Wagner | Zwischen Reben und Rüben | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 275 Seiten

Wagner Zwischen Reben und Rüben

Eine Geschichte von Trauben, Wein und fünf Generationen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8353-8833-8
Verlag: Wallstein Erfolgstitel - Belletristik und Sachbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Geschichte von Trauben, Wein und fünf Generationen

E-Book, Deutsch, 275 Seiten

ISBN: 978-3-8353-8833-8
Verlag: Wallstein Erfolgstitel - Belletristik und Sachbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eingängig und stimmungsvoll verfolgt Andreas Wagner am Beispiel seiner eigenen Familie den Wandel von Landwirtschaft und Weinbau über fünf Generationen hinweg. Seit mehr als 450 Jahren betreibt die Familie von Andreas Wagner einen bäuerlichen Betrieb in der Nähe von Mainz. Landwirtschaft, Weinbau und Viehzucht prägten das Leben aller bisherigen Generationen. Die harte Arbeit auf dem Feld und im Weinberg sicherte über Jahrhunderte hinweg die Stellung der Familie im Dorf. Anhand einzelner Protagonisten der vorangegangenen fünf Generationen der Familie erzählt der Autor ebenso von den Agrarinnovationen des 19. Jahrhunderts und dem sich rasant beschleunigenden Strukturwandel in der jungen Bundesrepublik wie von familiären Katastrophen und der Suche jeder Generation nach dem richtigen Partner für die Kinder. Wandel und der Mut zu Veränderungen sind dabei stets unabdingbare Voraussetzungen gewesen, den Familienbetrieb zu erhalten. Nicht selten waren es besonders die Frauen, die die Entwicklung entscheidend prägten. Über alle Zäsuren hinweg gelang es immer, dass eines der Kinder den Betrieb weiterführte - und zwar aus freien Stücken. Andreas Wagners Buch ist eine unterhaltsame, zugängliche und zeitgeschichtlich fundierte Familienchronik. Der Autor zeigt in seinem lebendig und fesselnd erzählten Text, welche Faszination der bäuerliche Familienbetrieb auch bis in die heutige Zeit besitzt und welche Chancen der gesellschaftliche Wandel birgt.

Andreas Wagner ist Historiker, Winzer und Autor. Er hat Geschichte, Politikwissenschaft und Bohemistik in Leipzig und an der Karlsuniversität in Prag studiert. Zusammen mit seinen beiden Brüdern und ihren Familien leitet er seit 2003 den Familienbetrieb an den Hängen des Selztales. Die Arbeit zwischen den Reben dient ihm als Inspiration für seine Bücher. Neben wissenschaftlichen Arbeiten hat er mehrere Kriminalromane und Erzählungen veröffentlicht.
Wagner Zwischen Reben und Rüben jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Wandlungen


Das Grab ist tief und stille

Und schauderhaft sein Rand

Es deckt mit finstrer Hülle

Ein unbekanntes Land.

Das Lied der Nachtigallen

Tönt nicht in seinem Schoß;

Nur Frühlingsblüten fallen

Hier auf des Hügels Moos.

Verlaßne Theure ringen

Auf ihm die Hände wund;

Doch ihre Klagen dringen

Nicht in der Tiefe Grund

Doch sonst an keinem Orte

Wohnt die ersehnte Ruh

Nur durch die dunkle Pforte

Geht man der Heimat zu.

Lieb Kind dich hat hienieden

Schon mancher Sturm bewegt,

Dein armes Herz hat Frieden

Jetzt, weil es nicht mehr schlägt.

Mit diesem von ihm abgewandelten und an die eigene Lebenssituation angepassten Gedicht beendete Peter Strub im Jahr 1868 das Handbuch, das sein Vater Lorenz 1812 begonnen hatte[1]. Beide Strubs, Vater und Sohn, schrieben eifrig und ausführlich in der arbeitsärmeren Winterzeit über ihre Beobachtungen des abgelaufenen Jahres. Als Landwirte und Weinbauern notierten sie die wichtigsten, ihre Arbeit auf den Feldern und in den Weinbergen beeinflussenden Ereignisse. Sie lobten und kritisierten die Erträge und vor allem die Qualität ihrer Getreide- wie auch ihrer Weinernten. Ein üppiger, dünner Jahrgang wie der 1833er erhielt dann schon mal den Spitznamen »Wassermann«, während sein von Trockenheit geprägter karger Vorgänger als »Knochen« tituliert wurde.

Darüber hinaus waren beide interessierte Beobachter der politischen Entwicklungen im Großherzogtum Hessen und in den europäischen Nachbarländern. Sie hingen den Ideen des Vormärz an, die im deutschen Südwesten auch auf den Dörfern verbreitet waren. Lorenz Strubs Bruder war von 1806 an im Heer Napoleons gewesen. Er wird von den neuen freiheitlichen Errungenschaften berichtet haben, ebenso wie von den Leiden der Feldzüge, an denen er teilnahm. In der Völkerschlacht bei Leipzig fiel er schließlich am 18. Oktober 1813. Die Beobachtung freiheitlicher Bewegungen nahm in den Beschreibungen von Lorenz und Peter Strub beträchtlichen Raum ein. Aus ihnen spricht Faszination und Bewunderung.

Am Ende seines Lebens war Peter Strub dennoch ein gebrochener Mann. Seine Frau Christina hatte er schon wenige Tage nach der Geburt ihres Sohnes 1850 zu Grabe tragen müssen. Sie verstarb am »Milchfieber« im Wochenbett. Obwohl erst vierunddreißig Jahre alt, heiratete Peter Strub nicht wieder. Das ist für die Zeit und seine Situation ungewöhnlich. Strub besaß Äcker, Weinberge und Vieh. Es galt, einen bäuerlichen Haushalt zu versorgen, zu dem wahrscheinlich ein Knecht gehörte und während der Erntezeit und der Weinlese eingesetzte Aushilfskräfte. Dazu kam nach dem Tod der Frau der Säugling. Zusammen mit seiner Mutter zog er den Sohn, dem er den eigenen Namen gab, groß.

Peter Strub Junior wurde nur elf Jahre alt. Sein Vater notiert das Leid des Kindes. Er klagte nach der Heimkehr aus der Singschule »über Frost und sein rechtes Beinchen ober dem Knie schmerzte ihn sehr. Das Bein war angeschwollen und er konnte es nicht regen. Der Arzt verordnete Blutegel an das Bein und einreiben mit Salbe und verschrieb vielerlei Medizin zum Einnehmen. Aber kein Mittel half nichts, die Krankheit ging in ein hitziges Nervenfieber über. Ein zweiter Arzt, der gerufen wurde, konnte auch nicht helfen. Die Krankheit nahm immer zu und so ist das liebe Kind unter großen Schmerzen am 20. Dezember morgens 3 Uhr dieser schrecklichen Krankheit unterlegen«.

Der Vater überlebte seinen Sohn um mehr als achtzehn Jahre, »an Seele und Körper nun so gebeugt, daß ich nicht mehr im Stande bin weiter zu schreiben«. Nur noch wenige Eintragungen hat er nach dem Tod des Kindes vorgenommen. Neben den schwermütigen Gedichten sind es zumeist Betrachtungen über das Aussterben der eigenen Familie, die seit 1711 in Essenheim lebte. Der erste Strub war aus Nierstein, vom Rhein kommend in das einen halben Tagesmarsch entfernte Selztal übergesiedelt. Mit der sechsten Generation endete der Stammbaum nach etwas mehr als einhundertfünfzig Jahren. Der erste Strub im Dorf lebte am längsten. Peter Strub konstatierte in einem seiner letzten Einträge, dass jeder männliche Nachkomme in der von ihm aufgestellten Ahnenreihe immer jünger verstarb, »bis der zuletzt Geborene als ein Kind im schönsten Knabenalter schon dahinwelkte«.

Das Schicksal meinte es auch schon nach dem Tod der Ehefrau nicht immer gut mit ihm. Aus dem Handbuch seines Zeitgenossen erfahren wir, dass im September 1853 Peter Strubs Kuhstall und seine Scheune, »angefüllt mit Heu und Frucht«, niederbrannten[2]. Ob er deswegen aus Mangel an Platz und Futter im Folgejahr eines seiner Pferde verkaufte, lässt sich nicht sicher sagen[3]. Möglich wäre auch, dass er seine Ackerfläche reduziert hatte und ein Zugtier weniger benötigte. In den 1860er Jahren taucht Strub im Handbuch von Adam Probst III. und seinem Vorfahren Georg Wolf III. immer wieder als Verkäufer von Äckern auf. 1863 versteigerte er sogar gleich mehrere Parzellen auf einmal. Es macht den Eindruck, dass sich Strubs wirtschaftliche Verhältnisse verschlechtert hatten und er alleine mit seiner Mutter kaum noch alle anfallenden Arbeiten verrichten konnte. Das seelische Leid über den Verlust seiner Frau und später seines einzigen Kindes kamen hinzu.

In der fest gefügten ländlichen Eigentumsstruktur des 19. Jahrhunderts kamen größere Besitzungen selten auf den Markt. In Rheinhessen wurde das Erbe zwischen allen Kindern zu gleichen Teilen aufgeteilt. Wenn als Folge dieser Realteilung zwischen den Geschwistern ein Erbteil doch einmal zur Versteigerung stand, dann gab es nicht selten sehr lebhaftes Interesse und sich gegenseitig anstachelnde Bieter. Um den Grund und Boden von Strub, der ohne Nachkommen sterben sollte, mühten sich sicherlich etliche der mittleren und größeren Bauern im Dorf über viele Jahre. Ob daher im November 1868 »des Abends um sieben Uhr bei dunkler Nacht von einem Bösewicht ein Stein zwei Pfund schwer von der Straße her durch das Fenster in die Stube geschleudert«[4] wurde, lässt sich der kurzen Notiz Strubs in seinem Handbuch nicht entnehmen. »Der Stein flog durch eine Scheibe die zerbrach, daß die Splitter in der Stube herum flogen, der Stein selbst flog mit größter Gewalt meiner alten vierundsiebzigjährigen Mutter ganz nahe am Kopf vorbei. […] Der Stein wird zum Andenken an diese Frevelthat aufbewahrt«.

Es ist nicht ganz abwegig, dass sich mit dem Steinwurf, der in der erleuchteten Stube Mutter und Sohn hätte schwer verletzten können, ein unterlegener Bewerber um Äcker und Weinberge hatte revanchieren wollen. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich die Eigentumsnachfolge längst im Stillen geklärt. Peter Wagner V., der zusammen mit seiner Ehefrau über beträchtlichen Besitz an Weinbergen und Äckern im Dorf verfügte, hatte Strub und seine Mutter eine Erklärung unterschreiben lassen. Darin sicherten beide zu, dass sie alles, was sie noch besaßen, an niemand anderen als an Peter Wagner verkauften[5]. Dieser hatte sich somit im Kreis der Cousins und Cousinen durchgesetzt. Sicherlich dürfte ihm dabei hilfreich gewesen sein, dass Peter Strub als sein Taufpate fungiert hatte[6]. Mit diesem Vorkaufsrecht für das verbliebene Ackerland, die Weinberge und die Gebäude mit allen Gerätschaften war der Übergang des Besitzes der erlöschenden Familie Strub auf den sich im Dorf als einen der führenden Bauern positionierenden Peter Wagner V. eingeleitet.

Mit umfangreichen Um- und Neubauten an den Wirtschaftsgebäuden sowie der Errichtung eines neuen Wohnhauses durch seinen Sohn Johann Wagner IX. in den Folgejahren entwickelte sich der ehemalige Strub’sche Besitz in der Elsheimer Straße zu einem stattlichen Betrieb mit Landwirtschaft, Weinbau, Brennerei und einem florierenden Weinhandel. Peter Wagner V. wirtschaftete äußerst erfolgreich. In unserem Familienarchiv ist eine halbe Kiste Kaufverträge und Steigbriefe aus seiner Zeit überliefert.

Auch wenn Peter Strub vom Schicksal arg gebeutelt wurde, so scheint sich doch im Rückblick das kleine boshafte Gedicht seines Vaters Lorenz aus dem Hausbuch bewahrheitet zu haben[7]:

Mein Sohn Peter Strub

Ist gewesen ein schlechter Bub

Er hat verthan die ganze Sach

Daß Er selbst nichts mehr hatte hernach

So geht es in dieser Welt

Der Schlechte verhaseliert alles Geld

Und wenn Er dann am Bettelstab steht

Und sich rechts und links umdreht

Dann wirft Er die Schuld bald dahin bald dort

Denn immer fabelt er von Ort zu Ort

So einem ist nicht zu helfen und zu Rathen

Denn er stickt im Verderben bis zu den Waden

Da muß man sagen am sichersten bist Du

Wenn Du hast die ewige Ruh.

Vielleicht legt man in diese Spottverse auch zu viel Bedeutung, wenn man sie als den klagenden Warnruf des Vaters auslegt, der in den ersten...


Wagner, Andreas
Andreas Wagner ist Historiker, Winzer und Autor. Er hat Geschichte, Politikwissenschaft und Bohemistik in Leipzig und an der Karlsuniversität in Prag studiert. Zusammen mit seinen beiden Brüdern und ihren Familien leitet er seit 2003 den Familienbetrieb an den Hängen des Selztales. Die Arbeit zwischen den Reben dient ihm als Inspiration für seine Bücher. Neben wissenschaftlichen Arbeiten hat er mehrere Kriminalromane und Erzählungen veröffentlicht.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.