E-Book, Deutsch, Band 1, 315 Seiten
Reihe: Anni Gade und die Fördemorde
Schneider Ostsee, Klönschnack und ein Mord
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98952-409-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Anni Gade und die Fördemorde 1 | Ein Hygge-Krimi an der norddeutschen Küste für alle Flensburg-Fans und die, die es werden wollen.
E-Book, Deutsch, Band 1, 315 Seiten
Reihe: Anni Gade und die Fördemorde
ISBN: 978-3-98952-409-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Inga Schneider hat »Hygge« im Blut. Sie arbeitet als Journalistin in Dänemark und Schleswig-Holstein. Seit 2021 veröffentlichte sie bereits mehrere erfolgreiche Cosy-Crime- sowie Liebes- und Feel-Good-Romane. Die Website der Autorin: https://www.inga-schneider.de/ Die Autorin bei Facebook: ingaschneider.autorin/ Die Autorin auf Instagram: ingaschneider.autorin/ Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Rosenborg-Saga sowie ihren Cosy-Crime-Roman »Ostsee, Klönschnack und ein Mord«. Alle Titel sind bei SAGA-Egmont auch als Hörbuch- und Printausgabe erhältlich.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Moin, Moin
»Entschuldigung! Kann ich mal durch?«
Anni raffte den knöchellangen Rock ihres dunkelblauen Kleides und schob sich durch die johlende Menge, die sie von allen Seiten umzingelt hatte.
Natürlich musste sie ausgerechnet heute Abend spät dran sein. Und natürlich war sie vorhin im Bus so in ihren Liebesroman vertieft gewesen, dass sie ihre Haltestelle verpasst hatte und am Südermarkt statt am ZOB aussteigen musste. Und jetzt hatte sie den Salat. Auf dem Marktplatz vor der St. Nikolaikirche war die Hölle los.
Der gesamte Platz war in ein blau-weiß-rotes Farbenmeer getaucht, da Tausende Handballfans zusammen mit ihrer SG Flensburg-Handewitt den Gewinn der Champions League feierten. Sie hüpften und jubelten dicht gedrängt auf dem glitschigen Kopfsteinpflaster, was das Zeug hielt. Glitschig deshalb, weil es natürlich noch bis vor einer halben Stunde wie aus Eimern geschüttet hatte, sodass Anni sich nicht nur beeilen, sondern auch höllisch aufpassen musste, dass sie auf den schmierigen Steinen nicht ausrutschte und sich am Ende noch den Hals brach. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, würde aber durchaus zu dem Pech passen, das sie seit einigen Monaten verfolgte. Immerhin darin war sie gut.
»Sorry. Darf ich …?«, rief Anni erneut und quetschte sich durch eine Gruppe singender Fans. »Tut mir leid. Ich muss da leider durch.«
Sie schob und drängte sich an den schwitzenden Leuten vorbei, bemüht, das Lächeln auf ihren Lippen zu wahren, während der SG-Fansong mit voller Lautstärke aus den aufgestellten Lautsprechern oberhalb der Empore, auf der die Mannschaft stand, dröhnte.
Flensburg-Handewitt, Flensburg-Handewitt
Ja wohin du gehst, wir kommen mit …
Ob du Meister wirst
Oder zur Hölle fährst,
Flensburg-Handewitt, wir kommen mit …
»Dürfte ich?« Sie zwängte sich durch eine erneute Ansammlung hüpfender und singender Fans und wollte auf keinen Fall unhöflich sein. Um ehrlich zu sein, hätte sie am liebsten selbst mitgefeiert, aber sie hatte einen Job zu erledigen und – die Glocke der Uhr oben im Kirchturm von St. Nikolai ertönte. Mist! Sie würde definitiv zu spät kommen.
Anni beschleunigte ihr Tempo und hatte weder ein Auge für die gut gebauten Handballer, die oben auf der Empore nun stolz einen riesigen silbernen Pokal in die Luft hielten, noch für die wunderschönen Treppengiebelhäuser, die zu allen Seiten des großen Platzes aufgereiht nebeneinanderstanden, als würden sie den Marktplatz umarmen.
»Na, tu siehsja auus?«, lallte einer der SG-Anhänger, der ihr mit einem Becher Bier in der Hand vor die Nase taumelte. Als es überschwappte, machte Anni einen Schritt zur Seite und sah ihn aus ihren moosgrünen Augen strafend an.
»Isses nich n bissel warm in sonm Aufzug?« Er musterte ihr Outfit, das dunkelblaue Kleid, den feinen Hut auf dem Kopf und den weißen Spitzenschal, den sie sich um die Schultern gelegt hatte.
In seinem Gesicht konnte sie ablesen, was ihm durch das biergetränkte Gehirn ging.
»Bist du eine …?«, fragte er, während ihm der rot-weiß-blaue Stoff-Wikingerhelm ins Gesicht rutschte.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und tippte mit dem Fuß auf das Kopfsteinpflaster. »Was meinst du, wer ich bin?«, fragte sie, während die Kirchturmuhr ihren letzten Glockenschlag tat.
»Ne Beduh-dande?«, lallte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht, als sei er stolz darauf, ihre Kostümierung erkannt zu haben.
»Verdammt richtig. Und wenn du mir nicht gleich aus dem Weg gehst, komme ich zu spät zu meinem Job. Verstanden?!«, sagte sie zwar energischer als beabsichtigt, aber mit Erfolg.
Der SG-Fan trat beiseite und machte eine Verbeugung. »Bidde sehr, die Dame.«
Anni lächelte ihm zu und nickte, als sie mit durchgedrücktem Kreuz an ihm vorbeischritt. »Danke.«
Sobald sie die grölende Menge hinter sich gelassen hatte und das Kopfsteinpflaster durch normale Pflastersteine abgelöst wurde, begann Anni zu laufen. Sie sprintete die Fußgängerzone, den Holm, entlang, vorbei an den farbenfrohen Häusern mit Boutiquen, Buchhandlungen und Cafés, bis sie an der Holmnixe, einem kleinen Brunnen, nach rechts abbog. Vor der Touristinformation angekommen, hielt sie an, stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich leicht nach vorne. Himmel, sie musste dringend an ihrer Kondition arbeiten …
Sie hatte noch gar nicht richtig Luft geholt, da trat ein kleiner schlaksiger Mann mit Glatze und Schnurrbart aus der Tür des Hauses, vor dem sie stand.
»Anni Gade«, hörte sie ihn sagen. »Wie immer spät dran.« Er machte ein paar Schritte auf sie zu. Sobald er stehen geblieben war, tippte er ungeduldig mit dem Fuß auf den Bürgersteig. Warum musste er sich nur immer so wichtig nehmen?
»Moin Gunnar.« Anni verkniff sich ein Augenrollen, wischte sich eine ihrer rotblonden Locken aus dem Gesicht und klemmte sie sich provisorisch hinter das Ohr, wohl wissend, dass die Locke gleich wieder vor ihrem Auge herumtanzen würde. Dann richtete sie sich auf, drehte sich zu ihm und senkte ihren Blick. Was die Körpergröße betraf, hatte der liebe Gott Gunnar Hansen nicht gerade üppig ausgestattet. Er reichte Anni gerade einmal bis zur Nasenspitze, mit gutem Willen und wenn sie, so wie jetzt gerade, keine hohen Absätze trug, vielleicht bis zum unteren Wimpernansatz. Eine Tatsache, die dazu führte, dass der Flensburger Tourismuschef sich Frauen, die größer waren als er, stets auf Zehenspitzen näherte. Und wenn er neben ihnen stand, wippte er immer von einem Bein auf das andere. Wie ein Kapitän, der auf einem schwankenden Schiff versuchte, das Gleichgewicht zu halten.
»Also«, sagte der wankende Tourismuschef, die Hände vor der Brust gefaltet, offenbar auf eine Erklärung wartend.
Die konnte er haben. Anni schenkte ihm einen entschuldigenden Augenaufschlag und entschloss sich zu einer kleinen Notlüge. »Ich weiß, Gunnar, aber ich musste Hugo noch …«
»Was kümmert mich dein Erpel, Anni?«, unterbrach er sie barsch.
Anni schloss die Augen und pustete durch. Irgendwie hatte sie geahnt, dass sie mit Hugo als Entschuldigung nicht weit kommen würde. Gunnar hatte kein Herz für Tiere. Und genau genommen auch nicht für Menschen. Aber sie brauchte diesen Job, und sie brauchte ihre Wohnung. Bei ihren Eltern einzuziehen war nun wirklich keine Option. Die würden sich bedanken, wenn sie mit einem Koffer in der Hand und Hugo unter dem Arm plötzlich bei ihnen vor der Tür stünde.
Anni hatte schon einmal versucht, wieder in ihrem ehemaligen Kinderzimmer unterzukommen, nachdem sie das Studium geschmissen hatte. Schon damals war sie kläglich gescheitert und schließlich lieber in die kleine Einliegerwohnung unter dem Dach von Frau Lorenzens Kapitänshaus auf dem Land eingezogen, als eine weitere Nacht mit ihrem Vater unter einem Dach zu verbringen. Einen weiteren Versuch würde sie daher nicht unternehmen. Niemals.
In diesem Moment hallten die Schlachtgesänge der SG-Fans über den Holm und rissen Anni aus ihren Gedanken. Ein lauter Knall ertönte, als habe jemand auf dem Marktplatz eine überdimensional große Konfettikanone gezündet. »Der Südermarkt ist voller Leute. Ich bin kaum durchgekommen.«
»Ach, kann es sein, dass die SG die Champions League gewonnen hat?« Er zog eine Grimasse, die Anni nicht ganz deuten konnte. Machte er sich etwa über sie lustig? »Was erwartest du, Anni? Die feiern dort drüben die Party des Jahres! Niemand möchte das verpassen. Ich wäre auch bereits dort, aber ich habe auf meine Petuhtanten-Stadtführerin gewartet.« Jetzt machte er ein böses Gesicht und zeigte auf die Uhr an seinem Handgelenk, wohl auch, um Anni ein schlechtes Gewissen einzujagen. Es verfehlte seine Wirkung nicht. Natürlich nicht.
Es brauchte Anni nur jemand vorwurfsvoll anzuschauen, und schon regte sich dieses blöde schlechte Gewissen, das sich wie ein Kloß in ihren Hals legte, ihr das Atmen erschwerte und ihren Bauch ganz schwer werden ließ.
Anni seufzte ein weiteres Mal und schluckte schließlich den Kloß in ihrer Kehle herunter. Dieser Kloß hatte hier nichts zu suchen. Hier ging es um ihren Job, nicht um ihr Privatleben und nicht um ihre Kindheit. »Es tut mir leid, Gunnar. Kommt nicht wieder vor.«
»Das will ich hoffen.« Gunnar hörte auf zu schwanken, machte einen Schritt beiseite und ging an Anni vorbei. Bevor er sie gänzlich passiert hatte, blieb er noch einmal stehen und legte ihr die knochige Hand auf die Schulter. »Du bist eine gute Stadtführerin, vielleicht die beste, die wir haben. Unsere Gäste lieben dich und deine Inszenierung. Aber deine Unpünktlichkeit kann ich auf Dauer nicht tolerieren.« Er sah sie an. »Das verstehst du doch, oder?«
Anni nickte bedröppelt. Er hatte ja recht, auch wenn sie sich das nur schwer eingestehen wollte. Unpünktlichkeit war ein Problem, das sie ebenfalls schon seit Jahren mit sich herumtrug. Pünktlichkeit war noch nie ihre Stärke gewesen. Schon zu ihrer eigenen Einschulung war sie beinahe zu spät gekommen, weil sie sich beim Spazierengehen mit einer Freundin verquatscht hatte. Ihre Eltern hatten sie damals eine Stunde lang gesucht, und es hatte riesigen Ärger gegeben, als sie wieder aufgetaucht war.
»Ist die Gruppe schon da?« Sie drehte sich zum Eingang der Touristinfo um und blinzelte gegen die Sonne in den Innenhof, der sich direkt daneben verbarg.
»Was glaubst du wohl, Anni Gade? Natürlich ist die Gruppe schon da. Im Gegensatz zu dir waren sie ja pünktlich.« Gunnar schenkte ihr ein bissiges Lächeln zum Abschied, legte sich seinen Pullover um die Schulter, als sei er ein stinkreicher, aufgeblasener Sylt-Tourist, und zog von dannen. Anni sah ihm nach, bis er...