Vogel | Permission | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 134 mm x 204 mm

Vogel Permission

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96639-025-5
Verlag: Secession Verlag Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 134 mm x 204 mm

ISBN: 978-3-96639-025-5
Verlag: Secession Verlag Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nachdem Echos Vater von einer mörderischen Strömung an den Ku¨sten von Los Angeles in den Tod gerafft wird, sinkt die junge Frau in einen sie immer tiefer herabziehenden Strudel der Lähmung. Ohne wahre Freunde und belastet mit einer nicht unkomplizierten Beziehung zu ihrer Mutter, versucht die gescheiterte Schauspielerin, Trost zu finden, indem sie sich in den Leben von Fremden verliert.
Als sie zufällig der Domina Orly begegnet, fu¨hlt es sich fu¨r sie endlich so an, als hätte sie jemanden gefunden, der sie fu¨r das, was sie ist, hegt und schätzt. Doch Orlys gut fu¨nfzigjähriger Houseboy, Piggy, ist noch nicht willens, jemand anderen an der intimen Beziehung zu seiner Herrin teilhaben zu lassen, fu¨r die er doch alles gegeben hat.
In Permission erzählt Saskia Vogel die Liebesgeschichte von Menschen, die an ihren Erwartungen und Träumen erkrankt sind und im Reich der Erotik nach Ruhe und Heilung suchen. Durch die Landschaft des eigenen Begehrens straucheln sie
geplagt von der Suche nach einer Antwort auf diese eine ihnen heilige Frage: Wie möchte ich geliebt werden?
Saskia Vogel leuchtet mit tiefer psychologischer Kenntnis und zarter, aber klarer Sprache das Verhältnis zwischen Liebe, Gewalt und traumatischer Erfahrung aus und hat mit ihrem Debu¨t ein funkelndes, packendes Juwel der ju¨ngeren feministischen Literatur zum Thema Sexualität und Gewalt geschaffen – ehrlich und intensiv!

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ECHO
Die Hügel waren schlafende Riesen, die in ihren Träumen zuckten. Wenn sie sich in ihren Betten wälzten, kamen Wartungstrupps und flickten die Risse in der Küstenstraße, und das Meer schluckte Steine vom Ufer weg. Wenn in der Trockenzeit die Hügel Feuer fingen, stand ich an den Klippen und sah zu, wie die Helikopter ihre Tröge ins Wasser senkten. Ich suchte nach den Blicken der Piloten, wenn der Hubschrauber in den Himmel stieg, hoch und über das Haus meiner Eltern, und hoffte, dass sie nichts als Wasser trugen. Buschfeuer und kaputte Straßen waren alltägliche Gefahren wie Klapperschlangen und Autounfälle. In meinem Schrank stand ein gepackter Koffer bereit, falls die Erde beben oder ein Feuer über die Straße wehen sollte. Schon als Kind wusste ich, dass diese Landschaft keinen Halt bieten würde. Der Landstrich führte andere Wunder vor die Haustür meiner Familie. In den Buchten sahen wir vorbeiziehende Wale auftauchen und aufspringen. Wir zählten sie die Saison über und brachten unsere Strichlisten zur Walbeobachtungsstation, einem quadratischen Gebäude neben einem Leuchtturm, der von einem Garten mit einheimischen Pflanzen umgeben war. Mit Bakelitkopfhörern hörte ich Unterwasseraufnahmen von Walen, ihre verwunschenen Gesänge, ihre Herzen. In der langen Stille zwischen jedem bedächtigen Herzschlag fühlte ich meinen eigenen Puls. Ich kehrte oft an diesen friedlichen Ort zurück und fand Ruhe im Kokon der steten, ebenmäßigen Basstöne. In einem anderen Raum stellten Dioramen die jahrhundertelange Erosion der Uferlinie in der Gegend dar. Zwanzig Meter, vierzig Meter, futsch. Das aktuelle Modell zeigte die Klippen, wie sie jetzt waren. Lange nichts mehr abgebrochen, nicht einmal in den Erdrutschzonen. Aber ich wusste, was das bedeutete. So ein Bruch war überfällig. Noch bevor ich alt sein würde, würde das Land sich unserer Körper bemächtigen, und wir als Geister auferstehen. Geister, wie die junge Frau, die beim Leuchtturm spukte. Sie hatte sich von diesen Klippen gestürzt, als sie sicher war, dass ihr Matrose niemals zurückkehren würde. Sie ging ins Nirwana ein, um ihn zu finden. Es war die romantischste Geschichte, die ich kannte. Ich schwelgte in Vorstellungen vom Nirwana der Liebe. Eine Hingabe des Selbst zum Fühlen, einem Fühlen wie in den Nächten, in denen ich mit zwischen meinen Beinen gefalteten Händen getrost einschlief. In diesen Nächten war ich mir sicher, das aus den Wellen aufsteigende Lachen der Liebenden zu hören. Ihre Freude lockte mich. Einmal folgte ich dem Geräusch bis zum Ende des Gartens, durch den Zaun und zu den Klippen, ich krabbelte unter der Absperrung her, schob mich zentimeterweise näher und näher an den Abgrund heran, näher als ich es je gewagt hatte. Ich schaute die Wand aus Sedimentgestein hinunter und entdeckte einen Felsvorsprung. Verschlungene Gestalten, von einem süßlichen Dunst umgeben, wie eine Schale verwelkender Rosen. Sie lachten, als sei ihr Fels der einzige, der nie zu fallen versprach. Falle, falle, falle, wisperten die Klippen. Lieber Gott, wenn ich falle, lass mich beim Aufprall sterben. Eine Lähmung wäre schlimmer als der Tod, dachte ich, und das machte mir Angst. Ich konnte mich mir nicht ohne diesen Körper vorstellen, obwohl ich schon als Kind seine Begrenztheit spürte, seine naturgemäße Überalterung. Der Ruf wurde lauter, und schließlich ging ich nicht mehr zu den Klippen. Als ich zehn war, hatte mein Vater mein Leben in Angst satt. Am Fuß der Klippen erwarte mich nicht der Tod, sagte er, sondern ein Strand. Ich käme überall hin, solange ich mich in meiner Umgebung zurechtfinden würde. Ich glaube, diese Klippen wurden für ihn immer wichtiger, denn je länger wir in diesem Haus waren, umso geringer wurde sein Zugriff auf uns, vor allem auf meine Mutter, deren Weigerung, glücklich zu sein, eine Form von Tyrannei war. Mit den Klippen kam er klar. Den Sedimentfelsen bekletternd, einen steilen und sandigen Weg hinabrutschend, brachte er mir alles über Standbein und Haltegriffe bei, und wie man die Steine liest. Unter unseren Füßen das Meer, gleichgültig. Es war ein steiniger Strand, weder zum Schwimmen noch zum Sonnenbaden geeignet, am leichtesten per Boot erreichbar. Am Ufer: Gezeitentümpel, sonnenverbrannter Seetang, Möwenkadaver, von Salzluft zerfressene Dosen, wettergegerbte Sexmagazine, Feuerspuren. Ich stellte mir das lavaartige Glühen mitternächtlicher Fischer vor, die ihren Fang rösten, immer auf der Hut vor den Gesängen der Sirenen. Sogar die Luft an diesem Strand war klebrig. Ich verweilte bei geöffneten Doppelseiten nackter Frauen, die in der Sonne verblichen. Die angenehme Spannung, die Muskelkontraktionen der Seegurke, das weiche Saugen der Tentakel einer Seeanemone, wenn ich meinen Finger ins Wasser steckte, und mir einbildete, ich sei ein Clownfisch und immun gegen ihre Nesseln. Rostfarbene Betten aus Seetang durchbrachen das Meeresblau, rote Markierungsbojen wackelten, wo Fischer ihre Fallen ausgelegt hatten. Hinab in den Halbmond unserer Bucht kletterten mein Vater und ich entlang der Lefze ihres steinigen Mauls. Wenn Ebbe in Flut umschlug, tosten schaumige Wellen gegen die Kehle der Höhle, und wenn sie sich zurückzogen, leckten sie den kieseligen Boden ab. Als ich die Höhle und diesen steinigen Abgrund zum ersten Mal sah, habe ich mich geweigert, ihm hinüber zu folgen. »Keine Angst«, sagte er. »Du fällst einfach nicht.«
Fünfzehn Jahre lang kletterten wir über diese Höhle.
Und dann, eines Tages, fiel er. Ich sah es nicht geschehen. Er war vor mir, und dann war er es nicht mehr. Das sagte ich auch den Rettungskräften. Da war ein Seenotrettungsboot. Hubschrauber. Küstenwache. Taucher. Sie waren draußen auf dem Wasser bis zum Morgen. Man sagte uns, sie würden im »Suchen-und-Retten-Modus« bleiben, bis »das Opfer« gefunden wäre. Nach vierundzwanzig Stunden sprachen sie von »Bergung der Leiche«, aber auch das scheiterte. Ich fragte, wie sie es jetzt nennen würden, aber darauf antworteten sie nicht mehr. Sie schoben sich die Zuständigkeit hin und her, alle sagten mir, ich solle eine andere Abteilung fragen. In der Zeit danach verbrachte ich die meisten Tage zu Hause, meine Hände gegen die großen Glasscheiben vor unserem freien Meerblick gepresst. Als ich so lange hinausgeschaut hatte, dass ich Meer und Himmel nicht mehr unterscheiden konnte, blieben meine Hände am Fenster, spürten jede Vibration, jeden Windstoß. Ich war noch nicht auf der Welt, als meine Eltern von der Reederei, für die sie arbeiteten, von Rotterdam nach Los Angeles versetzt wurden, aber ich war alt genug, mich daran zu erinnern, als sie es dann bauten. Ihr Traumhaus. Wie sorgfältig sie jedes Detail bestimmten, die Freude, die sie daran und miteinander haben konnten. Ich verstand nicht, warum wir das kleine Haus mit den Blumentapeten unten am Hafen verlassen mussten, wo wir Kränen hatten zusehen können, wie sie Container von Frachtschiffen abluden, und wo ein Mann, der mit einer Trompete unterm Arm durch die Nachbarschaft skatete, jeden Tag bei Sonnenuntergang anhielt, um den »Zapfenstreich« zu spielen. Als ich das Haus dann zum ersten Mal sah, wirkte es surreal. Ein großer weißer Kasten, gebaut auf eine Steilklippe, einer ins Meer vorstoßenden Landzunge, der sich von allen anderen Häusern in der Straße abhob. Statt Sirenen und Trompeten hörten wir Pfaue und Seemöwen. Das Haus war aus Glas und Stahl und voller Licht. Von innen konnte man fast überall den Ozean sehen. Bei Sonnenuntergang färbten sich die Wände erst orange, dann violett, schließlich kam die Dunkelheit und mit ihr die Sterne. »Jeder Tag ist wie ein Liebesbrief«, sagte mein Vater immer, meine Mutter in seinen Armen, und sie genossen das Leben, das sie gemeinsam aufgebaut hatten. So stellte ich mir die beiden gern vor. Optimistisch und im Vertrauen auf irgendeine Logik, die sie davon abhielt, sich scheiden zu lassen. An diesem Fenster stehend sah ich nicht den Ozean, sondern Fugen: Silikon, Mörtel, Scharniere und Beschläge. Alles, was das Haus zusammenhielt, sämtliche seiner potenziellen Bruchstellen. Geborstene Bodenkacheln im Foyer, Risse im Putz der Wände. Ich untersuchte das Silikon, das unsere Küchenspüle festhielt, die Wölbungen an den Ecken, den Grund dafür, warum das Becken nie richtig trocknete. Korrosion. Ich nahm die Mülleimer aus dem Schrank unter der Spüle, und fuhr mit dem Finger über das narbenartige Material, das sie festhielt, fühlte nach Kanten, die sich gelöst hatten. Mit dem Daumennagel prüfte ich ihre Unversehrtheit, mir wurde schlecht, wenn er hineinglitt. Nachdem mein Vater am Freitag vor dem Memorial Day verschwunden war, hatte meine Mutter vergessen, unser Grillfest abzusagen, was zu peinlichen Gesprächen an der Haustür führte. Außer dem Caterer baten wir niemanden herein. Ich zog den Stecker des Telefons. Es gab für mich keinen Grund, nach dem langen Wochenende in meine Wohnung in der Stadt zurückzukehren, also wartete ich eine...


Vogel, Saskia
Saskia Vogel, geboren 1981 als Tochter einer österreichischen Mutter und eines US-amerikanischen Vaters in Los Angeles, lebt heute nach längeren Aufenthalten in Schweden und Großbritannien als freie Schriftstellerin, Publizistin und Übersetzerin (Schwedisch und Deutsch) in Berlin.
Aus dem Schwedischen hat sie wichtige Autoren wie Karolina Ramqvist, Katrine Marcal, Johannes Anyuru, Rut Hillarp und Lina Wolff ins Englische u¨bertragen und wurde mit dem English PEN Translates Award geku¨rt. Als Publizistin beschäftigt sie sich mit den Themen Gewalt, Gender und Sexualität, ihre Texte erscheinen regelmäßig in Granta, Guernica, The White Review, The Offing, Paris Review Daily und The Quietus.
Permission ist ihr erster Roman und wurde bislang in fu¨nf Sprachen veröffentlicht.



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