E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Alt / Kolster Du bist dein eigener Therapeut
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-86867-630-3
Verlag: KVM
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Knieschmerzen – Wie ich meine Beschwerden selbst in drei einfachen Schritten in den Griff bekomme
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-86867-630-3
Verlag: KVM
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Andreas Alt ist Sportwissenschaftler, Physiotherapeut und Fachperson für therapeutische Qualität an der SportClinic Sihlcity sowie Autor vielzähliger Fachartikel.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Physiotherapie, Physikalische Therapie Ergotherapie, Kreativtherapie (z. B. Kunst, Musik, Theater)
- Sozialwissenschaften Sport | Tourismus | Freizeit Sport Sportmedizin, Medikamentenmissbrauch, Doping
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Umweltmedizin, Arbeitsmedizin, Tropenmedizin, Sportmedizin Sportmedizin
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizin, Gesundheit: Sachbuch, Ratgeber
Weitere Infos & Material
Derzeit ist Knieschmerz ein zunehmendes gesundheitliches Problem. Neben Nacken-, Rücken- und Schulterschmerzen sind Knieschmerzen ein fast ebenso häufig anzutreffendes Beschwerdebild. Rund 16 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland leiden unter Knieschmerzen, obgleich keine gefährliche Ursache diagnostiziert wird, wie z. B. ein Sehnen- oder Bänderriss, Knochenbruch, eine schwerwiegende Entzündung oder eine Gelenkkapselverletzung (RKI 2017). Es sticht, es brennt oder es drückt bei unterschiedlichen Aktivitäten im Alltag, Beruf oder beim Sport. Der so wahrnehmbare und oft stark limitierende Schmerz ist geprägt von verschiedenen Zeiträumen und Ursachen. So gehst du vielleicht deiner beruflichen Tätigkeit im Büro nach und quälst dich seit Langem und immer wieder mit „drückenden“ Knieschmerzen. Dein gleichaltriger Kollege hingegen klagt nur selten und wenn, dann eher kurz über ein „Ziehen“ im Kniegelenksbereich, welches nach einigen Tagen bis Wochen wieder verschwindet. Hinzu kommt ein dritter Kollege, der ebenfalls schon über „stechende“ Knieschmerzen klagte, welche bei ihm bereits nach drei Tagen verschwanden. Diese Situationen sind unser alltägliches, medizinisches Themengebiet. Die Liste ist mit den unterschiedlichen Leidensberichten der Betroffenen gefüllt, und es zeigen sich immer die drei quälenden Fragen: „Was ist an meinem Knie kaputt?“, „Woher kommen die Schmerzen?“ und „Wieso werden sie nicht besser?“
Doch warum treten solche Kniebeschwerden immer wieder auf und wieso leiden Sportler, Handwerker und Bürotätige alle an Knieschmerzen? Es scheint gerade so, als wären die meisten Versuche zur Abhilfe unwirksam (Smith et al. 2018b). Wir fragen die Patienten, wie denn ihre Versuche, die Beschwerden zu reduzieren, ausgesehen haben. Der ärztliche Erstkontakt wird regelmäßig als Start erwähnt, gefolgt von der Überweisung zum Physiotherapeuten. Der Arzt stellt eine meistens eher als „nichtssagend“ einzustufende Diagnose, wie etwa das „Patellofemorale Schmerzsyndrom“. Nur selten findet der Arzt eine Verletzung der Sehnen oder Bänder am Kniegelenk, eine Fraktur der beteiligten Knochen, eine gefährliche Infektion oder schwerwiegende Entzündung, wie z. B. schwere Formen der Schleimbeutelentzündung, Arthrosen oder Gelenkkapselverletzungen (Crossley et al. 2016, Willy et al. 2019). In der Physiotherapie werden dann anschließend die Gelenkpartner deines Kniegelenks mobilisiert, die Muskeln deiner Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur massiert oder getriggert. Manchmal nehmen die Schmerzen ab, doch oft nicht mal das. Häufig kommen die Beschwerden wieder und meistens ist das Muster gleich: Der Beruf stresst, die Familie braucht Hilfe und der Sport wird immer weiter reduziert.
Wie häufig kommst du zur Physiotherapie und wirst nach deinen alltäglichen Lebensumständen befragt? Nie? Wird stattdessen dein Knie erst einmal mobilisiert und massiert oder werden deine angeblich blockierten Gelenkpartner mit einem kräftigen „Rucken“ bearbeitet? Wenn das so ist, dann bleiben die heute bekannten Ursachen von Kniebeschwerden unberücksichtigt und die entsprechenden Therapiemethoden ungenutzt. Und das ist der Punkt: Wir wissen heute um die Komplexität der Kniebeschwerden viel besser Bescheid als noch vor einigen Jahren. Häufig sind die Methoden und Empfehlungen zur Therapie von Kniebeschwerden überholt und nicht mehr zutreffend. Wir wissen inzwischen, dass vor allem der Lebensstil, die körperliche Aktivität und die Einwirkungen des alltäglichen Umfelds für die Entstehung, aber auch für die erfolgreiche Rehabilitation der Kniebeschwerden zu nennen sind. Dies bestätigen zahlreiche Forschungen (Crossley et al. 2016, Maclachlan 2020, Phyomaung et al. 2014, Willy et al. 2019). Doch was heißt das? Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die fast ausschließlich mit der Perfektion des Alltags einhergeht. So geht es z. B. um die herausragende berufliche Leistung, den „zielführenden“ Umgang mit Freundschaften, die perfekte Familie oder das Immer-besser-Werden im Sport. Was fehlt, ist das gesunde Maß. Damit verbunden sind meist auch die Reduktion entspannender und ausgleichender Aktivitäten, wie z. B. Bewegung, und eine energieraubende anstatt einer gesunden Verarbeitung von Sorgen. Fehlinformationen über die Belastbarkeit des Kniegelenks oder die im Zusammenhang mit Kniebeschwerden oft erwähnten Risiken steigern den negativen Verarbeitungsprozess weiter (Maclachlan et al. 2020, Phyomaung et al. 2014). Warum dies hier erwähnt wird? Weil es an der Zeit ist, mit alten Mythen aufzuräumen und dir die nachhaltige Form der Therapie von Kniebeschwerden für den Eigenbrauch zu ermöglichen.
Zehn Mythen über Knieschmerzen
Mythos 1
Büroarbeit verursacht keine Knieschmerzen!
Falsch! Langes Sitzen vor dem Computer sowie andere langandauernde sitzende Tätigkeiten zusammen mit Bewegungsarmut verursachen Knieschmerzen (Collins et al. 2016).
Mythos 2
Joggen zerstört die Kniegelenke!
Falsch! Regelmäßige und zielgerichtete Beanspruchungen der Kniegelenke, wie es ein planmäßiges Lauftraining darstellt, zerstören das Kniegelenk nicht, sondern stärken den Knorpel, die Muskulatur und die Knochen des Kniegelenks (Lo et al. 2017). Letztlich wird das Kniegelenk durch ein angepasstes Training belastbarer.
Mythos 3
Massagen oder das passive Mobilisieren von Kniegelenkspartnern durch Physiotherapeuten beheben die Ursachen von Kniebeschwerden!
Falsch! Hierbei handelt es sich lediglich um eine Behandlung der Symptome, in diesem Fall „Schmerz“. Die schmerzfördernden Umstände, wie monotone Beanspruchung, Bewegungsarmut, muskuläre Schwäche oder einfach die Angst vor Schäden am Kniegelenk, z. B. durch das „Überlasten“ des Kniegelenks, werden dabei nicht berücksichtigt (Alt et al. 2016, Turner et al. 2020, Willy et al. 2019).
Mythos 4
Das „Knacken“ bei der Beugung und Streckung des Kniegelenks weist auf Schäden hin!
Falsch! Physiologische (nicht krankheitsbedingte) Geräusche des Knies kommen weitaus häufiger vor als pathologische (krankheitsbedingte) Geräusche (McCoy et al. 1987). McCoy et al. untersuchten in ihrer Studie das Vorkommen von Kniegelenksgeräuschen bei 250 gesunde Personen und fanden heraus, dass bei knapp 99 % (!) der gesunden Probanden ohne Kniegelenksbeschwerden oder Vorerkrankungen Gelenkgeräusche hörbar waren. Physiologische Kniegelenksgeräusche charakterisieren sich dadurch, dass sie schwierig zu beschreiben und weder ein Unfall noch ein Trauma vorausgegangen sind. Dennoch führen Gelenkgeräusche häufig dazu, dass sich Betroffene sorgen, und veranlassen fälschlicherweise zur Annahme, es bestünden Schäden (Oliveira Silva et al. 2018, Pazzinatto et al. 2019). Gelenkgeräusche wie ein Knacken oder Knirschen sind auf physiologische Vorgänge zurückzuführen und entstehen durch das plötzliche Entweichen eines Unterdrucks, aber auch durch die normale und unschädliche Reibung von Strukturen, wie z. B. Bändern oder Sehnen (Oliveira Silva et al. 2018, Pazzinatto et al. 2019).
Mythos 5
Die Operation ist die beste Behandlungsoption für Knieschmerzen!
Falsch! Ein chirurgischer Eingriff wird bei unspezifischem Knieschmerz nicht empfohlen. Unspezifisch bedeutet, dass ein eindeutig diagnostizierter Strukturschaden fehlt, wie z. B. ein Bänderriss. Stattdessen wird zu einer konservativen Therapie geraten, z. B. Physiotherapie oder Sporttherapie (Biesenbach 2014, Osthoff 2019). Sogar bei eindeutigen Knieverletzungen, wie z. B. bei Meniskus- oder Knorpelverletzungen, ist in der Regel eine konservative Therapie empfehlenswerter als ein operativer Eingriff (Doral et al. 2018). Lediglich in Ausnahmefällen, wenn z. B. ein Meniskus gerissen und zusätzlich eingeklemmt ist, wird zur Operation geraten (Mosser et al. 2015).
Mythos 6
Tiefe Kniebeugen schaden dem Knorpel des Kniegelenks!
Falsch! Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme sind tiefe Kniebeugen im Vergleich zu „flachen“ Kniebeugen (Kniegelenkswinkel kleiner als 90°) nicht schädlich für die Strukturen des Kniegelenks (Knorpel, Bänder, Knochen) (Calhoon & Fry 1999, Chen et al. 2020, Schoenfeld & Williams 2012). Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Belastung für Kreuzbänder und Kniescheibengelenke, die angeblich zur Entwicklung von Kniegelenksschäden beitragen sollen, bei „flachen“ Kniebeugen (bis zu 90° Beugungswinkel) und tiefen Kniebeugen vergleichbar sind (Salem et al. 2001). Das liegt daran, dass die Kniescheibe bei tiefen Kniebeugen weiter nach oben auf den Oberschenkelknochen gleitet und sich dabei die Kontaktfläche zwischen Kniescheibe und Oberschenkel vergrößert. Durch die vergrößerte Kontaktfläche verteilt sich die Kraft bei tiefen Kniebeugen besser und die punktuelle Druckbelastung verringert sich sogar (Hartmann et al. 2013, Li et al. 2004, Lynn et al. 2012, Wallace et al. 2002). Anders verhält es sich mit der Belastung des Gelenks zwischen Ober- und Unterschenkel. Hier steigt die Gelenkbelastung zwar mit zunehmender Tiefe der Kniebeuge, doch weisen Studienergebnisse darauf hin, dass die Kompressionsbelastung nicht schädlich ist oder zu Verletzungen führt (Calhoon & Fry 1999, Schoenfeld 2010). Auch aktuelle und großangelegte Untersuchungen lassen selbst bei Patienten mit starker Vorschädigung des Kniegelenks keine Verschlimmerung der Schädigungen des Kniegelenkknorpels erkennen (Bricca et al. 2019). Stattdessen wurde herausgefunden, dass die...