Vandenberg | Der König von Luxor | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 672 Seiten

Vandenberg Der König von Luxor


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8387-5777-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 672 Seiten

ISBN: 978-3-8387-5777-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



1939 treffen sich in London drei Damen, die sich erst kurz zuvor auf der Beerdigung von Howard Carter, dem Entdecker des Grabes von Tut-ench-Amun, kennen gelernt haben. Jede von ihnen hat sein Leben beeinflusst: Sarah Jones, Carters Lehrerin und erste Liebe. Lady Evelyn Beauchamp, die behauptet, sie sei der Grund für Carters Reise nach Ägypten. Und Carters Nichte Phyllis Walker, die zu ihm stand, als sein Ruhm in Vergessenheit geriet. Jede kennt ein Versatzstück aus Carters Leben, das zur Lösung eines bis heute ungelösten archäologischen Rätsels führt...

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15. MÄRZ 1939


Natürlich regnete es auf der Fahrt nach Soho.

»Wie immer um diese Zeit!«, meinte der Taxifahrer entschuldigend und warf einen flüchtigen Blick durch die Scheibe nach hinten. Die alte Dame war eine gepflegte Erscheinung, wohlhabend, aber nicht reich, gerade so, dass man ein anständiges Trinkgeld erwarten konnte. Reiche Leute geizten mit Trinkgeldern, das war eine alte Erfahrung. Und nach zwanzig Jahren am Steuer konnte man ihm da kaum etwas vormachen.

»Das hat doch nichts mit der Jahreszeit zu tun!«, korrigierte die alte Dame den Fahrer. »In Notting Hill ist das Wetter viel besser. Es muss an Soho liegen.«

»Sie mögen Soho nicht, Madam?«, fragte der amüsierte Fahrer nach hinten.

»Warum soll ich Soho nicht mögen!«, entrüstete sich die alte Dame, »ich finde nur, dass es in Soho öfter regnet als anderswo.«

Der Taxifahrer ließ es dabei erst einmal bewenden, und sein Fahrgast widmete sich der Betrachtung der riesigen bunten Kino- und Theaterplakate an den Fassaden. Im »Leicester Square Kino« lief zum letzten Mal »Frankensteins Sohn« mit Boris Karloff in der Titelrolle. Im »Haymarket Theater« standen Rex Harrison und Diana Wynyard in »Design for Living« auf der Bühne, und im Piccadilly gegenüber dem Regent Palace Hotel brillierten Mackenzie Ward und Eileen Peel in dem Stück »French without Tears«.

Wie immer um die Nachmittagszeit waren alle Straßen um Piccadilly Circus verstopft; aber der Fahrer benützte einige Seitenstraßen und brachte plötzlich und für die alte Dame völlig unerwartet sein Taxi vor einem Hoteleingang zum Stehen.

»Einmal ›Ritz‹«, rief er vergnügt, »fünf Shilling, Madam!«

Er hatte sich nicht getäuscht, denn die Lady reichte ihm sechs und stieg aus, nachdem ein Portier in roter Livree die Wagentüre geöffnet hatte.

Sie wirkte unsicher in der Halle des »Ritz«, und sie gab sich auch keine Mühe, ihre Unsicherheit zu verbergen. Mit leichtem Kopfnicken nach allen Seiten erwiderte sie die Ehrbezeugungen des Personals. Schließlich steuerte sie mit kurzen Schritten energisch auf einen vornehm wirkenden Herrn im Frack zu, der ihr mit hinter dem Rücken verschränkten Händen entgegenlächelte.

Sein schütteres, silbergraues Resthaar war mit Brillantine der ovalen Kopfform angepasst und ließ ihn jenseits der fünfzig erscheinen. Trotzdem redete die alte Dame ihn mit den Worten an: »Junger Mann, führen Sie mich in den Tea-Room.« – Was den »jungen Mann« betraf, so pflegte sie jeden Mann so zu bezeichnen, der nicht älter war als sie.

»Zum Tea-Room, sehr wohl, Madam!«, dienerte der Angesprochene, und dabei machte er eine ausholende Armbewegung, als wolle er einen Halbkreis vor seinem Bauch beschreiben.

»Aber langsam!«, mahnte die resolute Dame und stieß mit ihrem Stock heftig auf den Teppich. Ihre Erscheinung hatte etwas von der herben Schönheit, die ein langes Leben in ein Gesicht zeichnet und die alten Damen einen eigentümlichen Reiz verleiht. Sie trug einen altmodischen Hut, der ihr etwas Unnahbares verlieh, und ein tailliertes, grünes Kostüm mit beinahe knöchellangem Rock. In der Halle des mondänen Hotels wirkte sie zweifellos etwas unmodern.

Aus der Glastüre, die zum Tea-Room führte, worauf ein Schild aus poliertem Messing hinwies, trat ihr ein Ober im Cut entgegen mit einer aufgesteckten Süßwasserperle im Plastron. Darüber hinaus war allein sein Gesichtsausdruck erwähnenswert, dessen Ernst und Strenge nur von jenem übertroffen wurde, welchen die Konservativen im Parlament seit geraumer Zeit an den Tag legten.

»Junger Mann«, sagte sie, noch bevor der gestrenge Ober etwas fragen konnte, »ich bin hier mit Lady Evelyn Beauchamp verabredet. Ich bin wohl zu früh?«

Entgegen jeder Erwartung erhellte sich das Gesicht des Obers, und in einem Anfall von Entzücken, den man ihm nie zugetraut und schon gar nicht erwartet hätte, erwiderte er: »Oh nein, Madam, die Damen sind bereits zugegen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«

Im Tea-Room glänzte dunkles Mobiliar, und der Raum wurde von gelben Lampenschirmen aus Schafsleder in diffuses Licht getaucht. Aus dem Halbdunkel löste sich eine Gestalt. Es war Lady Evelyn, die ihr entgegentrat. Ihr graues, zweireihiges Kostüm mit feinen hellen Streifen kleidete sie vorteilhaft, und ein Topfhut, den sie tief ins hell geschminkte Gesicht gedrückt hatte, verlieh ihr ein jugendlich-keckes Aussehen.

»Mrs. Jones!«, rief die Lady und streckte ihr beide Hände entgegen. »Wie schön, dass Sie gekommen sind.«

»Miss Jones, Mylady!«, korrigierte die alte Dame unnachsichtig. »Miss Jones. Ich war nie verheiratet, und ich lege auf meine alten Tage auch keinen Wert darauf, den Anschein zu erwecken. Bleiben wir also bei Miss Jones.«

Als sich die beiden gegenüberstanden, wurde deutlich, dass die Lady gut einen Kopf kleiner war als Miss Jones, was seinen Grund jedoch nicht in Miss Jones’ Größe hatte, nein, Lady Evelyn war wirklich klein gewachsen.

Lady Evelyn geleitete Miss Jones zu einem Ecktisch. Dort wartete bereits Phyllis Walker, gerade halb so alt wie Miss Jones. Obwohl von einnehmendem Äußeren, hatte sie sich in weite, graue Hosen und ein enges Jackett gekleidet wie ein Dandy. Auf dem Kopf trug sie eine Baskenmütze. Darunter ragten dunkle Locken hervor, die mit glänzendem Gel an die Stirn geklebt waren – keine außergewöhnliche Erscheinung in Soho, aber im »Ritz« ohne Zweifel etwas gewagt.

Vor zehn Tagen hatten die drei Frauen auf dem Friedhof von Putney einer höchst merkwürdigen Beerdigung beigewohnt. Übersehen konnten sie sich nicht, denn die Beerdigungsgesellschaft bestand nur aus acht Trauernden, den Vikar eingeschlossen, und das war trotz eines ehrenden Nachrufs in der London Times doch ein trauriges Ende für den berühmtesten Archäologen der Welt: Howard Carter.

Die Idee, sich im »Ritz« zum Tee zu treffen, stammte von Lady Evelyn Beauchamp und hatte ihre Ursache in einem kleinen Ereignis am Rande. Beim Verlassen des Friedhofs in Putney hatte sich Lady Evelyn noch einmal umgedreht und dabei einen Landstreicher beobachtet, von denen um diese Zeit Hunderte die wärmenden U-Bahnhöfe bevölkerten. Der Mann hielt kurz inne, dann warf er ein kleines Päckchen in das offene Grab und humpelte davon.

Auf Fragen, wer der Mann gewesen sei und welche Bedeutung sein seltsames Verhalten wohl habe, wusste niemand eine Antwort. Nur Phyllis Walker glaubte den Landstreicher zu kennen. Jedenfalls erinnerte er sie an einen Mann, der in Howard Carters Leben eine zwielichtige Rolle gespielt hatte.

Durch diese Bemerkung war die Neugierde der beiden anderen Frauen geweckt worden, zumal jede von ihnen glaubte, alles über Carter zu wissen, und so hatten sie den Entschluss gefasst, sich an diesem 15. März 1939 im »Ritz« zum Tee zu treffen und sich gegenseitig auszutauschen.

Das Gespräch begann schleppend, was zum einen im Alters- und Standesunterschied der Damen liegen mochte, andererseits kannten sie sich kaum, aber da war dieser Howard Carter, dem jede dieser drei Frauen auf ihre Weise verbunden gewesen war. Das kundzutun, bedurfte einer gewissen Überwindung.

»Was meinen Sie, meine Damen«, begann Lady Evelyn, um das peinliche Schweigen zu überbrücken, »wird es Krieg geben?«

Phyllis hob die Schultern. Sie wusste keine Antwort.

Miss Jones hingegen ereiferte sich: »Die Zeitungen sind voll von Berichten über Flottenmanöver im Atlantik und Truppenbewegungen in ganz Europa. Der König und die Königin besuchen jeden Tag eine andere Flugzeugfabrik, heute in Birmingham, morgen in Rochester. Neulich war zu lesen, man solle sich Lebensmittelvorräte für zwei Monate anlegen. Mylady, es riecht förmlich nach Krieg!«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Madam«, erwiderte Lady Evelyn, »ich war zwar noch jung, als der letzte Krieg ausbrach, und mein Vater, Lord Carnarvon, vertrat die Ansicht, ich sollte mich mehr mit Musik und Kunst beschäftigen als mit Politik, aber mir ist noch gut im Gedächtnis, dass die Umstände damals den heutigen aufs Haar glichen.«

»Howard war ein unpolitischer Mensch«, bemerkte Phyllis und kam damit endlich zum Thema.

»Aber nur, was den Zank der Parteien betraf!«, protestierte die Lady, »Howard war ein Einzelgänger, auch in seinen politischen Ansichten. Er redete heute der Labour Party das Wort, und morgen verteidigte er die Tories. Meinen Vater trieb Howards Wankelmut bis zum Wahnsinn. Ich hatte manchmal den Eindruck, als bereitete es ihm teuflisches Vergnügen, seine Meinung von heute auf morgen zu ändern.«

»Wann lernten Sie Howard kennen?«, erkundigte sich Miss Jones. Dem Klang ihrer Stimme konnte man entnehmen, dass sie mit Lady Evelyns Behauptung nicht einverstanden war.

»Oh, da war ich noch ein kleines Mädchen. Das war noch vor dem Krieg. Ich begleitete meinen Vater zum ersten Mal nach Ägypten. Aber damals nahm er mich gar nicht wahr – ich meine als Frau. Ich hingegen verliebte mich schon als kleines Mädchen in Carter. Er war groß, hatte kräftige dunkle Haare, und sein Oberlippenbart verlieh ihm etwas Draufgängerisches. Carter war für mich der Abenteurer und Schatzgräber aus dem Märchen, der eines Tages seiner Prinzessin begegnet. Und die Prinzessin war ich.«

»Merkwürdig«, meinte Phyllis Walker nachdenklich, »ich hatte Howard gegenüber die gleichen Empfindungen. Für mich war er auch eine außerordentliche Erscheinung, ein weit gereister Abenteurer und erfolgreicher Schatzgräber, zu dem ich aufschaute. Howard nannte mich immer seine Prinzessin. Und...



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