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E-Book, Deutsch, 235 Seiten

Wetterling Medizinische Aspekte des Betreuungsrechts

Grundlagen und Praxis der ärztlichen Begutachtung und Behandlung

E-Book, Deutsch, 235 Seiten

ISBN: 978-3-17-032817-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



- Begutachtung im Betreuungs- und Unterbringungsverfahren
- Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit
- Behandlung von Betreuten und Untergebrachten
In Deutschland werden jährlich etwa 210 000 Betreuungen neu eingerichtet und es erfolgen über 55 000 Unterbringungen in psychiatrischen Kliniken. Die Erforderlichkeit ist in einem psychiatrischen Gutachten zu begründen. In diesem Buch werden die wesentlichen Aspekte der Begutachtung sowie auch der Behandlung unter Betreuung Stehender erörtert. Dabei sind umfangreiche juristische Vorgaben zu beachten. In diesen kommt der Einsichts- bzw. Einwilligungsfähigkeit große Bedeutung zu. Ausgehend von einem Modell der Einsichtsfähigkeit werden die mentalen Funktionsstörungen bei psychischen Erkrankungen und deren gutachterliche Bewertung hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit bzw. Einwilligungsfähigkeit dargestellt.
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1          Allgemeine Aspekte
    1.1       Rechtliche Grundlagen
In Deutschland kann nach Art. 2 des Grundgesetzes jeder über sein Leben selbst bestimmen: (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit kann aus in der Person des Betreffenden liegenden Gründen eingeschränkt sein. Hier sind v. a. zu nennen: •  Körperliche Einschränkungen oder Krankheiten •  Einschränkungen der geistigen Fähigkeiten zur Selbstbestimmung Für beide Fälle sind in Deutschland von staatlicher Seite Hilfen vorgesehen. Bei körperlichen Einschränkungen oder Krankheiten sind entsprechende Hilfen im Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt, v. a. im SGB XI: Elften Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung und auch im SGB V: Fünften Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung für erforderliche medizinische, pflegerische und soziale Maßnahmen. Bei Einschränkungen der geistigen Fähigkeiten zur Selbstbestimmung sind nach dem Betreuungsrecht bzw. dem Patientenrechtegesetz (Teilen des Bürgerlichen Gesetzbuchs [BGB]) verschiedene Regelungen für Rechtsgeschäfte möglich ( Tab. 1.1): Wenn der Betreffende eine Regelung für den Fall treffen will, dass er aus welchen Gründen auch immer (z. B. Unfall, Schlaganfall oder Demenz) nicht mehr in der Lage sein sollte, seinem Willen rechtskräftig Ausdruck zu verleihen, so kann er – solange er noch geschäftsfähig ist – einer Person seines Vertrauens eine Vorsorgevollmacht erteilen (z. B. BMJV, oJ1). Eine solche Vorsorgevollmacht kann sich auf einzelne oder alle Rechtsgeschäfte (Ausnahme: Eheschließung und Testamentserrichtung) beziehen. Sie tritt erst dann in Kraft, wenn der in der Vorsorgevollmacht genannte Fall (z. B. Einwilligungsunfähigkeit nach Schlaganfall) eingetreten ist. Er kann auch für den Fall einer schweren Erkrankung etc. eine Patientenverfügung (§ 1901a BGB) verfassen, in der geregelt ist, wie in einem solchen Fall verfahren werden soll. In einer solchen Verfügung ist eine Person zu benennen, die überwacht, dass die Bestimmungen in der Patientenverfügung eingehalten werden. Eine Patientenverfügung gilt nur für medizinische Heilmaßnahmen (z. B. BMJV, 2017). Solange der Betreffende noch geschäftsfähig ist (z. B. bei leichten kognitiven Störung zu Beginn einer Demenz) kann er einer Person seines Vertrauens eine Vollmacht für einzelne (z. B. Bankgeschäfte) oder alle Rechtsgeschäfte erteilen. Sie tritt mit der Unterzeichnung in Kraft. Wenn der Betreffende keine entsprechenden Regelungen getroffen hat, solange er noch von seinen geistigen Fähigkeiten dazu in der Lage war, und in einen Zustand gerät, in dem es ihm nicht mehr möglich ist, seine Angelegenheiten selbst zu bestimmen, so kann er beim Betreuungsgericht einen Betreuer beantragen, der seine Angelegenheiten besorgen soll. Er kann auch in einer Betreuungsverfügung vorzeitig festlegen, wer gegebenenfalls sein Betreuer werden soll (z. B. BMJV, oJ2; s. auch § 1901c BGB). Wenn der Betreffende nicht mehr in der Lage ist, selbst einen Betreuer zu beantragen, so kann dies (auf Anregung Dritter) von Amts wegen durch die Betreuungsstelle erfolgen. In diesen Fällen kann der Betroffene einen Vorschlag für seinen Betreuer machen, auch wenn keine Geschäftsfähigkeit oder keine natürliche Einsichtsfähigkeit mehr vorliegt (vgl. BGH, 15.12.2010 – XII ZB 165/10; BGH, 1.3.2011 – XII ZB 601/10). Es gilt entsprechend dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit das Prinzip: selbst gewählte Hilfe (Vollmacht) hat Vorrang vor staatlich/gerichtlich angeordneten Maßnahmen (Betreuerbestellung) (Subsidiaritätsgrundsatz). Eine Betreuung kann dennoch in bestimmten Fällen erforderlich werden, z. B. wenn die Vollmacht (z. B. für Bankgeschäfte) nicht ausreicht ( Kap. 2.8). Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf eine Betreuung nicht gegen den freien Willen des Betroffenen eingerichtet werden. Es ist daher ggf. zu prüfen, ob der Betroffene noch in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen (BGH, 9.2.2011 – XII ZB 526/10) ( Kap. 7.1). Tab. 1.1: Betreuung, Vollmacht und Verfügungen im Vergleich * Entsprechende Formulare des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz im internet (http://www.bmjv.de/DE/Service/Formulare/Formulare_node.html, Abruf am 11.11.2017). Nach der Rechtsprechung (BGH, 8.2.2017 – XII ZB 604/15) sind diese Zustände genau anzugeben. 1.2       Kreis der betroffenen Personen
Der Kreis der betroffenen Personen ist schwer zu bestimmen, denn niemand weiß, ob er nicht einmal z. B. durch einen Unfall oder eine plötzliche, schwere Erkrankung in einen Zustand gerät, in dem er selbst nicht mehr rechtskräftig entscheiden kann. Die Zahl der neu verfassten Vorsorgevollmachten ist in Deutschland in den letzten Jahren stetig angestiegen, im Jahr 2015 lag sie bei über 420.000. Die Gesamtzahl der registrierten Vorsorgevollmachten wird für Mitte 2016 mit über 3,2 Millionen angegeben (Deinert, 2016). Die Zahl der Patientenverfügungen ist nicht bekannt. Nach einer Befragung von über 85-Jährigen Nicht-Dementen haben etwa zwei Drittel eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht (Luck et al., 2017). Die Gesamtzahl der Betreuten in Deutschland ist in den letzten Jahren leicht rückläufig und betrug 2015 etwa 1,276 Millionen (entspricht etwa 1,6% der Gesamtbevölkerung) (Deinert, 2016). Die Zahl der 2015 erstmalig genehmigten Betreuungen betrug nicht ganz 210.000, und in 80.000 Fällen erfolgte eine Erweiterung oder Einschränkung sowie in etwa 150.000 Fällen eine Verlängerung einer bestehenden Betreuung. In über 55.000 Fällen wurden Unterbringungen in psychiatrischen Kliniken nach § 1906 Abs. 1 BGB genehmigt (Deinert, 2016). In den meisten dieser Fälle war eine psychiatrische Begutachtung erforderlich. In dem Betreuungsgesetz sind als potenziell betroffene Personen jene mit einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung genannt (§ 1896 Abs. 1 BGB). Eine genauere Definition erfolgt im BGB nicht. Da in Deutschland für die Diagnose von Erkrankungen die Vorgaben der ICD-10 (WHO, 1991) als verbindlich anzusehen sind, wird hier auf sie Bezug genommen. (Die WHO ist zur Zeit der Drucklegung noch dabei, die Ausarbeitung einer überarbeiteten Version, der ICD-11, abzuschließen [http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-11/index.htm; Abruf am 11.11.2017]). Grundsätzlich sind in Hinblick auf die Voraussetzung des § 1896 BGB alle in dem Kapitel V (F) »Psychische Störungen und Verhaltensstörungen« sowie eine Reihe der in Kapitel VI (G) »Krankheiten des Nervensystems« (G00–G47; G80–83) erwähnten Erkrankungen zu betrachten (http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2017/index.htm; Abruf am 11.11.2017). Die Zahl der Personen, die innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leiden, ist hoch und wird in Deutschland auf etwa ein Viertel der Bevölkerung geschätzt (Jacobi et al., 2014). Davon ist aber der größte Teil nicht in ärztlicher Behandlung. Bei der Abschätzung der Zahl derer, die nicht mehr in der Lage sind, selbst rechtskräftig zu entscheiden, ist zu bedenken, dass nicht alle psychischen Erkrankungen bzw. nicht alle Behinderungen mit einer Einschränkung der kognitiven und exekutiven Fähigkeiten einhergehen, die zur Bewältigung der eigenen Angelegenheiten von wesentlicher Bedeutung sind ( Kap. 7). Weiter ist auch zu bedenken, dass neuropsychiatrische Erkrankungen sehr unterschiedlich verlaufen können (z. B. akut und kurz, aber in vielen Fällen auch chronisch). Eine Betreuung wird vorwiegend bei chronischen Erkrankungen bzw. Behinderungen eingerichtet, besonders häufig bei (Zwischenbericht 2007 des Kölner ISG, s. Deinert, oJ 1): •  19,9% Demenz •  19,7% Mischbild Krankheit...


Professor Dr. Tilman Wetterling ist Neurologe und Psychiater. Er arbeitete als Chefarzt an einer Klinik für Psychiatrie in Berlin und lehrte an der Charité, Berlin.


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