Schwab | Freiheit, Rausch und schwarze Katzen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Schwab Freiheit, Rausch und schwarze Katzen

Eine Geschichte der Boheme

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-406-81436-5
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Else Lasker-Schüler, Richard Dehmel, Edvard Munch, Oda Krogh, Henri Murger, Franziska zu Reventlow, August Strindberg, Frank Wedekind - sie alle gehörten der Boheme an, jener künstlerischen Subkultur, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Paris und Wien, München und Berlin entwickelte und durch ihren freizügigen Lebensstil, ihren rebellischen Geist und nicht zuletzt ihre prekären finanziellen Verhältnisse in Opposition zur gutbürgerlichen Gesellschaft geriet. Dieses Buch erzählt ihre Geschichte.

Die Boheme revolutionierte die Ansichten darüber, was ein gutes Leben ausmacht. Und dies weniger in Texten und Manifesten als vielmehr im tätigen Leben mit all seinen Ambivalenzen. Andreas Schwab porträtiert nicht nur die Literaten und Künstlerinnen, die Männer und Frauen der Boheme, von denen diese Lebensstilrevolution ausging, er vergegenwärtigt auch die Orte, an denen sie sich trafen, die Kneipe «Das schwarze Ferkel» in Berlin, das «Chat Noir» im Pariser Montmartre, das «Café Stefanie» oder das Kabarett «Die Elf Scharfrichter» in München. So entsteht eine atmosphärisch dichte Beschreibung des Lebens der Boheme, die die von ihr ausgehende, bis in unsere Gegenwart reichende Faszination spürbar werden lässt.
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Was das Leben ist, erfährt man nur, wenn man sich ihm
vorbehaltlos hingibt, in der Liebe, im Haß, in der Trauer,
der Verzweiflung, der Langeweile, dem Ekel. Franziska zu Reventlow Aus dem Mistbeet der Bohême, von Unkraut fast erstickt,
sprießen die Orchideen der Zukunft und befruchten
gegenseitig ihre abenteuerlichen Blüten. Roda Roda Einleitung
Ungebundenheit und subversives Potenzial –
Die diverse Boheme
In einem unmissverständlich formulierten Brief teilt Friedrich Uhl, Chefredakteur der angesehenen Wiener Zeitung, seiner Tochter mit, dass er ihre Verbindung mit dem fast doppelt so alten geschiedenen Schriftsteller August Strindberg äußerst kritisch sehe. Er befürchte ein Abgleiten in die Künstlerboheme. Ob sie nicht einen ordentlichen bürgerlichen Lebensweg, wozu eine standesgemäße Heirat gehöre, beschreiten wolle? Die Warnung verhallt ungehört, Frida Uhl und August Strindberg, die sich in Berliner Künstlerkreisen rund um das Lokal «Das schwarze Ferkel» kennengelernt haben, heiraten am 2. Mai 1893 in einer schlichten Zeremonie in der evangelischen Pfarrstube auf Helgoland. Auf die norddeutsche Insel sind sie gereist, weil dort nach britischem Recht keine sechswöchige Wartefrist für eine Heirat gilt. Der Ehemann ist in einen beigefarbenen Anzug mit schwarzer Seidenkrawatte und Sailorhut gekleidet; die Braut trägt ein Kleid aus Leinenbatist mit Spitzen nach einem Schnittmuster von ihr selbst. Zwei eilig beigezogene einheimische Lehrer agieren als Trauzeugen. Knapp zwei Jahre später, als sie in einem erbitterten Scheidungskrieg steckt, wird sich Frida Strindberg, wie sie zu diesem Zeitpunkt noch offiziell heißt, möglicherweise an die Zeremonie und den besorgten Brief ihres Vaters erinnert haben.[1] Die letzte gemeinsame Zeit vor der endgültigen Trennung verbringt das Ehepaar in Paris, wohin Frida Strindberg, das gemeinsame Kind Kerstin bei ihren Eltern in Oberösterreich zurücklassend, ihrem Ehemann nachgereist war. Doch die Ehe ist längst zerrüttet. Strindbergs Schwärmereien des Anfangs – «Ein ganz neuer Typus in meinem Leben, weich, füllig, dunkel!»[2] – verkehren sich ins Gegenteil. Er erträgt nicht, dass Frida Strindberg ihre eigenen Ambitionen als Journalistin und Schriftstellerin verfolgt, und beobachtet jeden ihrer Schritte eifersüchtig. Sie vernachlässige den Haushalt, wirft er ihr vor. Zudem sei sie mit ihren Bemühungen, sein Werk bei Verlegern und Theaterdirektoren populärer zu machen, erfolglos geblieben. Schlimmer noch: Sie habe ihn mit ihrem respektlosen Auftreten in vielen Kreisen unmöglich gemacht. Seine Briefe an sie sind voller Gehässigkeiten; er lässt sich zu üblen Beschimpfungen hinreißen, «Du bist das schmutzigste menschliche Vieh, das ich je kennengelernt habe!», um sich kurz darauf wortreich für seine Entgleisungen zu entschuldigen.[3] Dass sich Frida Strindberg mit dem Kunsthändler und Lebemann Willy Grétor, einem Dandy mit mondänem Auftreten, anfreundet, belastet ihre ohnehin angespannte Beziehung zusätzlich. Frida Strindberg-Uhl, die je ein Kind von August Strindberg und Frank Wedekind hat, verkehrt in den Boheme-Szenen von Wien, Berlin, Paris und München. In einem förmlichen Brief willigt Frida endlich in die Scheidung ein. Sie nimmt sogar die Schuld an der gescheiterten Ehe auf sich unter der Bedingung, dass Strindberg alle Rechte auf das Kind an sie abtrete. In ihr steigt die Furcht auf, dass es ihr genauso ergehen werde wie August Strindbergs erster Ehefrau Siri von Essen. Nicht nur blieb Strindberg häufig die Alimente für die drei gemeinsamen Kinder schuldig, er machte auch intime Details seiner früheren Ehe in seinem autobiografischen Roman Plädoyer eines Irren (1888) öffentlich. Als sie längst getrennt lebten, sollte sich zeigen, dass Fridas Sorge berechtigt war: Im Roman Inferno (1897) veröffentlichte Strindberg auch seine Version seiner zweiten gescheiterten Ehe. Die Zeichen stehen also auf Abschied. Den letzten Abend ihres fünfwöchigen Aufenthalts in Paris verbringt Frida Strindberg-Uhl im legendären Künstlercafé Le Procope inmitten des Quartier Latin. Hundert Jahre zuvor hatten sich hier die Aufklärer, unter ihnen Jean-Jacques Rousseau und Denis Diderot, zu ausgedehnten Diskussionsrunden getroffen. Sie hört sich Xavier Privas mit seinen gleichermaßen lebensfrohen wie melancholischen Chansons an. Der Auftritt begeistert sie, wie überhaupt ihr ganzer Aufenthalt in Paris. An ihre Schwester schreibt sie: «Oh, wie hier das Leben schäumt! Voll Rausch, voll Süße, geistiges, vergeistigtes Genießen mit aller Sinneskraft und Glut.» Doch sie kann nicht bleiben: Die Amme hatte gekündigt; es bleibt ihr keine andere Wahl, als zum Landsitz ihrer Eltern nach Saxen in Oberösterreich zurückzufahren. Bevor sie in den Zug steigt, trifft sie ein letztes Mal in ihrem Leben – sinnigerweise vor dem erst kürzlich eröffneten Warenhaus Le Printemps – ihren Noch-Ehemann August Strindberg. «Adieu Leben! Das Kind schreit wieder und ich komme. Ich reise noch heute Abend ab», lässt sie ihre Schwester wissen.[4] Bemerkenswert: Frida Strindberg-Uhl verkehrt in vier europäischen Städten, die zu dieser Zeit eine ausgeprägte Boheme aufweisen, in Wien, Berlin, Paris und München. In München lässt sie sich nach ihrer Scheidung von August Strindberg im Milieu exzentrischer Künstlerinnen und Künstler im Bohemeviertel Schwabing nieder. Später geht sie eine kurze Affäre mit dem Dramatiker Frank Wedekind ein. Doch die Beziehung zerbricht, bevor der gemeinsame Sohn geboren ist. Als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern von zwei berühmten Schriftstellern, die sich beide kaum um ihren Nachwuchs kümmern, schlägt sie sich mehr schlecht als recht durch. Ihre Tochter, die in der Obhut von Verwandten aufwächst, sieht auch sie selbst nur wenig. Wie lieblich präsentiert sich im Vergleich dazu Henri Murgers Scènes de la vie de Bohème. Dieser beinahe unangefochtene Prototyp aller folgenden Erzählungen über die Boheme, zunächst fast unbemerkt als Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitschrift erschienen, erlangte erst in der Bühnenfassung von 1849 seine umfassende Popularität. Die Hauptprotagonisten Rodolphe, der glücklose Dichter, sein Musikerfreund Schaunard, der Maler Marcel und der Bildhauer Jacques fristen ein beschwingt-verantwortungsfreies Leben in den Mansarden und Cafés des Quartier Latin in Paris. Sie haben keine feste Anstellung und zelebrieren ihre Ungebundenheit mit kurzfristigen Liebesbeziehungen und häufigen Wohnungswechseln. In gewisser Weise verhalten sie sich, als ob sie nicht erwachsen wären. Allein durch ihre Lebensweise protestieren sie gegen die meritokratischen Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft. Individualistisch wie sie sind, würde es ihnen nicht im Traum einfallen, sich freiwillig zum Militärdienst zu melden oder gar ihr Leben für einen abstrakten Begriff wie das Vaterland hinzugeben. Nichts ist ihnen so suspekt wie das Erfolgsstreben; sie kokettieren mit dem Scheitern. Die Auffassung, dass Geld den Charakter verderbe, ist ihnen geläufig. Also verprassen sie eine unverhofft zugefallene Erbschaft oder eine hohe Honorarzahlung so schnell wie möglich, indem sie ihre Freundinnen und Freunde zu einer ausgelassenen Feier einladen. Es ist nicht zu verkennen: Murger romantisiert die Boheme. Seine glücklosen Künstler, typischerweise ausnahmslos Männer, sind idealistisch, liebenswert, großzügig und großherzig. Sie streben nach geistig Höherem und sind gleichzeitig realistisch genug zu wissen, dass sich nicht alle ihre Träume erfüllen werden. Das Leben ist kurz, und die Verhältnisse sind nicht geeignet, die großen Werke zu schaffen, die sie, wären die Umstände anders, leichthändig aus dem Ärmel schütteln würden. Also ist ihrer Geisteshaltung, aller ausgelebten Leichtigkeit zum Trotz, immer auch ein Schuss Melancholie und fatalistische Bitterkeit beigemischt. Den Mythos der Boheme weiter genährt hat die 1896 im Teatro Regio in Turin uraufgeführte Oper La Bohème von Giacomo Puccini. Ihr Libretto, ein Destillat aus Henri Murgers episodischem Roman, erzählt in vier Bildern die Geschichte des armen Dichters Rodolfo. An einem Weihnachtsabend, den er zusammen mit seinem Freund Marcel verbringt, ist er gezwungen, eines seiner Manuskripte zu verbrennen, damit es in seiner Mansarde wenigstens ein bisschen warm wird. Er verliebt sich in seine Zimmernachbarin Mimi, nur um...


Andreas Schwab ist Autor, Ausstellungsmacher und Gemeindepräsident von Bremgarten bei Bern. Er hat Bücher über den Monte Verità und die Landkooperative Longo maï veröffentlicht. Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: "Zeit der Aussteiger. Eine Reise zu den Künstlerkolonien von Barbizon bis Monte Verità" (²2021).


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