Alsaid Let's get lost
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7325-1185-3
Verlag: ONE
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 365 Seiten
ISBN: 978-3-7325-1185-3
Verlag: ONE
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Auf der Suche nach den Polarlichtern fährt Leila mit ihrem klapprigen Auto quer durch die USA. Unterwegs trifft sie auf Menschen, zu denen sie sofort eine besondere Verbindung spürt. Da ist Hudson, der dachte, er sei eigentlich ganz zufrieden mit seinem Leben. Bree, die immer und überall das Abenteuer sucht. Elliot, der vom perfekten Happy End träumt. Und Sonia, die ihre erste Liebe einfach nicht vergessen kann. Mit allen erlebt Leila einzigartige Momente, allen hilft sie, den richtigen Weg einzuschlagen. Und Leila? Sie versteht, dass man manchmal verloren gehen muss, um sich selbst zu finden.
Eine Geschichte über Liebe, Verlust, Hoffnung und den Sinn des Lebens
Weitere Infos & Material
1.
Hudson hörte den Motor schon, als der Wagen noch mehrere Blocks entfernt war. Er trat aus der Werkstatt und lauschte mit geschlossenen Augen, dröselte im Kopf die Geräusche auseinander, sodass er nachher bereits vor dem Öffnen der Motorhaube genau wissen würde, was zu reparieren war.
Wenn er so vor der Werkstatt stand, die Musik eines noch weit entfernten Autos im Ohr, konnte Hudson alles andere um sich herum vergessen. Schule, Mädchen, seine Zukunft, die Frage, ob seine Kumpels wirklich Vollpfosten waren oder sich nur so aufführten – alles weg. Wenn er die Augen zumachte, reduzierte sich Hudsons Welt auf einen einzigen Motor und sonst nichts; es war eine Welt, in der er nicht nur jedes noch so kleine Bauteil beim Namen nennen konnte, sondern auch genau wusste, wozu es diente, wie es funktionierte und wie es zu reparieren war.
Als die Bremsen des Wagens zwitscherten, weil der Fahrer die Geschwindigkeit drosselte, um auf die Zufahrt zur Werkstatt einzubiegen, öffnete Hudson die Augen. Es war ein alter Plymouth Acclaim, die Sorte Auto, die einige nur zu gern zum Schrott abschoben und andere so von Herzen liebten, dass sie sich weigerten, es je sterben zu lassen. Der Wagen hatte schon bessere Tage gesehen, der rote Lack platzte überall ab und der Auspuffdämpfer war längst nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu dämpfen. Hudson winkte den Fahrer – es war eine Fahrerin, wie er jetzt erkannte – zu sich heran. Er war immer noch damit beschäftigt, die Probleme des Autos im Ohr zu analysieren, als das Mädchen den Motor ausmachte und ausstieg.
Hudson erlaubte sich nur einen flüchtigen Blick auf sie und wusste trotzdem sofort, dass sie eines von diesen Mädchen war, die einen glauben machen, das Leben sei nur dann vollkommen, wenn sie ein Teil davon sind. Sie war das reinste Sammelsurium aus Widersprüchen: klein gewachsen, aber langbeinig; wild funkelnde grüne Augen, aber ein sanfter Gesichtsausdruck; Babyface, aber von einer geradezu weisen Aura umgeben. Sie trug ein eng anliegendes, schlicht rotes T-Shirt, das zum Wagen passte. Die schwarzen Locken hingen ihr offen bis knapp unters Kinn.
»Tag«, sagte sie mit einem höflichen Lächeln.
Hudson erwiderte den Gruß, wobei er den neutralen Ton anzuschlagen versuchte, den er für die meisten Kunden benutzte. Er bat sie, die Motorhaube zu öffnen, und ging um den Wagen herum, um den Riegel zu lösen. Eigentlich hatte er sich sofort in die Arbeit stürzen wollen, aber entgegen seinem Instinkt riskierte er einen zweiten Blick auf das Mädchen. Wie lange würde die Erinnerung an ihr Gesicht ihn verfolgen? Tagelang? Wochenlang?
»Irgendwelche besonderen Probleme?«
»Ich weiß nicht genau …« Sie steckte die Hände in die hinteren Taschen ihrer Shorts, sodass sich ihre Haltung komplett veränderte, was Hudson beim besten Willen nicht ignorieren konnte. Auch die stille Welt außerhalb der Werkstatt bemerkte die Veränderung in ihrer Haltung, die schwüle Mississippi-Luft tat es, selbst die unzähligen Ölflecken auf dem Werkstattboden taten es. »Ich bin nur gerade zu einer ziemlich langen Fahrt gestartet, und der Wagen kommt mir irgendwie laut vor, deswegen wollte ich sicherheitshalber mal nachschauen lassen, ob alles okay ist.«
Hudson griff sich ein sauberes Tuch vom Regal neben ihm und machte sich daran, den Ölstand und die Getriebeflüssigkeit zu checken. Er arbeitete am liebsten schweigend vor sich hin, nichts als das leise Flüstern des abkühlenden Motors im Ohr, Hände und Werkzeug im ständigen Kontakt mit der Maschine. Aber dieses Mädchen hatte irgendetwas an sich, das ihn gesprächig machte. »Wo willst du denn hin?«
»Nach Norden«, sagte sie. »Ganz hoch nach Norden.«
»Kommst du hier aus der Gegend?« Auf einmal war ihm sein gedehnter Dialekt peinlich, die Hebung auf den Vokalen, überhaupt die ganze Glanzlosigkeit seiner Erscheinung.
»Nö. Du?«
Er lachte leise, während er mit beiden Händen über den Motor fuhr und nach eventuellen Rissen im Keilriemen suchte. »Jep. Hier geboren, hier aufgewachsen.« Er nickte abwesend, während er im Kopf eine Liste erstellte, was er alles würde reparieren müssen. »Darf ich fragen, wo du dann herkommst?«
»Darfst du.« Hudson meinte, ein Lächeln mitgehört zu haben, aber als er hochschaute, schlenderte sie durch die Werkstatt, nahm neugierig die Regale und den ganzen darauf versammelten Kram in Augenschein. »Ich bin in Texas geboren. In einer Kleinstadt so ähnlich wie diese hier.«
»Wenn du aus Texas stammst und nach Norden unterwegs bist, was führt dich dann nach Vicksburg? Liegt ja nicht gerade auf dem Weg.«
»Ich wollte, dass mein Auto fit gemacht wird, und ich hab gehört, du wärst der Beste dafür in der Gegend.« Als er ein zweites Mal hochsah, grinste sie.
Wochen, dachte Hudson, ich werde noch wochenlang an dieses Gesicht zurückdenken. Sie ging um das Auto herum und stellte sich neben ihn vor die offene Motorhaube. »Und, was meinst du? Packt meine Süße die lange Fahrt?«
»Wenn ich mit ihr fertig bin, ja. Ich wechsel alle Flüssigkeiten einmal aus, mach neue Zündkerzen rein … Kann sein, dass der Keilriemen ausgetauscht werden muss, aber ich glaube, wir haben das passende Ersatzteil da. Die Bremsen checke ich auch durch, die haben sich nicht so gut angehört, als du hier reingefahren bist. Aber das ist alles nichts Besorgniserregendes.«
Einen Augenblick lang vergaß Hudson das Mädchen und freute sich darauf, sich die Hände schmutzig zu machen, freute sich auf die Ölflecken, die er sich in die Arbeitshose schmieren würde – neue Kampfnarben, die er mit Stolz zur Schau tragen würde.
»Du machst das richtig gern, was?«
Als Hudson aufsah, stand sie so nahe bei ihm, dass er ihren Duft riechen konnte, der sich durch die Öldämpfe in der Werkstatt zu ihm durchschlängelte. »Ich mache was gern?«
»Mich ansehen«, sagte sie, dann klatschte sie ihm spielerisch auf den Arm. »Das hier, du Dummie. Autos reparieren. Das sieht man.«
Er zuckte mit den Schultern, so wie man es tut, wenn man gar nicht anders kann, als etwas richtig gern zu machen. »Wenn du willst, kannst du mit reinkommen und da warten, bis ich den Kostenvoranschlag fertig hab.«
»Brauchst du nicht«, sagte sie. »Mach einfach, was gemacht werden muss. Ich vertrau dir.«
»Hm, das könnte aber ein paar Stunden dauern«, sagte Hudson. »Da drin gibt’s Kaffee und einen Fernseher. Und Zeitschriften auch. Ein Stück die Straße runter ist auch ein guter Burger-Laden …« Seine Stimme verebbte, als ihm klar wurde, dass er sie gar nicht wirklich gehen lassen wollte. Normalerweise war es egal, welche Ablenkungen um ihn herum lockten – er konnte alles ausblenden und sich in seine Arbeit vertiefen. In der Bibliothek war es genauso: Ob nun Freunde ankamen und ihn aufziehen wollten, ob sich irgendwelche süßen Mädchen aus seiner Klasse neben ihn setzten und ihn in eine Unterhaltung zu verstricken versuchten – Hudson ließ sich nie von dem abbringen, was er sich vorgenommen hatte.
Aber dieses Mädchen … Aus irgendeinem Grund war es ihm wichtig, was sie hiervon oder davon hielt, er wollte alles über ihren Tag erfahren und ihr alles über seinen erzählen.
»Du kannst aber auch hierbleiben und mir Gesellschaft leisten«, sagte Hudson.
Sie wich ein paar Schritte zurück, doch anstatt die Werkstatt zu verlassen, griff sie sich einen Klappstuhl, der an der Wand lehnte, machte ihn auf und setzte sich. »Wenn’s dir nichts ausmacht …«
Hudson atmete erleichtert auf. Wie schnell sich sein Glück gewendet hatte! Nach der Schule hatte er sich auf einen langen, leeren Nachmittag gefasst gemacht, voller Sorgen darüber, wie sein morgiges Gespräch mit dem Studiendekan verlaufen würde, und mehr als ein gelegentlicher Ölwechsel war als Ablenkung nicht zu erwarten gewesen. Jetzt aber lag eine Wagenladung Arbeit vor ihm, und zwar in Gesellschaft eines wunderschönen Mädchens. Er wischte sich die Hände an dem Tuch ab, das er zuvor schon benutzt hatte, und machte sich an die Arbeit, während er verzweifelt überlegte, was er sagen sollte.
Er konnte das Mädchen aus den Augenwinkeln sehen. Stumm und wortlos saß sie da und bewegte den Kopf gerade so viel, dass sie sich in der Werkstatt umsehen konnte. Manchmal landete ihr Blick auf Hudson, und jedes Mal begann dann sein Herz zu irrlichtern.
»Wusstest du, dass es an manchen Berufsschulen für Automechaniker eine Art OP-Saal gibt, mit Zuschauerraum, so ähnlich wie bei Medizinstudenten? Ist ja auch gar nicht so anders, als würde man Chirurg werden wollen, man kann einfach nicht alles im Klassenzimmer lernen. Der einzige Unterschied ist, dass du dir als Mechaniker nicht die Hände sterilisieren musst.« Hudson linste um die Ecke der Motorhaube, um die Reaktion des Mädchens aufzufangen.
Sie wandte sich ihm zu, eine Augenbraue nach oben gezogen, und biss sich auf die Unterlippe, um das Lächeln abzuknipsen.
»Es heißt, der eine oder andere Lehrling kippt sogar um, wenn er das erste Mal eine Operation am offenen Motor miterlebt. Manche können einfach kein Öl sehen«, witzelte Hudson.
»Na ja, man kann’s ihnen schlecht verdenken, ist ja wirklich eine Sauerei …« Das Mädchen schüttelte lächelnd den Kopf. »Blödmann.«
Er grinste zurück, dann bockte er ihr Auto auf der Hebebühne auf, um das Öl von Motor und Getriebe auszuwechseln. Er hatte keine Ahnung, was ihn dazu gebracht hatte, so alberne Sachen zu sagen, und er hätte auch nicht erklären können, warum es sich gut...




