E-Book, Deutsch, 1384 Seiten
Strobel SPY - Die komplette Reihe
2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7320-2392-9
Verlag: Loewe Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Highspeed London. Hotspot Kinshasa. Operation Himalaya. L.A. Action. Das Lissabon-Experiment.
E-Book, Deutsch, 1384 Seiten
ISBN: 978-3-7320-2392-9
Verlag: Loewe Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Arno Strobel, 1962 in Saarlouis geboren, wagte sich mit 40 Jahren an seinen ersten Roman. Seit 2010 schreibt er Psychothriller für Erwachsene, die regelmäßig in den Bestsellerlisten vertreten sind, und gehört zu den gefragtesten deutschen Thrillerautoren.
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1
Es war ein Sonntag wenige Tage vor seinem dreizehnten Geburtstag, der Dominiks Leben völlig auf den Kopf stellte.
Er war auf dem Weg zur Kletterhalle, und während er durch die Adamstraße im Berliner Stadtteil Spandau schlenderte, nahm er sich vor, dass er heute zum ersten Mal den roten Weg an der Kletterwand versuchen würde. Zwölf Meter, zweithöchster Schwierigkeitsgrad. Nur für Profis. Wäre Dominik schon fünf Zentimeter größer gewesen, hätte er die Tour längst versucht – und auch geschafft, das wusste er. Er war geschickt und er war flink, nur mit der Körperlänge haperte es noch ein wenig.
Gerade malte er sich aus, wie er den Überhang im oberen Drittel überwinden würde, als sich ein Junge an ihm vorbeidrängte. Dunkelhaarig, vielleicht vierzehn Jahre alt. Er steuerte mit schnellen Schritten auf ein Mädchen zu, das an einer Bushaltestelle stand und auf seinem Handy herumtippte.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, blieb Dominik stehen und beobachtete die Szene, die sich mit seltsamer Klarheit vor ihm abspielte. Wie in einem Film, in dem die spannendste Stelle in Zeitlupe gezeigt wurde, hob sich der Arm des Jungen, als er noch zwei Schritte von seinem Ziel entfernt war. Noch einen Schritt. Die Finger spreizten sich, schlossen sich in der nächsten Sekunde um das Smartphone und rissen es dem Mädchen grob aus der Hand. Die Augen in dem von langen, blonden Haaren umgebenen Gesicht weiteten sich vor Schreck, der Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch da hatte der Dieb sich bereits abgewandt und rannte davon.
Dass Dominik sofort hinter ihm herstürmte, wurde ihm erst bewusst, als er die ersten Meter schon zurückgelegt hatte.
Der Kerl hatte etwa zwanzig Meter Vorsprung und verschwand um die Ecke in einer Seitenstraße. Während Dominik alle Energie in seine Beine legte, um noch ein bisschen schneller zu werden, fragte er sich, was zum Teufel er da gerade tat. Ja, vielleicht schaffte er es, den anderen einzuholen, und dann? Der Junge war mindestens zwei Jahre älter und um einiges kräftiger. Wenn Dominik ihn freundlich bat, das geklaute Handy wieder zurückzugeben, bestand immerhin die Chance, dass es ihm vor Lachen aus der Hand fiel.
Er schob den Gedanken beiseite, erreichte die Ecke, hielt sich an der Stange eines Verkehrsschildes fest und nutzte den Schwung, um rechts abzubiegen. Sein Blick huschte über die Gehwege und fand den Dieb auf der anderen Straßenseite. Der Mistkerl war schnell, er hatte seinen Vorsprung schon ein Stück weit ausgebaut.
Ok, aufgeben kam trotzdem nicht infrage, das war jetzt eine Sache des sportlichen Ehrgeizes. Ohne sein Tempo zu verlangsamen, sah Nick sich nach einer Abkürzung um. Die Straße mündete etwa zweihundert Meter weiter in eine Querstraße. Der Handydieb war auf die linke Seite gewechselt, also würde er wahrscheinlich auch nach links abbiegen. Statt ihm nachzurennen, musste Dominik versuchen, ihm den Weg abzuschneiden, und er hatte auch schon eine Idee, wie er das anstellen konnte.
Er wandte sich ab und folgte der Straße ein weiteres Stück bis zu einem Grundstück, das von einem halb verfallenen Bauzaun umgeben war. Die alte, baufällige Ruine dahinter gab es schon, solange Dominik sich erinnern konnte. Er war oft mit Freunden auf dem Gelände gewesen, obwohl mehrere Schilder darauf hinwiesen, dass das Betreten verboten war. Aber: Ein Schild war für jemanden wie Dominik kein Hindernis. Und ein hoher Bretterzaun schon gar nicht. Er nahm kurz Anlauf, sprang ab und setzte mit einer halben Drehung über den Zaun. Auf der anderen Seite rannte er sofort weiter auf das düstere Gebäude mit den glaslosen, dunklen Fensteröffnungen zu. Rechts führte ein überwucherter Weg vorbei, an den sich auf der anderen Seite eine Wiese anschloss. Sie endete genau an der Querstraße, in die der Dieb – hoffentlich – einbiegen würde.
Eine knappe Minute später hatte Dominik die Straße erreicht. Schwer atmend blieb er stehen, blickte sich nach beiden Seiten um und erschrak, als er den Kerl nur wenige Meter rechts neben sich entdeckte. Auch sein Gegenüber zuckte zusammen, offenbar hatte er nicht mehr mit ihm gerechnet. Doch die Überraschung dauerte nur einen Augenblick, dann warf er sich herum und rannte in die entgegengesetzte Richtung los. Etwas löste sich von seiner Jacke und segelte zu Boden. Ein Zettel vielleicht oder eine dieser Plastikkarten, die man überall bekam. Dominik verlangsamte seinen Lauf, hob das Teil auf und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden, während er schon wieder beschleunigte. Vielleicht konnte man damit ja später herausfinden, wer der Typ war.
Etwa fünfzehn Meter lagen jetzt wieder zwischen ihnen und der Abstand vergrößerte sich langsam, aber stetig weiter. So würde er den Größeren nicht zu fassen kriegen. Bei dem Gedanken stellte er sich erneut die Frage, was er überhaupt tun wollte, falls er ihn doch noch einholte.
Plötzlich schlug der Handydieb einen Haken und rannte quer über die Straße zur anderen Seite. Als Dominik sich im Laufen umwandte, um sich zu versichern, dass kein Auto kam, stieß er gegen einen Pflasterstein, der ein Stück weit hervorstand, kam ins Stolpern und schaffte es nur knapp, sich zu fangen. Als er wieder hochsah, war der Dieb verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt.
Dominik ließ seinen Blick aufmerksam über die Häuserzeile wandern, aber da war nichts. Keine Seitenstraße, kein Weg … bloß eine Öffnung in der Häuserwand, eine Art Rundbogen, durch den ein Durchgang führte. Zu schmal für ein Auto, aber ausreichend für ein Fahrrad oder ein Motorrad. Oder für jemanden, der zu Fuß unterwegs war und ein Versteck suchte.
Dominik näherte sich vorsichtig, blieb am Rand des Eingangs stehen und spähte hindurch. Soweit er erkannte, mündete der Weg in einen Hinterhof, der von mehrstöckigen Häusern umschlossen war.
Er zog den Kopf zurück und blickte sich noch einmal nach allen Seiten um. Nein, es gab hier sonst keine Möglichkeit, zu verschwinden oder sich zu verstecken. Der Kerl musste dort drin sein. Und das bedeutete, dass Dominik ihm in diesem Hinterhof wahrscheinlich gleich alleine gegenüberstehen würde.
Was, wenn der andere sofort die Fäuste schwang? Dominik hatte sich noch nie geprügelt und würde wahrscheinlich schon ein blaues Auge haben, bevor er noch den Arm heben konnte. Dann aber stand ihm wieder das entsetzte Gesicht des Mädchens vor Augen, dem der Typ das Smartphone geklaut hatte, und er setzte sich in Bewegung. Heldenhaft war das nicht, eher dämlich, aber nun war er schon zu weit gekommen, als dass er einfach den Rückzug hätte antreten können.
Obwohl er langsam durch den gewölbten Durchgang ging, kam ihm das Knirschen der kleinen Steinchen unter seinen Schuhen überlaut vor.
Der Hof war nicht besonders groß, vielleicht fünfzehn Meter breit und zehn Meter lang – und er war menschenleer. Keine Spur von dem Handydieb, dafür jede Menge Spuren des Verfalls. Tiefe Risse zogen sich durch den geteerten Boden, das Unkraut darin wucherte knöchelhoch. Die unterste Fensterreihe der Häuserrückseite gegenüber war ebenso zugemauert wie die einzige Tür, die einmal von der Rückseite aus in das Gebäude geführt haben musste. Nur zwei Meter davor waren mit glänzend gelber Farbe Hüpffelder auf den Teer gemalt, die im Vergleich zu allem anderen hier noch recht frisch aussahen. Sie bildeten die Form eines Kreuzes und waren mit den Zahlen von eins bis sieben beschriftet.
Mädchenkram, dachte Dominik. Seine Freunde und er hatten früher ganz andere Sprünge gemacht. Aber für einen Parkour bot dieser karge Innenhof definitiv zu wenige Hindernisse.
Er ging ein paar Schritte weiter in den Hof hinein und sah sich um. Auch auf dieser Seite waren die Fenster der unteren Etage zugemauert. Nichts deutete darauf hin, dass hier noch jemand wohnte.
Viel spannender aber als diese Feststellung war eine andere: Der Dieb musste vom Erdboden verschluckt worden sein. Es gab nichts, wo er sich hätte verstecken können, keine Tür, durch die er verschwinden, kein Fenster, durch das er hätte klettern können. Aber wie war das möglich?
Frustriert blickte er sich noch einmal um. Hier herumzustehen hatte keinen Sinn und er war sowieso schon spät dran. Als er schon wieder halb aus dem Hof hinaus war, fiel ihm die Karte wieder ein, die er aufgehoben hatte. Vielleicht stand ja eine Adresse darauf. Dominik zog sie mit fahrigen Fingern hervor und betrachtete sie. Sie war schlicht in Weiß gehalten, es gab weder ein Logo noch einen Namen darauf. Lediglich das Wort SPRINGFIELD stand in Druckbuchstaben am oberen Rand, darunter die Zahlenkombination 2-4-2-3-6, die Rückseite war leer.
Enttäuscht ließ er die Hand sinken und drehte sich ein letztes Mal um die eigene Achse. Hohe Mauern, zugemauerte Fenster und Türen, der an manchen Stellen aufgeplatzte Teerboden mit den kindischen Hüpffeldern.
Moment. Hüpffelder … SPRINGFIELD … Nein, das war Quatsch. Springfield war keine Übersetzung von Hüpffeld, sondern eine Stadt in Amerika, in der die Simpsons wohnten, das wusste er genau. Aber die Ähnlichkeit der beiden Worte …
Er betrachtete die Karte erneut. 2-4-2-3-6. Sein Blick richtete sich auf die aufgemalten Rechtecke am Boden. Vom Start aus ein Feld überspringen zur Zwei, dann zur Vier, wieder zurück …
Das war doch lächerlich. Ein fast Dreizehnjähriger, der auf einem Hüpffeld herumsprang … Wenn ihn jemand dabei beobachtete, konnte er sich ebenso gut gleich einen Schnuller in den Mund stecken. Andererseits … Er gab sich einen Ruck, schwang die Arme nach hinten und sprang auf das Feld mit der Zwei, dann zur Vier,...




