E-Book, Deutsch, 124 Seiten
Textor Projektarbeit im Kindergarten
4. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7504-7854-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Planung, Durchführung, Nachbereitung
E-Book, Deutsch, 124 Seiten
ISBN: 978-3-7504-7854-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Martin R. Textor, Jahrgang 1954, studierte Erziehungswissenschaft, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany (New York) und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Vom November 2006 bis Dezember 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das nicht universitäre Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Martin R. Textor veröffentlichte 23 Monographien, 23 Fachbücher als (Mit-) Herausgeber, mehr als 470 Artikel in Fachzeitschriften, wissenschaftlichen Zeitschriften und (Hand-) Büchern (ohne graue Literatur), rund 300 Fachartikel im Internet sowie circa 640 Rezensionen. Ferner wirkte er an 485 Veranstaltungen - mit mehr als 24.600 Teilnehmer/innen - als Referent oder Fortbildner mit. Gemeinsam mit Antje Bostelmann gibt Martin R. Textor "Das Kita-Handbuch" heraus (www.kindergartenpaedagogik.de). Ausführliche Informationen über seine Person und seine Veröffentlichungen können auf www.ipzf.de abgerufen werden. Seine Autobiographie ist unter www.martin-textor.de zu finden.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Grundlagen der Projektarbeit
1.1 Kindheit heute
Die pädagogische Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Projektarbeit werden deutlich, wenn wir uns mit den Charakteristika der heutigen (Klein-) Kindheit beschäftigen. So können wir feststellen, dass Kinder einen zahlenmäßig immer kleiner werdenden Teil unserer Bevölkerung bilden. Sie werden zunehmend marginalisiert, als Minderheit an den Rand der Gesellschaft gedrängt. In zahlreichen Bereichen wie im Wohnungs- und Städtebau oder im Straßenverkehr ist eine strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Kindern zu beobachten.
Für unser Thema ist aber wichtiger, dass diese Marginalisierung mit einer Ausgliederung von Kindern aus der Erwachsenenwelt bzw. aus Zentren des Alltagslebens verbunden ist. Kinder werden in altershomogene oder einige wenige Jahrgänge umfassende Gruppen aufgeteilt und in betreut. Kaufmann (1990, S. 106) erklärt: „Charakteristisch für diese Sonderumwelten ist, dass sie von Erwachsenen organisiert sind, dass der Gestaltungsraum der Kinder also von vornherein mit den Intentionen der Erwachsenen interferiert. Insoweit es sich um organisierte Betreuungseinrichtungen handelt, haben zudem mehr oder weniger professionalisierte hauptamtliche Betreuungspersonen das Sagen.“
Zu diesen Sonderumwelten gehören Krippe, Kindergarten, Hort und Schule, sodass man auch von Institutionenkindheit sprechen kann. Da viele Eltern aber die Entwicklung ihrer Kinder ganzheitlich fördern wollen und meinen, dass dies in Kindertages- und Bildungseinrichtungen nicht geschehe, melden sie ihre Kinder zusätzlich in Sport- und Schwimmvereinen, Musik- und Ballettschulen an. Kinder verbringen somit immer mehr Zeit in kindgemäßen Räumen, in denen sie die Erfahrung einer kontinuierlichen Überwachung durch Erwachsene machen. Das trifft übrigens auch auf die Familie zu, da kleinere Kinder immer mehr Zeit in der Wohnung (im Kinderzimmer) verbringen, weil sie aufgrund der Verkehrsgefährdung oder der Bedrohung durch sexuellen Missbrauch nicht mehr nach draußen dürfen bzw. können.
Die meisten Sonderumwelten sind pädagogisch besetzt, d.h., die Erwachsenen treten Kindern mit einer Unterweisungsabsicht gegenüber. Je nach den Zielen der jeweiligen Institution sind sie nur an bestimmten Aspekten der kindlichen Existenz wie der Sozialentwicklung, der Beherrschung einer Sportart oder eines Musikinstrumentes interessiert. Durch die von ihnen geplanten Programme und Aktivitäten prägen sie die bei ihnen verbrachten Stunden. Damit haben Kinder immer weniger Möglichkeiten, zwanglos, selbstbestimmt, spontan und kreativ zu handeln, ihren eigenen Interessen zu folgen und momentane Bedürfnisse zu befriedigen.
Kinder wechseln fortwährend zwischen der Familie und den Sonderumwelten. Aber auch Besuche bei Freunden erfolgen zumeist nur noch nach Verabredung. So wird das Leben von Kindern durch Termine und die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungs-, Freizeit- und Bildungseinrichtungen – also durch Zeitpläne – bestimmt; bei der Nutzung vieler Angebote ist der Tagesablauf zerstückelt. Die Eltern kleinerer Kinder organisieren das außerfamiliale Programm und transportieren sie zu der jeweiligen Institution. Die Wege werden zumeist mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt, sodass die zwischen den Aufenthaltsorten der Kinder liegenden Räume nur noch vorüberrauschen, sich letztlich verflüchtigen und erlebnisarm sind. Die Kinder wechseln von der „Wohninsel“ zur „Kindergarten-“ oder „Rollschuhbahninsel“; die übrigen Räume – zumeist die Lebensbereiche der Erwachsenen – bleiben unerforscht. Welches Ihrer Kinder hat wirklich das Dorf oder den Stadtteil erkundet, in dem es wohnt oder die Kindertageseinrichtung besucht? Welches kennt die örtlichen Geschäfte und Betriebe, Kirchen und Museen, Friedhöfe und Parks? Welches Kind hat einen Eindruck von der Arbeitswelt seiner Eltern gewonnen? Welches weiß, wo sich Polizei, Feuerwehr, Kläranlage und Mülldeponie befinden und was deren Funktionen sind?
Durch die werden die Erfahrungsmöglichkeiten stark eingeschränkt, bleiben Kindern viele Bereiche der räumlichen Umgebung und der Erwachsenenwelt unbekannt. Für sie wird es immer schwerer, sich die Wirklichkeit anzueignen, zumal diese immer komplexer und undurchschaubarer wird. Damit ist eine gänzlich andere Situation als z.B. noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gegeben, als Kinder ihre Wohnumgebung in mit zunehmendem Alter immer größer werdenden Radien selbständig erforschten. Früher spielten Kinder unbeaufsichtigt im Wald, an Bächen und auf Wiesen, tollten auf der Straße und dem Hof herum und maßen ihre Kräfte aneinander. So ganz nebenbei beobachteten sie das Verhalten von Tieren und Vögeln, lernten Bäume und Pflanzen kennen und registrierten die jahreszeitlich bedingten Veränderungen der Natur. Da sie auf dem Hof oder im Garten mithelfen mussten, kannten sie Getreide-, Gemüse- und Obstsorten sowie die verschiedenen Anbaumethoden. Oft waren sie für die Versorgung von Hühnern, Brieftauben, Stallhasen und anderen Tieren zuständig. Die Kinder spielten und arbeiteten mit denselben Werkstoffen wie Erwachsene, ahmten Arbeitsvorgänge ihrer Eltern nach, stellten viele Gegenstände selbst her und mussten Aufgaben im Haushalt, im Geschäft oder in der Werkstatt übernehmen. Spiel- und Arbeitstätigkeit gingen ineinander über; die Kinder wuchsen „automatisch“ in die Erwachsenenwelt hinein.
Heute haben Kinder nur selten Gelegenheit zum unbeaufsichtigten Spiel in der Natur, zum Herumtoben und zu spontanen Kontakten mit anderen Kindern – die wenigsten Stadtkinder finden in der Nähe unbebaute Grundstücke oder naturbelassene Flächen vor, aber auch Kinder in Landgemeinden dürfen oft die nächste Wohnumgebung nicht verlassen. Spielplätze sind kein Ersatz, da sie zumeist weder ansprechend noch altersgerecht sind. Wälder, Gewässer, landwirtschaftlich genutzte Flächen, Nutztiere und Bauerngärten werden häufig nur noch im Vorbeifahren wahrgenommen. Hinzu kommt, dass es heute auch an Möglichkeiten zur Entwicklung motorischer Kompetenzen und handwerklicher Fertigkeiten mangelt, da Kinder nur noch selten in die planvolle Herstellung von Gegenständen eingebunden werden, mit Werkzeug umgehen dürfen oder Aufgaben von ihren Eltern übertragen bekommen. Außerdem sind viele Haushaltsfunktionen aufgrund des Erwerbs technischer Geräte sowie des Waren- und Dienstleistungsangebots unnötig geworden. Eine spielerische Vorbereitung auf spätere Tätigkeitsbereiche Erwachsener erfolgt kaum noch.
Die Aneignung der natürlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Umwelt durch Beobachtung und Selbsttätigkeit wird somit immer schwerer möglich. Gudjons (1994, S. 13) ergänzt: „Die reichhaltigen – nicht nur sozialen – Erfahrungsmöglichkeiten haben sich damit erheblich reduziert. Nimmt man dann noch den Ersatz des Brotbackens durch ‚Aufbackbrötchen‘, den Ersatz der Konservierungstechniken durch Tiefkühltruhe und das Wegfallen von Feuermachen und Kohleschleppen durch die vollautomatische Zentralheizung u.a.m. hinzu, dann zeigt sich sehr rasch, in welchem Maß diese Entwicklung – nicht nur in der Großstadt – zum Verlust von anregender sinnlich-unmittelbarer Erfahrung im tätigen Umgang mit Dingen und Menschen geführt hat.“
Hier wird deutlich, dass es zunehmend zu einer kommt und dass Kleinkinder viele Gegenstände und Prozesse aufgrund der technischen Entwicklung nicht mehr durchschauen können. Sie können weder mit den Sinnen erfasst noch handelnd ausprobiert und damit verstanden werden. Die heutigen Lebensbedingungen von Kindern reduzieren die Bandbreite und Vielfalt der Erfahrungen.
Eigentätigkeit, sinnvolles Spielen und soziale Kontakte werden auch durch den Medienkonsum beeinträchtigt. Im Durchschnitt verbringen (Klein-) Kinder mehrere Stunden pro Tag vor dem Bildschirm, wobei die Sehdauer bei fehlender Nachmittagsbetreuung und großstädtischen Wohnformen besonders lang ist – wie auch dann, wenn der Fernseher von den Eltern als „Babysitter“ missbraucht wird. So kann man berechtigterweise von einer sprechen. In einer schier unendlichen Fülle flüchtiger Bilder und Töne werden die Kinder mit allen menschlichen Lebensbereichen, Verhaltensformen und Kulturen konfrontiert: „Ein heutiges Kind kennt durch das Fernsehen bereits die ganze Welt, ehe es alleine eine Straße überqueren kann“ (Barthelmes/Sander 1988, S. 383).
Insbesondere Kleinkinder halten auch alles für wahr, was auf dem Bildschirm abläuft, obwohl es sich nur um geplante, veränderbare Abbilder einer vorhandenen oder konstruierten Welt handelt. So meint Herz (1994, S. 353): „Das Wasser, das im Fernsehen fließt, ist nicht nass. Die Blume, die im Fernsehen gezeigt wird, duftet (noch) nicht. Das Blut, das umfangreich spritzt, geht nicht wirklich unter die Haut. Das Bild von der Wirklichkeit, das durch das Fernsehen vermittelt wird,...




