Stauffer | Maghreb, Migration und Mittelmeer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten, Format (B × H): 151 mm x 220 mm, Gewicht: 686 g

Stauffer Maghreb, Migration und Mittelmeer

Die Flüchtlingsbewegung als Schicksalsfrage für Europa und Nordafrika

E-Book, Deutsch, 320 Seiten, Format (B × H): 151 mm x 220 mm, Gewicht: 686 g

ISBN: 978-3-03810-418-6
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die fünf Maghrebstaaten bilden eine Art doppelten Schutzwall für die südlichen Grenzen Europas: in der Sahara und an der Mittelmeerküste. Sie verhindern zum einen die massenhafte Auswanderung ihrer eigenen Bürger nach Europa, zum anderen blockieren sie die Migration von auswanderungswilligen Menschen aus Ländern südlich der Sahara. Zur Steuerung der irregulären Migration ist Europa auf eine enge Zusammenarbeit mit den Maghrebstaaten angewiesen. Diese ist aber politisch umstritten und birgt zahlreiche moralische Dilemmata. Der ausgewiesene Maghreb-Kenner Beat Stauffer plädiert für eine Überwindung der ideologischen Gräben und für eine pragmatische Migrationspolitik, die sowohl die Interessen der Maghreb- und Sahelstaaten wie auch jene Europas berücksichtigt. Im vorliegenden Buch wird das überaus komplexe Phänomen der irregulären Migration aus dem und via den Maghreb umfassend analysiert. Gleichzeitig erhalten auch Menschen auf der Flucht eine Stimme, und in mehreren Reportagen werden Schauplätze der irregulären Migration vorgestellt.
Mit einem Vorwort von Rudolf Strahm.
'Die Lektüre dieses Buchs ist sowohl für Migrationsskeptiker wie auch für Leser mit Neigung zur Willkommenskultur äusserst erkenntnisreich und gewinnbringend.' Rudolf Strahm, alt Nationalrat
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1 Aktualität und Brisanz des Themas An der südlichen Küste des Mittelmeers liegen vier Staaten, die kulturell eng miteinander verbunden, von ihrer Geschichte und ihren politischen Systemen her aber sehr unterschiedlich sind: Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen. Dazu kommt das an den Atlantik grenzende Mauretanien, das geografisch ebenfalls zum Maghreb, zum äussersten Westen der arabischen Welt gezählt wird. Dieser Maghreb – auch Nordafrika genannt – ist auf dem Papier zwar durch die Union des grossen arabischen Maghreb vereint, doch in Wirklichkeit verfolgt jeder dieser fünf Staaten eine eigene Politik. Zwei von ihnen – Algerien und Marokko – pflegen seit mehr als 50 Jahren eine enge Feindschaft. Dabei geht es um die Grenzen zwischen den beiden Ländern sowie um die Frage der Westsahara. Alle diese Maghrebstaaten bilden für Europa de facto einen doppelten Schutzwall. Sie sichern ihre südlichen Grenzen in der Sahara, die an die armen Sahelstaaten, an Senegal und im Fall Libyens an Sudan und Ägypten anstossen. Vor allem aber sichern sie mithilfe ihrer Küstenwache die Mittelmeer- und Atlantikküste. Auf diese Weise verhindern sie zum einen die massenhafte Auswanderung ihrer eigenen jungen Bürger nach Europa. Zum anderen blockieren sie die Migration auswanderungswilliger junger Menschen aus Westafrika, aus den Sahelstaaten, aus dem bevölkerungsreichen Nigeria, aus Somalia und Eritrea. Gleichzeitig erschweren sie damit auch die Flucht von politisch verfolgten Menschen aus verschiedenen Ländern und von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten. Dieser neue Limes – analog dem Schutzwall, den die Römer im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in Nordafrika errichteten und von dem an einzelnen Stellen immer noch Spuren zu sehen sind –, dieser Limes sichert letztlich den gegenwärtigen Wohlstand Europas. Denn allein schon das Wohlstandsgefälle zwischen den beiden Seiten des Mittelmeers ist immer noch so gross, dass daraus eine immense Sogwirkung entstanden ist. Hunderttausende junger Migranten würden die Maghrebstaaten sofort verlassen, wenn ihnen eine legale und gefahrlose Ausreise möglich wäre. Alles weist darauf hin, dass der Migrationsdruck in den Ländern der Sahara eher noch grösser ist; dort handelt es sich potenziell um Millionen von Auswanderungswilligen. Dazu kommen in vielen Ländern zahlreiche bewaffnete Konflikte und Kriege, die die Menschen zur Flucht zwingen. Den meisten Menschen in den Ländern südlich der Sahara ist es allerdings gar nicht möglich, ihre Länder zu verlassen, da sie schlicht zu arm sind. Aus dem Maghreb sind in den vergangenen fünf bis sechs Jahrzehnten mehrere Millionen Menschen nach Europa ausgewandert. Während die europäische Wirtschaft noch bis in die 1980er-Jahre Arbeitskräfte aus dem Maghreb aktiv rekrutierte, wurde die legale Emigration spätestens seit der Unterzeichnung des Schengener Abkommens Anfang der 1990er-Jahre unmöglich gemacht. In der Folge emigrierten Hunderttausende junger Maghrebiner auf irreguläre Weise nach Europa. Zusätzlich ersuchten Zehntausende von Menschen aus dem Maghreb – meist islamistischer Ausrichtung – in den westlichen Staaten um Asyl. Dies blieb für die Ausrichtung arabischsprachiger Moscheevereine und -verbände in der Schweiz und auch in vielen anderen europäischen Staaten nicht ohne Folgen. Seit dem Beginn der 1990er-Jahre wurde der Maghreb selbst immer mehr zur Transitzone für Migranten aus afrikanischen Ländern. Das Phänomen war anfänglich vor allem an gewissen Brennpunkten wie etwa der Stadt Tanger sichtbar, von der aus die Migranten relativ leicht nach Europa übersetzen konnten. Eine Rolle spielten dabei auch die Afrikapolitik von Oberst Gaddafi, der vor allem junge Menschen aus den Sahelstaaten zur Einreise nach Libyen ermunterte, sowie – in vermindertem Mass – auch die sehr stark international ausgerichtete Aussenpolitik Algeriens. Mit der Schliessung der europäischen Grenzen für Arbeitskräfte aus dem Maghreb wurden auch die afrikanischen Migrationsrouten blockiert. Vor allem im Umfeld der beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla kam es in der Folge regelmässig zu dramatischen Situationen. In den Fokus der Weltöffentlichkeit geriet das Problem erstmals im Jahr 2005, als Bilder von Tausenden afrikanischen Migranten veröffentlicht wurden, die unter schwierigsten Bedingungen in den nahe gelegenen Wäldern der beiden Exklaven hausten und regelmässig versuchten, die Grenzzäune zu stürmen. Seither sind sich die Maghrebstaaten der Tatsache bewusst geworden, dass sie die Migrationsströme aus den afrikanischen Ländern in einem gewissen Mass selbst kontrollieren müssen, um zu vermeiden, dass diese «Transitmigranten» in ihren Ländern stecken bleiben. Der Umstand, dass sich im Jahr 2007 verschiedene islamistische Kampfgruppen zur al-Qaida im Maghreb (AQMI) zusammenschlossen und sich die neue Organisation im Niemandsland zwischen der Westsahara, dem Norden und Osten Mauretaniens, dem Süden Algeriens und dem Nordens Malis einnistete, trug zusätzlich dazu bei, dass die Maghrebstaaten dem Schutz ihrer südlichen Grenzen eine höhere Bedeutung beimassen. Die Zerschlagung der IS-Bastion Sirte, die allgemein chaotische Lage in Libyen sowie die Errichtung eines al-Qaida-Ablegers im Dschebel Chambi in einer gebirgigen Region zwischen Tunesien und Algerien dürfte diesem Sicherheitsaspekt zusätzlich Gewicht verliehen haben. Die Arabellion, die im Winter 2010/11 im tunesischen Hinterland ausgelöst wurde, hat weder in Tunesien noch in den anderen Maghrebstaaten den Migrationsdruck vermindert. Im Gegenteil: Im tunesischen Hinterland hat sich die Lage in den vergangenen acht Jahren derart verschlechtert, dass mehr junge Migranten denn je das Land verlassen wollen. Sie glauben offensichtlich nicht (mehr) an die Errungenschaften der Revolution und an die Chancen einer demokratischen Erneuerung der tunesischen Gesellschaft. Stattdessen wollen viele von ihnen «abhauen» und ihr Glück in Europa suchen. Dass ein Teil der klandestinen Migranten aus Tunesien bis vor Kurzem nur noch die Wahl zwischen zwei Optionen zu erkennen vermochte, nämlich zwischen der Ausreise in den Dschihad oder der irregulären Emigration nach Europa, macht die Lage für die europäischen Länder deutlich schwieriger: Sie müssen zumindest bei gewissen Migranten mit einer mentalen Disposition rechnen, die eine islamistische Radikalisierung nicht ausschliesst. In Libyen hat der Sturz des Gaddafi-Regimes zu einer chaotischen, bürgerkriegsähnlichen Situation geführt, in der das Gewaltmonopol des Staates aufgehoben ist. De facto haben dort schwer bewaffnete Milizen das Sagen. Dies hatte zur Folge, dass innerhalb von drei bis vier Jahren gut organisierte Schlepperbanden das Geschäft mit der irregulären Emigration ungehindert betreiben und Hunderttausende von Migranten nach Italien schleusen konnten. Damit trat ein, was Gaddafi im Jahr 2005 prophezeit hatte: dass Europa in einem noch nie gesehenen Ausmass von afrikanischen Flüchtlingen und Migranten «überschwemmt» werden würde. Die Schliessung des offenen Tors an der Südflanke Europas, die die italienische Regierung mit unorthodoxen Mitteln im Sommer 2017 bewerkstelligt hat, steht allerdings auf wackeligen Füssen. Zurzeit soll zwar der «Freundschaftspakt», der 2008 zwischen Berlusconi und Gaddafi abgeschlossen wurde, wieder aktiviert werden, und zwar mit dem vorrangigen Ziel, Migranten von Italien und damit von Europa fernzuhalten. Doch angesichts der instabilen Lage in Libyen und einer fehlenden Zentralregierung ist schwer vorauszusagen, wie sich die Dinge entwickeln werden und ob dieses Abkommen tatsächlich eingehalten wird. In den Maghrebstaaten ist in der breiten Bevölkerung eine ambivalente oder gar klar ablehnende Haltung gegenüber den Massnahmen festzustellen, die die Migration eindämmen sollen. Einerseits erachten viele Maghrebiner die Migration als Grundrecht, und viele wünschen sich selbst, nach Europa auszuwandern, ihre Kinder zur Ausbildung dorthin zu schicken oder zumindest als Touristen nach Europa reisen zu können. Aufgrund der starken Prägung durch die Kolonialgeschichte, der immer noch vorhandenen Orientierung an Europa und des Gefühls des Eingeschlossenseins in den Grenzen ihres Landes ist dies auch gut verständlich. Doch andererseits bestehen, wie auch in Europa, Ängste vor einer starken Immigration aus Ländern südlich der Sahara und auch ein nicht zu unterschätzender Rassismus Afrikanern gegenüber. Insgesamt gibt es in den Maghrebstaaten starke Vorbehalte gegenüber der Rolle, die die europäischen Regierungen Nordafrika bezüglich der Eindämmung der irregulären Migration zuweisen möchten: nämlich die europäischen Aussengrenzen mit einem vorgelagerten, doppelten Wall zu schützen. Der Maghreb gebe sich nicht dazu her, für Europa den «Gendarmen» zu spielen und die Drecksarbeit zu erledigen, ist in diesem Zusammenhang oft zu hören. Diese Ablehnung ist am stärksten innerhalb der Zivilgesellschaft, unter Intellektuellen und naturgemäss bei Organisationen zu spüren, die sich vor Ort für Flüchtlinge und Migranten einsetzen. In Wirklichkeit haben die Regierungen des Maghreb aber schon seit einiger Zeit in gewissem Umfang zu einer solchen Zusammenarbeit Hand geboten. Ausschlaggebend dafür ist der enorme Druck, den die EU in dieser Hinsicht ausübt. Besonders ausgeprägt ist diese Zusammenarbeit in Migrationsfragen in Marokko. Dort wird in letzter Zeit immer häufiger die Frage aufgeworfen, ob das Land für die wichtige Rolle beim Schutz der europäischen Südgrenzen ausreichend abgegolten wird. Angesichts des nach wie vor sehr hohen Migrationsdrucks sowohl im Maghreb als auch in den Ländern südlich der Sahara hat Europa in den kommenden...


Beat Stauffer (*1953) studierte Germanistik, Neuere Geschichte und Ethnologie an der Universität Zürich und Journalismus am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern. Seit 1988 arbeitet er als freischaffender Journalist für verschiedene Medien (u.a. NZZ, Radio SRF), als Buchautor sowie als Referent und Leiter von Kursen und Studienreisen in den Maghreb. Der Maghreb wurde zu einem Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit. Er schrieb ein Buch über Tunesien, lebte ein Jahr in Marokko und bereiste seit 1983 regelmässig alle Länder Nordafrikas. Für Radio SRF berichtet Stauffer seit mehr als 20 Jahren über den Maghreb und von 2011 bis 2015 auch über die arabischen Aufstände. Islamistische Bewegungen im Maghreb und in Europa, Jihadismus und interkulturelle Konfliktfelder sind seine Spezialgebiete als Journalist wie Erwachsenenbildner. Zu seinen Auftraggebern gehören unter anderem Pädagogische Hochschulen, Volkshochschulen, das Schweizerische Kompetenzzentrum für den Justizvollzug und die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt.
Rudolf H. Strahm (*1943), Chemiker und Ökonom, langjähriger Preisüberwacher und ehemaliger Nationalrat der sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP), war Mitte der 1970er-Jahre der erste Sekretär der entwicklungspolitischen Organisation 'Erklärung von Bern' (Heute: 'Public Eye'). 2016 forderte er ein Jobprogramm für alle Flüchtlinge und Migranten. Strahm hat sich auch als Bildungspolitiker, als Autor zahlreicher Bücher und als Kolumnist einen Namen gemacht.


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