Alves | Marie und der Vogelsommer | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Alves Marie und der Vogelsommer

Roman. Mit Vignetten von Katja Spitzer
Originalausgabe 2016
ISBN: 978-3-407-74780-8
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman. Mit Vignetten von Katja Spitzer

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-407-74780-8
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die 11-jährige Marie zieht mit ihrer Familie um und fühlt sich wie ein Vogel, der aus dem Nest gefallen ist. Einfühlsam und humorvoll erzählt Katja Alves, wie es sich anfühlt, wenn man dringend eine neue Freundin sucht und immer an die falsche gerät. Marie ist in dem Haus mit Garten in der anderen Stadt nicht besonders glücklich. Anders als ihr Bruder Spidy vermisst sie ihr altes Zimmer und ihre Freunde. Zum Glück hat sie das Vogelbuch, ihr größter Schatz. Vielleicht werden Sarah und Konstanze aus ihrer neuen Klasse ja ihre Freundinnen? Nur: Warum sind die beiden manchmal so ausgesprochen fies? Erst mithilfe von Björn merkt Marie, dass sie einfach an die falschen Mädchen geraten ist und Hilfe braucht. Ein Buch, das zu Herzen geht, für Mädchen, die sich nicht unterkriegen lassen.

Katja Alves, geboren 1961 in Coimbra (Portugal), gehört zu den bekanntesten Schweizer Kinderbuchautor:innen. Sie arbeitete als Buchhändlerin, Spielerfinderin, DJ, Rundfunkredakteurin, Kolumnistin und Lektorin. Heute lebt sie als freie Autorin in Zürich und schreibt für verschiedene Verlage Kinderbücher. Bei Beltz & Gelberg veröffentlichte sie zuletzt »Marie und der Vogelsommer«. Weitere Werke sind in Planung.
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Autoren/Hrsg.


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Seit wir hier wohnen, beobachte ich die Amsel jeden Tag. Ich drehe am Rädchen meines Fernrohrs und hole sie ganz nah zu mir, bis ich jede ihrer Federn sehen kann. Ich weiß alles über sie. Weil ich alle Vögel kenne.

350 Kilometer und eine gelbe Wand


Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie alles losging. Es war kurz nach Mittag und wir waren am Warten. Mein kleiner Bruder schoss wie eine Rakete durch die Wohnung, ich stand etwas unschlüssig mit meinem Rucksack im Flur und wusste nicht so recht, was ich bis zu unserem Aufbruch noch machen sollte.

Bis auf ein paar wenige Kisten mit Mamas empfindlichen Kunstgegenständen und einer Faltmatratze war alles leer geräumt. Sämtliche Möbel waren bereits von einer Umzugsfirma abgeholt worden. »Marie! Guck mal!« Mein Bruder kletterte jetzt auf einen Karton und fuchtelte wie wild mit den Armen. »Ich bin Spiderman!« Seine Stimme hallte eigenartig durch die leere Wohnung.

»Nicht doch, Spidy!«, rief Mama entsetzt. »Sonst kippt der ganze Krempel um!« Mama versuchte meinen Bruder herunterzuheben, was bei ihm auf heftigsten Protest stieß. »Er ist total übermüdet«, sagte Mama vorwurfsvoll, was mir aber ziemlich egal war.

Die letzten Tage vor dem Umzug hatten Spidy und ich bei meiner besten Freundin Adi verbracht. Auch wenn uns mein kleiner Bruder manchmal gehörig nervte, war es lustig gewesen, zu dritt in einem Zimmer zu schlafen. Eigentlich war Spidy nämlich ganz in Ordnung. Adi meinte sogar, er sei richtig knuffig in seinem blauen Anzug. Seit Papa ihm ein Spiderman-Kostüm aus den USA mitgebracht hatte, bildete sich mein Bruder nämlich tatsächlich ein, er sei der Spinnenmann höchstpersönlich. Und das bedeutete, dass er überall hochkletterte, gegen unverwüstliche grüne Kobolde kämpfte und andere Kinder mit toten Fliegen fütterte.

»Ich guck noch mal, ob ich nichts vergessen habe«, sagte ich.

»Ja, mach das! Detlef müsste auch gleich hier sein.« Mama schaute nervös auf ihr Handy.

Detlef, Mamas Freund, wollte uns unbedingt selbst nach Münde fahren. Aber natürlich war er wie immer viel zu spät dran. Bei ihm ist das normal. Weil er nachts als DJ arbeitet, braucht er tagsüber seinen Schönheitsschlaf, behauptet er.

In meinem Zimmer lagen überall in den Ecken dicke Staubflusen. Mein Blick schweifte über die leeren Wände. Da, wo noch Reste von Klebstreifen waren, hatten meine Poster gehangen. Die sechs Spatzen auf dem Drahtzaun, der Falke im Sturzflug und die Möwen über dem tiefblauen Meer.

Ich mag Vögel, genau wie Papa. Von ihm habe ich auch das dicke Vogelbuch bekommen, das jetzt zuoberst in meinem Rucksack lag. Ohne mein Vogelbuch würde ich nie irgendwohin gehen. Selbst im Urlaub nehme ich es mit. Papa sagt, über Vögel würde man nur etwas erfahren, wenn man sie genau beobachtet. Ich erkenne schon jetzt sehr viele Vögel, sogar an ihrem Gesang. Eine Kohlmeise zum Beispiel zwitschert ti-ta-ti-ta, ein Buchfink macht zitt-zitt-zitt. Das klingt, als würde er rufen: »Ich bin fit, fit, fit.«

Wenn ich etwas Interessantes oder Lustiges über Vögel lese, schreibe ich es auf einen kleinen Zettel, damit ich es nicht vergesse, und die Zettel hänge ich dann an meine Pinnwand. Ich starrte auf die leere Stelle an der Wand, wo bis vor Kurzem noch die Pinnwand hing. Auch da war jetzt nur noch ein helles Rechteck. Bald würde es mein Zimmer so nicht mehr geben. Die ganze Wohnung sollte saniert und anschließend superteuer vermietet werden. Deshalb mussten wir ausziehen. »Zu teuer für uns«, meinte Mama. Genau wie die meisten anderen Wohnungen, die wir angeguckt hatten.

Mama war schon total in Panik, als uns auf einmal Onkel Gregor anrief. Onkel Gregor war vor vielen Jahren nach Spanien ausgewandert und besaß immer noch das alte kleine Haus in Münde. Ich konnte mich weder an Onkel Gregor noch an das Haus erinnern, jedenfalls erzählte Onkel Gregor Mama, das Haus sei ab sofort wieder neu zu vermieten und ob das nicht was für uns sei. Mama war sofort Feuer und Flamme. »Stellt euch vor, Kinder! Ein Haus mit Garten und eigener Werkstatt. Und alles für halb so viel Geld!« Anfangs hatte ich gehofft, Mama würde es sich vielleicht doch noch anders überlegen und wir könnten in unserer Wohnung bleiben. Vergeblich. Mama meinte, nie im Leben würde sie so viel Miete zahlen wollen, nicht mal, wenn sie das Geld hätte.

»Marie?« Mama kam in mein Zimmer und sah sich flüchtig um. »Detlef ist da! Holst du Spidy? Ich glaube, er ist im Hof …«

»Warum immer ich!«, fragte ich mürrisch.

»Jetzt geh schon, Marie! Sonst kommen wir hier nie weg!«

Ich stockte. Am liebsten wäre ich zu Adi geflüchtet. Oder zu Céline. So wie ich das immer getan hatte, wenn mich etwas nervte. Aber jetzt ging das nicht mehr, selbst wenn wir alle Zeit der Welt gehabt hätten. Denn wenn man sich erst mal von allen verabschiedet hat, ist es komisch, wenn man plötzlich wiederauftaucht. Dann sagen alle: »Was, du bist immer noch hier?«, und dann fühlt man sich total am falschen Platz. Obwohl der falsche Platz für mich der einzig richtige gewesen wäre. Ich rannte in den Hof und hoffte, dass ich niemandem mehr begegnen würde.

Ein paar Stunden später näherten wir uns Münde. Die Abendsonne hatte den Himmel in blutrotes Licht getaucht. »Schaut mal den schönen Sonnenuntergang an!«, rief Mama und reichte uns eine Tüte mit Brötchen nach hinten. Ich schüttelte den Kopf, Spidy griff zu. Mit dem Finger bohrte er ein Loch in sein Brötchen und klaubte den weichen Teig heraus.

»Weiß Papa eigentlich, wo wir hinziehen?«

Mama sah überrascht in den Rückspiegel. »Selbstverständlich weiß er das, Marie. Warum fragst du?« Mama drückte jetzt auf dem Navi herum. »Dieses blöde Ding funktioniert überhaupt nicht, Detlef!« Sie lachte, als ob das besonders lustig wäre. Seit wir von zu Hause weggefahren waren, war Mama bester Laune. Sie redete von nichts anderem mehr als von ihrem blöden Münde und davon, wie toll es dort werden würde.

Wir fuhren durch einen Wald mit einer endlosen Reihe schwarzer Tannen. Die Sonne war fast ganz am Horizont verschwunden. Mich fröstelte. Ich hatte keine Ahnung, wieso, gefährlich war es hier bestimmt nicht. Aber gleichzeitig wirkte alles so unwirklich und leer, als hätte jemand eine bemalte Waldkulisse neben die Straße geschoben. Ich fühlte mich eigenartig. Wie eine ausgeschnittene Papierpuppen-Marie, die man auf dem Autositz festgeklebt hatte, und die echte Marie war für immer weg. Ich schluckte.

»Für dich!« Spidy streckte mir sein ausgehöhltes Brötchen unter die Nase.

»Sicher nicht … iss das gefälligst selbst.«

Ich suchte auf meinem iPod, bis ich Adis und mein Lieblingsstück gefunden hatte. Leise summte ich mit. Spidy war eingeschlafen. Inzwischen war es dunkel geworden. Wir fuhren durch Dörfer mit kleinen Häusern, Tankstellen, Möbelläden und Friseursalons. Ab und zu sah man Frauen und Männer, die ihre Hunde spazieren führten. Ein Mädchen strampelte wie wild auf ihrem Fahrrad einen Feldweg entlang. Ob es stimmte, was meine Lehrerin gesagt hatte, dass ich in Münde innerhalb kürzester Zeit neue Freundinnen finden würde? Wieder verspürte ich dieses Frösteln. Was, wenn ich doch keine neuen Freundinnen fand?

Detlef bremste ruckartig. »Mensch, beinahe hätte ich die Straße verpasst. Hier ist es ja dunkel wie in einem Kuhbauch.« Detlef machte den Motor aus.

»Raus mit euch!«, sagte Mama und öffnete die Autotür. »Welcome in Münde!« Ich hatte keine Lust auszusteigen und drückte mich tiefer in den Autositz.

»Na, komm schon, beweg dich, Prinzessin!« Detlef grinste. Dann zeigte er auf das kleine gelbe Haus. »Das ist euer neues Eigenheim. Alle Achtung, ihr seid jetzt unter die Hausbesitzer gegangen. Von den Hausbesetzern zu den …«

»He, wir sind Mieter!«, rief Mama und versetzte ihm einen Knuff.

»Wer besetzt das Haus?«, fragte Spiderman.

Im Haus gegenüber brannte Licht. Eine Frau starrte zu uns herüber. Spiderman zeigte mit dem Finger auf das Fenster: »Was guckt die Frau?«

»Na ja, sie will einfach gucken, wer ihre neuen Nachbarn sind.« Mama lachte.

Neben dem kleinen Häuschen stand ein alter Holzschuppen. Die rote Farbe blätterte überall ab und die eine Fensterscheibe war kaputt. Das musste Mamas Werkstatt sein. Oder ihr Atelier, wie sie es nannte.

»Ich schau mir mal den Schuppen an«, sagte ich schnell. Ich hatte überhaupt keine Lust, beim Auspacken zu helfen.

Spidy lief hinter mir her. »Warte, Marie! Spiderman kommt auch mit!«

Im Schuppen roch es feucht und muffig. Dabei hatte Mama allen...



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