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E-Book, Deutsch, 528 Seiten
Aljochina Political Girl
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8270-8124-7
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Pussy Riot - Leben und Schicksal in Putins Russland
E-Book, Deutsch, 528 Seiten
ISBN: 978-3-8270-8124-7
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Maria (Mascha) Aljochina ist eine russische Konzeptkünstlerin und politische Aktivistin. Sie ist Mitglied des Kunstkollektivs Pussy Riot. Im August 2012 wurde sie nach einer Anti-Putin-Performance in der Moskauer Erlöser-Kathedrale zu zwei Jahren Haft verurteilt und im Dezember 2013 nach einem Amnestiegesetz von Amnesty International freigelassen. Im März 2014 gründeten Maria Aljochina und Nadja Tolokonnikowa Sona Prava, ihre NGO für Gefangenenrechte. Aljochina ist Trägerin des Lennon Ono Grant for Peace und wurde mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken ausgezeichnet.
Weitere Infos & Material
Grigori Rodtschenkow, Leiter des russischen Anti-Doping-Labors, dem in einer internationalen Untersuchung vorgeworfen wurde, positive Dopingtests russischer Athletinnen und Athleten vertuscht und Urinproben vernichtet zu haben, hat anlässlich der Olympischen Spiele einen eigenen, unverwechselbaren Cocktail entwickelt. Hierfür wurden ihm ein Labor und fünfzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Dieser »Duchess«-Cocktail, eine Mischung aus drei verbotenen Substanzen, wurde den Sportlerinnen und Sportlern in einer Alkoholtinktur verabreicht. Whisky für die Männer und Martini für die Frauen. Um die Urinproben kümmerte sich der Geheimdienst. Jedes Probenfläschchen war nummeriert und so konstruiert, dass der Verschluss kaputtging, sobald er unerlaubt geöffnet wurde. Die Anti-Doping-Kommission in Sotschi bestand aus hundert internationalen Fachleuten, die das Verfahren streng kontrollierten und die Einrichtungen rund um die Uhr überwachten.
Operation Erfolg
Doch der FSB fand eine Lösung: ein kleines Loch in der Wand, das von einem Möbelstück verdeckt wurde. Jede Nacht reichten Rodtschenkow und sein Team die Probenfläschchen durch das Loch in den Nebenraum, wo FSB-Offiziere sie entgegennahmen. Später kamen dieselben Fläschchen scheinbar unverändert und mit sauberem Urin zurück.
Später wird Putin Rodtschenkow den Orden der Freundschaft verleihen.
Olympische Winterspiele in den Subtropen
Putin will die »Größe Russlands« demonstrieren, also sind die Olympischen Spiele in Sotschi auch die teuersten der Geschichte.
Putin hat versprochen, zwölf Milliarden Dollar für die Spiele auszugeben, und allein diese Zahl übertraf alle bisherigen olympischen Budgets. Aus diesen zwölf Milliarden wurden mit der Zeit fünfzig Milliarden, eine Summe, von der russische Kranken- und Waisenhäuser nur träumen können.
Baustellen des Todes
Für den Bau der olympischen Sportstätten werden Arbeitsmigranten ins Land geholt. Man verspricht ihnen gute Löhne, sie erhalten gefälschte Papiere, und wenn es an der Zeit wäre, sie zu bezahlen, kommt ein Polizist, und sie werden abgeschoben. Dann fährt ein Bus mit einer neuen Ladung Bauarbeiter vor.
In der Stadt arbeiten Polizei, Migrationsbehörde und Stadtverwaltung zusammen. Auch Kosakeneinheiten helfen aus. Die Kosaken machen sich über die ausländischen Bauarbeiter lustig. Die Polizei geht mit gesetzwidriger Härte vor, Verhaftete werden unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten, geschlagen und in Garagen gesperrt. Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, die vor Polizeistationen demonstrieren, werden unter Androhung von Gewalt vertrieben.
Einer Gruppe von Arbeitern, die mit Streik drohte, sagte man, dass sie entlassen seien. Zwei der Arbeiter wurden umgehend verhaftet. Der Elektriker Mardiros Demertschjan wurde auf der Polizeiwache erst mehrere Stunden lang geschlagen und dann mit einem Brecheisen vergewaltigt. Danach gab er zu, ein Stromkabel gestohlen zu haben. Er hatte aber nichts gestohlen. Nach der Folter verlor Mardiros den Verstand.
Putin wird dich lehren, das Vaterland zu lieben
Eine Woche vor Ende der Spiele fliegen wir ins olympische Sotschi, um unsere Aktion durchzuführen. Wir sind sicher, dass wir unterwegs alle verhaftet werden. Wir fliegen von Moskau aus, ein großes, zwölfköpfiges Team, verteilt auf vier Flüge. Vielleicht nehmen sie einige von uns schon am Flughafen fest, doch so besteht wenigstens die Chance, dass manche es bis nach Sotschi schaffen.
In der Olympiastadt scheint es mehr FSB-Beamte als Einwohner zu geben. Die Verkäufer, die einem an den offiziellen Hotdog-Ständen die Wurst ins Brötchen stecken, bekleiden mindestens den Dienstrang eines Unterleutnants des Sicherheitsdienstes.
Am Ausgang des Flughafens rauche ich mit Nadja eine Zigarette. Sofort sind wir von Polizisten in Uniform umzingelt. Sie wollen unsere Papiere sehen.
- Was machen Sie hier?
- Wir haben nichts verbrochen.
- Sie dürfen hier nicht rauchen. Sie müssen mit uns mitkommen.
Als Aktivistin wird man sehr wahrscheinlich unter »Überwachungskontrolle« gestellt. Spezialeinheiten überprüfen innerhalb von ein bis zwei Stunden jede Eintrittskarte, die du gekauft hast. Aus der Anfang der 2000er-Jahre eingerichteten »Wanted Route«-Datenbank erhalten die Behörden eine automatische Warnung. Wir werden schon erwartet. Wir geben ihnen unsere Papiere nicht. Wir diskutieren mit ihnen. Wir lassen sie stehen.
Überwachungskontrolle
Wir mieten ein Auto. Wir wollen uns die erste Location für das Pussy-Riot-Video ansehen. Nachts auf einer leeren Straße wird unser Wagen von einem Soldaten der Spezialkräfte in Tarnanzug angehalten. Das übliche AK-47 über der Schulter und die routinemäßige Auskunft: »Sie sind zur Fahndung ausgeschrieben.« Keine halbe Stunde später taucht eine Polizeieinheit mit zwei korpulenten Männern in giftgrünen reflektierenden Uniformen vor uns auf der Straße auf. Sie behaupten, das Auto sei gestohlen und der Führerschein der Pussy-Riot-Aktivistin am Steuer sei gefälscht.
- Dürfen wir weiterfahren, oder sind wir verhaftet?
- Nein, Sie dürfen hier nicht weg, aber Sie sind nicht verhaftet!
willkommen in Sotschi
Wir wohnen im Hotel Malachit. Dreißig Meter vom Meer entfernt. Wir schlafen ein paar Stunden. Möbel im Sowjetstil, Decken mit Spiralmustern, die Fenster mit grüner Spiegelfolie beklebt. Sobald man sich ins WLAN einwählt, werden die E-Mails gehackt.
An einem Februarmorgen um acht gehen wir im eiskalten Schwarzen Meer schwimmen. Es ist unser erster Dreh für das Olympia-Musikvideo. Wir wissen nicht, ob wir in der Stadt drehen dürfen. Deshalb fangen wir erst einmal hier an. Ein Polizeiwagen hält am menschenleeren Strand. Beamte steigen aus. Zwanzig Minuten lang filmen sie uns schweigend mit mehreren Kameras. Frauen mit Sturmhauben, die vor Kälte kreischen und in den Wellen herumtollen.
eisiges Schwarzes Meer
Mittags auf dem Weg zum nächsten Drehort werden wir von einem Grenzkommando des FSB angehalten. Sie nehmen uns mit zum Verhör. Unsere Autos werden von der politischen Polizei eskortiert, Leuten vom »Zentrum E« für Extremismusbekämpfung – eine regelrechte Kolonne aus Wagen verschiedener Spezialeinheiten.
Wir werden festgenommen, weil wir keine Aufenthaltserlaubnis für die »spezielle Grenzzone« besitzen. Die Beamten können uns nicht sagen, nach welchen Kriterien diese Sonderzone definiert ist. Das ist auch nicht verwunderlich, denn fast alle olympischen Einrichtungen befinden sich innerhalb dieses Bereichs. Wer also das Olympiastadion verlässt, könnte wegen Betretens dieser »Grenzzone« verhaftet werden.
Die nächsten zwölf Stunden verbringen wir in einem Militärstützpunkt an der Grenze zu Abchasien, das einmal zu Georgien gehörte. Sie lügen unseren Anwalt an und behaupten, dass wir nicht hier seien.
Grenzzone
Nachdem wir zwölf Stunden von FSB-Grenzbeamten verhört wurden, gehen wir essen. Ein Nachtcafé mit Ledersofas. Chartscho-Suppe und olympisches Eishockey im Fernsehen. Wir sind die einzigen Gäste im ersten Stock. Ein Mann mit schmutzigem T-Shirt, fettigen schwarzen Haaren und einer Flasche Wodka setzt sich neben uns. Mit betonter Großspurigkeit nimmt er einen Schluck. Er kennt bereits unsere Namen.
- Mädchen, lasst uns zusammen was trinken!, sagt der Kerl zur Begrüßung.
- Klar, gerne, stimmen wir freudig zu.
- Worauf sollen wir trinken?
- Auf die Russische Revolution natürlich, antworte ich.
Ich fände es großartig, wenn der schlecht verkleidete Agent mit uns auf die Revolution anstoßen würde. Ein zweiter Mann erscheint am Nebentisch. Nicht weniger schmierig. Er fängt an, »unseren Mann« anzupöbeln, und »unser Mann«, der ja »zu uns« gehört, bittet uns um Schutz. Die Polizeiagenten versuchen, uns in eine fingierte Schlägerei zu verwickeln, und tun krampfhaft so, als wären sie ganz normale Cafébesucher. Wir packen unsere Sachen und gehen, aber sie versuchen, uns...




