E-Book, Deutsch, 609 Seiten
Waldscheidt ERZÄHLPERSPEKTIVEN: Auktorial, personal, multiperspektivisch
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7529-2470-1
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Meisterkurs Romane schreiben
E-Book, Deutsch, 609 Seiten
ISBN: 978-3-7529-2470-1
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stephan Waldscheidt publiziert Bücher, Blog- und Zeitschriftenartikel über das Schreiben und Veröffentlichen von Romanen. Seine populäre Ratgeberreihe umfasst Ende 2020 achtzehn Titel wie 'Spannung & Suspense', 'Plot & Struktur' oder 'Schneller Bestseller', der den Indie-Autor-Preis der Leipziger Buchmesse gewann. Weitere sind in Vorbereitung. Daneben berät er Autoren persönlich und in Workshops. Er schreibt Romane unter verschiedenen Pseudonymen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Intro: Perspektiven
Schön, dass Sie hier sind
Die Wahl einer Erzählperspektive beeinflusst Ihren kompletten Roman und jedes einzelne Wort darin. Sie können nicht denselben Roman aus unterschiedlichen Perspektiven schreiben, nicht dieselbe Geschichte erzählen, nicht denselben Plot verwenden. Selbst Ihre Charaktere erscheinen anders, können mal Schurke sein, mal Held, im Recht oder im Unrecht, stark oder schwach, je nach der gewählten Perspektive.
Sprich: Die Erzählperspektive ist verdammt wichtig und eins der wirkmächtigsten Instrumente in Ihrem Schreiborchester. Sie ist zu essenziell, um vernachlässigt zu werden, bietet zu viel Potenzial zur Verbesserung und Optimierung Ihres Romans, um nebenbei abgehandelt zu werden, erleichtert Ihnen das Schreiben und Überarbeiten zu sehr, um ignoriert zu werden. Daher gehen wir in die Vollen und ans Eingemachte. Schnallen Sie sich an.
Wir legen los mit den Grundlagen und dem Potenzial der Erzählperspektive (Teil 1). Dort sehen wir uns eine zentrale Aufgabe der Perspektive an: das Schaffen einer vom Autor festgelegten Nähe oder Distanz zwischen Lesern und Charakteren, Story, Themen. In Teil 2 befassen wir uns mit der auktorialen Perspektive und ihrem, meist allwissenden und sichtbaren, Erzähler. Teil 3 behandelt die personalen Perspektiven von der Ich-Form über das Erzählen im »du« und der dritten Person Singular bis hin zu Exoten wie Erzähler, die als »wir« oder »man« schreiben. In Teil 4 gehen wir auf Romane ein, die aus der Sicht mehrerer Erzähler geschildert werden. Außerdem untersuchen wir dort Rahmenerzählungen, Hirnhopsen und die Perspektive des Antagonisten. Wir schließen im Teil 5 mit einem Fazit und grundsätzlichen Empfehlungen zur Wahl der Perspektive. Die Sie dann sehr viel qualifizierter und zweckgerichteter treffen können. Freuen Sie sich schon mal darauf.
Der sechste und wichtigste und zugleich der anspruchsvollste Teil steht nicht im Buch: In Teil 6 schreiben und überarbeiten Sie Ihren Roman und setzen das neu gewonnene Wissen inspiriert und praktisch ein und um. Es ist der schönste Teil. Es ist der Teil, der Ihren Roman auf eine neue Stufe heben wird. Was wetten wir?
Sie dürfen die Entscheidung für eine Perspektive nicht auf die Wahl eines Personalpronomens reduzieren und sie anschließend vergessen oder übergehen. So viel mehr steckt darin. Selbst wenn Sie annehmen, Sie hätten in Ihrem Roman die Möglichkeiten der Perspektive ausgereizt, werden Sie staunen, was alles noch geht – wenn Sie die ideale Perspektive dafür finden, sie adäquat umsetzen und pointiert optimieren. Erst dann kann auch Ihr Roman sein Potenzial entfalten.
Wenngleich sich das nach mehr Aufwand anhört, werden Sie merken, dass die Anpassung und Optimierung der Perspektive vieles beim Planen und Schreiben erheblich vereinfacht und Ihnen einige Überarbeitungsdurchgänge erspart – ebenso wie so manche Absage von Agenten und Verlagen. Weniger Arbeit und dafür mehr Erfolg? Klingt nach einem Deal, wie Sie ihn selbst am Black Friday nirgendwo sonst bekommen.
Dazu sehen wir uns eine Vielzahl anschaulicher Beispiele aus Romanen aller Genres an und bedienen uns bei Filmen und TV-Serien. Apropos: So nützlich der Blick auf Filme für Schreiben eines Romans auch häufig ist – die Perspektive im Roman gibt Ihnen etliche, dem Medium Buch ureigene, Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand. Dieser Ratgeber zeigt Ihnen, was Sie mit Erzählperspektiven literarisch und schreibhandwerklich alles anstellen können – eine Schatztruhe für Ihre Inspiration.
Übrigens …
Dieses Intro ist der einzige Teil des Buchs, in dem wenig direkt verwert- und umsetzbares Wissen oder Ideenausgangsmaterial steckt. Textmarker? Brauchen Sie keinen. Die Maxime lautet: Alles, was es nicht wert ist, von Ihnen, seinen Lesern, angestrichen zu werden, ist es nicht wert, ins Buch zu kommen. Aber falls Sie’s gerne bunt hätten, nur zu. (Hervorhebungen durch Fettsatz verschaffen einen schnellen Überblick, erleichtern die Orientierung und helfen beim Finden und Wiederfinden wichtiger Textstellen.)
Wenn Sie der Ansicht sind, aus Ihnen werde nie ein toller Autor, nie eine klasse Autorin, und Ihr Roman nie fertig oder nie gut, wird Sie »Erzählperspektiven« eines Besseren belehren. Sie schaffen das, mit dem fähigen Autor ebenso wie mit den hervorragenden Romanen. Ich freue mich, dass ich Sie dabei unterstützen darf.
Und wenn eine der vielen Perspektivideen hier perfekt für Ihren Roman ist? Dann dürfen Sie sie ebenso bedenken- wie hemmungslos klauen. All you can eat write, bedienen Sie sich!
Die Perspektive macht den Roman
Sie kennen die gängigen Perspektiven: Da erzählt jemand in der Ich-Form oder in der dritten Person Singular. Vielleicht weiß der Erzähler alles, womöglich sieht er nur so weit wie der Protagonist.
Es ist wie im Leben: Jeder hat seine ganz eigene Version derselben Geschichte. Die Versionen können so weit voneinander abweichen, dass ein Außenstehender sie nicht mal mehr als die gleiche Geschichte erkennen würde. Logisch, dass die Perspektive tatsächlich auch einen Roman erst zu diesem einen Roman macht: dem Roman des jeweiligen Erzählers, der aus seiner ganz eigenen Perspektive berichtet.
Die Wahl der Perspektive für Ihren Roman oder für einen Handlungsstrang treffen Sie vermutlich intuitiv. Das ist nicht unbedingt falsch. Aber damit ist es auch nicht automatisch richtig – so gut wie nie ist es optimal. Das Beste für Ihren Roman und Ihre Leser holen Sie dann heraus, wenn Sie exakt wissen, was für jede Perspektive spricht, wie Sie sie auswählen und auf welche Weise Sie sie bestmöglich einsetzen.
Denn die Erzählperspektive gehört zu den Aspekten beim Schreiben Ihres Romans, die alles andere beeinflussen. Jeden Satz schreiben und erzählen Sie aus einer ganz bestimmten Perspektive heraus, ja, selbst die Auswahl einzelner Wörter wird von der Perspektive beeinflusst, wenn nicht sogar geregelt und geprägt. Damit reiht sie sich ein in Aspekte wie den und seine , die nie isoliert wirken. Wir betrachten die Perspektive dennoch für sich, um klarer zu sehen.
Umgekehrt unterstützt und inspiriert Sie eine prägnante und konsistente Perspektive bei den meisten Romanbausteinen wie Plot und Charaktere, Spannung und Suspense, Emotionen und Identifikation, Beschreibungen und Setting, Sprache und Stil. Mehr noch: Das Schreiben aus der passenden und passend umgesetzten Erzählperspektive fällt Ihnen leichter, weil Sie exakter wissen, was Ihr Protagonist sehen, fühlen, beschreiben würde. Je tiefer Sie als Autor in der Perspektive drin sind, desto relevanter wird das, was Sie schreiben, desto klarer entstehen Bilder im Kopf Ihrer Leser, desto intensiver lassen Sie die Leser fühlen. Sie schreiben schneller, Sie schreiben besser, Sie schreiben präziser, Sie schreiben weniger Überflüssiges und haben selbst sehr viel mehr Spaß an Ihrer Geschichte, Ihren Figuren, Ihren Themen.[Fußnote 1]
Die Erzählperspektive ist eine Vereinbarung, die Sie als Autor mit Ihren Lesern treffen: Die Leser und Sie tun so, als würde der Roman nicht von Ihnen, der Autorin oder dem Autor, erzählt, sondern von einer Ihrer Schöpfungen: dem Erzähler[Fußnote 2].
So viel zur Theorie. Was wir uns in diesem Buch ganz praktisch ansehen werden, ist die Erzählperspektive als Standpunkt, den der Erzähler einnimmt. Im mehrdeutigen Wort schwingt neben der Perspektive passenderweise auch die des Erzählers mit. Die Erzählperspektive gibt an, aus welchem Blick- und, allgemeiner, aus welchem Wahrnehmungswinkel der Erzähler die Geschichte betrachtet, in welchem Emotionswinkel er sie spürt, aus welchem Intuitionswinkel er sich ihr annähert. Mit der Erzählperspektive lenkt und filtert der Erzähler die Wahrnehmung und die Gefühle der Leser. Sie sehen, das mit der enormen Bedeutung der Perspektive für Ihren Roman ist eher noch untertrieben.
Der vielen von Ihnen vertrauten Nomenklatur aus der amerikanischen Creative-Writing-Literatur folgend verwende ich für Erzählperspektive synonym den Begriff Point-of-View oder kurz POV.[Fußnote 3]
Übrigens …
Der Ausdruck »Perspektive« ist insofern missverständlich, als er (scheinbar) nur die visuellen Eindrücke meint. Besser passt da die in der Erzähltheorie verwendete Bezeichnung Fokalisierung. Da wir hier aber alles Praktiker sind, bleiben wir bei den im kreativen Schreiben gängigen Begriffen und vermeiden eine babylonische Sprachverwirrung.
Stellen Sie sich den Erzähler wie den Regisseur in einem Fernsehstudio vor. Bei einer Live-Übertragung eines Konzerts bestimmt er, welche Kamera welchen Standort (beim Schlagzeug) und welche Perspektive (über die Schulter des Schlagzeugers) einnimmt. Er legt fest, welche der Kameraeinstellungen dem Zuschauer gezeigt wird (beim Einzählen die Sticks des Drummers, beim Einsetzen der Leadgitarre eine Großaufnahme der Finger des Gitarristen). Anschließend lässt er herauszoomen, um den...