Aldred | Der korrumpierte Mensch | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Aldred Der korrumpierte Mensch

Die ethischen Folgen wirtschaftlichen Denkens

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-608-11628-1
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Ebenso provokant wie klar zeigt Jonathan Aldred: Wirtschaft und Ökonomie haben diese verheerende Entwicklung zu verantworten. Eine überfällige, augenöffnende Kritik, die den desaströsen Einfluss ökonomischer Theorien auf unsere Moral und Wertvorstellungen offenbart. In den letzten 50 Jahren hat sich das, was wir als 'gut' oder 'richtig' bewerten, dramatisch verändert. Verhaltensweisen, die unserer Großelterngeneration nur schädlich oder schlicht bösartig vorkamen, erscheinen heute rational, ja natürlich.

In der Folge von Milton Friedman, John Maynard Keynes und ihren Erben hat sich die Ökonomie unmerklich zur Ersatzreligion moderner Gesellschaften aufgeschwungen. Ihre Maximen und Schlüsselideen – von Nudging bis zum Trittbrettfahren – wirken sich heute direkt auf unsere Entscheidungsfindung aus und durchdringen so gut wie jeden Aspekt des alltäglichen Lebens. Im 21. Jahrhundert haben Wirtschaft und Ökonomie nicht nur Einfluss auf Politik und Gesellschaft, sondern auch auf unser Denken, Handeln und unsere Moral genommen. Hinter ihrer Dominanz werden die Alternativen zum System unsichtbar: Heute akzeptieren wir bereitwillig, dass alles vermarktet werden kann. Zugänglich deckt Aldred die erstaunliche Macht, welche die Ökonomie über uns hat, auf und zeigt anhand konkreter Beispiele aus unserer Erfahrungswelt, wie sie uns tagtäglich verdirbt. Ein ebenso scharfsinniges wie schonungsloses Buch, das zugleich Wege aufweist, uns aus ihrem allgegenwärtigen Klammergriff einer korrumpierenden Ökonomie zu befreien.

Warum ist wirtschaftliches Denken schlecht für unsere Moral?

'Ich behaupte nicht, dass die Menschen heutzutage grundsätzlich 'weniger nett' oder 'unmoralischer' sind als die vorherigen Generationen. In den letzten fünfzig Jahren haben uns stattdessen neue ökonomische Ideen darüber, wie wir uns verhalten sollten, dazu gebracht, die Welt auf eine andere Art und Weise zu sehen. Es sind diese wirkmächtigen Ideen, die unser Verhalten neu justiert haben: Was vor gar nicht allzu langer Zeit noch egoistisch, dumm oder schlicht bösartig erschien, ist heute akzeptabel, rational, natürlich und so offensichtlich, dass wir es nicht in Frage stellen.'
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2  Traue niemandem
Oh, die RAND Corporation ist der Segen der Welt; Sie denken den ganzen Tag gegen Geld. Sie sitzen da und machen Spiele über das Aufgehen in Rabatz, Für ihre Berechnungen benutzen sie dich und mich, mein Schatz, Für ihre Berechnungen benutzen sie dich und mich.[1] Zwar waren die meisten der Doktoranden im Fachbereich Mathematik, die im Herbst 1948 an die Princeton University in New Jersey zurückkehrten, ziemlich eingebildete Burschen, aber einer von ihnen war noch eingebildeter. Obwohl er erst 19 Jahre alt war, gab er ständig mit seinem mathematischen Wissen an. Niemand kann sich erinnern, ihn jemals in einer normalen Vorlesung gesehen zu haben; niemand hat ihn je mit einem Buch in der Hand gesehen. Das mag zum Teil daran gelegen haben, dass er Legastheniker war, aber wohl auch daran, dass er glaubte, durch zu vieles Lesen würde er seine Kreativität unterdrücken. Er machte regelmäßig einen Umweg über die Mercer Street, weil er hoffte, ihren berühmtesten Anwohner zu Gesicht zu bekommen – Albert Einstein. Eines Tages hatte er Glück. Doch ein paar Wochen nach Beginn des Semesters beschloss er, dass ihm ein Blick aus der Ferne nicht reiche, und machte einen Termin, um Einstein zu treffen. Er erzählte Einsteins Assistentin, er habe eine Idee über Schwerkraft, Reibung und Strahlung, über die er mit dem großen Mann sprechen wolle. Einstein hörte ihm höflich zu und saugte an seiner kalten Pfeife, während der 20-jährige Student Gleichungen an die Tafel schrieb. Das Treffen dauerte fast eine Stunde, und am Ende grummelte Einstein: »Sie sollten noch mehr Physik studieren, junger Mann.«[2] Der Student befolgte Einsteins Rat zwar nicht sofort, aber viele Jahre später wurde ihm der Nobelpreis zugesprochen – freilich nicht für Physik, sondern für Wirtschaft. Dieser Student war John Nash, und die Idee, die ihm den Nobelpreis eintrug, sollte zu einem zentralen Stützpfeiler unserer heutigen Sicht von Interaktionen zwischen Menschen mit gegensätzlichen Interessen werden. Um Nashs brillante Idee zu verstehen – und wie sie nicht nur die Richtung der Ökonomik, sondern auch großer Teile der Sozialwissenschaften, Biologie, Philosophie und Rechtswissenschaften verändert hat –, müssen wir mit der Zeit, der Örtlichkeit und der Theorie beginnen, aus der heraus sie entstand. Als Ort und Zeitpunkt sind zu benennen: Santa Monica in Kalifornien zu Beginn der 1950er-Jahre, genauer: am Ende des Malibu Beach Crescent, etwas westlich von Los Angeles. An der Strandpromenade gab es Hotels und Seniorenheime, in sanften Beige- und Rosatönen gehalten, durchsetzt von bunt blühenden Bougainvilleen. Der Duft von Oleander hing in der Luft. An einem Ort wie Santa Monica würde man die Büros der RAND Corporation, eines geheimnisvollen Thinktanks, wo Mathematiker und Wissenschaftler Strategien für einen denkbaren Atomkrieg mit der UDSSR entwickelten, zuletzt erwarten. Gerade hatte der Koreakrieg begonnen, und der Kalte Krieg wurde immer heißer. Die Atmosphäre in der RAND Corporation war von Verfolgungs- und Größenwahn sowie der Anbetung abstrakter Logik geprägt. Die Atomwaffentechnologie steckte noch in den Kinderschuhen. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs hatten die US-Generäle erkannt, dass sie den Rat von Experten brauchen würden, wie die neuesten Waffen – angefangen beim Radar über Langstreckenraketen bis hin zur Atombombe – am besten einzusetzen sein würden. Zu diesem Zweck wurde 1948 die RAND Corporation gegründet (der Name ist ein Akronym für »Research ANd Development«), ursprünglich als Ableger des Flugzeugherstellers Douglas Aircraft Corporation. RAND wurde beschrieben als »das Projekt der Air Force, um kluge Köpfe einzukaufen«.[3] Mit den Worten des einflussreichen RAND-Atomphysikers Herman Kahn war es ihre Aufgabe, das »Undenkbare zu denken«. Die intellektuelle Grundlage für all diese Nuklearstrategien war die Spieltheorie, das perfekte Werkzeug für die RAND-Variante von militärischem Denken. Die Spieltheorie nimmt an, der Mensch sei durch und durch selbstsüchtig und hyperrational, und nicht nur im Besitz sämtlicher für seine Entscheidungen benötigten Informationen, sondern darüber hinaus in der Lage, perfekt zu rechnen und logisch zu denken. Normalerweise wird John von Neumann als Begründer der Spieltheorie gesehen. Nash mag vielleicht ein Genie gewesen sein, doch im Vergleich zu von Neumann war er fast ein mathematischer Niemand. Dr. Seltsam und der Enkel des Kaisers
In der Filmsatire Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben, die 1964 in die Kinos kam, wurde der Kalte Krieg auf die Schippe genommen. Es wurde das Märchen von einem unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang erzählt, der von einem verrückten General der US Air Force ausgelöst wird, indem er einen atomaren Erstschlag gegen die UDSSR befiehlt. Falls Sie den Film gesehen haben, werden Sie sich vielleicht an Dr. Seltsam selbst erinnern, wie er in seinem Rollstuhl wild gestikuliert und in einem merkwürdigen mitteleuropäischen Akzent herumschwadroniert. Obwohl der Film so grotesk wirkt, war er in hohem Maße von tatsächlichen Ereignissen inspiriert. Im Jahr 1956 traf Präsident Eisenhower sich regelmäßig insgeheim mit einem ungarischen Mathematiker, der auf einen Rollstuhl angewiesen war und per Limousine von seinem Krankenbett im Washingtoner Walter Reed Hospital abgeholt und von dort ins Weiße Haus und wieder zurückgebracht wurde. Der Patient wurde Tag und Nacht von bewaffneten Wärtern bewacht, da er häufig Anfälle erlitt, bei denen er unkontrolliert vor sich hinbrabbelte, sodass man befürchtete, er könne militärische Geheimnisse ausplaudern, falls es einem feindlichen Agenten gelingen würde, bis in sein Krankenzimmer vorzudringen. Dieser Patient war John von Neumann in seinem letzten Lebensjahr, zweifellos eine der Inspirationen für die Filmfigur des Dr. Seltsam. (An einer Stelle des Films spricht Dr. Seltsam von Forschungen der »Bland Corporation«.) Vor dem tragischen Verfall seiner Gesundheit war »Johnny« von Neumanns Genie so überragend, dass es sich kaum zusammenfassend beschreiben lässt. Er war ein Wunderkind der Mathematik: Schon mit acht Jahren konnte er, wenn man ihm zwei achtstellige Zahlen nannte, die eine durch die andere im Kopf dividieren. Obwohl er als Begründer der Spieltheorie gilt, betrachten die meisten Mathematiker von Neumanns Arbeiten in theoretischer Mathematik als seine größere Leistung. Er war zweifellos einer der herausragendsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts und wird häufig für den bedeutendsten überhaupt gehalten. Sein Gedächtnis ist einfacher zu beschreiben: Sobald er ein noch so langes Buch nur einmal gelesen hatte, konnte er den gesamten Text wörtlich rezitieren (dieses Kunststück zeigte er zum ersten Mal im Alter von sechs Jahren, anhand von verschiedenen Seiten des Budapester Telefonbuchs). Er war einer der Vordenker auf dem Weg zur Erfindung der Atombombe und des modernen Computers; er konnte im Kopf ein Computerprogramm (mit 40 komplexen Programmzeilen) schreiben und testen. In der Publikumspresse wurde er ernsthaft als »der schlaueste Kopf der Welt« bezeichnet. An der Princeton University erwarb er sich unter seinen Kollegen einen legendären Ruf; man witzelte, er sei gar kein Mensch, sondern ein Halbgott, der den Menschen gründlich studiert und gelernt habe, ihn perfekt zu imitieren. Bemerkenswerterweise erzählte man sich diesen Witz über John von Neumann und nicht über Einstein, der zur gleichen Zeit an der Princeton University war. Von Neumanns Meinung über Sowjetrussland passte ebenso gut zum RAND-Weltbild wie seine Spieltheorie. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer atomaren Auseinandersetzung mit der UDSSR sagte er schlicht: »Die Frage ist nicht ob, sondern nur wann.« Angesichts dieser Prämisse steckte etwas von spieltheoretischer Logik in von Neumanns Befürwortung eines Präventiv-Atomkriegs. Oder, wie er 1950 einmal bemerkte: »Wenn Sie sagen, warum sollten wir sie nicht morgen bombardieren, dann sage ich: warum nicht heute? Wenn Sie sagen, heute um fünf,...


Jonathan Aldred, ist Director of Studies in Ökonomie am Emmanuel College und lehrt außerdem als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge. Sein erstes Buch, 'The Skeptical Economist', erschien 2012 auf Englisch. Darüber hinaus veröffentlichte er zahlreiche Forschungsaufsätze und Artikel in wissenschaftlichen Sammelbänden.


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