Sutterlüty | Widerstehen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Sutterlüty Widerstehen

Versuche eines richtigen Lebens im falschen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-86854-416-9
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Versuche eines richtigen Lebens im falschen

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-86854-416-9
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft wächst. Die einen verzweifeln, andere verlieren sich in Kritik, die meisten machen einfach so weiter. Nur wenige ziehen wirklich Konsequenzen aus dem, was sie als falsch erkannt haben. Diese Menschen wollen nicht tatenlos zuschauen und haben den Mut, sich den herrschenden Zuständen und Erwartungen zu widersetzen. Der Soziologe Ferdinand Sutterlüty hat mit einigen von ihnen gesprochen. Mit einem Seenotretter und einem Lehrer, mit Aktivistinnen und Bergbauern. Mit einer Reinigungskraft, die gegen demütigende Arbeitsbedingungen und für den Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen kämpft. Mit einer Forstbeamtin, die sich in einem jahrelangen Gerichtsverfahren gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz wehrt. Mit einem Künstler, der als Selbstversorger lebt, und einer Künstlerin, die mit Transfrauen arbeitet. Für Sutterlüty sind sie Hoffnungsträger und Pionierinnen, die zeigen, dass es auch anders geht - einmal laut, einmal leise, im Untergrund oder sehr öffentlich. Wie Figuren aus großen Romanen lassen sie niemanden unberu?hrt.

Ferdinand Sutterlüty ist Professor fu?r Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Josef Lose


Beruflich bin ich eigentlich ganz woanders unterwegs. Aber ich hatte zur Vorbereitung auf eine Atlantiküberquerung, die wir 2013 zu viert auf einem Segelschiff machen wollten, einen Kurs belegt. Es war ein von der Bundeswehr angebotenes Training für Zivilisten, das mit Notfallequipment zu tun hatte. Dort haben wir Vom-hohen-Turm-Springen, Rettungswesten-Öffnen, Rettungsinseln-Feuerbekämpfung und auch Leckbekämpfung in einem Wrack geübt. Dafür stand uns ein früheres Schiff zur Verfügung, in das Wasser eingedrungen ist. Hinter einer Plexiglasscheibe konnten die anderen zusehen, wie so eine Fünf-Personen-Gruppe agiert, die sich koordinieren und mit Holzstöpseln irgendwie versuchen muss, das Leck zu stopfen. Danach wurde mit allen Beteiligten darüber gesprochen, was sie gesehen haben. Das war für mich als Therapeut eine faszinierende Erfahrung. Die Situationen wurden nicht als Hilflosigkeit und als schambehafteter Makel erlebt, sondern es wurden Menschen vor der Plexiglasscheibe beobachtet, die nach bestem Wissen und Gewissen handelten und manche Dinge doch kolossal übersahen. Das konnten sie nachher auch benennen, vielleicht sogar darüber lachen. Wir vier, die auf dem Segelschiff den Atlantik überqueren wollten, hatten uns abgesprochen: »Wir machen alle diesen Kurs mit.« Wir wollten sichergehen, dass wir wieder nach Hause kommen.

Als wir dann im Herbst 2013 auf dem Weg in die Karibik waren, sank ein Fischerboot mit vielen Hundert Menschen vor Isola Pelagia; es ist wenige Hundert Meter vor der Küste im Mittelmeer gekentert. Wir dachten: Eigentlich sind wir in der falschen Richtung unterwegs. Wir hatten von dem Unglück gelesen und wussten, dass das kein Einzelfall sein kann. Dass da nicht nur einmal ein Boot kommt, das keine EPIRB-Baken – also keine elektronischen Rettungssignalbojen – hat und auch keinen Funk. Da war mir klar: Ich muss da einmal hin!

Im Training haben wir es mit den physikalischen Mechanismen und Grenzpunkten zu tun bekommen, aber dann kam eben die Frage auf: Was läuft denn eigentlich im Hintergrund ab, welche Mächte sind im Spiel, dass Menschen in Not kommen? Wenn Kriege geführt werden, werden Flüchtlingsströme vorab miteinberechnet. Kriege werden geplant, es wird Material herangeschafft, daran verdienen Menschen, Institutionen, ganze Gruppen. Und sie wissen: Es werden sich Menschen in Gang setzen, sie werden fliehen. Natürlich. Wenn dann ein Schiff sinkt, werden die Fehler der Menschen, die sich in der Situation befinden, erkannt und manchmal richtig hochgekocht, weil dabei Leute verletzt werden oder sogar sterben können. Aber ich halte es für ganz wichtig, die Verantwortung im Blick zu haben oder die Rahmenbedingungen, derentwegen es so ist. Das ist nicht die Schuld von Menschen, die da beteiligt sind. Das ist noch ein Punkt, der aus meiner Sicht wichtig ist: frei von Schuldzuweisungen aktiv zu werden.

Ich könnte natürlich auch sagen: Gut, dann kämpfe ich doch gegen die Institutionen, die Kriege vom Zaun brechen, Krisen herbeiführen und aktiv befeuern, Flüchtlingsströme generieren. Aber der nächste Schritt wäre zu erkennen, dass diejenigen, die das planen, selbst in die Rahmenbedingungen verflochten sind. Ich werde mich nicht mit denen anlegen, denn dann werden sie mich in ihr Kalkül einbeziehen. Deshalb solidarisiere ich mich mit denen, die schon unterwegs sind und die wissen sollen: Wir hören euch. Sicher könnte ich gegen diejenigen, die das in Gang setzen, vorgehen und meine gesamte Kraft dafür einsetzen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Dann würden die im untergehenden Boot schon nicht mehr leben. Darauf beruht meine Entscheidung.

Schuld – ich wünschte mir, ich würde keine Verurteilungen machen. Urteile und Schuldsprüche schleichen sich ein, aber ich würde sagen: Kann ich mir nicht leisten. Nach dem Einsatz 2016 war es besonders stark, dass ich dachte: Es gibt Verantwortliche! Da kam eine Menge Wut auf.

2016.

Ja, genau. Wir hatten aber 2015 schon Trainingstreffen. Wir haben uns verschiedenen Szenarien ausgesetzt, in denen Arbeitsgruppen bestimmte Aufträge bekamen. Auf meinen ersten Einsatz 2016 hatte ich mich auch mental intensiv vorbereitet. Ich bin daher nicht unerwartet auf schlimme Dinge gestoßen. Nur konnte ich vorher nicht wissen, wie das Erleben vor Ort ist, und es ist noch viel mehr passiert als gedacht.

Die Intensität 2016 war einfach dadurch enorm, dass ich mit vielen Kleinstkindern und toten Säuglingen zu tun hatte. Die haben wir geborgen. Das war nicht vorgesehen. Auf unserem Schiff, der Guard Maritime II, wurde über den Umgang mit Leichen überhaupt nie nachgedacht; auch nicht darüber, Leute an Bord zu nehmen, wie das jetzt eher üblich ist. Unsere NGO ist eine selbstverwaltete Einheit, und der selbstgewählte Auftrag der Guard Maritime war, wie der Name schon sagt, zu beobachten und zu melden. Das hat bis 2016 eigentlich immer gut geklappt: Wenn Seenotfälle gemeldet wurden, kamen Industrieschiffe, Militärschiffe, und die Leute wurden gerettet. Niemand wurde nach Libyen gebracht, überhaupt keiner ist auf eine solche Idee gekommen. Wenn ein Seenotfall gemeldet wurde, hat das...



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