Shuster | Vor den Augen der Welt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

Shuster Vor den Augen der Welt

Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

ISBN: 978-3-641-30708-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



»Dies ist das Selenskyj-Buch, auf das wir gewartet haben.« (Catherine Belton, SPIEGEL-Bestsellerautorin von »Putins Netz«)
»Das Volk der Ukraine will Frieden. Die Staatsführung der Ukraine will Frieden. Sie tut alles dafür, was sie kann. (...) Doch wenn ihr uns angreift, werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unseren Rücken.« Seit er, nur wenige Stunden vor dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022, diese Worte an die russische Regierung richtete, fasziniert - und polarisiert - der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Welt. Der einstige Comedian wurde unversehens zum Kriegspräsidenten, dessen perfekt inszenierte Medienauftritte den Verlauf des Krieges entscheidend beeinflussen.TIME-Korrespondent Simon Shuster berichtet seit Beginn der russischen Invasion aus dem Inneren des Präsidentenpalasts, zweimal ist er mit dem ukrainischen Präsidenten an die Front gereist. Er hat, wie kaum ein anderer, Zugang zu Selenskyi, seiner Frau, seinen Freunden, seinen hochrangigen Mitarbeitern und Beratern. Mit Vor den Augen der Welt ist Shuster nicht nur eine einzigartig facettenreiche und intime Biografie des ukrainischen Präsidenten gelungen, sondern auch die fesselnde und profund recherchierte Chronik eines unsere Weltordnung nachhaltig verändernden Krieges.


Simon Shuster berichtet seit über 15 Jahren über Russland und die Ukraine, die meiste Zeit davon als Korrespondent für das das US-Nachrichtenmagazin TIME. Er wurde in Moskau geboren und emigrierte als Kind, zwei Jahre vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in die Vereinigten Staaten. Shuster gilt als exzellenter Kenner des russisch-ukrainischen Konflikts, seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 berichtet er ausführlich über den Krieg in der Ukraine. Er lebt in Brooklyn, New York, verbringt aber derzeit einen Großteil seiner Zeit in Kyiv.
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PROLOG
An jenem Abend, an dem wir uns zum ersten Mal trafen, hinter der Bühne bei seiner Comedy-Show im Frühjahr 2019, wirkte Wolodymyr Selenskyj so verängstigt, wie ich ihn danach lange nicht mehr erleben würde. Es war nicht nur das Lampenfieber, das ihn vor Auftritten oft nervös machte. An jenem Abend schien er halb stumm vor Angst zu sein. Er hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gepresst, den Blick auf den Boden gerichtet, ohne den Lärm und die Menschen um sich herum zu bemerken. Vor etwa drei Monaten hatte er sich um das Amt des Präsidenten der Ukraine beworben, und die Premiere seiner neuen Unterhaltungsshow sollte in weniger als einer Stunde beginnen. Selenskyj würde die Hauptrolle spielen, den Zirkusdirektor in seiner besonderen Art von Kabarett, und Millionen von Zuschauern würden die Sendung im Fernsehen verfolgen, seinem bevorzugten Medium. Die guten Plätze für das Live-Event im Palast Ukrajina, einer der größten Veranstaltungshallen der Ukraine, kosteten mehr als ein durchschnittliches ukrainisches Monatseinkommen. Als ich eintraf, herrschte am Eingang Tumult. Nicht nur die High Society der Stadt stand vor den Metalldetektoren Schlange, sondern auch viele Rentner, Hipster und Büroangestellte, junge Paare, die sich einen teuren Abend gönnten, die gesamte Bandbreite der Mittelschicht, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der Ukraine entstanden war. Alle waren sie Fans von Selenskyj. Bald sollten sie seine Wähler werden. Ganz vorne in der Menge stand eine seiner Medienberaterinnen, Olha Rudenko, die Selenskyj in jenem Sommer ins Parlament begleiten sollte. Sie zog mich durch die Tür und zeigte mir den Weg hinter die Bühne, wo die Darsteller bereits ihre Kostüme trugen. Einige kamen mir aus Filmen bekannt vor, aber es war schwer, in der Masse von Produzenten und Backgroundtänzern, den Schauspielern, die sich am Bühneneingang drängelten, den Maskenbildnern und Beleuchtern, dem Chor von Mädchen mit gekräuselten Haaren und weißen Kleidern, irgendjemanden zu erkennen. Die älteren Mitglieder der Truppe wussten, dass sie den Star vor der Show nicht stören durften. »Geben Sie ihm einen Augenblick«, sagte Rudenko, als sie sah, wie ich mich Selenskyj näherte. »Ich stelle Sie vor, wenn es vorbei ist.« Er hatte viel im Kopf, viel mehr als nur die Veranstaltung des Abends. Früher am Tag hatte jemand eine Bombendrohung für die Aufführung hinterlassen.[1] Die anonyme Stimme am Telefon sagte, das Gebäude sei mit Sprengstoff präpariert, der mitten in der Vorstellung detonieren werde. Es klang wie ein Scherz, und Selenskyj riet seiner Truppe, nicht in Panik zu geraten. Höchstwahrscheinlich, so dachte er, war es ein Unterstützer einer der anderen Präsidentschaftskandidaten, der versuchte, seine große Premiere zu sabotieren. Dennoch waren die Veranstalter gesetzlich verpflichtet, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, und einige Polizeibeamte waren mit einer Hundestaffel gekommen, um die Garderobe und die Verkaufsstände zu durchsuchen. Sie fanden nichts Verdächtiges, aber die Polizisten rieten den Verantwortlichen trotzdem, die Vorstellung abzusagen. Am Nachmittag besprach sich Selenskyj mit dem Management des Hauses, und man beschloss weiterzumachen. Die Besucher wurden nicht einmal über die Gefahr aufgeklärt. Es waren mehr als dreitausend Menschen im Saal, genug, dass es zu einer Massenpanik gekommen wäre, wenn Selenskyj ihnen von der Bombendrohung berichtet hätte. Also tat er so, als wäre alles in Ordnung, und ließ sein Publikum die Vorstellung in Unkenntnis genießen. Nicht einmal alle Darsteller waren sich der Gefahr bewusst. Während der Show saßen sie zwischen ihren Sketchen hinter der Bühne auf Kostümkoffern herum, aßen eine Kleinigkeit und stießen miteinander an. Eine Handvoll von ihnen arbeitete schon seit Jahrzehnten mit Selenskyj zusammen, und dies war die letzte große Show, bevor er bei den Wahlen von der Satire in die Politik wechselte wie Alice im Spiegelland. Sie wussten, dass er vielleicht nie mehr zurückkehren würde, und fragten sich, ob er sie ins Präsidialamt mitnähme. »Es ist nicht so, dass ich irgendeinen bestimmten Job will«, sagte einer der Komiker, Oleksandr Pikalow, nachdem er mir einen Schuss Whiskey in einen Plastikbecher eingeschenkt hatte. »Aber ich glaube, ich würde einen ziemlich guten Verteidigungsminister abgeben.« In seinem Eröffnungsmonolog bezog sich Selenskyj auf die Absurdität seiner Kampagne und gab zu, dass es ihm nicht leichtgefallen sei, die Witze zu schreiben. Juristen hatten das Skript auf Verstöße gegen das Wahlrecht untersucht. Es gab Grenzen dafür, was er als führender Kandidat im Fernsehen sagen konnte. Er durfte seine Zuschauer nicht offen zu einer bestimmten Stimmabgabe »animieren«, auch wenn die rechtlichen Grenzen durchaus fließend waren, sobald es um Ironie und Humor ging. »Keine Wahlwerbung«, sagte Selenskyj mit einem Augenzwinkern und lachte. »Es ist nur eine Vorstellung. Fair und anständig. Außerdem habt ihr ja Geld dafür bezahlt.« Bevor er eine Atempause einlegte, um die Verrücktheit des Ganzen auf sich wirken zu lassen, fügte er hinzu: »So etwas hat die Welt noch nie gesehen.« Die Menge war begeistert. Komiker oder Kandidat, das spielte keine Rolle. Sie liebten ihn offenbar in beiden Rollen. Als die Show vorbei war, verbrachte Selenskyj fast eine Stunde mit seinen Fans, ließ sich fotografieren und nahm Blumensträuße entgegen. Er wirkte müde, aber glücklich, und die Angst war aus seinen Zügen gewichen, als einer seiner Mitarbeiter uns miteinander bekannt machte. Seine Freunde erzählten mir später, dass er süchtig nach Applaus und Bewunderung sei. Gerade hatte er eine weitere Dosis davon erhalten, was sich in seinem entspannten Lächeln und seinen herabhängenden Schultern zeigte. »Wenn ich auf die Bühne gehe, habe ich zwei Gefühle«, sagte er einmal über diese Augenblicke.[2] »Zuerst kommt die Angst, und nur wenn man die Angst überwindet, setzt das Vergnügen ein. Das ist es, was mich immer wieder auf die Bühne lockt.« Sein ganzes Leben lang hatte er diesem Gefühl nachgejagt, seit er im Teenageralter als Comedian angefangen hatte, und es kam mir seltsam vor, dass er jetzt alles, was er aufgebaut hatte, aufgeben würde. Die Politik mochte ihre Reize haben, aber die Resonanz, die Selenskyj von der Menge bei seinen Auftritten gewohnt war, von den Soldaten, die er an der Front unterhielt, von den Journalisten, die ihn in ihre Morgensendungen einluden, um über seine Filme zu sprechen – nichts davon würde ihm in die Präsidentschaft folgen. Sein Leben würde nicht annähernd so viel Spaß machen und wäre wesentlich komplizierter. Er wäre kein Filmstar mehr. Wie sehr er auch versuchen würde, sich der Metamorphose zu widersetzen, der Job würde ihn früher oder später in das verwandeln, was er vorgeblich verachtete: einen Politiker. Zunächst einmal würden die Medien ihn zur Rede stellen und sich dann gegen ihn wenden. Es gäbe Fauxpas und Skandale, Budgets müssten ausgeglichen und Waffen beschafft werden. Und das Schlimmste: Es gäbe einen Krieg zu führen. Anfang 2019, als Selenskyj seine Präsidentschaftskampagne begann, befand sich die Ukraine seit fünf Jahren im Krieg mit Russland um die Kontrolle über ihre Ostgebiete. Fast wöchentlich kamen tote Soldaten in Särgen aus dem Kampfgeschehen zurück. Als Selenskyj in die Politik ging, hatten bereits mehr als zehntausend Menschen ihr Leben verloren. Wollte er diese Aufgabe wirklich? War er auch nur annähernd bereit dafür? Und selbst wenn, warum sollte er sein Leben als Schauspieler aufgeben und sich weiter von den Menschen entfernen, die er liebte – von seiner Frau, seinen Freunden, dem Unternehmen, das sie gemeinsam aufgebaut hatten? Wollte er die Macht? War er gelangweilt? Selenskyj hatte auf solche Fragen keine klugen oder überzeugenden Antworten, als wir am Abend nach der Show in seine Garderobe zurückkehrten, um uns zu unterhalten. Er stand dort und betrachtete sich im beleuchteten Schminkspiegel. Das mit gebügelten Smokings beladene Kostümregal zu seiner Linken nahm den größten Teil des Raums ein, sodass wir nirgendwo sitzen konnten. Also stützte er sich auf den Schminktisch und beantwortete meine Frage mit einer Frage. »Das sind alles Snobs, oder was?«, sagte er und meinte damit die Führer der Welt. »Keiner von ihnen ist irgendwie unterhaltsam?« Es klang wie ein Scherz, aber er betonte, dass er es ernst meinte. Er wollte sich nur mit denjenigen treffen, die amüsant waren, für den Rest wollte er »Profis« schicken. »Ich will mein Leben nicht ändern«, sagte er. »Ich will nicht politisch korrekt werden. Das ist nicht mein Ding.« Vielleicht war er überheblich, vielleicht wusste er auch nicht, was die Aufgabe mit sich bringen würde. Aber er schien zu glauben, dass das Amt nicht von ihm verlangen würde, sich zu ändern. Sein Leben als Showman hatte ihn gelehrt, was er brauchte, um die Rolle des Präsidenten zu spielen, und er war fest entschlossen, der Mensch zu bleiben, zu dem ihn seine Erfahrungen gemacht hatten. »Wenn man sich selbst verliert«, sagte er, »versinkt man im Sumpf.« Es war schon spät. Er wirkte erschöpft, und seine Freunde erwarteten ihn auf der After-Show-Party. Bevor wir uns verabschiedeten, fragte ich ihn nach der Bombendrohung. Was hielt er davon? »Nun, das ist die Antwort auf Ihre erste Frage«, sagte er und meinte damit die Frage nach seinen Motiven, für das Amt zu kandidieren. Die politische Klasse in Kyjiw habe sich in einen Haufen von Possenreißern und Raufbolden verwandelt, sagte er. Sie seien auf dem besten Weg, die Wirtschaft innerhalb weniger Jahre in die Luft zu jagen. Der sinnlose Krieg in der Ostukraine...


Petersen, Karsten
Karsten Petersen studierte Elektrotechnik an der University of Delaware (USA). Er übersetzt seit vielen Jahren im Bereich Non Fiction Biografien und Sachbücher (Politik, Psychologie, Wirtschaft) aus dem Englischen.

Shuster, Simon
Simon Shuster berichtet seit über 15 Jahren über Russland und die Ukraine, die meiste Zeit davon als Korrespondent für das das US-Nachrichtenmagazin TIME. Er wurde in Moskau geboren und emigrierte als Kind, zwei Jahre vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in die Vereinigten Staaten. Shuster gilt als exzellenter Kenner des russisch-ukrainischen Konflikts, seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 berichtet er ausführlich über den Krieg in der Ukraine. Er lebt in Brooklyn, New York, verbringt aber derzeit einen Großteil seiner Zeit in Kyiv.


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