Witte / Wittkamp | Taxi nach Rügen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Reihe: Ostseekrimi

Witte / Wittkamp Taxi nach Rügen

Radegasts erster Fall

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Reihe: Ostseekrimi

ISBN: 978-3-356-02199-8
Verlag: Hinstorff
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Thorsten Gramzow ist Taxifahrer auf Rügen. Und ausgerechnet der Fahrgast, den er in der vergangenen Nacht in der Nähe von Putbus aus seinem Auto rausgeschmissen hat, ist jetzt tot. Natürlich kommt ihm Fabian Radegast, Kriminalhauptkommissar aus Altefähr, schnell auf die Fersen.
Der Taxifahrer ist sein Hauptverdächtigter und er sucht nach Beweisen. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum Gramzows Leben aus der Bahn gerät; so soll er schließlich ein paar Fremde von der Fähre in Mukran abholen, und innerhalb kurzer Zeit wird er erneut mit dem Tod eines Mannes konfrontiert. Doch das schnelle Geld ist zu verlockend. Die Gruppe hat es auf ein paar seltene Oldtimer abgesehen, die einmal jährlich ihre Ralley auf der Ferieninsel durchführen. Und diese Chromjuwelen warten nur darauf, aus einer Binzer Hotelgarage entwendet zu werden! Kommt Gramzow aus diesem Strudel wieder heraus? Und wird Kommissar Radegast die Hintermänner zu fassen bekommen?
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EINS
Noch acht Minuten. Höchstens zehn. Allerhöchstens fünfzehn Minuten gab er sich noch. Dann würde er hier weg sein. Thorsten Gramzow hatte die Uhr direkt vor sich. 23.35 Uhr. Jetzt stand er schon über eine halbe Stunde vor dem hohen Hauptportal des Stralsunder Bahnhofs. Und wartete. Um 23.42 Uhr hielt hier der letzte Zug. Und vor ihm standen noch drei Kollegen. Könnte passieren, dass er gar keinen Fahrgast mehr abkriegen würde. Aber in fünfzehn Minuten war er hier weg. So oder so. Notfalls eben ohne Passagier. Scheiß auf die Kohle! NDR 2 spielte uralte Ohrwürmer zum Mitsingen. Er war noch nicht mal geboren gewesen, als das Zeug angesagt war. »Baby love, my sugar baby love«. Gramzow schloss die Augen, schob seinen Sitz nach hinten und fuhr die Rückenlehne in Richtung Waagerechte. Als Taxifahrer musst du deine Ruhezeiten nehmen, wo du sie kriegst. Im Prinzip gab’s ja mehr als genug davon. Bloß immer zur falschen Zeit. »Baby love«. Dabei hatte der Sonntag vielversprechend angefangen. Die Studentin, die er zum Seniorenheim Prohner Wiek gefahren hatte. Omas Geburtstag. »Sugar baby love«. Sie hatte ihm nicht gesagt, dass sie studieren würde. War überhaupt nicht gesprächig gewesen. Aber sexy. Trotz der Nerd-Brille irgendwie genau sein Typ. Sie musste ihm gar nichts über sich erzählen. Gramzow wusste auch so, woran er war. Er hatte Menschenkenntnis. Und Vorstellungsvermögen. Wenn du als Taxifahrer keine Menschenkenntnis hast, kannst du einpacken. Dass sie Studentin war, hatte er ihr angesehen. Nach zwei Minuten zusammen mit ihr in seiner Taxe kannte er sie in- und auswendig. Intuitiv. Er wusste genau, wie sie tickte, und hatte sie abgespeichert. Um bei Bedarf an sie zu denken. »My sugar baby love«. Gegen die Warterei und den ganzen anderen Dreck, der ihm so gegen den Strich ging, dass er manchmal ausrasten könnte. Sich eine Waffe besorgen und: Bäng! Aber er hatte sich ja im Griff. Jetzt könnte er seine Studentin aus einer Gruppe von dreißig Frauen herausfischen, sozusagen mit geschlossenen Augen. Gramzow fing an, sich dreißig Frauen vorzustellen, alle im richtigen Alter und eine schöner als die andere. Wie Models. Er wusste gar nicht, wo er zuerst hingucken sollte. Die Handflächen wurden feucht. Er rieb sie an den Oberschenkeln seiner Cargo-Hose trocken. Verdammt, jetzt hatte er die Studentin doch verloren. Er öffnete die Augen. Die Uhr neben dem Tacho zeigte 23.51 Uhr. Er hob den Kopf. Wie jetzt? Hatte er die letzte Fuhre verpennt? Nein. Die Kollegen vor ihm standen auch noch da. Also hatte der letzte Zug Verspätung. Mal wieder. Gramzow ließ den Kopf auf die Nackenstütze zurücksinken. Wenn er halb so unpünktlich wäre wie die Bahn, würde überhaupt keiner mehr ein Taxi bestellen. Er kehrte zu seinen dreißig Models zurück. Ließ sie in einer langen Reihe antreten, wie bei einer Gegenüberstellung. Gramzow im Dunkeln, die Frauen konnten ihn nicht sehen. »Kommt Ihnen eine dieser Personen bekannt vor?« – »Haben Sie eine von ihnen kürzlich gesehen?« Gramzow lächelte zufrieden. Da war sie wieder, seine Studentin. Er würde sie natürlich nicht ans Messer liefern. Sondern auf eine der anderen Frauen deuten. Aber auf welche? Dann ging er die Reihe durch. Von links nach rechts. Langsam und schweigend. Lass sie ruhig ein bisschen zappeln. Das mögen sie doch. Plötzlich ein dumpfer Knall, eher ein Wumms, den Gramzow bis in die Eingeweide seines Fahrersitzes spürte. Er schreckte hoch und brauchte eine Sekunde, bis er das Geräusch zuordnen konnte: Irgendjemand hatte gerade seine Kofferraumklappe zu gedonnert, als gäbe es kein Morgen. Im nächsten Moment wurde die hintere Tür aufgerissen. Ein Riese steckte den Kopf in seinen Wagen: »’n Abend. Hab ich Sie geweckt? Tut mir leid!« Gramzow fuhr den Sitz zurück in Position und angelte nach seinem Sicherheitsgurt: »Ich bin so was von ausgeschlafen, da träumen Sie von.« Seine Stimmbänder waren etwas belegt, und der Satz klang nicht halb so frisch, wie er ihn geplant hatte. Der Riese musterte ihn mit einem leicht spöttischen Gesichtsausdruck und schob sich auf die Rückbank. »Ich muss nach Baabe. Sie fahren doch nach Rügen?« »Ich fahre überall hin. Solange Sie zahlen.« Gramzow gab sich mürrisch. Das gelang ihm besser. Nicht anmerken lassen, dass diese Tour für ihn wie gemalt war. Um eins in Baabe, das hieß, um zwei im Bett. Gramzow knipste die Innenbeleuchtung aus und startete den Motor. »Mir ist es gleich, ob du über Bergen oder über Putbus fährst. Hauptsache schnell«, ließ sich der Riese von hinten vernehmen. »Den Taxameter kannst du auslassen, wenn du willst. Fünfundvierzig Euro, einverstanden?« Für einen flüchtigen Moment störte sich Gramzow an dem Du. Aber er entschloss sich, das zu ignorieren. Fünfundvierzig Euro waren okay. Und steuerfrei sogar sehr okay. Als er vom Bahnhofsvorplatz auf den Tribseer Damm eingebogen war, warf er einen Blick in den Rückspiegel. Der Riese kannte sich also aus. Einer von der Insel? Das Gesicht, das kurzzeitig von einer Laterne am Fahrbahnrand erleuchtet wurde, hatte immer noch dieses leicht spöttische Grinsen. Ansonsten sagte es ihm nichts. Er kannte zwar jede Menge Leute von der Insel. Aber alle auch nicht. Ging ja auch gar nicht. Dazu war Rügen zu groß. Schräg vor ihnen tauchte ein unwirkliches, kaltweißes Flutlichtband auf, das sich in den schwarzen Nachthimmel schwang. Die neue Brücke. Hatte jetzt auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Gramzow überlegte, wann genau die eröffnet worden war. Egal. Für ihn würde das immer die neue Brücke bleiben. Er war schließlich noch mit dem alten Rügendamm groß geworden. Sie fuhren die Rampe hoch und der NDR spielte Bridge Over Troubled Water, eine Sixtiesnummer von Simon and Garfunkel. »When you’re weary, feeling sad …« Das Flutlicht der Brücke gab Gramzow Gelegenheit, den Riesen im Rückspiegel ausführlich zu studieren. Ein paar Jahre älter als er, so um die fünfunddreißig, nicht nur zu groß, sondern auch zu schwer. Mindestens hundertzehn Kilo. Hielt sich offenbar für eine richtig große Nummer. Leinensakko, dieses spöttische Grinsen, das Duzen, überhaupt der ganze Auftritt. Irgendwas an ihm störte Gramzow gewaltig. Er beschloss, seinen Fahrgast nicht zu mögen. Jetzt fing der auch noch an, mitzusummen. »Like a bridge over troubled water …« Gramzow schaltete das Radio aus. Einen Augenblick Stille, dann brummte der Riese unbeirrt weiter. »Sail on Silver Girl, sail on by. Your time has come to shine … Silver Girl«. Gramzow atmete einmal tief durch und suchte nach seiner abgespeicherten Studentin. Für solche Situationen, ganz genau für solche. Von den dreißig Models waren nur noch vier übrig, die anderen schon verschwunden. Die Gegenüberstellung hatte sich offenbar erledigt. Sie waren frei, zu gehen. Als Erstes schwebte Gramzow ein nächtlicher Spaziergang am Strand vor, Mondlicht, Meeresrauschen, Händchenhalten, das volle Aufwärmprogramm. Er hätte natürlich eine Flasche Prosecco dabei – so was mögen Studentinnen garantiert –, um der aufgehenden Sonne zuzuprosten. Und dann fast beiläufig die Frage: »Zu dir oder zu mir?« Gramzow sah sich mit ihr für einen kurzen Moment vor der Tür seiner Einraumwohnung in Bergen. Definitiv keine gute Idee. Also zu ihr. Oder in ein Hotel? Gleich zeigen, dass man nicht knauserig ist. Und Stil hat. Der Riese von der Rückbank grunzte. »Kannst du mal die Klimaanlage anmachen? Mir ist ganz schön warm.« Gramzow streckte die Hand nach dem Schalter aus. Im letzten Moment fiel ihm ein, dass er den Typen ja nicht mochte. »Ist kaputt. Der Wagen geht morgen in die Werkstatt.« Der Riese musste kapieren, dass hier nicht alles nach seiner Nase läuft. »Schiebedach?« »Geht auch nicht. Hängt alles am selben Stromkreis.« Mit einer verstohlenen Handbewegung blockierte Gramzow die Schalter der elektrischen Fensterheber. Soll der da hinten in seinem Saft schmoren. Oder abnehmen. Kurz vor Samtens sah Gramzow im Innenspiegel, wie der Riese sich mühsam aus seinem Leinensakko schälte. Der Taxifahrer wollte die Tour jetzt so schnell wie möglich hinter sich bringen, wäre da nicht diese Vollsperrung an der Ampel in Teschenhagen kurz vor Bergen. Gegen 22.00 Uhr hatte dort ein Rüganer Jugendlicher mit einem tiefergelegten Etwas einem Bierlaster die Vorfahrt genommen. Dessen Auflieger samt Ladung versperrte dort immer noch die Fahrbahn. Also runter von der dreispurigen Straße B 96n, die Nebenstrecke über Garz und Putbus. Da war um diese Zeit so gut wie keiner unterwegs. Fernlicht an und lass die Karre laufen. Gramzow liebte es, nachts unterwegs zu sein. Besonders im Sommer. In der Taxe machte sich ein süßlich-klebriger Geruch breit. Das kam von draußen: Raps. Ein knallgelbes, fast verblühtes Meer...


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