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E-Book

E-Book, Deutsch, 210 Seiten

Schuster Absinthe

Gothic Novel
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-948483-29-6
Verlag: Dryas Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Gothic Novel

E-Book, Deutsch, 210 Seiten

ISBN: 978-3-948483-29-6
Verlag: Dryas Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Paris zur Zeit der Belle Époque. Der junge Maler Noël muss seine Bilder verkaufen, sonst kann er sich seinen Traum, das Leben in Paris, nicht leisten. Der Druck führt zu einer Blockade, er bringt keinen Pinselstrich mehr auf die Leinwand. Sein Freund Toulouse-Lautrec überredet ihn daher zu einem Ausflug ins Varieté Moulin Rouge, um ihn auf neue Ideen zu bringen. Dort trifft er den undurchsichtigen Thujon, der ihn mit seiner eigenwilligen Sicht auf die Welt wieder inspiriert. Endlich stellt sich mit Thujons Hilfe der ersehnte Erfolg ein. Doch zu spät erkennt Noël, welchen Preis er für seine Inspirationen zu zahlen hat.

Selina Schuster, geboren 1988, lebt am östlichen Rand des Ruhrgebiets, zusammen mit ihrem Mann und einem dicken, roten Kater, der gerne auf Papierstapeln liegt. Nach ihrem Studium der Anglistik, Germanistik und Geschichtswissenschaften arbeitet sie als Lehrerin und ist zudem als Übersetzerin und Autorin tätig. Neben diversen akademischen Veröffentlichungen im Bereich englischer Literaturwissenschaften sowie Geschichtswissenschaften sind ihre Werke vor allem den Bereichen Historie und Mystery zuzuordnen.
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Kapitel 2


Wie ein rotes Leuchtfeuer drehen sie sich in der Ferne und stechen mir so penetrant in die Augen, dass ich sie schnell zukneife. Mit spielerischer Leichtigkeit ziehen sie die Aufmerksamkeit aller, die sie auch nur für einen kurzen Moment erblicken, auf sich. Die überdimensionierten Flügel der berühmt-berüchtigten roten Mühle, deren grelle Farben die Besucher anlocken wie ein Irrlicht die Motten in der Dunkelheit, drehen sich wie von Geisterhand betrieben in einem stets gleichbleibenden, monotonen Rhythmus – Elektrizität. Ihr ist mit Sicherheit auch das warme und dennoch seltsam unwirkliche Licht der vielen kleinen Lämpchen geschuldet, die den an diesem angenehm kühlen Spätsommerabend erhellen.

Der Erfolg dieses Varietés ist in der Tat beeindruckend. Erst vor drei Jahren eröffnet, hat sich das in einer atemberaubenden Geschwindigkeit zu einem Publikumsmagneten des Montmartre gemausert. Ein Anziehungspunkt für Männer und Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten – und mein werter Freund Toulouse stets mittendrin im Getümmel. Seinen Erzählungen zufolge tanzen und schunkeln hier Fabrikbesitzer und Gewerkschaftsführer mit einem seligen Lächeln auf den Lippen Seite an Seite und vornehme Adlige erheben die Gläser mit hoffnungslos abgebrannten Schöngeistern. In dieser Halbwelt des frivolen Nervenkitzels gibt es offensichtlich keinerlei Klassenunterschiede. Das ist auch der einzige Aspekt, in dem mir das nicht bis ins Mark suspekt ist. Ein jeder sei gleich dem anderen, haben sie doch allesamt ihren Franc für ein Ticket in eine farbenprächtige, für kurze Zeit die Realität übertünchende Traumlandschaft bezahlt.

So lauten die in den schillerndsten Farben ausgeschmückten Erzählungen, die man über diesen Ort in den Straßen des Montmartre zu hören bekommt, und ich glaube ihnen. Denn wenn einer wissen muss, wie es im Innern der roten Mühle wirklich zugeht, so ist es der kleine Mann neben mir, der sich gerade mit einem wohligen Murmeln tiefer in die zerschlissenen Ledersitze der Kalesche drückt. Seit der Eröffnung ist Toulouse beinah jeden Abend im anzutreffen, unter dem mehr als fadenscheinigen Vorwand, neue Motive für seine Bilder finden zu wollen.

Wirklich mehr als fadenscheinig, denn nicht erst seitdem ich von Louise weiß, beschleicht mich der Verdacht, dass es ihm bei seiner Begeisterung für dieses Varieté längst nicht mehr nur um die Ausübung seiner Kunst geht. Sollte es ihm jemals darum gegangen sein.

Ich werfe meinem Freund einen verstohlenen Blick zu. Es beschleicht mich die Frage, ob seine Chancen bei Louise wirklich so gut stehen, wie er es sich wünscht.

Mit Wohlwollen und auf hohen Absätzen reicht Toulouse an die 1,50 Meter, wodurch er stets etwas Verhutzeltes, Zwergenhaftes an sich hat. Er ist noch jung, noch keine dreißig, doch lassen ihn der wallende Bart und seine verschrobene Art bedeutend älter wirken.

»Ich bin dir übrigens immer noch böse, dass du mich allen Ernstes in dieses Tollhaus schleifst.«

Ich blicke nach vorne, hinaus auf die schnell vorbeiziehende Straße, doch erkenne ich aus dem Augenwinkel, wie sich ein selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen meines Freundes formt, ehe er antwortet:

»Manche Menschen muss man eben zu ihrem Glück zwingen, mein junger Freund. Finde dich damit ab. Du hast einen Tapetenwechsel bitter nötig.«

»Und manche Menschen vertrauen zu sehr darauf, dass man ihnen all ihre Faxen verzeiht.«

»Natürlich. Und eigentlich hast du mir auch schon längst verziehen.«

Auch wenn ich es nicht sehe, so weiß ich, dass sich seine Augenbrauen wieder fragend über die Brillenränder spannen. Und das Schlimmste ist, dass er recht hat. Eigentlich bin ich ihm längst nicht mehr böse. Die Wut ist bereits im Laufe des Tages abgeflaut und hat einem wesentlich ekligeren Gefühl Platz gemacht. Seit Stunden fühle ich mich fürchterlich aufgekratzt und auf kindliche Weise nervös, dass es mir den Magen zusammenkrampft und ich meine Hände nicht mehr stillhalten kann. Daran ändert auch nichts, dass sich die Anzahl der von Toulouse gemalten Plakate, die schemenhaft an uns vorbeijagen, innerhalb der letzten Minuten vervielfacht hat. Wie von meinem Freund angepriesen, hängen sie in diversen Ausführungen an allen Wänden und an jeder Litfaßsäule.

Wir kommen näher. Die roten Flügel werden größer.

Bedrohlicher.

Das schnelle, gleichmäßige Klappern der Hufe auf unebenem Kopfsteinpflaster und das Rattern der Räder gleicht einem beruhigenden, beständig gleichbleibenden Stakkato, dessen Abstände kürzer werden, als die Kalesche auf den einbiegt und auf Schritttempo abbremst.

»Da sind wir ja endlich!«, frohlockt Toulouse und klatscht die Hände ineinander. Ich wünschte aufrichtig, ich könnte seine Freude teilen. Meine Hände verkrampfen sich unwillkürlich in meinem Schoß, taube Finger krallen sich ineinander.

Mühsam richtet sich Toulouse in den von viel zu vielen Fahrgästen durchgesessenen Polstern auf und lehnt sich bereits halb aus dem Innern des Wagens, selbst als dieser noch nicht ganz steht. Er kann es kaum mehr erwarten auszusteigen. Mit versierten Handgriffen richtet er sich den schiefsitzenden Zylinder und wirft sich in Positur. Die Pferde halten mit leisem Schnauben einige Meter vom Eingang des Varietés entfernt hinter einer langen Schlange von weiteren Kutschen und Droschken.

Und wie ich es mir nicht anders in meinen schlimmsten Albträumen hätte ausmalen können, scheint allgemeine Hektik und turbulente Aufregung diesen Ort fest im Griff zu haben. Sobald die Dämmerung einsetzt, kommen die Menschen von überall her wie Nachtfalter aus ihren Verstecken eingetrudelt. Im flackernden Licht der Gaslaternen vor dem schimmern die bunten Kleider der Frauen wie die Flügel eines Schmetterlings und das warme Licht bricht sich in den glänzenden Zylindern ihrer Begleiter.

Die metallene Trittleiter mit zwei für ihn sehr großen, federnden Schritten hinabspringend, richtet Toulouse sein etwas zerknittertes, schwarzes Cape, ehe er abwartend und mit einer nicht zu übersehenden Ungeduld zu mir heraufblickt.

»Heute noch, Monsieur. Die Damen warten nicht!«

Sein kleiner Fuß trippelt bei diesen Worten ungeduldig auf das Kopfsteinpflaster.

Eilig versuche ich, meine doch wesentlich längeren Beine aus dem engen Innern des Wagens zu befreien und als es mir schließlich gelingt, hat sich mein Begleiter bereits auf dem Absatz umgedreht und tapert schnellen Schrittes das Trottoir hinab, seinen Spazierstock dabei lässig in der linken Hand hin und her schwingend wie ein Dandy.

Ich folge ihm kopfschüttelnd.

Meine Güte, Toulouse hat wirklich nicht übertrieben, als er sagte, es würde um das keine Straße mehr ohne sein Plakat geben. Louise strahlt mir in zigfacher Ausführung von allen Seiten entgegen, das Rot der Schrift leuchtet warm, der Druck ist erstaunlich gut geworden. Das haben sich Oller und Zidler einiges kosten lassen.

»So, mein lieber Freund, da wären wir«, verkündet Toulouse lautstark und vollführt eine ausladende Geste, als wir vor der Front des direkt unter der sich leise surrend, fortwährend drehenden Mühle zum Stehen kommen.

»Was du nicht sagst, Toulouse«, murmle ich abwesend und bin gänzlich fasziniert von den sich direkt über meinem Kopf drehenden bunten Lichtern. Bewundernd lege ich meinen Kopf in den Nacken, dass mir beinah der Zylinder vom Kopf fällt. Wie fast alles an meiner Ausstattung ist auch er eine Leihgabe eines von Toulouses zahlreichen Freunden. Wir haben nur leider nicht dieselbe Größe, weder was Zylinder noch Jacketts anbelangt, woran mich der immer wieder von meinen Schultern rutschende Stoff stets aufs Neue erinnert.

Ohne mein Zutun schleichen sich mir die Bilder eines ausstaffierten Pudels in den Sinn, die ich jedoch sofort energisch abzuschütteln versuche. Ziellos schweift mein Blick umher. Wandert von den kleinen Lämpchen auf den Flügeln hinüber zum Dach und wieder zurück. Ich wende mich zur Seite, um besser an meinem Jackett herumwerkeln zu können, als ich den eindrucksvollen, mittelalterlich anmutenden Turm zur Linken des Varietés bemerke.

»Was ist das für ein Turm?«

»Das ist der gotische Turm. Dort kannst du zu Abend essen, wenn du willst«, entgegnet Toulouse trocken. Für ihn ist am Äußeren des absolut nichts mehr neu oder interessant. Er hat bereits damit begonnen, sich an der langen Schlange der Wartenden vorbeizudrängeln, und bedeutet mir mit hektischen Handbewegungen ihm zu folgen. Er schwingt...


Selina Schuster, geboren 1988, lebt am östlichen Rand des Ruhrgebiets, zusammen mit ihrem Mann und einem dicken, roten Kater, der gerne auf Papierstapeln liegt. Nach ihrem Studium der Anglistik, Germanistik und Geschichtswissenschaften arbeitet sie als Lehrerin und ist zudem als Übersetzerin und Autorin tätig. Neben diversen akademischen Veröffentlichungen im Bereich englischer Literaturwissenschaften sowie Geschichtswissenschaften sind ihre Werke vor allem den Bereichen Historie und Mystery zuzuordnen.



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