E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Adebayo Bleib bei mir
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-99252-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-492-99252-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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2
Ilesa, ab 1985
Schon damals spürte ich, dass sie auf Krieg aus waren. Ich konnte sie durch das Türglas sehen. Konnte sie hören. Sie schienen nicht zu merken, dass ich mich seit über einer Minute auf der anderen Seite der Tür befand. Ich hätte sie gern draußen stehen lassen, um wieder nach oben zu gehen und weiterzuschlafen. Vielleicht würden sie zu braunen Pfützen zerschmelzen, wenn sie nur lange genug in der Sonne standen. Iya Marthas Hintern war so riesig, dass er die kleine Treppe, die zu unserer Haustür führt, in geschmolzenem Zustand unter sich begraben hätte.
Iya Martha war eine meiner vier Mütter; sie war die älteste Frau meines Vaters gewesen. Der Mann bei ihr war Baba Lola, ein Onkel von Akin. Beide stemmten sich gekrümmt gegen die Sonne, kniffen entschlossen die Augen zusammen und sahen finster drein. Als ich aber die Tür öffnete, verstummte ihr Gespräch und sie lächelten mich an. Ich ahnte schon, welche Wörter den Frauen als Erste über die Lippen kommen würden. Ich wusste, dass sie voller Überschwang eine Nähe demonstrieren würden, die nie zwischen uns bestanden hatte.
»Yejide, geliebte Tochter!« Iya Martha grinste mich an, als sie mein Gesicht zwischen die feuchten, fleischigen Hände nahm.
Ich grinste zurück und kniete mich hin, um sie zu begrüßen. »Willkommen, willkommen. Gott muss heute beim Aufwachen wohl an mich gedacht haben-o. Darum seid ihr alle da«, sagte ich und ging noch einmal leicht in die Knie, nachdem sie das Wohnzimmer betreten und Platz genommen hatten.
Sie lachten.
»Wo ist dein Mann? Ist er da?«, fragte Baba Lola und schaute sich im Zimmer um, als hielte ich Akin unter einem Stuhl versteckt.
»Ja, Sir, er ist oben. Ich gehe und hole ihn, sobald ich Ihnen etwas zu trinken gebracht habe. Was darf ich Ihnen zu essen machen? Frisch gestampften Yam?«
Der Mann sah meine Stiefmutter an, als hätte er diesen Teil des Drehbuchs für das Stück, das sie gleich aufführen würden, während der Proben nicht gelesen.
Iya Martha schüttelte den Kopf. »Wir können nichts essen. Hol deinen Mann. Wir haben Wichtiges mit euch zu besprechen.«
Ich lächelte, verließ das Wohnzimmer und ging zur Treppe. Ich glaubte zu wissen, was das »Wichtige« war, das sie mit uns besprechen wollten. In letzter Zeit hatte eine ganze Reihe angeheirateter Verwandter unser Haus betreten, um das immer gleiche Thema mit uns zu besprechen. Diese Gespräche sahen so aus, dass sie redeten, während ich vor ihnen kniete und zuhörte. Akin tat jedes Mal, als würde er ihnen zuhören und sich Notizen machen, während er in Wahrheit seine To-do-Liste für den nächsten Tag schrieb. Keiner dieser Abgesandten konnte lesen oder schreiben, und sie bewunderten jeden, der es konnte. Es beeindruckte sie, dass Akin notierte, was sie sagten. Und manchmal, wenn er die Mitschrift unterbrach, beschwerte sich die Person, die gerade redete, dass Akin sich ihm oder ihr gegenüber respektlos verhielt, so gar nichts aufzuschreiben. Mein Mann plante während dieser Besuche oft die gesamte Woche, ich aber bekam schreckliche Krämpfe in den Beinen.
Die Besuche ärgerten Akin, und er hätte seinen Verwandten gern gesagt, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollten, was ich aber nicht zuließ. Die endlosen Gespräche bescherten mir zwar Krämpfe in den Beinen, gaben mir aber immerhin das Gefühl, Teil der Familie zu sein. Bis zu diesem Nachmittag war seit meiner Hochzeit noch keiner aus meiner Familie zu so einem Besuch vorbeigekommen.
Als ich die Treppen nach oben stieg, wusste ich, dass Iya Marthas Anwesenheit bedeutete, dass eine neue Stufe erreicht war. Ich brauchte ihren Rat nicht. Es ging uns gut ohne die Dinge, die sie uns zu sagen hatten. Ich wollte Baba Lolas brüchige und zwischen heftigen Hustenanfällen hervorgepresste Stimme nicht hören und auch keinen weiteren Blick auf Iya Marthas Zähne werfen müssen.
Ich glaubte, dass ich das alles ohnehin schon gehört hatte, und war mir sicher, mein Mann würde es genauso sehen. Es überraschte mich, Akin wach anzutreffen. Er arbeitete an sechs Tagen der Woche und verschlief die Sonntage meist. Als ich aber hereinkam, ging er im Zimmer auf und ab.
»Wusstest du, dass sie heute kommen würden?« Ich suchte nach der vertrauten Mischung aus Abscheu und Wut, die sonst immer auf seinem Gesicht lag, wenn uns einer dieser Sondertrupps besuchte.
»Sind sie da?« Er blieb stehen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Keine Abscheu, keine Wut. Mit einem Mal wurde es stickig im Zimmer.
»Du wusstest, dass sie kommen würden? Und hast mir nichts gesagt?«
»Lass uns einfach nach unten gehen«, sagte er und verließ den Raum.
»Akin, was passiert hier? Was geht hier vor sich?«, rief ich ihm nach.
Ich setzte mich aufs Bett, stützte den Kopf in die Hände und versuchte zu atmen. So saß ich da, bis Akin nach mir rief. Da ging ich nach unten zu ihm ins Wohnzimmer. Ich hatte ein Lächeln auf den Lippen, kein großes, bei dem man die Zähne sah, sondern ein kleines, bei dem es die Mundwinkel leicht nach oben zog. Ein Lächeln, das sagte: Auch wenn ihr alten Leute nichts, aber auch gar nichts über meine Ehe wisst, bin ich bereit, wenn auch nicht begeistert, mir anzuhören, was ihr mir Wichtiges zu sagen habt. Ich bin schließlich eine gute Ehefrau.
Ich bemerkte sie nicht gleich, obwohl sie auf der Kante von Iya Marthas Sessel saß. Sie war schön, hellgelb wie das Innere einer noch unreifen Mango. Sie hatte sich die schmalen Lippen blutrot geschminkt.
Ich drückte mich an meinen Mann. Sein Körper war steif, und er nahm mich weder in den Arm, noch zog er mich an sich. Ich versuchte herauszufinden, wo die gelbe Frau plötzlich hergekommen war, und fragte mich kurz völlig wirr, ob Iya Martha sie beim Eintreten unter ihrem Wrapper versteckt gehalten hatte.
»Frau, unser Volk sagt, wenn ein Mann etwas besitzt und daraus zwei werden, wird er nicht wütend, richtig?«, sagte Baba Lola.
Ich nickte und lächelte.
»Nun, Frau, das ist die neue Ehefrau. Ein Kind ruft das andere in die Welt. Wer weiß, vielleicht hilft dir diese Frau, dass Gott deine Gebete erhört. Wenn sie erst einmal schwanger ist und ein Kind bekommt, wirst auch du eins bekommen, da sind wir sicher«, sagte Baba Lola.
Iya Martha nickte. »Yejide, mein Kind, wir haben lange nachgedacht und viele Nächte darüber geschlafen, die Familie deines Mannes und ich. Und auch deine anderen Mütter.«
Ich schloss die Augen. Gleich würde ich aus diesem Albtraum erwachen. Als ich die Augen öffnete, war die mangogelbe Frau noch immer da, verschwommen zwar, aber da. Ich war wie betäubt.
Ich hatte erwartet, dass sie über meine Kinderlosigkeit sprechen würden. Hatte mich mit millionenfachem Lächeln gewappnet: dem Vergebt-mir-Lächeln, dem Habt-Mitleid-Lächeln und dem Ich-vertraue-auf-Gott-Lächeln. Mit jedem nur erdenklichen Lächeln, das man braucht, um einen Nachmittag mit einer Gruppe von Menschen zu überstehen, die vorgibt, nur das Beste für einen zu wollen, während sie mit einem Stock in offenen Wunden stochert. Ich hatte jedes Lächeln parat und war bereit, mir anzuhören, dass ich etwas tun müsse. Ich erwartete, dass man mir von einem weiteren Pfarrer erzählen würde, den ich um Rat fragen solle; von einem weiteren Berg oder einer weiteren Stadt, die ich aufsuchen könne. Ich war gewappnet mit Mund, Augen und Nase: mit jedem dieser Lächeln, dem Tränenschleier und dem Schniefen. Ich war darauf vorbereitet, meinen Salon in der kommenden Woche zu schließen und mich mit meiner Schwiegermutter im Schlepptau auf die Suche nach einem Wunder zu machen. Was ich nicht erwartet hatte, war eine andere Frau, die lächelnd vor mir saß, eine gelbe Frau mit blutroten Lippen, die grinste wie eine frischgebackene Braut.
Wäre doch meine Schwiegermutter da. Sie war die einzige Frau, die ich je Moomi genannt hatte. Ich besuchte sie häufiger als ihr eigener Sohn. Sie hatte zugesehen, wie meine frisch gelegte Dauerwelle in der Strömung eines Flusses von einem Priester ruiniert wurde, der davon überzeugt war, dass mich meine Mutter verflucht haben musste, bevor sie kurz nach meiner Geburt starb. Moomi war bei mir, als ich drei Tage lang auf einer Gebetsmatte saß und, ohne ein Wort zu verstehen, den immer selben Spruch aufsagte, bis ich am dritten Tag umkippte und abbrach, was als siebentägiges Wachfasten angedacht war.
Während ich mich in einem Krankensaal des Wesley Guild Hospital erholte, hielt sie meine Hand und sagte, ich solle für Kraft beten. Das Leben einer guten Mutter sei hart; eine Frau könne eine schlechte Ehefrau sein, nicht aber eine schlechte Mutter. Moomi sagte, ehe ich Gott um ein Kind bitten könne, müsse ich ihn erst bitten, dass er mir die Fähigkeit schenkt, Leid zu ertragen. Sie sagte, ich sei noch nicht bereit, Mutter zu werden, wenn ich nach einem dreitägigen Fasten in Ohnmacht fiele.
Mir wurde klar, dass sie am dritten Tag wahrscheinlich nicht in Ohnmacht gefallen war, weil sie diese Art des Fastens schon oft auf sich genommen hatte, um Gott im Namen ihrer Kinder zu besänftigen. Die Furchen um Moomis Augen und Mund bekamen plötzlich etwas Unheimliches und schienen auf mehr hinzuweisen als bloß ihr hohes Alter. Ich war zerrissen. Ich wollte sein, was ich nie gehabt hatte. Ich wollte Mutter sein und wollte, dass meine Augen vor kleinen Freuden und Weisheit leuchteten wie Moomis. Doch ihr vieles Gerede über Leid machte mir Angst.
»Sie ist nicht annähernd dein Alter«, sagte Iya Martha und beugte sich vor. »Denn sie schätzen dich, Yejide, die Familie deines Mannes weiß um deinen Wert. Sie erkennen an, dass du deinem Mann eine gute Ehefrau bist.«
Baba Lola räusperte sich. »Yejide,...