal erfolgreich, oft chancenlos – aber mit ungebrochenem Kampfgeist. Die klassische Immobilienwirtschaft realisiert, dass sie der Buhmann ist, und sucht verzweifelt nach neuen Ideen, um ihr Image aufzubessern. Zugleich freut sie sich über die weiterhin verrückten Märkte, die satte Profite versprechen. Und die Parteien überschlagen sich mit radikalen Vorschlägen.

Das konservative Lager und die klassische Immobilienwirtschaft fordern Deregulierung und eine massive Bauoffensive, um gemäß der reinen Marktlehre die wachsende Nachfrage mit einem erhöhten Angebot zu beruhigen. Allerdings zeigen die Erfahrungen aus Städten wie Paris, London oder Hamburg, dass die Mieten trotzdem nicht sinken. Die linken Parteien hingegen fordern die Regulierung des Marktes und wollen auch neu bauen, aber vor allem Sozialwohnungen. Sie rennen damit dem Geschehen auf den Märkten hinterher. Denn da, wo eine Regulation greift, entsteht ein neues Schlupfloch an anderer Stelle.

Hintergrund der Krise ist – neben der mittlerweile sprichwörtlichen Kapitalflucht von den Finanzmärkten hinein in das sogenannte Betongold – der stetige Zuzug in die Ballungsräume. Wir sprechen auch von der Renaissance der Städte oder dem urbanen Zeitalter.2 Weltweit wollen immer mehr Menschen in die Städte. Der Wohnungsmarkt versagt zwangsläufig, da eine geografische Ballung der Nachfrage zu hohen Boden- und Immobilienpreisen führt. In den Städten gibt es Jobs, Kultur und Entfaltungsmöglichkeiten für alle. Doch wenn es so weiterläuft wie bisher, wird auch in deutschen Städten dieses schöne urbane Leben nur den Wohlhabenden vorbehalten sein. Die europäische Stadt, in der Stadtluft frei macht von sozialen, ethnischen und religiösen Ketten, steht auf dem Spiel.3

Die Politik ist seit Jahren in vielen Bereichen die Sachverwalterin des Elends. Um zu bekämpfen, was den Städten nun droht, reicht es aber nicht aus, an Symptomen herumzudoktern. Es muss vielmehr radikal neu gedacht und umgesteuert werden. Im digitalen Bereich kommen die rebellischen Antworten auf die Datenkraken Google, Amazon und Co aus den Hackerkollektiven. Vergleichbar zeigen diverse Initiativen aus der Stadtgesellschaft innovative Lösungen in der Stadtentwicklung auf. Doch es fehlen die Gesamtschau, der Weitblick und der Mut, systematisch neue Wege zu gehen und diese mit einer realistischen Vision vom zukünftigen Leben zu verknüpfen.

In diesem Buch entwickle ich ein Programm für die Stadt der Zukunft. Es ist aus keiner ideologischen Orientierung heraus entstanden, sondern basiert auf praktischen Erfahrungen in der Stadtentwicklung und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dabei gehe ich auch auf Experimente von der Gemeinwohl-Rebellion ein, die unter dem Label Munizipalismus erstaunliche Innovationen hervorgebracht hat. Gebraucht werden neue Systeme des Wirtschaftens, neue Vorstellungen vom...


Schmidt, Florian
Florian Schmidt hat Soziologie, Kunstgeschichte und Volkswirtschaftslehre in Hamburg, Barcelona und Berlin studiert. Seit 2006 ist er Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, seit 2016 Bezirksstadtrat für Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin. Von 2011-2016 war er Sprecher der Initiative „Haus der Statistik“.



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