Aldin Jungs to go
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-11111-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Heyne fliegt
ISBN: 978-3-641-11111-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mädchen sind einfach nicht so Toni Valentines Ding. In ihrer alten Jungs-Clique fühlt sich die Siebzehnjährige viel wohler als in der Gesellschaft ihrer sorgfältig gestylten neuen Klassenkameradinnen der exklusiven Mädchenschule. Außerdem versteht sie Jungs viel besser. Als eine ihrer Mitschülerinnen Liebeskummer hat, weiß sie sofort: Man muss den Treulosen eifersüchtig machen! Und Kerle dafür hat Toni ja praktischerweise an der Hand. Kurz entschlossen vermietet sie einen ihrer Jungsfreunde zum einmaligen Date. Der Plan wird ein voller Erfolg – und Toni kurz darauf Inhaberin einer gefragten Schein-Date-Agentur. Bis sie sich selbst verliebt und damit nicht nur ihre Geschäftsidee, sondern auch ihren Seelenfrieden ernsthaft gefährdet …
Lisa Aldin machte ihren Universitätsabschluss in englischer Literatur, ehe sie sich hauptberuflich dem Schreiben widmete. Mit ihrem Mann, ihrer Tochter und diversen Haustieren lebt sie in Indianapolis. "Jungs to Go" ist ihr Debutroman.
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Eins
Der Beginn einer Jagd ist für mich das Größte. Noch ist keiner müde oder hat Hunger oder jammert rum. Außerdem ist so ein Anfang immer voller Vielleichts. Also von wegen, vielleicht fangen wir heute Nacht das legendäre Seeungeheuer unserer kleinen Stadt ein – mit der Kamera. Vielleicht gelingt es uns, endlich die letzten Zweifel an seiner Existenz zu begraben. Vielleicht werden wir zur Legende.
Während sich auf dem Lake Champlain winzige Wellen kräuseln, stelle ich mir vor, wie Champ dort unten schwimmt und grinsend zu uns hochschaut. Meine Knie sind ganz weich vor Aufregung, wie bei einem kleinen Kind, das auf den Weihnachtsmann wartet. Ich kann nicht still sitzen. Dafür sind die anderen total ruhig und entspannt und stieren abwartend in die Nacht. Sanft plätschert das Wasser seitlich gegen Ollies Pontonboot und wiegt es sacht auf und ab. Ein Geruch nach Algen liegt in der Luft.
Komm schon, Champ. Zeig dich. Trau dich endlich!
Ich sehe hoch zum wolkenverhangenen Himmel und hoffe auf Regen. Nach der Jagd komme ich gern stinkend und triefnass heim. Irgendwie kommt mir so eine Nacht immer wie die reinste Zeitverschwendung vor, wenn ich nicht wenigstens ein bisschen Dreck im Wohnzimmer verteilen kann.
Ich wünschte, ich wüsste, was das alte Ungeheuer aus seinem Versteck locken würde. Brotkrumen vielleicht? Oder wenn ich ihm ein Ständchen singe, eine Art Zaubermelodie? Oder muss ich irgendein komisches Tänzchen aufführen? Wir haben schon alles versucht, aber es gab keine Spur von Champ mehr seit jenem Sommer vor der fünften Klasse. Der Sommer, in dem wir Freundschaft schlossen. Der Sommer, in dem wir alle vier den riesigen schwarzen Schwanz über die Oberfläche des Sees streifen sahen.
Mir entkommt ein fetter Rülpser. Loch dreht sich auf dem Fahrersitz um und wirft mir über die Schulter einen strengen Blick zu. Sein schlichtes weißes T-Shirt flattert im Wind. Ich grinse verlegen. Nicht der beste Zeitpunkt für eine Kostprobe meines Talents.
Erster Patzer. Nach drei lautstarken Störungen brechen wir die Jagd in der Regel ab. Champ mag es gern hübsch ruhig. Warum sollte er sich sonst schon seit Jahrhunderten am Grunde eines Sees versteckt halten?
»Tut mir leid«, flüstere ich. Den nächsten Rülpser kann ich mir gerade noch verkneifen. Vielleicht sollte ich nicht so viel Limo trinken.
Nach einem kurzen Augenblick lächelt Loch und formt mit den Lippen ein lautloses »der war gut«.
Ich unterdrücke ein Lachen. Klar. Die Besten kommen oft aus dem Nichts, wie mein Dad so gern sagt.
Ollie lässt die Hand auf seinen Arm niedersausen. »Scheiß Insekten«, grummelt er.
Ich seufze. Jetzt geht also das Genörgle los. Ich könnte die ganze Nacht hier sitzen, ohne ein einziges Wort, umringt von Mückenschwärmen, während die Hitze mir den Nacken hochkriecht. Aber Ollie hält es nicht mal eine halbe Stunde aus, ohne wegen irgendwas zu jammern. Ich wühle in meiner Reisetasche, voll mit Utensilien zur Monsterjagd, und ziehe schließlich das Insektenspray raus. Dann werfe ich Ollie die Dose quer übers Boot zu.
»Danke, McRib«, flüstert er. Er sprüht seinen Arm ein, bis dieser feucht glänzt.
Cowboy hustet und sagt dann leise: »Sei nicht so verschwenderisch mit diesem Gift.« Er rutscht ein paar Zentimeter weg von Ollie und hält sich Nase und Mund zu.
»Insekten übertragen Krankheiten.« Ollie beugt sich runter, um seine kräftigen, behaarten Beine einzusprühen. Er sollte sich echt mal überlegen, ob er sich die nicht lieber rasiert. Die sehen ja aus wie haarige Raupen. »Ich geh da bestimmt kein Risiko ein.«
»Und das sagt ausgerechnet der Typ, der zum Spaß auf einem Brett Berge runterschießt.« Cowboy stemmt die Ellbogen auf die Knie. Ein riesiger Käfer krabbelt ihm zwischen den blonden Haaren herum. Er schüttelt beiläufig den Kopf, und der Käfer verschwindet in der Nacht.
»Snowboarden ist halb so wild, wenn man’s kann«, meint Ollie, dessen Flüstern jetzt lauter wird. Ich zucke zusammen. Der soll mal hübsch leise sein. Ist noch viel zu früh, um das Ungeheuer zu verschrecken.
Cowboy legt den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Langweilt er sich? Wie kann man so was denn langweilig finden? Wir sind auf Monsterjagd! Ein ungutes Gefühl macht sich bei mir in der Magengegend breit, genauso wie wenn ich mir meinen Lieblingsfilm ansehe und es auf das Ende zugeht. Und ich kann nicht zurückspulen.
»Pass auf«, sage ich. Ich halte die Stimme gesenkt. Eine Mücke landet auf meinem Ellbogen und fängt an zu futtern. »Mit deiner Paranoia vertreibst du Champ noch, Ollie.«
»Der Winter ist mir lieber.« Ollie wischt sich die Hände an seiner kurzen Cargohose ab. »Insekten hassen den Winter.«
»Und Champ hasst es, wenn so viel gelabert wird«, flüstert Loch, der gerade mit der Action-Kamera kämpft, die er um den Hals hängen hat.
»Hast recht«, meint Cowboy leise, die Augen immer noch geschlossen.
Jetzt sind alle wieder still. Ich kratze an meinem Mückenstich herum und atme wieder entspannter. Freue mich über die Ruhe, so flüchtig sie auch sein mag. Doch Cowboy nervt. Ich meine, ist doch echt lachhaft. Er hat die Augen zu. Auf einer Monsterjagd. Wie will er denn da irgendwas sehen?
Ich hole tief Luft. Versuche mich locker zu machen. Keine Lust, Champ mit irgendwelchen miesen Vibes zu verprellen. Während die leichte Brise das Wasser kräuselt, wandert mein Blick zu den Bergen, die den See umringen. Ich wette, diese Felsmassive haben Champ im Laufe von Hunderten von Jahren schon eine Million Mal gesehen. Sie waren Zeugen jeder einzelnen Sichtung. Jeder Geschichte. Die Berge kennen auch unsere Geschichte. Wenn sie nur reden könnten. Weil uns nämlich keiner abnimmt, was wir gesehen haben.
Schließlich richte ich den Blick wieder auf Loch. Seine Finger ruhen auf dem Lenkrad, mit Leichtigkeit steuert er das Boot. Es wird mir nie langweilig, ihn in seinem natürlichen Umfeld zu sehen, auf der Jagd nach dem legendären Monster, immer unterwegs, um Skeptikern das Gegenteil zu beweisen. Nach ein paar Minuten würgt er den Motor ab, stellt sich hin und schiebt die Hände in die hinteren Hosentaschen seiner Jeans.
Wenn ich es mir recht überlege, ist mir das der liebste Teil der Jagd. Zuzusehen, wie Loch den Atem anhält. Seine Lippen zu beobachten, wenn sie sich bewegen, als würde er beten. Klar weiß ich, dass er nicht wirklich betet. Er spricht mit Champ, trifft Abmachungen und macht Versprechungen, wenn das Ungeheuer sich im Gegenzug dafür zeigt.
»Hey, McRib. Kannst du mir eine Tüte Chips rüberwerfen, Sour Cream and Onion?«, fragt Ollie.
Diese Bitte verblüfft mich. Ollie macht sich jetzt noch nicht mal mehr die Mühe zu flüstern. Ich löse den Blick von Loch und wühle in der Tasche. Keine Chips. Ach so, klar. Die hab ich ja auf dem Weg hierher weggefuttert. Stattdessen werfe ich ihm eine Dose leckere Limonade zu. Damit wieder Ruhe herrscht. Hoffe ich zumindest.
»Hey«, sagt Cowboy. Seine Stimme klingt ruhig und leise, aber ein Flüstern ist es auch nicht eben. »Wirfst du mir auch eine rüber?«
Vielleicht doch nicht. Ich sollte Cowboy sein Getränk am besten rüberreichen, doch ich bin zu faul zum Aufstehen. Sitze grad so bequem. Also werfe ich die Dose. Blöderweise gleitet sie Cowboy aus den tollpatschigen Händen und trifft mit einem lauten Knall auf dem Boden des Bootes auf, ehe sie auf mich zukullert. Rasch stelle ich den Fuß drauf. Lochs Schultern versteifen sich. Seine dunklen Augen richten sich auf das schwarze Wasser.
Zweiter Patzer.
Plötzlich ist hinter mir ein Platschen zu hören. Ollie und Cowboy springen auf und linsen über den Rand des Bootes. Das geht alles so schnell, dass ich schon Angst kriege, einer von ihnen könnte über Bord gehen. Fluchend krame ich in der Tasche, während Loch seine Taschenlampe und die Kamera auf das Wasser richtet. Nachdem ich meine Taschenlampe ebenfalls gefunden habe, wandern die beiden blassen Lichtstrahlen gemeinsam über die Oberfläche.
Mein Herz schlägt wie verrückt.
Ich halte den Atem an.
Das einzige Geräusch, das zu hören ist, ist das leise, rhythmische Plätschern der Wellen.
Eingekeilt zwischen Ollie und Cowboy rieche ich den Gestank des Insektensprays auf Ollies Armen, vermischt mit Cowboys Parfüm, das in den Augen brennt. Ich hab ja so den Verdacht, dass Cowboy das Parfüm auf der Jagd nur trägt, weil er insgeheim hofft, wir könnten Katie Morris über den Weg laufen. In sie ist er schon eine ganze Ewigkeit verschossen. So als könnte sie eines Nachts zufällig auch auf Monsterjagd gehen.
Es verstreichen ein paar Minuten, in denen wir das Wasser nach der Ursache des Geräusches absuchen. Vielleicht zeigt Champ uns ja heute sein Gesicht? Oder eine Schulter? Eine Klaue? Das wäre nett.
Ollie tritt seufzend von der Reling zurück. Enttäuschung überkommt mich. Nein. Bitte gib noch nicht auf. Er ist dort unten. Warte noch ein bisschen. Sekunden später hockt Cowboy sich auf den Hintern und öffnet seine eingedellte Dose Limo. Das Ploppen und Zischen echot über den See. Ich zucke zusammen. Dritter Patzer? Ich sehe zu Loch. Noch nicht. Seine hochgewachsene Gestalt steht regungslos wie eine Statue da.
Loch und ich konzentrieren uns weiter auf den See. Ich verstehe nicht, wie Ollie und Cowboy jetzt schon aufgeben können. Es ist noch so verdammt früh. Wir haben im Laufe der Jahre bereits unzählige falsche Alarme überlebt....




