E-Book, Deutsch, 248 Seiten
Wolf Sinnbild
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7528-9023-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-3-7528-9023-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael ist Anfang 40 und steckt mitten in der Midlife-Crisis. Obwohl er eine gesicherte Existenz hat, voll im Berufsleben steht und mehr besitzt als er zum Leben braucht, verirrt er sich immer mehr in einem Gedankenchaos. Getrieben von Langeweile, Unzufriedenheit und der Monotonie des Alltags, flüchtet er in die Arme einer Prostituierten. Geplagt von Albträumen und dem schlechten Gewissen gegenüber seiner Frau, stürzt er in eine tiefe Sinnkrise. Nicht ahnend, dass seine Frau ebenfalls das Neue sucht. Bis zu dem Tag, als seine Ehefrau spurlos verschwindet und er von einem unbekannten Telefonanrufer terrorisiert wird. Ein Buch über den Wahnsinn des Lebens und den Sinn der Endlichkeit. Das Erkennen des Glücks, das Finden der Zufriedenheit und der Wertschätzung der Langeweile. Und sind wir uns dessen bewusst, dass nur die Vergangenheit bestand hat, wenn einem alles genommen wurde?
Autoren/Hrsg.
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VIER
Ingo behauptete, ich würde nur einen Umweg zu meiner Arbeit nehmen, weil ich „nach Nutten schauen“ wollte. Er machte darüber jedes Mal seine Späße, machte sich irgendwie lustig über mich. Ich antwortete nie darauf.
Ich ertrug sie mit meinem Schweigen.
Denn er hatte Recht.
Mein angeblicher Umweg führte durch einen Wald, der in eine Lichtung überging. Eine typische Landstraße, auf der man 100 km/h fahren konnte. Der Übergang in den Wald wurde auf 70 km/h gedrosselt. Warum das so war, kann ich nicht erklären. Wahrscheinlich wegen der Unfallgefahr durch einen Wildwechsel.
Umweltschutzbestimmungen oder einfach, um den Lärm, der durch die Autofahrer verursacht wurde, aus dem Wald zu halten. Die Straße erstreckte sich über zehn Kilometer und führte in einem großen Bogen um die Stadt. Ich rechnete nach und stoppte die Zeit, um die Wege später zu vergleichen. Ich wollte Ingo beweisen, dass es einen zeitlichen Unterschied gab.
Die Straße sollte den Durchgangsverkehr aus der Stadt in den Wald führen. Eine Umgehungsstraße. Die andere Strecke verlief geradewegs durch die Stadt, wurde aber durch fünf Ampelanlagen unterbrochen. Diese standen gefühlsmäßig immer auf Rot. Die Strecke durch die Stadt betrug nur sechs Kilometer, dauerte aber länger. Für mich war es kein Umweg, sondern die logische Konsequenz. Mein Mitfahrer beharrte darauf: „Du machst das, um die Nutten zu begaffen, stimmt's!?“.
Daher brachte jede Diskussion mit meinem Mitfahrer nichts. Und obwohl ich ihm die Ergebnisse zeigte und einen Beweis erbrachte, interessierte es ihn nicht!
Ingo ebenfalls überzeugt, „er hätte nur ein Bier getrunken!“, als er von der Polizei angehalten wurde. Das Alkoholmessgerät zeigte einen viel höheren Wert an, als er es sich vorstellen konnte. Trotz der Diskussion mit der Polizei und der Beteuerung, „es sei wirklich nur ein Bier gewesen“ ließen sich die Polizisten und später auch die „Flensburgerpunktejury“ nicht erweichen.
Jeder Protest und selbst das Abstreiten der Tat führte erbarmungslos zu einem Fahrverbot von drei Monaten und einer dicken Geldprämie für den Staat. Ingo ärgerte sich immer noch über die „ungerechte“ Behandlung, da er annahm, dass die Polizisten und er „Berufskollegen“ seien, durch die Verbeamtung, „quasi Leidensgenossen.“
Er stierte selbst die Nutten an und berichtete mir immer ausführlich, was er mit ihnen anstellen würde. Ingo wusste genau, was diese Art Frauen wollten und brauchten. Er nannte mir Preise und prahlte mit seinen früheren Besuchen. Er gestand sogar offen, wenn es „seine Alte daheim nicht brachte“ oder keinen Bock auf ihn hatte, würde er solche Frauen bezahlen. Natürlich nicht in diesem Wohnwagenpuff. Ingo bezahlte mehr und ging in einen seriösen Club. Ob ich nicht mal mit wollte? Ich verneinte und beteuerte immer wieder, ich sei glücklich verheiratet.
Mit dem ständigen Anhören des Geredes wuchs in mir ein Verlangen, das ich aber unterdrücken konnte. Bis zu dem verhängnisvollen Tag.
Der Anfang meiner Untreue und das Ende meiner Zuversicht, das alles könnte mit Vertrauen und Ehrlichkeit aus der Welt geräumt werden. Ich, mit meinen verdammten perversen und unerfüllten sexuellen Sehnsüchten, zerstörte alles!
Ich nahm Ingo jeden Tag mit. Er bedankte sich niemals und hielt es auch nicht für nötig, sich an den Benzinkosten zu beteiligen.
Er sparte dadurch das Geld für den Bus und wurde direkt zu unserer Dienststelle gebracht. Im Grunde konnte es mir egal sein, weil ich den Weg sowieso fahren musste. Aber er hätte sich ja mal erkenntlich zeigen können! Den Ärger darüber, dass meine Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft ausgenutzt wurde, schluckte ich herunter. Stattdessen dankte er es mir mit seinen blöden Kommentaren.
Obwohl er mit dem „Nach-den-Nutten-schauen“ Recht hatte, ärgerte ich mich über das blöde Gerede und fuhr, stur, jeden Tag „meine“ Umgehungsstraße. Ich hatte das Bedürfnis, mir Nutten anzuschauen! Ingo ertappte mich und dafür hasste ich ihn. Denn er hatte Recht!
Auf dieser Umgehungsstraße kam auf der Hälfte der zehn Kilometer ein ausgeschilderter, abseits gelegener Parkplatz. Von der Straße aus schlecht einsehbar. Versteckt, und vor den Blicken der vorbeifahrenden Autos geschützt. Eine schlecht gepflasterte Straße, die über 20 Meter auf einen großen, mit Kies ausgelegten Platz führte. Darauf standen fünf Wohnwagen und es war reichlich Platz für die Autos der Kunden. Jeden Tag stand an dieser Einfahrt eine andere Dame, die „Besucher“ begrüßte. Auf diesen Blickfang hatte ich es abgesehen. Ich fuhr diese Strecke schon Monate und daher erkannte ich eine Regelmäßigkeit.
Jeden Tag der Woche stand eine andere Frau. Anscheinend hatte jede Prostituierte ihren festen Wochentag. Falls mal keine an der Einfahrt stand, vermutete ich: „Die wird es gerade besorgt bekommen.“
Ich versuchte niemals zu starren oder zu gaffen. Ich ließ meinen Blick über die Frauen schweifen und versuchte ihren Blick zu erhaschen. Sie standen dort bei jedem Wetter mit tiefen Ausschnitten und kurzen Röcken. Manche rauchten dabei. Mir fiel mein Mitfahrer Ingo ein, wie er einmal sagte: „Frauen, die rauchen, schlucken auch!“
Ich schaute sie mir nur für einen kurzen Moment an und versuchte, mir hinter dieser Fassade der gespielten Lust ein „normales und bürgerliches Leben“ vorzustellen. Es gelang mir nicht. Mich interessierte auch nicht, ob sie alles schluckten!
Für mich waren diese Frauen, die sich für Geld benutzen ließen, menschliche Objekte. Menschen dritter Klasse, die nichts anderes im Sinn hatten, als Geld mit nichts als ihren Körpern zu verdienen. Ich verschwendete niemals einen Gedanken daran, ob die Frauen das aus einer Zwangslage heraus machen mussten. Mussten sie für die eigene Familie anschaffen, damit ihre Familie ein besseres Leben führen konnte?
Wurden sie von Menschenhändlern verschleppt, die ein besseres Leben in Deutschland versprachen?
Mich interessierte ebenfalls nicht, ob die Frauen sozialversicherungspflichtig arbeiteten oder ob die Dienste einer Schlampe strafbar sind. Handelten sie aus einer Notlage heraus?
Egal. Ich benutzte sie als Vorlagen für meine Fantasien. Die Frauen waren in eine Abhängigkeit geraten. In Abhängigkeiten von einem Stück Papier, das wir als Zahlungsmittel benutzen.
Ich konnte mir die Konturen ihrer Gesichter einprägen, ihre Blicke einsaugen, als wäre es ein Geruch. Ich konnte jede Pore ihrer prallen Brüste in meinen Händen spüren. Ich sah das Sperma in ihr Gesicht fliegen, wenn ich kam. Ich spürte die Wärme auf meiner Hand und stellte mir ihren Mund vor und ihre schmatzenden Lippen, während ich dabei alles in einem Taschentuch verteilte.
Ich verspürte nie die Lust auf mehr. Nie Lust nach wirklicher körperlicher und verruchter Nähe. Mich hat nie der Mut gepackt, für diese Frauen mein Geld auszugeben. Während ich mich selbst befriedigte hatte ich niemals ein schlechtes Gewissen gegenüber meiner geliebten Frau und meinem Kind.
Das Problem der angewöhnten Regelmäßigkeit war die Routine, die mit meiner Selbstbefriedigung keine Erfüllung mehr brachte. Es wurde zur Gewohnheit. Langweilig. Langeweile wurde gefährlich für einen Mann, der pessimistisch gesehen, die Hälfte seines Lebens hinter sich hatte. So wurde meine Art der Befriedigung, genauso wie der regelmäßige Geschlechtsverkehr mit meiner Frau, langweilig.
Das Neue fehlte. Ich kann nicht sagen, ob es die Sehnsucht nach einer neuen Frau war, oder einfach nur die Spontanität, die mich durchfuhr.
Vielleicht auch das dauernde und anhaltende Gerede von Ingo, von seinen Schilderungen und Fantasien. Das Schlimmste an all dem Geschwätz war, dass wir fast die gleichen Vorstellungen hatten. Wir hatten beide keine Lust auf normalen, liebevollen Sex. Wir wollten vögeln. Den Partner nehmen, primitiv und lustvoll benutzen, den Kopf ausschalten und sich der Wollust hingeben. Keine Fragen und kein Gewissen zulassen.
Er redete darüber und ich dachte insgeheim für mich darüber nach. Ich fühlte in diesem Augenblick eine tiefe Leere, die mich schon die ganzen Monate heimsuchte. Mir fehlte die Richtung, der Sinn. Ich hatte alles und war doch nicht zufrieden.
Mir fehlte der Hochmut, mir fehlte der tiefe Abgrund. Ich suchte nach einem Ausgleich. Etwas Unbekanntem. Etwas Verbotenem, um wieder ein neues Lebensgefühl zu bekommen. Die Routine fraß sich in meine Seele. Schleichend wurde der Alltag und mir wurde langweilig. Eine Leere floss in meinen Tag und füllte meinen Geist.
Ich wurde unzufrieden. Mir fehlte der Höhepunkt. Ein neuer Reiz. Die Herausforderung! Ein Ziel, für das es sich zu arbeiten lohnt. Ich vergaß den Wohlstand und die Zufriedenheit, die ich mir in den letzten Jahren aufgebaut hatte. Ich vergaß meine Vergangenheit mit der Zufriedenheit und warf meine Zukunft...




