Walker | Hitlers Atombombe | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 38, 476 Seiten

Reihe: Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte - Neue Folge

Walker Hitlers Atombombe

Geschichte, Legende und das Erbe von Nationalsozialismus und Hiroshima
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8353-8819-2
Verlag: Wallstein Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Geschichte, Legende und das Erbe von Nationalsozialismus und Hiroshima

E-Book, Deutsch, Band 38, 476 Seiten

Reihe: Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte - Neue Folge

ISBN: 978-3-8353-8819-2
Verlag: Wallstein Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Legenden um eine Uranforschung im NS-Staat wirken bis heute nach. Mark Walker analysiert sowohl die Geschichte um »Hitlers Atombombe« als auch ihre Aufarbeitung in der Nachkriegszeit. Wer waren die Wissenschaftler, die während des Zweiten Weltkriegs für Hitlers Regime an Atombomben arbeiteten, und wie rechtfertigten sie sich später? Auf breiter und aktualisierter Quellenbasis untersucht Mark Walker die deutsche Forschung an Atomreaktoren und -waffen in der NS-Zeit sowie die dazugehörigen Debatten und Legenden der Nachkriegszeit. Er beleuchtet sie im Kontext des Kriegsverlaufs, im Vergleich zum Manhattan-Projekt und anhand ihrer verheerenden globalen Auswirkungen: Berichte über die deutsche Forschung beförderten die amerikanischen Anstrengungen und damit die Atombombenabwürfe auf Japan. Nach 1945 überschatteten die Verbrechen des NS-Staats und die Katastrophe von Hiroshima zunächst die Arbeit der deutschen Wissenschaftler, fachintern und öffentlich stieg jedoch der Rechtfertigungsdruck. Walkers Untersuchung erstreckt sich bis weit in die Nachkriegszeit und zeigt, wie sich die Vergangenheitspolitik der Akteure und die Narrative um »Hitlers Atombombe« entwickelten und bedingten, schließlich zur Rehabilitierung der Physiker führten. Walker liefert dadurch auch eine neue Lesart von Werner Heisenbergs und Carl Friedrich von Weizsäckers Besuch bei ihrem dänischen Kollegen Niels Bohr im Jahr 1941, einer der umstrittensten Episoden der modernen Wissenschaftsgeschichte.

Mark Walker, geb. 1959, ist Professor für Geschichte am Union College in Schenectady, New York, wo er seit 1987 unterrichtet. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts und der Entwicklung von Wissenschaft und Technik im Dritten Reich, u. a.: »Fremde« Wissenschaftler im Dritten Reich. Die Debye-Affäre im Kon- text (Hg. zus. mit Dieter Hoffmann, 2011); Physiker zwischen Autonomie und Anpassung. Die DPG im Dritten Reich (Hg. zus. mit Dieter Hoffmann, 2007); Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe (1990).
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2. Farm Hall


Ich hatte ein langes Gespräch mit Prof. Heisenberg, der von allen am vernünftigsten ist. Er erzählte mir, die Hauptsorge resultiere daraus, dass sie keine Nachricht von ihren Familien hätten. Er sagte ferner, sie vermuteten, dass ihr potentieller Wert nach den in ihren jeweiligen Instituten vorgefundenen Dokumenten beurteilt werde. Diese Dokumente vermittelten keine wahre Vorstellung von dem Umfang ihrer Versuche, die schon viel weiter gediehen seien als aus diesen Dokumenten hervorgehe, ja er behauptete, dass sie noch weiter vorangekommen seien, weil sie seit ihrer Internierung Einzelinformationen und -ergebnisse miteinander kombiniert hätten. Er bat um eine Gelegenheit, die ganze Sache mit britischen und amerikanischen Wissenschaftlern zu erörtern, um sie mit den jüngsten Theorien der Deutschen bekannt zu machen und einen Plan für die künftige Zusammenarbeit auszuarbeiten.

Major T. H. Rittner (15. Juni 1945).[1]

Internierung in Farm Hall


Zwei Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa (die kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem pazifischen Schauplatz dauerten zu diesem Zeitpunkt noch an) wurden zehn deutsche Naturwissenschaftler in einem Landhaus namens Farm Hall interniert. Aufgrund der in den Wänden versteckt angebrachten Mikrofone, mit denen ihre Gespräche belauscht wurden, wissen wir eine Menge über die Zeit, die sie dort verbrachten: von Anfang Juli 1945 bis kurz nach Neujahr.[2]

Nach zwei Wochen beschrieb der britische Offizier, der die Verantwortung für die inhaftierten Naturwissenschaftler trug, diese wie folgt:

[Max] von LAUE: Ein schüchterner, sanfter Mensch. Er kann nicht verstehen, warum er interniert ist. Er ist äußerst freundlich und ist England und Amerika gegenüber wohlgesinnt.

[Otto] HAHN: Ein Mann von Welt. Er hat sich von allen Professoren als am hilfsbereitesten erwiesen, und sein Humor und gesunder Menschenverstand haben bei zahlreichen Gelegenheiten die Situation gerettet. Gegenüber England und Amerika ist er entschieden freundlich eingestellt.

[Werner] HEISENBERG: Er ist sehr freundlich und hilfsbereit und, wie ich glaube, ehrlich bemüht, mit den englischen und amerikanischen Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten, obwohl er auch davon gesprochen hat, zu den Russen zu gehen.

[Walther] GERLACH: Hat eine sehr heitere Wesensart und man kann leicht mit ihm umgehen. Er scheint einen aufrichtig kooperativen Eindruck zu machen.

[Paul] HARTECK: Eine charmante Persönlichkeit, die nie Schwierigkeiten gemacht hat. Sein einziger Wunsch ist, mit seiner Arbeit voranzukommen. Da er Junggeselle ist, bereiten ihm die Verhältnisse in Deutschland weniger Sorgen als den anderen.

[Kurt] DIEBNER: Nach außen sehr freundlich, hat aber eine unangenehme Persönlichkeit, der man nicht trauen kann. Alle außer Bagge mögen ihn nicht.

[Carl Friedrich] von WEIZSÄCKER: Ein Diplomat. Hat sich stets sehr freundlich und kooperativ gezeigt und ist, wie ich glaube, aufrichtig bereit, mit England und Amerika zusammenzuarbeiten, aber er ist ein guter Deutscher.

[Karl] WIRTZ: Ein Egoist. Oberflächlich sehr freundlich, aber man kann ihm nicht trauen. Ich bezweifle, ob er kooperationsbereit ist, wenn es sich für ihn nicht lohnt.

[Erich] BAGGE: Ein ernster und hart arbeitender junger Mann. Er ist durch und durch deutsch, und es ist unwahrscheinlich, dass er kooperiert. Seine Freundschaft mit Diebner macht ihn verdächtig.

[Horst] KORSCHING: Ein völliges Rätsel. Er macht einen verdrießlichen und mürrischen Eindruck. Er macht nur selten den Mund auf. Seit der Ankunft in England ist er jedoch menschlicher geworden.[3]

Der Physiknobelpreisträger Max von Laue war der Außenseiter, weil er sich während des Krieges nicht an der Uranforschung beteiligt hatte – anders als die meisten Wissenschaftler am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik, wo er tätig war. Die Alliierten internierten die jungen Physiker Bagge (1912–1996) und Korsching (1912–1998), weil sie an neuen Verfahren der Uranisotopenanreicherung gearbeitet hatten. Der Chemiker Otto Hahn, wie von Laue ein älterer Herr, hatte als einer der Ersten erkannt, dass Uran spaltbar ist, und während des Krieges hatte er die Konsequenzen, die sich aus der Entdeckung der Kernspaltung ergaben, weiter erforscht. Paul Harteck (1902–1985), ein Physikochemiker und, abgesehen von Hahn, der einzige Nichtphysiker, war einer der wichtigsten Wissenschaftler gewesen; er leitete die Bemühungen sowohl zur Anreicherung von Uranisotopen als auch zur Herstellung von schwerem Wasser. Der wichtigste Verwaltungsfachmann der Arbeitsgruppe war Kurt Diebner, der eine hohe Position im Heereswaffenamt bekleidet hatte. Der Nobelpreisträger Werner Heisenberg, Mitbegründer der Quantenmechanik, verfasste Beiträge zur Theorie der Kernspaltung und über Kernreaktoren. Neben Harteck war Heisenberg einer der bedeutendsten Uranforscher Deutschlands. Karl Wirtz konzipierte unter Heisenberg Kernreaktorexperimente, während Carl Friedrich von Weizsäcker Heisenberg mit Arbeiten zur Kerntheorie unterstützte. Walther Gerlach schloss sich erst gegen Ende 1943 der kernphysikalischen Arbeitsgruppe an; er war für die Uranforschung sowie für Physik im Allgemeinen zuständig.

Abb. 1: Das Haus in Farm Hall.

Die Wissenschaftler selbst waren sich sicher, zu wissen, warum sie in Farm Hall waren: Mit einer Ausnahme waren sie in Kriegszeiten an einem Forschungsprojekt beteiligt gewesen, das dem Zweck diente, die durch Kernspaltung erzeugte Energie – in Form von Kernenergie und Kernwaffen – nutzbar zu machen. Wie Weizsäcker zu Wirtz sagte: »Diese Leute haben uns in ›Gewahrsam‹ genommen, zunächst weil sie uns für gefährlich halten, weil wir wirklich eine Menge mit Uran gemacht haben.«[4]

Wer war ein Nazi?


Der Untergang des Dritten Reichs und die anschließenden öffentlichen Enthüllungen über Gräueltaten und Kriegsverbrechen warfen naheliegende Fragen auf: Hatten diese Wissenschaftler die rassistische und mörderische Politik unterstützt beziehungsweise versucht, für das Dritte Reich mächtige neue Waffen zu entwickeln, und damit für Hitler gearbeitet? Bagge und Diebner gaben zu, Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gewesen zu sein, aber sie beteuerten, keine »Nazis« zu sein. Diebner behauptete, er sei nur deshalb in der NSDAP geblieben, weil ausschließlich Parteimitglieder gute Stellen bekommen hätten, wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte.[5] Bagge sagte, seine Mutter hätte, ohne sein Wissen, die Parteimitgliedschaft für ihn beantragt – was unwahrscheinlich war.[6]

Gerlach behauptete, niemand habe der NSDAP beitreten müssen. Sobald er den Raum verlassen hatte, fügte Bagge seinerseits hinzu, Gerlach habe Hermann Göring (1893–1946) persönlich gekannt und Gerlachs Bruder sei in der SS gewesen.[7] Andere Wissenschaftler, wie etwa Hahn, distanzierten sich ebenfalls von den Nazis. »Was hat Laue alles gegen den Nationalsozialismus unternommen, und auch ich glaube, dagegen gekämpft zu haben. Wir sind beide unschuldig […].«[8] Heisenberg, der bei weitem das größte Ansehen und den meisten Einfluss unter allen Wissenschaftlern in Farm Hall hatte, verteidigte Bagge gegenüber dem britischen Naturwissenschaftler Patrick Blackett (1897–1974), der ihn dort besuchte; er äußerte, sein jüngerer Kollege sei »nie das [gewesen], was man als fanatischen Nazi bezeichnen würde«. Er sagte Blackett ferner, Wirtz habe »politisch stets auf der guten Seite, auf unserer Seite« gestanden.[9] Diese Schwarz-Weiß-Dichotomie war typisch für die Art und Weise, wie die Wissenschaftler im Rückblick die Nazi-Frage behandelten: Man war entweder ein Nazi gewesen oder nicht. Aber bei Diebner zog Heisenberg die Grenze. Nachdem ein britischer Offizier angeregt hatte, die Wissenschaftler sollten ein Memorandum ihrer politischen Überzeugungen verfassen, sagte Heisenberg zu Hahn, falls in dem Memorandum eine allgemeine Anti-Nazi-Haltung formuliert würde und Diebner dieses unterschreibe, könne er das nicht mit gutem Gewissen ebenfalls tun. Letztendlich wichen sie in ihrem Memorandum solchen politischen Themen aus.

Die britischen Aufseher in Farm Hall mussten bei den Wissenschaftlern feststellen, dass die nationalsozialistische Ideologie nachwirkte. Einige Gefangene erklärten, es beunruhige sie in höchstem Maße, dass marokkanisch-französische Kolonialtruppen die schwäbischen Orte Hechingen und Tailfingen besetzten. Erich Bagge ging sogar so weit, zu sagen:

Und inzwischen ist meine Familie tot. Schließlich fühle ich mich für meine Familie verantwortlich. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Am ersten Tag trafen die Franzosen in Hechingen ein und vergewaltigten die Frauen eine nach der anderen [für den Vorwurf der Vergewaltigung gibt es keine Bestätigung], und ein paar Tage später haben sie mich abgeholt. An dem Tag, als ich weg musste, wurden drei Marokkaner im Haus einquartiert – das geht nun schon drei Monate so, und ich soll hier ein glückliches Gesicht machen. Ich werde noch wahnsinnig. Ich kann das nicht mehr aushalten.[10]

Als man den Internierten ein Exemplar der Zeitschrift...


Walker, Mark
Mark Walker, geb. 1959, ist Professor für Geschichte am Union College in Schenectady, New York, wo er seit 1987 unterrichtet.
Zahlreiche Veröffentlichungen zur Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts und der Entwicklung von Wissenschaft und Technik im Dritten Reich, u. a.: »Fremde« Wissenschaftler im Dritten Reich. Die Debye-Affäre im Kon- text (Hg. zus. mit Dieter Hoffmann, 2011); Physiker zwischen Autonomie und Anpassung. Die DPG im Dritten Reich (Hg. zus. mit Dieter Hoffmann, 2007); Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe (1990).



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