Zapp | Wundersame Weihnachtszeit | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Zapp Wundersame Weihnachtszeit

Inspirierende Geschichten und Gedichte
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7893-2103-0
Verlag: SCM
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Inspirierende Geschichten und Gedichte

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-7893-2103-0
Verlag: SCM
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Weihnachten - man denkt an festliche Stimmung, Lichterglanz und jede Menge Geschenke. Doch Weihnachten ist so viel mehr. Die Geschichten und Gedichte in diesem Buch laden Sie ein, sich auf das eigentliche Weihnachtswunder zu besinnen. Egal zu welcher Zeit und an welchem Ort, die Heilige Nacht hat schon immer die Herzen der Menschen berührt. Mit Beiträgen von Autoren wie Marie Hamsum, Rudolf Kinau oder Selma Lagerlöf. Bestens zum Vorlesen geeignet - mit Angaben zur Lesezeit.

Marcella Zapf studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Seit 2002 ist er als Lektor im SCM-Verlag (Witten) tätig.
Zapp Wundersame Weihnachtszeit jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Moselweihnacht


Von Stefan Andres


In der bäuerlichen Welt des Moseldorfes, in dem ich meine Schuljungenzeit verbrachte, beging man das Weihnachtsfest zu Haus und in der Kirche auf eine herb-innige und ganz und gar unsentimentale Weise. Es hatte sich unter dem Stern von Bethlehem noch nicht jener Rummelplatz halb echter, halb falscher Gefühle aufgetan. Die Krämer verkauften wohl Christbaumschmuck, Schokoladenplätzchen und Lebkuchen, aber von einem Weihnachtsgeschäft sprach niemand, da die Sitte noch vollständig unbekannt war, Weihnachtsstimmung in Schachteln zu kaufen. Und man fiel auch, wie einem das heutzutage bereits vier Wochen vor Weihnachten passieren kann, wenn man in einem Gasthaus irgendwo eine Tür zu einem Bürger- oder Hinterstübchen aufklinkt, niemals in einen Kreis von weihnachtlich gestimmten Männern, die, zwischen Lichterbaum und Bierglas sitzend, „Stille Nacht“ oder „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“ singen. Es gab auch keine langen und kostspieligen Vorbereitungen. Die Mutter sagte, etwa acht Tage vor dem Fest: „Ja, ihr Kanner, da misse mer wohl baaken!“ In der Futterküche war der Backofen. Ich sehe es noch, wie der Vater die Buchenscheite hineinwarf und die Mutter mit strengem Prüfen und das Gesicht gegen die Hitze verkniffen hineinschaute. Dann wurden die runden, an den Rändern gewellten Bleche mit dem wohlriechenden Teige herbeigetragen. An diesen Streusel- oder Obstkuchen hatte ich, so klein ich auch noch war, auszusetzen, dass die Teigschicht zu hoch war. Ich schnitt darum diese dicken Kreissegmente einmal der Länge nach durch, und nur, wie ich behauptete, um sie in den Mund zu kriegen, in Wirklichkeit aber, um auch das untere, das eigentliche Teigstück, mit Butter und Gelee zu bedecken, was den Eltern und Geschwistern als eine fast schon ans Lasterhafte grenzende Üppigkeit erschien. Aber mit dem Seufzer: „E get jao e Pastor“ ließen sie es mir meistens durchgehen. Neben den Kuchen gab es noch Äpfel und Nüsse und vielleicht einen beim Bäcker gekauften Lebkuchen. Als der Jüngste, der ich war, wurde mir auch jede Weihnachten ein kleines Spielzeug bewilligt: ein Blechauto oder dergleichen. Einmal erhielt ich eine Sparbüchse, und ich erinnere mich genau, dass ich den bunten Blecheimer mit dem Schlitz überhaupt nicht als Geschenk, sondern als eine Ermahnung empfand.

Eine weitere Vorbereitung zum Fest bestand im Hausputz, im Beichtgang und im Besorgen eines Christbaumes. Dieses Bäumchen durfte, wiewohl es die Familie wie alle ordentlichen Leute im Dorfe mit dem Siebenten Gebot sehr genau nahm, nicht gekauft werden. Es gab ja den Gemeindewald – aber natürlich auch den Waldhüter! Aber dem Waldhüter um 50 Pfennig eine Fichte abkaufen, das, so glaube ich heute, hätte die Leute und den Waldhüter an der Spitze zum Lachen gereizt. Nein, den Christbaum ging man sich selber holen, doch musste man zusehen, nicht an Ort und Stelle ertappt zu werden.

Einmal erbot ich mich – ich mochte damals zehn Jahre alt sein –, das Christbäumchen zu besorgen. Alle lachten über meinen Vorschlag, und eine meiner Schwestern prophezeite mir sogar, dass ich entweder ohne Bäumchen oder mit einem Protokoll nach Hause käme. Mein Ehrgeiz war geweckt. Ich steckte mir das Krummess unter die Jacke, ging zuerst zur Beichte und dann stieg ich langsam den Berg hinan zum nahen Wald. Der Schnee lag in jenem Jahre sehr hoch. Nach einigem Wandern stieß ich auf eine Spur. Sie musste von einem Manne herrühren, denn ich konnte mit meinen Jungenfüßen schön hineintreten. Es ging sich leichter, und ich war bald im Gemeindewald. Suchend blickte ich umher, lauschte, ob niemand in der Nähe sei, ernannte eine Fichte feierlich zum Christbaum, fällte sie, und schon wollte ich sie auf die Schulter legen, als ich eine Stimme dicht neben mir hörte: „Na – Jüngelchen, dann komme mal her – wie heißt du denn!“

Ich schwang, als müsste ich mich gegen den leibhaftigen Gottseibeiuns verteidigen, zuerst mein Krummess, und schon lief ich, ehe ich noch den Mann erblickt hatte, durch den Wald, Hang auf. Hang ab – und schließlich querfeldein durch den Schnee. Noch nie war mir ein Erwachsener auf den Fersen gewesen! Wie lange der Mann, von dem ich annahm, dass es der Waldhüter sei, hinter mir drein war, wusste ich nicht, war ich doch später eigentlich nie ganz sicher, ob er mir überhaupt nachgelaufen war. Mit blau gefrorenen Händen kam ich ohne Baum und ohne Krummess, was mich ganz besonders demütigte, zu Hause an. Ich ging zuerst in den Stall und wärmte mir am Bauch einer alten Kuh die Hände und weinte still über mein Ungemach. Hier fand mich mein älterer Bruder, der aber nun, als er mich so traurig sah, nicht lachte, auch nicht mit mir zankte. Er sagte mir nur, der damals Fünfzehnjährige, ich sei zu nichts zu gebrauchen. Ich flehte ihn an, dass er doch jetzt noch das Bäumchen holen ginge. Er sagte nicht ja und nicht nein, er wies mich nur darauf hin, dass es schon sehr spät sei. Am Abend noch entdeckte ich im Hause plötzlich den Waldgeruch. Der Christbaum war also noch in letzter Stunde angekommen, was ihn in meinen Augen noch grüner und weihnachtlicher machte, denn er war trotz meines Versagens erschienen, richtig wie ein Geschenk des Himmels, ein Bote der Gnade. Nach Weihnachten fand ich eines Tages das Krummess, das ich auf meiner entschlossenen Flucht vor dem Protokoll von mir geworfen hatte. Ich untersuchte es genau – es war dasselbe alte krumme Messer mit der wackeligen Fassung im Griff. Dass mein Bruder es zufällig im Schnee gefunden haben sollte, war nicht gut möglich. Eher verhielt es sich wohl so, dass der Waldhüter, der sich an meinem Hasenpanier gewiss weidlich ergötzt hatte, durch Umfragen erfuhr, wer der kleine Waldfrevler gewesen sei, und nun das Messer, halb aus Gutmütigkeit, halb um ein Geschenk zu erhalten, zurückbrachte. Ich habe es nie erfahren, denn ich hütete mich wohl, auf diese meine Niederlage im Gespräch zurückzukommen. Aber auch meine Geschwister hänselten mich nicht weiter, offenbar war es ihnen von den Eltern im Hinblick auf Weihnachten untersagt worden, und später hatten sie es vergessen.

Den Heiligabend feierten wir nicht. Wir gingen eher ein wenig früher zu Bett, um morgens in aller Frühe, ich glaube bereits um vier Uhr, aufzustehen. Falls uns das erste Läuten noch nicht geweckt hatte, hörten wir auf jeden Fall den Vater, der unten vor der Treppe stand und sang. Denn während er sonst nur mit den Knöcheln auf einen der Holztritte klopfte, erhob er an diesem Morgen seine kraftvolle Stimme, und wir saßen in den Betten, rieben die Augen und lauschten. „Heiligste Nacht – Heiligste Nacht, Finsternis weichet“ – und bald fielen unsere Stimmen mit ein. Das Waschen am Weihnachtsmorgen geschah sehr flüchtig, denn der Geruch, der aus der guten Stube kam, erfüllte bereits das ganze Haus. Es ist schwer, diesem Geruch nach so vielen Jahren ganz auf die Spur zu kommen. Der Duft der Fichte und der herbe Geruch des Leinöls, mit dem die Bohlen des Fußbodens vor jedem Fest getränkt wurden, durchdrangen sich stark. Aus dem eingebauten Porzellanschrank, wo die Kuchen übereinander standen, stieg der nahrhafte und zugleich festliche Anhauch von Gestreuseltem, die Äpfel am Christbaum gaben mit ihrem Atem dem Duftgequirle eine leichte, schwebende Würze, und die Schokoladenplätzchen und die stark gewürzten Lebkuchen regten mich mit ihrem aus fernen Ländern kommenden Geruch ebenso auf, wie das unerhörte Glitzern der Silberschaumkugeln und das Sprühen der Wunderkerzen. In die dicken Silberkugeln blickte ich immer wieder hinein und konnte mich an der Fratzen bildenden Wirkung dieses Kugelspiegels nicht satt sehen.

Wenn ich an diese Weihnachtsmorgen in meiner Jugend zurückdenke, fällt es mir auf, wie selten wir noch heutzutage in derselben Gegend richtige Schneeweihnachten haben. Es war – das weiß ich noch, als hätte ich gestern den Weg zur Mette in die Dorfkirche angetreten – bitterkalt. Meist lag der Schnee in den Gassen, die, trotzdem es noch Nacht war, in einer unbestimmten Helligkeit dalagen. Ich rieche den Schnee gern, es ist, als ob man die Kälte selber riechen könnte. Ich wäre selbst als kleiner Junge nie auf den Einfall gekommen, ohne es andern nachzutun, Schneebälle zu machen. Ich trottete dahin, genoss das weißliche Flimmern, roch den Schnee und hörte die Glocken zuhauf läuten, diese mütterlichen starken Stimmen oben im Kirchturm, die mich, so oft sie aus ihrem Schweigen fielen, mit ihrem himmlischen Gleichklang erregten, aber niemals so wie in der Weihnacht. Der Himmel über dem Berg Rupprot glitzerte, die Sterne sahen in der klaren Nacht wie Kristalle aus, und ich suchte, aber mehr mit dem träumenden als dem forschenden Auge, nach dem Stern der Weisen. In Mandels Ecke, einem einsamen Winkel, wo ein Stall lag, hörte ich, offenbar vom Hahn geweckt, eine Kuh muhen und später das Gemecker einer Geiß. Dann dachte ich an die Geschichte, die mir der Vater über die Weihnacht der Tiere erzählt hatte, dass nämlich der Hahn in der Nacht der Erlösung gerufen habe: „Christus ist hie!“, die Kuh aber habe gerufen: „Woo?“, und die Geiß antwortete: „In Bethlehem!“

In illo tempore! … Die Dorfkirche war warm von den vielen Menschen, die sich dicht aneinanderdrängten. Wo sonst der St. Josefs-Altar stand, erhob sich der Stall von Bethlehem. Das elektrische Licht war in jenen Jahren gerade in unsern Ort eingezogen, und so zog sich denn auch durch die hohen Fichten die Schnur mit den bunten Glühbirnen. Die roten und blauen und gelben Pünktchen gefielen mir so gut, dass ich sie immer wieder zählte und allerlei Orakel damit anstellte. Das Kind in der...


Marcella Zapf studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Seit 2002 ist er als Lektor im SCM-Verlag (Witten) tätig.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.