E-Book, Deutsch, 620 Seiten
Wolzogen Ihre schönsten Erzählungen
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3928-0
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 620 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3928-0
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Caroline von Wolzogen war die Schwägerin Friedrich Schillers und Autorin verschiedener Romane und Erzählungen. In diesem Band finden sich die folgenden Geschichten: Das Stumpfnäschen Die Heilung der Natur Walther und Nanny Edmund und Emma Anna. Eine Geschichte in Briefen aus der Reformations-Zeit Treue über Alles Die Zigeuner
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Die Heilung der Natur
Die Hoffnung auf Genesung, die heitern Sommertage, die anmuthige Gegend und Vergnügungen aller Art versammelten in dem Bade zu *** eine zahlreiche Gesellschaft. Eitelkeit, Leerheit, Gefallsucht, knüpften manches leichtsinnige, – Geschmack, Geist und Güte manches zarte Band. Die Gesellschaft theilte sich auf diese Weise in verschiedene Gruppen ab.
Nur zwei ernste Gestalten gingen einsam unter den Frohgeselligen einher, und widerstanden aller Anziehungskraft, die man über sie auszuüben strebte. Da Jeder mit seinem Theil zufrieden war, gab man sie endlich auf, und begnügte sich damit, sie in müßigen Augenblicken mit kleinen Neckereien zu verfolgen.
Ein gleicher Gemüthszustand und das Aufgeben der Gesellschaft knüpften die erste Verbindung unter ihnen, die die Gewohnheit bald befestigte. Ihre Gespräche umfaßten Wissenschaft, Politik des Tages, Kunstansichten; sie begegneten sich in ihren Urtheilen und Grundsätzen, und fingen an sich immer vollkommener zu verstehen.
Jeder bemerkte an dem Andern eine gewisse Sonderbarkeit. Sobald das Gespräch auf die Frauen und zärtliche Neigung fiel, erfolgte eine ernste Stille, und gewöhnlich schied man auseinander, ohne sich wieder erheitert zu haben. »Ich ahne, sagte Lothar, welcher der Jüngste unter den Beiden war, eines Abends zu Arthur, ja es ist mir beinahe gewiß, daß das Schicksal uns auf gleiche Weise in einem Punct behandelt habe. Wir haben von Liebe geträumt, und unsanft hat uns das Geschick aus den süßen Träumen erweckt. Verführerische Syrenen, euer Zaubergesang soll mich nimmermehr wieder besiegen. Ihr lockt uns in die dunkle Kluft des Wahnsinnes hinab, wo Verirrung auf Verirrung folgt, bis wir uns selbst im zerstörenden Schmerz und Sehnen nicht mehr erkennen.«
»O! ich muß Sie noch glücklich nennen, erwiederte Arthur, daß Sie die Ursache Ihres Unmuths außer sich suchen dürfen. Ich hingegen muß immer in mich selbst zurückschauen! – Eigene Schuld hält mein Gemüth gebunden, alle fröhlichen Lebenseindrücke muß ich von mir weisen. Ja, mein einziger Trost ist, meinen innern Unfrieden als eine Stufe zur Versöhnung mit dem Schicksale oder vielmehr mit meinem bessern Selbst anzusehen.«
»Wir wollen uns den gegenseitigen Trost des vollkommenen Vertrauens gewähren! rief Lothar. Oft gewinnen die traurigsten Begebenheiten ein milderes Licht in unsrer Seele, wenn wir sie in Bildern und Worten von dem dunklen Grund des stummen einförmigen Schmerzens losreißen. Hier ist's zu geräuschvoll; lassen Sie uns morgen nach dem Garten des Baron Linden fahren, und den Tag in ungestörter Einsamkeit dort zubringen. Schon oft hörte ich davon, und gedachte ihn zu sehen. Er soll die unsinnigen Anlagen seines verstorbenen Vaters auf eine schöne Weise wieder mit dem Eigenthümlichen der Gegend zu verbinden suchen, und Geschmack und Gemüthlichkeit soll allmählig das phantastisch-tolle Wesen verdrängen.« Am nächsten Morgen stiegen sie in den Wagen, und saßen während des Weges schweigend neben einander. Jeder dachte nach, wie er seine Geschichte am besten stellen könne, um die Theilnahme des Freundes zu erregen. Wahr wollten Beide seyn, aber die Liebe wirft immer den zauberischen Schimmer der Poesie um Gefühle und Begebenheiten, da sie selbst die Poesie des Herzens ist, der prometheische Funken des Lebens, der Vergangenheit und Zukunft durch Erinnerung und Hoffnung im Menschen verknüpft.
Eine wunderbare Felsen-Gegend, die ihnen gleichsam den Weg zu versperren schien, erregte ihre Aufmerksamkeit. Durch eine dieser Schluchten erblickten sie den Park, welchen eine ernste Trümmer der Vorzeit krönte, aber auch nachgemachte Ruinen, die man abzutragen beschäftigt war. Sie nahmen den ersten besten Ruheplatz ein, wo ihre Diener das Frühstück aufgetragen hatten. Eine elende Theaterdecoration verband zwei ernste Felsen durch eine auf Leinwand gemahlte Aussicht.
Die Strahlen der Morgen-Sonne erleuchteten die Felsenmassen gegenüber aufs herrlichste, und nach einigen Scherzen über den Ungeschmack, der kleinliche Verzierungen neben die großen dauernden Natur-Gestalten gedrängt hatte, sagte Lothar: »Fangen Sie an, mein Freund; wenn ein theilnehmendes Herz Anspruch auf Ihr Vertrauen gewähren kann, so fühle ich mich dessen nicht unwerth.« Arthur begann also: Der Entschluß, Ihnen die Geschichte meiner Leiden und Verirrungen zu erzählen, regt alle Töne des Schmerzens in meiner Brust auf; aber ich sehe es als eine Art Versöhnung der Nemesis an, diese Schmerzen wieder in mir lebendig werden zu lassen. Wie durch die Weltgeschichte, schreitet die ernste strenge Göttin auch durch jedes einzelne Menschenleben. Selbsterkenntniß und Uebung der Liebe sind die einzigen Sühnopfer, die ihre Strenge zu wenden vermögen. Aber kein Strahl der Hoffnung auf Liebesglück fällt in mein verödetes Herz. Ich habe verlassen die reine treue Liebe, und werde nun wieder verlassen! Kein liebendes Gefühl begegnet dem heißen Sehnen meiner Brust, und die fruchtbeladenen Zweige entfernen sich ewig von den lechzenden Lippen. – Nun an das Historische. Im zwei und zwanzigsten Jahre kehrte ich von der Hohen Schule nach meiner Vaterstadt zurück. Ich war der einzige Sohn, in dessen Ausbildung und Lebensglück ein liebender Vater die Früchte eines langen anhaltenden Fleißes niederlegen und selbst erst recht genießen wollte. Meine Studien waren auf Länderkenntniß und Oekonomie vorzüglich gerichtet, und die Rechtsgelehrsamkeit, die mir zur Einsicht unserer eigenen Verhältnisse, so wie zu einem öffentlichen Amte in der damaligen Reichstadt verhelfen sollte, schloß sich an. Freudig griff ich nach des Vaters Willen in die Leitung unsrer Geschäfte ein. Seine Sorgfalt für meine Zukunft mahnte mich an die Pflicht, seine Gegenwart zu erleichtern und zu erheitern. Im lebendigen Gefühle des Dankes für elterliche Liebe überwand ich die kleinen Mühseeligkeiten und meine mehr nach Wissenschaft und Kunst strebenden Neigungen. Doch fanden auch diese Raum in einem reichlichen harmonischen Daseyn, im Gebrauch einer schönen Büchersammlung und in dem Umgang mit gleichgesinnten Freunden. In meines Vaters Hause stand eine Reihe freundlicher Zimmer leer, und in einem anmuthigen Garten vor der Stadt war ein Nebengebäude geschmackvoll für eine neue Wirthschaft eingerichtet. Die Mutter zeigte mir diese Räume mit liebevoller Geschäftigkeit, und sagte endlich: »Lieber Sohn, schmücke dieses Alles nun selbst mit der besten Zierde des Hauses, mit einer schönen und guten Frau!« Mehrere flüchtige Neigungen hatten an meinem Herzen hingestreift. Ein Ideal weiblicher Liebenswürdigket wohnte in demselben, und verdrängte die Gestalten, die es in überschäumender Jugend und Lebensfülle ergriffen hatte. Ein Kranz blühender Jungfrauen schmückte die geselligen Versammlungen in meiner Vaterstadt; aber keine dieser holden Blumen lockte mich, sie an meinen Busen zu heften. Die Mutter wagte nur leise Deutungen über den Reiz, die Sitte einiger derselben, der Vater über die günstigen äußeren Verhältnisse; – im zarten Sinn elterlicher Liebe wollten sie eine freie Wahl durch keinen geäußerten Wunsch beschränken.
So blieb ich frei und ungebunden im Kreis des geselligen Lebens, sorglos heiter in Jugendspielen, im Tanz. Mein Herz erwartete einen ernstern Ruf. In einem der anmuthigen Wälder hatte ich den Abend mit Lesen meines Lieblings-Dichters zugebracht. Durch die hohen Laubgewölbe blickte der lichte, blaue Himmel, die laue Luft spielte in den Zweigen, und weich und hingegeben dem eigenen Zauber der südlichen Natur regte sich ein leises Sehnen in meiner Brust, mich einem guten menschlichen Wesen ganz hinzugeben: Der Abend brach herein, ich hatte mich verspätet, schon ging der Vollmond über dem Wäldchen auf, und in silbernen Funken auf seinen Wellen wogte mir der Strom entgegen. Ich sah mich in der Nähe der Stadt nach einem Nachen um zur Ueberfahrt, die meinen Weg abkürzte, und ein schon bestelltes Schiffchen erwartete seine Gesellschaft. Mehrere meiner Bekannten kamen das Ufer entlang mit einigen Frauen. Ich bat um Aufnahme, und nachdem wir die Frauen an die besten Plätze gebracht hatten, kamen noch zwei zierliche weißgekleidete Mädchen aus dem Gebüsch, die sich von der Gesellschaft entfernt hatten. Ich half der einen ins Schiff, die leicht über den Steg hinhüpfte. Als ich der zweiten die Hand bot, und eine länglich schöne Hand sich in die meine legte, und zwei große himmelblaue Augen auf mich ihre Strahlen schossen, und der Mondesglanz die schlanke weiße Gestalt umzitterte; fühlte ich ein Beben des Herzens, das mich nicht wieder verlassen wollte. Ich nahm meinen Platz neben ihr, und als sie ihre Hand zurückzog, fühlte ich einen beklemmenden Schmerz. Rosa, sagte eine sanfte Stimme unter den ältern Frauen, wo bleibt ihr so lange? Wir saßen unter den hohen Buchen, liebe Mutter, und als wir die Gesellschaft heran nahen hörten, eilten wir hieher! Es ist kühl auf dem Wasser, nimm dies Tuch noch um, sagte die sorgliche Mutter. Ich half es umlegen, und meine Finger berührten bebend den zierlichen Arm. Man schlug vor zu singen. In Chören und einzelnen Liedern hatte sich die kleine Gesellschaft ergözt, als einer der ältern Männer sagte: Warum schweigt Rosa? – O Herr B., Sie kennen ja meine Furchtsamkeit! – Hilft nichts, liebes Kind – meinen Lieblings- – Es war ein König in Thule. Nun ertönte die...




