Thomas | Das Procane-Projekt | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Thomas Das Procane-Projekt


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-89581-595-9
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-89581-595-9
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Abner Procane, der beste Dieb der Welt, stellt fest, dass die minutiös genauen Aufzeichnungen aller Diebstähle, die er in 25 Jahren begangen hat, gestohlen worden sind. Einzig Philip St.?Ives, professioneller Vermittler und Überbringer von Lösegeldern mit ausgezeichneten Kontakten zur Unterwelt, könnte sie ihm wiederbeschaffen. Dafür ist Procane bereit, hunderttausend Dollar lockerzumachen. Doch spätestens, als die Übergabe scheitert und St.?Ives statt der Papiere einen Toten findet, weiß der Meisterdieb, dass der Erfolg seines letzten, millionenschweren Coups ernsthaft auf dem Spiel steht?...

Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, verarbeitete seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen in seinen Politthrillern, in denen er vor allem die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Ihm wurde zweimal der Edgar Allan Poe Award und mehrmals der Deutsche Krimipreis verliehen. Bis zu seinem Tod 1995 entstanden 25 Romane.
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Kapitel 1


Es war in der Nähe der 21st Street, drüben in der Ninth Avenue, einem jener verfallenen Chelsea-Straßenblocks, die aussehen, als wären sie in feuchten Ruß getaucht worden, und abgesehen von ein paar trostlosen Bars mit eigensinnigen Schließzeiten war der Waschsalon der einzige Ort, der geöffnet hatte.

Vor ein paar Jahren, als der Salon noch eine Tierhandlung gewesen war, hatte sein verschmiertes Schaufenster vielleicht noch einen Zweck gehabt – zum Beispiel, den Welpen den Blick auf die Straße zu ermöglichen. Jetzt schwappte sein schmutzig gelbes Licht nur noch auf den Müll und den Dreck, die sich im Lauf der Woche auf dem Gehweg angesammelt hatten.

Um fünf Minuten vor drei kam ich in dem grauen Ford Galaxie, den ich bei Avis gemietet hatte, an dem Waschsalon vorbei. Ich fuhr etwa zehn Kilometer pro Stunde und somit langsam genug, um zwölf Waschmaschinen, sechs große Trockner, und keine Kunden zu zählen.

Obwohl es kalt und fast drei Uhr an einem Sonntagmorgen war, schien das kleine blaue Neonschild im Fenster des Waschsalons sich nicht in dem Versuch entmutigen zu lassen, durch das beständige Aufblinken seiner knappen Botschaft potenzielle Kunden anzulocken: »Neverclose«.

Ich fuhr um den Block und parkte in zweiter Reihe vor dem Geschäft. Über einen Strafzettel machte ich mir keine Gedanken. Zu dieser Stunde und in dieser Gegend hätte ich mich sogar darüber gefreut, vor allem über den Polizisten, der ihn ausgestellt hätte.

Ich stieg aus, blickte mich um und versuchte, einen strategisch günstigen Punkt auszumachen, von dem aus der Dieb mich beobachten konnte. Es gab keinen. Er hätte überall sein können. Eine schäbige Wohnung im ersten Stock auf der gegenüberliegenden Straßenseite wäre gut dafür gewesen. Oder ein geparktes Auto. Mit einem Fernglas hätte er auch ein Stück weiter die Straße runter auf einem Hausdach sein können.

Ich vergewisserte mich, dass ich ein Zehncentstück für einen Trockner hatte, ging zum Kofferraum, öffnete ihn, nahm die blaue Pan-Am-Umhängetasche heraus, warf sie mir über die linke Schulter und schlug die Kofferraumklappe zu. Dann schaute ich mich noch einmal vorsichtig um, in aller Ruhe, aber es war immer noch niemand zu sehen. Ich hielt mein linkes Handgelenk hoch und sah demonstrativ auf die Uhr. Es war genau drei. Niemand konnte behaupten, dass ich unpünktlich war.

Ich ging zu dem Schaufenster hinüber und blickte in den Waschsalon. Die Trockner standen links, die Waschmaschinen rechts. In der Nähe des Fensters gab es zwei Holzbänke ohne Lehnen für die Kunden, die warten wollten; jetzt aber waren sie leer, wenn man von einem weggeworfenen Waschmittelkarton, einer leeren Lysol-Packung und einer gestopften grauen Socke absah.

Als ich die Glastür aufstieß, läutete eine Ladenglocke, wahrscheinlich ein Überbleibsel aus der Zeit der Tierhandlung, als der Besitzer noch vor Ort war. Jetzt kündigte sie mich niemandem an. Als die Glocke verstummte, hörte man nur noch das leise Summen der drei Neonröhren.

Es hätte noch ein anderes Geräusch geben müssen und es hätte von einem der Trockner kommen sollen, in dem etwas herumgeschleudert worden wäre, das der Dieb in eine Decke zu wickeln versprochen hatte. Ich spähte durch die runde Glastür des ersten Trockners, aber die graue, perforierte Trommel war leer und reglos. Dasselbe galt für die Trommel des zweiten Trockners ebenso wie für alle übrigen.

Die Reihe der sechs Trockner ragte knapp einen Meter in den Raum und endete etwa einen halben Meter vor der Rückwand, so dass eine geschützte Stelle entstand, ungefähr halb so groß wie ein Flurschrank. Viel Platz war es nicht, aber genug, um dort etwas zu verstecken, insbesondere, wenn es kompakt zusammengelegt war, und genau das hatte jemand mit großer Mühe getan.

Seine Beine waren zusammengefaltet und gefesselt worden, so dass sein Kinn auf den Knien ruhte. Gewöhnliches braunes Isolierkabel, wie man es verwendet, um einen Toaster anzuschließen, war fest um seinen dünnen Hals gewickelt. Das Kabel war unter seinen knochigen Knien hindurchgeführt worden, so dass sie an seine Brust gepresst werden konnten und eine Ablage für das Kinn boten. Das andere Ende des braunen Kabels war ebenfalls um seinen Hals geknotet. Die Hände befanden sich auf dem Rücken, weshalb ich annahm, dass auch sie gefesselt waren.

Um ihn besser betrachten zu können, ließ ich mich auf ein Knie nieder. Jemand hatte ihm hart zugesetzt, und er war übel zugerichtet. Dunkelblaue Flecken bedeckten Stirn und Wangen. Die Nase war an mindestens einer Stelle gebrochen. Die Lippen waren aufgeplatzt und geschwollen. Er hatte den Mund weit offen und die oberen Zähne fehlten, obwohl das auch das Werk eines Zahnarztes hätte sein können. Seine Augen waren ebenfalls geöffnet, doch ihnen hatte man nichts angetan. Sie schienen immer noch vor Tränen zu glänzen und waren immer noch so unschuldig und blau wie die eines zehn Tage alten Katzenbabys.

Als sie noch lebten, waren es die blauen Augen von Bright Bobby Boykins gewesen, einem adretten kleinen Herrn in den Sechzigern, der ihre tränenreiche Unschuld mehr als dreißig Jahre lang benutzt hatte, um die unerschöpfliche Menge leichtgläubiger, aber habgieriger New-York-Touristen mittels variantenreicher betrügerischer Tricks auszunehmen.

Ich versuchte, mich an Bobby Boykins’ Stimme zu erinnern, und fragte mich, ob es die mechanisch verzerrte gewesen sein konnte, die mir tags zuvor um elf Uhr morgens die Anweisungen telefonisch übermittelt hatte. Wenn man der Logik folgte, hätte diese verzerrte Stimme einem Dieb, einem erfahrenen Safe-Knacker gehören müssen. Und logischerweise wäre damit Bobby Boykins ausgeschieden, weil der nicht wusste, wie man einen Safe knackte. Außerdem war er zu ängstlich, um es zu versuchen, und zu alt, um es noch lernen zu können.

Ich hatte mich schon halb aus meiner knienden Position erhoben und grübelte noch immer über die Logik des Ganzen nach, als die Ladenglocke ertönte. Ich wollte mich umdrehen, hielt aber inne, als eine Stimme rief: »Polizei! Keine Bewegung!«

Ich rührte mich nicht, schaute weder nach links noch nach rechts, hielt still, versuchte sogar, nicht einmal zu atmen. Die Stimme klang jung, und wenn sie jung war, dann war der Sprecher vielleicht unerfahren, und mit einem jungen, unerfahrenen Polizisten wollte ich mich nicht anlegen.

Seine Schuhe quietschten ein wenig, als er auf mich zukam. »Okay«, sagte er, »umdrehen, Hände an die Wand und Beine auseinander.«

Ich drehte mich langsam zur Wand um und tat, wie mir geheißen. Er kam noch immer auf mich zu, als er sagte: »Gehört der graue Ford da draußen –« Er brachte die Frage nicht zu Ende. Ich dachte, ich hätte ihn einmal schlucken hören, bevor er flüsterte: »Ach, du lieber Gott!«, was wohl auf die Wirkung von Bright Bobby Boykins’ Leiche zurückzuführen war. Oder vielleicht sagte er das über alle Leichen.

Einen Augenblick später fragte die junge Stimme: »Ist er tot?«

»Er ist tot.«

»Haben Sie ihn getötet?«

»Nein.«

»Okay, halten Sie jetzt einfach still.« Schnell tastete er mich ab, ließ dabei allerdings mein Kreuz und die Innenseite meiner Knöchel aus. Hier wie dort hätte ich eine kleine Pistole oder ein großes Messer versteckt haben können, aber ich dachte, ich sollte es nicht erwähnen. Er würde es noch lernen.

»Jetzt aufrichten und Hände auf den Rücken«, sagte die junge Stimme. Ich legte die Hände auf den Rücken, und er ließ die Handschellen zuschnappen. Es war das allererste Mal, dass ich Handschellen trug, zumindest echte, und das Gefühl gefiel mir gar nicht. Sie taten nicht weh, aber die Demütigung des Ganzen schon.

»Umdrehen«, sagte die Stimme; also drehte ich mich um und sah mich einem wohl neunzig Kilo schweren, kräftigen jungen Iren gegenüber, der den weißen Sturzhelm und die schwarzen Lederstiefel der New Yorker Motorradpolizei trug.

»Wie heißen Sie?«, fragte der junge Cop und zog Notizbuch und Bleistift heraus. Ich nannte ihm meinen Namen, und er schrieb ihn auf, nachdem er mich gefragt hatte, wie man ihn buchstabierte.

»Wo wohnen Sie?«

»Im Adelphi in der East 46th.«

»Was machen Sie dann hier?«

»Ich suche etwas.«

»In einem Waschsalon? Um drei Uhr morgens?« Die Skepsis in seiner Stimme passte sehr gut zu seinem ungläubigen Gesichtsausdruck.

»Genau.«

»Was machen Sie? Ich meine, womit verdienen Sie Ihr Geld?«

Darüber musste ich nachdenken. »Ich bin in der Vermittlerbranche.« Er hatte ein wenig Mühe, »Vermittler«...


Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, verarbeitete seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen in seinen Politthrillern, in denen er vor allem die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Ihm wurde zweimal der Edgar Allan Poe Award und mehrmals der Deutsche Krimipreis verliehen. Bis zu seinem Tod 1995 entstanden 25 Romane.



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