Westerkamp | Schrift, Bild, Handlung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 101 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

Westerkamp Schrift, Bild, Handlung

E-Book, Deutsch, 101 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

ISBN: 978-3-7873-4288-4
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Dieses Buch versammelt Beiträge zu einer Ästhetik der Schriftbildakte. Seine pointierten Essays widmen sich – an Beispielen von Werken René Magrittes, Joseph Beuys’ und Astrid Kleins – der Frage, wie wir mit, in und durch Schriftbilder handeln. Dirk Westerkamp thematisiert drei Arten möglicher Handlungsbezüge von Bild und Schrift. Schriftbildakte können – repräsentativ – Handlung mitteilen, berichten, erzählen. Sie können – evokativ – Handlungen auslösen, anmahnen, herausfordern. Und sie können – performativ – selbst Produkt, Wirkung, Ausführung einer Handlung sein.
Materialreich und exemplarisch behandeln die fünf Essays des Bandes Schriftbildhandlungen im aktuellen Film, in der modernen Gegenwartskunst, im mittelalterlichen Fresko und in der antiken Skulptur. Das Buch schaltet sich damit in die aktuelle bildwissenschaftliche, bildakttheoretische und diagrammatologische Diskussion ein. Westerkamp vertritt einen bildpragmatischen Ansatz, der philosophisch in einen kritischen Pragmatismus eingebettet ist. Zum Tragen kommt eine methodische Doppelperspektive, die den stärker deduktiven Zug der Theoriebildung mit dem eher deskriptiven Gestus konkreter Phänomenbeschreibung vermittelt.
Zwei programmatische Abschnitte rahmen die phänomenologischen Beiträge des Buchs, bündeln deren handlungstheoretische Überlegungen und stellen eine mögliche Typologie von Schriftbildakten (Scripicturalia) zur Diskussion.
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Sosehr Leap into the Void auf die »Ikonen der Moderne«34 referieren mag (explizit auf die berühmte Fotomontage Yves Kleins), so sehr indes wird der Bildgrund nicht bloß zum gelehrten Bildzitat, sondern auch zum sicheren Terrain. Denn nur hier, im Bildgrund, sind wir vor der Unsicherheit, Unbestimmtheit und Unleserlichkeit des Textes sicher. Nur hier ist das Zeigen eindeutig Zeigen und nicht mit der Zweideutigkeit des Sagens kontaminiert. Während die Schriftpartien als Figur des Bildes im Zwielicht bleiben, retten sich die Bildpartien in den Grund der Ikonizität. Das Ikonische lässt sich nicht lesen, es will und braucht nicht gelesen zu werden. Es enthebt uns des Lesezwangs, es befreit von der Last des Entzifferns und Dechiffrierens, es entlastet von semantischer oder syntaktischer Deutung des Textinhalts. Die Aufhebung des Texts ins Ikonische und damit die Aufhebung der Sukzessivität von Schrift in die Simultaneität des Bildes, schließlich die Aufhebung des Früher- und Späterseins von Buchstabenketten in das Zugleichsein von Farbe ist wohl das eigentliche Sujet dieses Schriftbildes. Zu diesem Zweck verkehrt sich in der »vertikalen Zentralkomposition«35 auch die gewohnte, horizontale Leserichtung. Der Kopf muss sich neigen, um die 90°-Linksdrehung der Schrift zu erfassen. Zugleich wird der Text in seiner Verwobenheit und Überlagerung von Buchstabenschichten tatsächlich Textur: eine Art Gewebe, aus dem keine Buchstabenfäden oder Syntagmen ohne Folgen für die gesamte Matrix herauszulösen wären. Wenn Tiefe durch die Schichtung von Oberflächen entsteht, dann erwecken die Schriftpartien von Leap into the Void nicht nur den Eindruck, sie würden im Bildgrund versanden – so als wäre das Skripturale als Figur ein bloßes Oberflächenphänomen (das Bodenlose), während das Ikonische als Bildgrund zum Boden der skripturalen Tatsachen wird. Es wirkt vielmehr, als würden die Schriftpartien zugleich tiefer in den Grund ragen; als würden sich Schrift und Farbe in einem Vexierbild konfundieren. Der Farbgrund ist keineswegs ein Erstes und die Schriftfiguration nur Zweites. Vielmehr oszillieren Figur und Grund, insofern der Grund – insbesondere auf der rechten Hälfte – in die roten Schriftfiguren ebenso übergeht, wie es die Schriftfiguren in den dunkelgrünen Malgrund tun. Wir verweilen dann an der Zeit dieses Oszillierens; wir kontemplieren den Zusammenfall der lagezeitlichen Modi. Das Früher und das Später heben sich in ihr Zugleichsein auf. 8.Kleine Typologie der Schriftbildakte
Die angeführten Beispiele künstlerischer Schriftbildakte mögen wertvolles Material für deren Phänomenologie liefern. Eine Theorie der Schriftbildakte wird indes von der materialen Beispielebene auf die systematische Begriffsebene wechseln müssen. Für die entsprechenden begrifflichen Distinktionen, die ihrerseits in eine Art Typologie der Schriftbildakte münden, bietet sich das triadische Bildrelationsmodell an (vgl. Tafel 1). Dieses muss nun, erstens, noch genauer als ein erklärungskräftiges Modell auch für Schriftbildhandlungen bestimmt werden; und es müssen, zweitens, die zentralen Begriffe: Schrift, Bild und Handlung aufeinander bezogen werden. Das triadische Bildrelationsmodell legt eine Typologie nahe, die Schriftbildhandlungen nach ihrer Blickgeste, nach ihrem Zeitverhältnis oder nach ihrer Darstellungsweise klassifiziert. Indem man Anblicksakte, Zeitakte und Darstellungsakte unterscheidet, würde man jeweils einen der drei Aspekte zur Dominante machen, aber nicht schlechthin von den beiden jeweils anderen trennen. Die Komposition der Schriftbildakte aus Schrift-, Bild- und Handlungsaspekt verlangt seinerseits sowohl nach einer genaueren Differenzierung der drei Aspekte als auch nach ihrer sinnvollen Bezugnahme aufeinander. Zunächst lassen sich Schriftbildakte schlicht danach unterscheiden, ob sie eher ihren Schrift- oder ihren Bildcharakter betonen. Man könnte argumentieren, dass Kriwets Rundscheibe XIII zwar ganz Schrift zu sein scheint, aber gänzlich auf deren Lesbarkeit verzichtet. Ihre Schrift ist weitgehend leserlich, aber nicht lesbar im Sinne eindeutigen Sinnverstehens. Wird die Rundscheibe durch diesen Verzicht des Sagens eher zum Bild? Ist sie eher ein Schriftbildakt oder ein Schriftbildakt? So unentscheidbar die Frage, so schwierig auch die Bestimmung ihres Handlungsaspekts. Gewiss: Kriwets Rundscheiben fordern, appellativ, zum Drehen auf. Sie »wollen« bewegt werden. Diese Intention haben sie evidenterweise aber nicht intrinsisch, sondern in abgeleiteter Intentionalität.36 Nicht die Schriftbilder selbst handeln, sondern wir handeln mit ihnen, durch sie oder angeregt von ihnen. Handlungen verlangen nach (bewusster oder unbewusster) Urheberschaft, haben in der Regel einen gewissen Vorsatz oder ein bestimmtes Motiv, vollziehen sich in einem faktischen Möglichkeitsspielraum und gründen in ihrer – zumindest nachträglichen – Offenbarkeit, Nachvollziehbarkeit oder Verstehbarkeit. Urheberschaft, Motive und Nachvollziehbarkeit sind nicht auf Individuen beschränkt, sondern gelten auch für kollektive Handlungen. Deren Wir-Intentionalität ist weder ganz ursprünglich noch bloß abgeleitet, sondern zusammengesetzt oder: reflektiert. Die Handelnden verstehen sich dann nicht nur als Ich oder Addition von Ichs, sondern als ein Wir. Ihre Handlungsintentionalität beugt sich in eine überindividuelle Absicht zurück und wird in diesem Sinn reflexiv. Nennt man, dem triadischen Bildmodell gemäß, Anblicksakte solche Schriftbildakte, die das Zeigen über das Sagen, das wahrnehmbare Phänomen über den denkbaren Sinn stellen, dann ließen sich ihnen zum Beispiel Kriwet’sche Rundscheiben, kalligraphische Ornamente oder auch raumbezogene Karten zuordnen. Darstellungsakte können dann solche Schriftbildakte heißen, in denen sich die Bildlichkeit einem kognitiv erfassbaren Sinn unterordnet: Programme, Tabellen, Operativa. Unter Operativa, um nur diese herauszugreifen, können Kalküle, Algorithmen, Schaltkreisdarstellungen, Beweisverfahren und dergleichen verstanden werden (vgl. Tafel 4). Sie lassen sich oft schriftbildlich ›einlesen‹ und mit einem Blick erfassen. Der Kettenschluss: p q q r p r gehört zu solchen Operativa, die bei einem etwas geübten Blick unmittelbar einleuchten. An ihnen kommt zum Tragen, was Kant reine Anschauung (Intuition) nennt: eine vorbegriffliche Erfassung, die schematisch-bildliche mit kognitiven Leistungen vermittelt. Der Handlungscharakter von Operativa besteht näher darin, einen Beweis zu führen, der in der Konklusion auf den Begriff gebracht wird. Der Schluss mag nicht sein eigener Urheber sein, doch erfüllt er eben jenen Geltungsanspruch, den er selbst erhebt. Zeitakte oder vielleicht besser: temporale Schriftbildakte wiederum bringen an ihnen selbst die Differenzen sowohl zwischen Betrachtungszeit, Handlungszeit und Entstehungszeit als auch zwischen Lage-, Modal- und Kontinualzeit zum Vorschein. Wo sie noch die äußere Form des Tafelbildes gewinnen, stellen sie diese Differenzen als Zeit im Stillstand dar – in gewissem Gegensatz zu schematischen Bildakten. Rotierende Schriftbildrundscheiben wären aufgrund ihrer äußerlich angestoßenen Bewegung zwar näher am schematischen Bildakt, werden aber ganz zum Schriftakt dort, wo erst die Rotation einen lesbaren Sinn zum Vorschein bringt. Bleibt ihr Handlungsaspekt: Was macht Schriftbildakte eigentlich zu Akten? Offenbar nicht einfach, nicht nur und nicht primär die Intentionen ihrer Urheberinnen. Was Astrid Klein mit Leap Into The Void im Einzelnen beabsichtigt hat, ist für den Gehalt des Werkes nicht entscheidend. Als evokativer Schriftbildakt bringt es uns zu scheiternden Leseversuchen. Das mag ein Motiv der Malerin und Grafikerin sein, würde sich aber auch ohne diese Intention einstellen. Die intrinsische Intentionalität seiner Urheberin kann folglich nicht das Hauptmoment eines Schriftbildaktes sein. Sein Gehalt erschließt sich aber auch nicht nur der Analyse seiner abgeleiteten Intentionalität oder liegt einfach in den Augen der Betrachterin. Die Beliebigkeit dessen, was jemand in etwas sehen mag, ist weder vollkommen irrelevant noch allein entscheidend für die Bedeutung von Schriftbildakten. Es scheint, als schwebe der Gehalt mindestens solcher Schriftbildakte, die sich als Kunstwerke auslegen, zwischen den drei Aspekten der einleitenden Urheberintentionalität, der abgeleiteten Werkintentionalität und der angeleiteten Betrachtungsintentionalität. Der Begriff der Werkintentionalität setzt sich evidenterweise Missverständnissen aus. Nicht gemeint ist, dass das Werk, ein Artefakt, selber etwas ›will‹. Gemeint ist seine objektive, beschreibbare Gestalt und Beschaffenheit, die sich allerdings äußerst verschiedenen Perspektiven aussetzt und dennoch einen Wesenskern behält. Man kann...


Westerkamp, Dirk
Dirk Westerkamp ist Professor für theoretische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Mitherausgeber der 'Zeitschrift für Kulturphilosophie'. Zuletzt erschien in der 'Blauen Reihe': Sachen und Sätze. Untersuchungen zur symbolischen Reflexion der Sprache (2014).

Dirk Westerkamp ist Professor für theoretische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Mitherausgeber der »Zeitschrift für Kulturphilosophie«. Zuletzt erschien in der »Blauen Reihe«: Sachen und Sätze. Untersuchungen zur symbolischen Reflexion der Sprache (2014).


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