Aldred | Der Mann, der auf Bäume klettert | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Aldred Der Mann, der auf Bäume klettert

Einblicke in einen verborgenen Kosmos zwischen Himmel und Erde
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-22720-3
Verlag: Ludwig bei Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Einblicke in einen verborgenen Kosmos zwischen Himmel und Erde

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-641-22720-3
Verlag: Ludwig bei Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Glück in den Baumkronen
Schon als kleiner Junge war James Aldred fasziniert von der majestätischen Schönheit der Bäume, und nichts konnte ihn am Boden halten. Aus seiner Leidenschaft hat der Abenteurer einen Beruf gemacht: Er erklettert als Fotograf und Filmemacher die höchsten Baumwipfel der Welt und verbringt manche Nacht in einer Hängematte in schwindelnden Höhen - auf würgenden Feigenbäumen in Borneo, Brüllaffenbäumen in Costa Rica, monumentalen Moabibäumen im Kongo und auf kolossalen australischen Berg-Eschen. Eine faszinierende Reise um die Welt und zugleich ein zutiefst persönliches Bekenntnis: über die Liebe zur Natur und den Zauber, den Boden der Tatsachen zu verlassen und emporzusteigen in eine grüne Welt zwischen Himmel und Erde...

James Aldred ist im englischen New Forest aufgewachsen, wo seine Liebe zum Wald ihre Wurzeln hat. Er reist als professioneller Bäumekletterer und Kameramann u.a. für die BBC mit David Attenborough und für den National Geographic um den Globus, um die Wipfel unglaublich majestätischer Baumriesen unter abenteuerlichsten Umständen zu erklimmen. Für seine atemberaubenden Aufnahmen wurde er bereits mit einem EMMY ausgezeichnet.
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EINLEITUNG

Wie ich zu meinem Beruf kam

Ein plötzlicher Luftzug, der meine Hängematte sanft zum Schwingen brachte, hatte mich geweckt. Auf der Seite liegend starrte ich in schlaftrunkener Verwunderung auf den prähistorisch aussehenden Vogel, der soeben in meiner Nähe gelandet war. Ich befand mich in 60 Metern Höhe über dem Erdboden im Wipfel eines Baumes auf Borneo, und ich hatte noch nie einen Rhinozerosvogel aus so großer Nähe gesehen. Er hatte mich noch nicht bemerkt und war damit beschäftigt, sein Brustgefieder mit seinem langen Schnabel zu putzen. Auf seinem Scheitel saß ein feuriger, nach oben gebogener Helm, wie ein knallbunter türkischer Pantoffel – grelle Rot- und Gelbtöne, die im Halbdunkel der Dämmerung aufleuchteten. Ich war wie verzaubert.

Ein paar Sekunden später erstarrte er, dann hob er seinen Flugsaurierkopf, musterte mich mit einem rubinroten Auge, um sich gleich darauf von seinem Ast gleiten zu lassen. Riesige schwarze Flügel entfalteten sich, um sein Gewicht aufzufangen, und im nächsten Augenblick war er verschwunden, vom dichten Morgennebel verschluckt.

Ich rollte mich wieder auf den Rücken und starrte hinauf in das ungeheure Astwerk. Eine lange Nacht lag hinter mir. Der Schweiß vom gestrigen Klettern war schon längst zu einer klebrigen Schmiere geronnen, die meinen ganzen Körper bedeckte. Meine Kleidung war feucht, sandig und aufgerissen, und beißende Ameisen krabbelten über meine Haut. Irgendetwas hatte einen brennenden Ausschlag auf meiner Brust verursacht, und um Mitternacht herum war ich zweimal von einer nachtaktiven Wespe im Gesicht gestochen worden. Aber das war es mir wert. Eine solche Begegnung mit einem Rhinozerosvogel – das war es, wonach ich im Grunde genommen suchte. Mit einem Mal fühlte ich mich in meine ureigene Traumwelt aus wabernden Nebelschwaden und märchenhaften Geschöpfen versetzt. Es gab keinen Ort, an dem ich lieber gewesen wäre.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Borneo war mir kalt, eine angenehme Abwechslung zu der in diesen Regenwäldern normalerweise herrschenden drückenden Hitze. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Sonne aufging, doch einstweilen genoss ich den Zustand, auf dem Rücken zu liegen und zu beobachten, wie die einzelnen Wassertröpfchen vorbeischwebten. Sie wirbelten in den sichtbaren Luftströmen umher und kondensierten auf dem Metall meiner Kletterausrüstung zu glänzenden Perlen. Ich hatte in meinem Klettergurt geschlafen, der an einem Seil befestigt war, meine einzige direkte Verbindung zu der anderen Welt weit unter mir.

* * *

Der gestrige Kletterakt hatte schon fast etwas von einer Mission gehabt. Borneo ist von dem größten tropischen Regenwald dieser Erde bedeckt, und viele der hiesigen Laubbäume sind weit über 70 Meter hoch, mit Stämmen, an denen erst in fast 50 Metern Höhe die ersten Äste entspringen. Hohe gerade Pfeiler aus Holz, die in großer Höhe umfangreiche Schirme aus Ästen tragen. Ein Seil dort oben anzubringen war oft schier unmöglich.

Aus Erfahrung wusste ich, dass mein Katapult einen 200-Gramm-Wurfbeutel in eine Höhe von etwa 50 Metern befördern konnte. Doch immer wieder verfehlte der Beutel den angepeilten Ast, und die an ihm befestigte dünne Schnur trudelte erneut abwärts und blieb schlaff und leblos im Unterwuchs hängen. Der Ast war offensichtlich deutlich höher als ich angenommen hatte. Entnervt befestigte ich schließlich das Katapult an einer drei Meter langen Stange und zog unter Einsatz meines Körpergewichts das ächzende Gummiband bis zum Boden hinunter. Meine Muskeln zitterten, als ich in die Hocke ging und auf den Ast hoch über mir zielte. Als ich losließ, schnalzte das Gummi wie eine Peitsche und zog sich zu einer schlaffen Schlaufe zusammen. Ich ließ die Stange zu Boden fallen. Der Beutel schoss durch die Lücke im dichten Unterwuchs und erreichte den angepeilten Ast, den er nur um Zentimeter überflog. Dann sauste er wieder abwärts, die Schnur zischte mit einem hohen Pfeifton hinterher, bevor der Beutel sich schließlich mit einem dumpfen Schlag in das am Boden verstreute Laub bohrte. Danach kehrte wieder Stille ein. Mit dem beschlagenen Feldstecher versuchte ich den Verlauf der dünnen Schnur gegen den hellen tropischen Himmel über mir zu verfolgen. Endlich doch noch ein gelungener Versuch.

Mit Hilfe der Schnur zog ich mein Kletterseil zu dem Ast empor und wieder zurück zum Boden, wo ich es um den Fuß eines benachbarten Baumes schlang und festknotete.

Der Beginn einer Kletterpartie in die Krone eines solchen Baumriesen ist immer eine langsame und mühselige Sache. Die meiste Energie wird von der Elastizität eines derartig langen Seils aufgesaugt. An die 120 Meter Seil waren im vorliegenden Fall im Einsatz, daher hüpfte ich unfreiwillig auf und nieder, wenn sich das Nylon dehnte und wieder zusammenzog. Immer wieder stolperte ich zwischen die riesigen Brettwurzeln, und erst als ich schon ein gutes Stück weit hinaufgekommen war, konnte ich beide Füße gegen den Stamm stemmen und einen festeren Halt gewinnen. Mit Hilfe von zwei Steigklemmen, einer Technik, die unter Kletterern auch »Jümarn« genannt wird, arbeitete ich mich Stück für Stück an dem dünnen Nylonseil nach oben. Rhythmus ist beim Klettern entscheidend, und dabei lohnt es sich, die eigenen Bewegungen mit dem natürlichen Auf- und Abschwingen des Seils zu synchronisieren. Dennoch stand mir ein langer Aufstieg am freien Seil bevor. Meine Arme waren bereits erschöpft von dem Kraftakt, den es mich gekostet hatte, den Wurfbeutel in die Höhe zu katapultieren, daher stemmte ich mich, um meine Armmuskeln zu entlasten, in erster Linie mit Hilfe meiner Beine aufwärts.

Die nächste Herausforderung bestand darin, sich durch das Gestrüpp des Unterwuchses nach oben zu arbeiten. Ranken umschlangen mich wie Tentakel, Blätter wischten mir über das verschwitzte Gesicht, hinterließen Staub und Algen in Augen und Ohren. Die ungeheure Menge an biologischem Abfall, auf die man in diesen unteren Bereichen stößt, ist unglaublich. Aufgefangen von einem Netz aus Blätterwerk, stauen sich dort die Ablagerungen von Jahrzehnten, tote Äste und verrottende Pflanzenteile, und warten nur darauf, befreit zu werden. Die ersten 15 Meter waren ein Kampf mit dem Dreck. Pflanzlicher Abfall fiel in Minilawinen auf mich herunter, um sich an meinen schweißnassen Kleidern festzusetzen, und bei jedem Ruck des Seils regnete feiner schwarzer Kompost auf mich herab. Aber es gab nur diesen einen Weg nach oben: die vorgegebene Linie des gespannten Seils über mir. Als ich endlich in den offenen Raum oberhalb des Unterwuchses vorstieß, war ich über und über mit Schmutz bedeckt.

Obwohl es spät am Nachmittag war, traf mich die tropische Sonne mit voller Wucht, als ich mit dem Kopf aus dem Unterwuchs auftauchte. Auf den folgenden 30 Metern gab es nichts als den offenen Raum und den monolithischen Baumstamm neben mir. Diese astlose Region ist ein merkwürdiges Zwischenreich, in der ein Kletterer vollkommen der gefährlichen Situation ausgesetzt ist, in großer Höhe über dem Erdboden an einem Nylonfaden zu baumeln. Indem ich mich ganz auf die braune schuppige Borke vor meinen Augen konzentrierte, arbeitete ich mich Stück für Stück weiter hinauf zur Baumkrone, die Sicherheit verhieß.

Zehn Stockwerke über dem Erdboden, befand ich mich jetzt auf halbem Weg nach oben, und der Baumstamm hatte immer noch einen Durchmesser von eineinhalb Metern. Diese Laubbäume auf Borneo sind, was ihre Dimensionen betrifft, mit keinen Laubhölzern der Welt vergleichbar. Ich hielt inne und schwang mich herum, um die Aussicht zu genießen. Ich hatte mir diesen Augenblick bis zu dem Zeitpunkt aufgespart, an dem ich schon ein gutes Stück über den Unterwuchs hinausgelangt war, damit es sich auch lohnte. Doch während des Kletterns hatte ich die ganze Zeit ihre Präsenz hinter meinem Rücken gespürt. Eine fast greifbare, brütende Wachsamkeit, als bohrten sich Tausende verborgener Augenpaare aus dem umliegenden Dschungel in mich.

Langsam kreiste ich an meinem Seil und wurde von einer der atemberaubendsten Aussichten begrüßt, die ich je gesehen hatte. Dichter Regenwald breitete sich vor mir aus, fiel steil von der Bergkante ab, um in der Tiefe in eine reizvolle Landschaft aus Baumriesen überzugehen. Gegen den Horizont, viele Meilen entfernt, stieg der Wald wieder an und überwucherte eine Kette von hohen, zerklüfteten Hügeln. Ein weiter Ozean von unerforschtem, jungfräulichem Dschungel. Welche Wunder warteten in jenen Bäumen dort drüben auf ihre Entdeckung?

Ich war jetzt an meinem Seil der brennenden Sonne voll ausgesetzt und spürte, wie mir der Schweiß zwischen den Schulterblättern den Rücken hinunterlief. Die Luft war von Feuchtigkeit gesättigt, und in der Ferne hörte ich Donnergrollen. Als ich die Arme ausstreckte, um den nächsten Klimmzug in Angriff zu nehmen, war mein Hemd bereits durchnässt und klebte mir wie Frischhaltefolie am Körper. Ich stemmte mich weiter hinauf in den gesprenkelten Schatten der Baumkrone über mir. Bald erreichte ich meinen Ast, 60 Meter über dem Boden, und nachdem ich mich keuchend hinaufgeschwungen hatte, nahm ich den Helm ab, um die überschüssige Körperwärme zu verringern.

Die folgenden 20 Minuten verbrachte ich damit, meine Hängematte zwischen zwei waagerechten Ästen aufzuspannen. Als ich mich schließlich hineinrollen ließ und mein erschöpfter Körper zu einem Bündel Knochen und Fleisch zusammensackte, schwand bereits das Tageslicht. Die Donnerschläge, weit entfernt zunächst, wurden immer lauter und folgten immer dichter aufeinander. Nicht lange danach öffneten sich die Himmelsschleusen, und süßer, schwerer Regen fiel in meine hohlen Hände, als...


Aldred, James
James Aldred ist im englischen New Forest aufgewachsen, wo seine Liebe zum Wald ihre Wurzeln hat. Er reist als professioneller Bäumekletterer und Kameramann u.a. für die BBC mit David Attenborough und für den National Geographic um den Globus, um die Wipfel unglaublich majestätischer Baumriesen unter abenteuerlichsten Umständen zu erklimmen. Für seine atemberaubenden Aufnahmen wurde er bereits mit einem EMMY ausgezeichnet.



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