E-Book, Deutsch, Band 16, 412 Seiten
Reihe: Kommissarin Pia Korittki
Almstädt Ostseefalle
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7517-0378-9
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Pia Korittkis sechzehnter Fall
E-Book, Deutsch, Band 16, 412 Seiten
Reihe: Kommissarin Pia Korittki
ISBN: 978-3-7517-0378-9
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bei der Sanierung eines Bauernhauses entdecken die Bewohner im Keller einen skelettierten Schädel. Kommissarin Pia Korittki leitet die Ermittlungen. Sie stößt auf den Fall einer vor neun Jahren verschwundenen jungen Frau. Der damals Hauptverdächtige lebt noch immer in dem kleinen Ort. Doch all das wird nebensächlich, als Pia die Nachricht erhält, dass ihr Sohn Felix einen schweren Unfall hatte. Zu spät erkennt sie, dass es eine Falle war - und dass der Cold Case, in dem sie ermittelt, alles andere als 'kalt' ist ...
Eva Almstädt absolvierte eine Ausbildung in den Fernsehproduktionsanstalten der Studio Hamburg GmbH und studierte Innenarchitektur in Hannover. Ihr erster Roman Kalter Grund wurde zum Auftakt der erfolgreichen Serie um die Lübecker Kommissarin Pia Korittki. Eva Almstädt lebt in Hamburg.
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2. Kapitel
Olaf Warburg stand, die Flasche Champagner in der einen Hand, den Korb mit den Sektgläsern in der anderen, vor seinem neuen Haus. An der schief in den Angeln hängenden Gartenpforte blieb er stehen. Seine Frau Inka, die ihm mit dem Werkzeugkoffer folgte, stolperte beinahe in ihn hinein. Wie gebannt wanderte sein Blick über die bröckelnde Backsteinfassade hinauf zu dem kaputten Eternitdach. Die Vögel hatten Moos und verrottete schwarze Blätter aus der verbogenen Dachrinne auf den Weg aus Waschbetonplatten geworfen.
»Es sieht schlimmer aus, als ich es in Erinnerung habe«, sagte er leise.
»Kannst du bitte weitergehen, Olaf?«, fragte Inka und drängte sich an ihm vorbei. »Es fängt gleich an zu regnen.«
Das heruntergekommene Bauernhaus mit den dunklen Fensteröffnungen schien ihn höhnisch anzustarren. Jetzt gehöre ich dir. Du hast es so gewollt. Viel Vergnügen mit deinem Vorhaben!
Inka ging zielstrebig auf die braun gestrichene Eingangstür zu. Die Glaseinsätze hatte ein wohlmeinender Mensch vor geraumer Zeit mit Pappe zugenagelt, nachdem die Scheiben zerbrochen waren. »Schlüssel!« Inka streckte die freie Hand in seine Richtung.
Er hasste es, wenn sie in Einwortsätzen zu ihm sprach. Wortlos legte er den Schlüsselbund hinein, den der Makler ihnen am Vormittag mit einem süffisanten Lächeln, wie Olaf es empfunden hatte, überreicht hatte.
Inka drehte den Schlüssel im Schloss, rüttelte an der Klinke und stieß die Haustür auf. Putz rieselte aus den Fugen über der Tür. Sie trat ein, und er folgte ihr. Als sie sich in dem dunklen Flur gegenüberstanden, blickte sie ihn mit glänzenden Augen an. »Na dann, willkommen!«
»Wo wollen wir auf dein neues Haus anstoßen? In der Küche?«
»Es ist auch dein Haus, Schatz!«
Er nickte. Aber du wolltest es unbedingt haben, ergänzte er in Gedanken.
Inka stieg über einen alten Federrahmen und zwei umgeworfene Stühle hinweg und öffnete die morsche Kassettentür, die in die Küche führte. Hatte er beim letzten Besichtigungstermin wirklich gedacht, dass man die noch restaurieren könnte? Der Unrat, der auf allen freien Flächen verteilt lag, ließ sogar Inka einen Moment lang ratlos dastehen.
Er hatte sich vorgestellt, wie sie in dem blühenden, von Kletterrosen umrankten Garten auf ihr neues Haus anstoßen würden. »Hier geht das irgendwie nicht.« Olaf kehrte in den Flur zurück und suchte sich einen Weg durch das Labyrinth aus Wänden mit vergilbten Tapeten, alten Möbeln und blauen Müllsäcken. Er erreichte die von drei Seiten bunt verglaste Veranda. Hier war es heller und der Geruch nach Schimmel, feuchten Steinen und etwas noch Ekligerem, das er nicht näher einordnen konnte, weniger aufdringlich.
Inka war ihm gefolgt. Sie nahm ihm die Flasche ab und ließ den Korken gegen die Decke knallen. Sie schenkte die zwei Sektkelche voll, die er ihr hinhielt, ohne sich darum zu kümmern, dass der Champagner auch über seine Hände und auf den Fußboden lief. Sie stießen miteinander an.
»Auf unser gemeinsames Projekt!«, sagte sie.
»Das hoffentlich ein Erfolg wird.«
»Mach dir doch nicht dauernd Sorgen, Olaf. Es wird wunderbar werden. Dieses Haus ist ein Traum!«
»Na ja. Momentan ist es eher ein Albtraum.« Er bemühte sich, dass es scherzhaft klang.
»Benutze doch zur Abwechslung mal deine Fantasie.«
»Was denkst du, was ich die ganze Zeit über tue? Ansonsten hätte ich dem hier wohl kaum zugestimmt.«
»Vertrau mir. Ich bin die Bauingenieurin. Im Sommer werden wir bereits auf der Veranda sitzen und Kaffee trinken. Oder im Garten unter dem Kirschbaum.«
Er verzog das Gesicht und trank sein Glas leer. Nun, Inka hatte ihren Spielplatz bekommen. Möge er sie glücklich machen.
Sie stellte das halb volle Glas auf einem Regal ab, das mit Büchern und Papieren gefüllt war. »Ich gehe ein bisschen herum, solange es noch hell genug ist. Morgen müssen wir unbedingt Glühbirnen und einen Bauscheinwerfer mitbringen.«
Er hatte keine große Lust, sich jetzt noch mal die anderen Räume anzuschauen. Stattdessen schenkte er sich nach und ging mit dem Sektkelch in der Hand hinaus in den Garten. Die Luft war feucht, aber es regnete noch nicht. Alles, was draußen war, empfand er trotz des hüfthohen Unkrauts und ein paar Bretterstapeln als gesund, beinahe romantisch, während ihm die Innenräume heute wie eine Brutstätte von Krankheit und Unheil erschienen. Er würde Staubmasken besorgen und vielleicht diese weißen Maler-Overalls, um sich zu schützen, jedenfalls solange sie den alten Müll dort drinnen entsorgten.
Inka Warburg ärgerte sich über ihren Mann. Wieso musste er immer alles verderben? Konnte er nicht sehen, was für ein Juwel sie erworben hatten, noch dazu zu einem Spottpreis? Allein das über zweitausend Quadratmeter große Grundstück in der Nähe von Lübeck und dem Elbe-Lübeck-Kanal war das Geld wert. Und was man aus diesem Haus alles machen konnte …
Als Bauingenieurin und Architektin hatten sie Umbauten von jeher mehr gereizt als Neubauten. Die schwierigen Gegebenheiten forderten sie heraus. Es war so viel spannender und befriedigender; besonders, wenn man das Vorher mit dem Nachher später miteinander vergleichen konnte.
Was war denn das hier? Sie hatte während ihrer vorherigen Besichtigungen den Raum, der fünf Stufen erhöht hinter einer Tür lag, bloß flüchtig begutachtet. Er war leer, besaß nur ein kleines Fenster und einen braun gestrichenen Bretterboden, unter dem es hohl klang. Inka vermutete, dass sich darunter ein Kellerraum befand, weil ihr bei einem Rundgang um das Haus auch mal ein einzelnes Kellerfenster aufgefallen war. War dort unten ein Lagerraum für Kartoffeln oder Kohle gewesen? Doch wo war der Zugang dazu? Sie hatten sich diesen Raum noch gar nicht angeschaut …
Als sie wieder vor der Holztreppe mit den fünf Stufen stand, die in den Raum oberhalb des vermeintlichen Kellers führte, sah sie, dass zwischen den Wänden und den Seitenwangen der Treppe je ein Spalt war. Das war seltsam. War das etwa …? Inka griff unter die erste Stufe und hob die Treppe ein Stück an. Es ging erstaunlich leicht. Sie tastete nach oben und fand einen Haken, mit dem sich die Treppe oben fixieren ließ. Inka erblickte sechs Steinstufen, die steil vor ihr nach unten führten. »Hier geht es also in den Keller«, flüsterte sie. Hatte der Makler das etwa nicht gewusst?
Mit eingezogenem Kopf stieg sie langsam hinunter und gelangte in einen niedrigen, halb unterirdisch gelegenen Raum. Durch ein stark verschmutztes Kellerfenster, in dessen Kasematte braunes Laub lag, fiel nur wenig Licht herein. Es reichte nicht aus, um zu den Seiten hin viel zu erkennen. Doch im Gegensatz zu seinem Pendant oben war dieser Raum möbliert. Die Wände waren ebenfalls mit dunkel gestrichenen Brettern verkleidet. Das Fenster hatte sogar Gardinen, die zur Seite gezogen waren und vor Spinnweben starrten. An den Wänden und von der Decke hingen Gegenstände. Inka holte ihr Smartphone aus der Tasche und schaltete die Taschenlampenfunktion ein.
Der Lichtstrahl fiel in ein Paar bernsteinfarbene Augen. Inka sog scharf die Luft ein. Es waren die Glasaugen eines präparierten Fuchses, der auf einem Regalbrett stand. Seine nadelspitzen Zähne in dem aufgerissenen Maul waren gelb, das Fell sah struppig aus. Unter dem Regal befand sich eine altmodische Kinderwiege auf Kufen mit einem Himmel aus ehemals dunkelblauem Samt, diverse Kleinmöbel vom Nierentischchen über Truhen und Schrankkoffer in verschiedenen Größen bis hin zu einem Ohrensessel, in dem ein Teddybär mit nur einem Bein und einem abgerissenen Ohr saß. Alte Ölschinken mit Porträts und Landschaften, einfach gemalt, standen an der Wand gestapelt, ein altersfleckiger Spiegel mit schwerem Goldrahmen und … eine Guillotine vervollständigten das Ensemble.
Was zum Teufel …? Es dauerte einen Moment, bis Inka die Lösung dieses Rätsels ansprang: Theaterrequisiten! In diesem Raum lagerten Dinge, die auf der Bühne eines Theaters gebraucht wurden. Eine präparierte Eule stand auf einem Sims, daneben waren Vasen und Tonkrüge in verschiedenen Farben und Formen aufgereiht. Ein mit Edelsteinen verzierter Trinkbecher …
Ungeachtet des Staubs kletterte Inka über eine Holztruhe hinweg, um den Becher zu begutachten. Natürlich waren es nur Glassteine, die aus der Nähe betrachtet nicht mal den Anschein erweckten, echt zu sein. Sie ging an dem Sims entlang und versuchte zu erraten, welches Requisit zu welchem Theaterstück passte.
»Was für eine Sammlung!«, murmelte sie. Warum hatte jemand das alles nur hier zurückgelassen? Jedenfalls gehörte es jetzt ihr. Wer weiß, was das alles wert war? Vielleicht gab es Sammler, die Gefallen an diesen Dingen fanden? Einige der Gegenstände schienen ihr recht ausgefallen zu sein. Ein menschlicher Schädel in der Ecke sah beinahe echt aus. Die Größe passte zumindest.
Inka streckte die Hand aus, doch dann wich sie zögernd wieder zurück. Es sah wirklich aus wie ein menschlicher Schädel. Gerade so wie der Totenkopf des Schulskeletts damals im Biologieunterricht, das sie Egon genannt hatten.
»Olaf!«, rief sie. Ihre Stimme war eine Oktave höher als sonst. »Olaf, kommst du mal bitte her!«
»Ach, hier unten bist du?« Ihr Mann tappte mit unsicheren Schritten die Stiege hinunter. Sie waren beide nicht groß, sie 1,68 m, er knapp 1,73 m, doch er musste beim Heruntersteigen den Kopf schräg halten, um nicht gegen die Unterkanten der Stufen der hochgeklappten Treppe zu stoßen.
Inka ließ den Lichtstrahl ihres Handys über die Sammlung...