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E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Vaget Seelenzauber

Thomas Mann und die Musik
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-10-401713-6
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thomas Mann und die Musik

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-10-401713-6
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Keine andere Kunstform hat Thomas Mann so sehr bewegt und bestimmt wie die Musik, angefangen bei den Opernbesuchen in der Kindheit bis hin zur Begegnungen mit großen Persönlichkeiten wie Bruno Walter oder Arnold Schönberg. Die Musik war für Thomas Mann zentraler Bestandteil der deutschen Kultur und dadurch mitverantwortlich für die große Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Auf dieser Grundlage analysiert und beschreibt Hans Rudolf Vaget die Bedeutung der Musik im Werk Thomas Manns. Sei es in der Bewertung des deutschen Kunstlieds oder in der Auseinandersetzung mit Furtwängler, sei es Thomas Manns Wagner-Bild oder die Zusammenarbeit mit Adorno - diese fundierte Studie bündelt kulturgeschichtliche Zusammenhänge und erschließt immer wieder neue Gänge durch das Werk Thomas Manns.

Hans Rudolf Vaget (geb. 1938) ist Professor of German Studies und Comparative Literature am Smith College (Northampton, Massachusetts). Schwerpunkte seiner Forschung sind Goethe, Wagner und Thomas Mann, zu denen er zahlreiche Arbeiten vorgelegt hat. Ehrungen: Thomas-Mann-Medaille (1994), Forschungspreis der Alexander von Humboldt Stiftung (2001), Fellow der American Academy Berlin (2012). Vaget ist Mitherausgeber der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe Thomas Manns und war von 2005 bis 2013 Mitherausgeber der Zeitschrift wagnerspectrum.
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Zur Einführung


Vom Seelenzauber der Musik ist in dem berühmten Grammophon-Kapitel des in bewegten und bewegenden Worten die Rede  ein Text, mit dem sich Thomas Mann endgültig als der musikbesessenste Autor der Weltliteratur zu erkennen gab. Diese einzigartige und höchst interpretationsbedüftige Musikbesessenheit spannt sich, wie die folgenden fünfzehn Studien zeigen wollen, in einem mächtigen Bogen von den Anfängen dieser Schriftstellerlaufbahn mit und bis zu ihrem logischen Ziel- und Gipfelpunkt im und darüber hinaus. Im Rückblick enthüllt sich das große Musikkapitel des als die Gelenkstelle im uvre dieses Autors, an der die zuvor affirmative Darstellung der deutschen Musikkultur in eine kritische, ja warnende umschlägt; nicht von ungefähr wird in diesem Roman die Musik zum ersten Mal als »politisch verdächtig« (5. 1, 175) betrachtet.

Der Seelenzauber, den das Werk Thomas Manns insgesamt beschwört und kritisch reflektiert  die Erzählungen und Romane, aber auch die großen Essays sowie die kultur- und zeitgeschichtliche Publizistik, zu schweigen von den Briefen und Tagebüchern –, weist über den Horizont des landläufigen, naiv erbaulichen Musikerlebens weit hinaus und erhellt die Problematik der deutschen Identität, der individuellen wie der kollektiven, bis in ihre feinsten Verästelungen und tiefsten Wurzeln. Der Seelenzauber, von dem hier zu handeln ist, hat es in sich: Er zeitigt finstere Konsequenzen im Leben des Einzelnen wie der Nation. Im präludiert er dem Großen Krieg, der mit einem Donnerschlag dem zweifelhaften Kulturglück der Vorkriegsära ein jähes und spektakuläres Ende bereitet. Längst schon haben wir uns angewöhnt, den Ersten Weltkrieg als die Urkatastrophe des katastrophengesättigten 20. Jahrhunderts zu begreifen. Hatte Thomas Mann schon jene erste Katastrophe aus dem deutschen Musikkult hergeleitet, so griff er  zum ungläubigen Erstaunen selbst seiner ihm wohl gesonnenen Kritiker  auch im auf die deutsche Musik zurück, um den Weg Deutschlands in die neuerlichen Katastrophen der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs einsichtig zu machen. All dies ist ungewöhnlich, originell und gerade heute dringend erklärungsbedürftig, unerachtet der Tatsache, dass es zum Thema »Thomas Mann und die Musik« schon Berge von Literatur gibt  Literatur, deren historischer Erkenntniswert in den allermeisten Fällen jedoch recht begrenzt ist.

Die Distinktion des besteht in nicht geringem Maß in seiner mentalitätsgeschichtlichen Diagnostik. Was dem kulinarischen Leser als bloßer Zeitvertreib einer moribunden Sanatoriumsgesellschaft erscheinen mag, enthüllt sich dem im »Fernhören« geübten Leser als Schlüssel zum Verständnis der Seelen- und Geistesverfassung, die die Katastrophe ermöglicht und begünstigt hat. Im diagnostizierte Thomas Mann die Zugänglichkeit, d.h. die Anfälligkeit, eines einfachen jungen Mannes aus Hamburg für den zwielichtigen, weil todessüchtigen Seelenzauber der romantischen Musik als den eigentlichen Krisenherd. Im richtete er den historischen Röntgenblick auf einen geistig-seelischen Komplex, der in dem fiktiven Komponisten Adrian Leverkühn seine repräsentativste Ausprägung gefunden hat und der am bündigsten mit der Formel »Kaisersaschern als geistige Lebensform« zu bezeichnen wäre.

Es geht also letztlich, wenn Thomas Mann von Musik handelt, nicht um eine allegorische Darstellung der deutschen Geschichte, auch nicht um eine Repräsentation der Geschichte des deutschen Geistes, für den metonymisch die Musik einstünde, sondern um Mentalitäten  ein Gebiet, das die zünftige Historiographie erst relativ spät für sich entdeckt hat.[1] Doch so wie psychoanalytisches Wissen schon lange, bevor Sigmund Freud es theoretisch fundierte, von Dichtern und Philosophen bereitgestellt wurde, so machten auch Romanciers vom Schlage Thomas Manns die Mentalitäten von gesellschaftlichen Gruppen und historischen Epochen zum Gegenstand ihres Erzählens, lange bevor die Geschichtswissenschaft die Erforschung der Mentalitätsgeschichte zum Programm erhob.

Thomas Mann war weder Historiker von Beruf noch Musikwissenschaftler, sondern Romancier und Geschichtenerzähler. In seinem Werk stehen dem entsprechend nicht die großen historischen Begebenheiten im Vordergrund, sondern die mentalitätsgeschichtlichen Veränderungen, die den großen Begebenheiten vorangehen oder ihnen nachzitternd folgen. Und folglich sind seine oft glänzenden Auslassungen über Musik und Musiker nicht als Beitrag zur Würdigung bestimmter Komponisten gedacht  egal ob es um Schubert, Wagner oder Schönberg geht –, sondern haben die Erhellung einer bestimmten »Gefühls- und Gesinnungswelt« zum Ziel, wie sie im (5. 1, 987) ausgeleuchtet wird, oder die Bewusstmachung jener »seelischen Geheim-Disposition« (VI, 52), die im als das gleichsam genetische Erbe Kaisersascherns gekennzeichnet ist, dem Emblem des deutschen Charakters. Wer diese Fokussierung des Erzählinteresses auf das, was wir heute Mentalitätsgeschichte nennen, verkennt oder sich davon irritiert zeigt, dass dieser Autor nicht von dem handelt, wovon er nach Auffassung seiner Kritiker hätte handeln müssen, um als Interpret der deutschen Katastrophe ernst genommen zu werden  sei es der Bauernkrieg, die gescheiterte Revolution von 1848 oder die Weltwirtschaftskrise von 1929 –, der wird zwangsläufig zu groben Fehlurteilen gelangen. Die immense Literatur zu Thomas Mann, zumal zum -Roman, bietet reiches Anschauungsmaterial dafür.

Was durch die Ausrichtung des Erzählinteresses auf mentalitätsgeschichtliche Bewegungen in den Blick gerückt wird, ist jener verborgene oder vielmehr verhüllte Nexus von Musik und Politik, der mit mehr Recht als der viel bemühte Künstler-Bürger-Gegensatz oder andere Ladenhüter der Thomas-Mann-Literatur als das eigentliche Lebensthema dieses Schriftstellers gelten darf. Die Verleugnung dieses Zusammenhangs von Kultur und Politik war eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass in der den Katastrophenreigen des 20. Jahrhunderts einleitenden Epoche vor 1914 die Lebensstimmung des deutschen Bürgertums als Kulturglück empfunden werden konnte. So jedenfalls stellte sich dem -Autor im Lichte der jüngsten geschichtlichen Erfahrung die Urlandschaft dar, die jene »Katastrophendynamik« (VI, 400) generierte, von der im Roman so nuancenreich die Rede ist. Der fatale Fehler »unseres Kulturglückes von damals«, so Thomas Mann 1944, lag in der hochmütigen Verachtung für die politische Sphäre und somit in dem Nicht-wahrhaben-Wollen jenes Nexus. Eine Kultur aber, »die ›sich nicht für Politik interessiert‹ und das Soziale aus ihrem Gesichtskreis ausschließt«, wohnt »der Barbarei ganz nahe«.[2] Einen paradigmatischen Ausdruck hat diese Geistesverfassung in gefunden, jener von Mann 1917 enthusiastisch begrüßten Künstleroper, die ihre Politikferne, ja Politikfeindschaft schon mit ihrem Schopenhauer'schen Motto signalisiert. Es behauptet die strikte Trennung von Politik und Kunst und erklärt: »über dem weltlichen Treiben« und »neben der Weltgeschichte geht schuldlos und nicht blutbefleckt die Geschichte der Philosophie, der Wissenschaft und der Künste«.

Der Zusammenhang der ästhetischen und der politischen Sphäre hat sich im Werk Thomas Manns, gestützt auf persönliche und historische Erfahrung, zu einem eigentümlichen Gedankenkomplex zugespitzt, der als ein ebenso origineller wie erhellender Beitrag zur mentalitätsgeschichtlichen Ursachenforschung der deutschen Katastrophe zu gelten hat. Der deutsche Musikkult konnte sich in durchaus berechtigtem Stolz auf den Siegeszug der deutschen Musik in aller Welt berufen. In einer Epoche, die von einem imperialistischen Expansionstrieb in allen Lebensbereichen geprägt war, kultivierte diese Musikidolatrie ein Suprematiedenken und eine Überlegenheitsmentalität, die sich im Handumdrehen zur Legitimierung des politischen Hegemonienanspruchs, der sich 1914 und 1939 aufs massivste manifestierte, instrumentalisieren ließen. Während im Ersten Weltkrieg Mann selbst auch die Einzigartigkeit der deutschen Musikkultur zur Rechtfertigung des deutschen Führungsanspruchs ins Feld führte, war ihm in der -Zeit, als Frucht eines denkwürdigen und beispielhaften Lernprozesses, die politische Gefährlichkeit solcher scheinbar selbstverständlicher Gedankengänge eine Gewissheit. Die Geschichte hatte ihn gelehrt, dass, wie es im heißt, »wer da Wind säet, Sturm ernten wird« (VI, 50). Will sagen: Der Sturm, den Deutschland im politischen Leben geerntet hat, wurde auf dem Gebiet der Kultur gesät. Ebendies macht den mentalitätsgeschichtlichen Kern des aus, und hierin liegt denn auch die noch ungeahnte Bedeutung Thomas Manns für die Geschichtswissenschaft, sofern sie sich als kulturelles Gedächtnis begreift und »eine andere deutsche Geschichte« zu überliefern bestrebt ist, »die den symbolischen Dimensionen der deutschen Vergangenheit besser Rechnung trägt«.[3]

In der...


Vaget, Hans Rudolf
Hans Rudolf Vaget (geb. 1938) ist Professor of German Studies und Comparative Literature am Smith College (Northampton, Massachusetts). Schwerpunkte seiner Forschung sind Goethe, Wagner und Thomas Mann, zu denen er zahlreiche Arbeiten vorgelegt hat. Ehrungen: Thomas-Mann-Medaille (1994), Forschungspreis der Alexander von Humboldt Stiftung (2001), Fellow der American Academy Berlin (2012). Vaget ist Mitherausgeber der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe Thomas Manns und war von 2005 bis 2013 Mitherausgeber der Zeitschrift wagnerspectrum.

Hans Rudolf VagetHans Rudolf Vaget (geb. 1938) ist Professor of German Studies und Comparative Literature am Smith College (Northampton, Massachusetts). Schwerpunkte seiner Forschung sind Goethe, Wagner und Thomas Mann, zu denen er zahlreiche Arbeiten vorgelegt hat. Ehrungen: Thomas-Mann-Medaille (1994), Forschungspreis der Alexander von Humboldt Stiftung (2001), Fellow der American Academy Berlin (2012). Vaget ist Mitherausgeber der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe Thomas Manns und war von 2005 bis 2013 Mitherausgeber der Zeitschrift wagnerspectrum.



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