E-Book, Deutsch, 286 Seiten
Andermahr / Jermer Organisationsentwicklung
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-947961-28-3
Verlag: Sprachkultur Gmbh
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bessere Organisationen für die Welt von Morgen.
E-Book, Deutsch, 286 Seiten
ISBN: 978-3-947961-28-3
Verlag: Sprachkultur Gmbh
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
20 Jahre Forschung und praktische Arbeit in und an Organisationen: Jessica Andermahr und Boris Jermer geben in diesem Buch einen umfassenden Blick auf das spannende und dynamische Tätigkeitsfeld der Organisationsentwicklung und der Prozessbegleitung. Schritt für Schritt erfahren Sie, wie Sie Raum für Entwicklung aufbauen - zeitgemäß, umfassend und praktisch. Das Buch lädt Sie ein, eine Veränderungsbegleitung professionell zu leiten, und öffnet Türen zu unterschiedlichen bewährten und wirksamen Interventionen. Einblicke in neurobiologische Grundlagen, Formate, Steuerung bis hin zur Darstellung von Großgruppenmethoden machen die Lektüre leicht und inspirierend. Zahlreiche Übungen und Tipps sorgen für eine gute Stärkung im Alltag und bringen die eigene Kompetenzentwicklung voran. Dieses Buch richtet sich an Menschen, die Organisationen im Innen oder als Externe in Veränderungen begleiten, die ihre (neue) Rolle als Organisationsentwickler/Facilitator strukturiert erlernen oder ihr Repertoire erweitern möchten. Es dient auch als Begleitbuch zur SPRACHKULTUR-Weiterbildung zur systemischen OrganisationsberaterIn. Für Fortgeschrittene ist es eine Einladung, an den inneren Bildern, am Methodenrepertoire und an der eigenen Haltung weiter zu feilen.
Jessica Andermahr arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten im Bereich der Personal-, Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung. Die studierte Soziologin und Kommunikationsforscherin hat besonders die Wechselwirkung von Individuum und Kontext im Fokus. Menschen und Organisationen mit ihrer primären Aufgabe in Kontakt zu bringen und in deren Realisierung wirksam zu sein - das ist nicht nur ihr Beruf, sondern ihre Berufung.
Autoren/Hrsg.
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2. DIE WELT DREHT SICH IMMER SCHNELLER – MITHALTEN ZWECKLOS?
Eingebettet in einen globalen Wirtschafts- und Kundenraum sind Organisationen immer stärker davon abhängig, was sich außerhalb der eigenen Strukturen – ohne ihren Einfluss – verändert. Autonom handeln kann kaum mehr jemand. Dabei spielen neben der ökonomischen Dimension zunehmend die gesellschaftliche und die ökologische Dimension entscheidende Rollen. Die Welt, in der wir leben, ist eine chancenreiche, jedoch zugleich zunehmend anstrengende geworden, die sowohl beherztes Handeln als auch Fingerspitzengefühl und eine gute Nase erfordert. Zum Teil ist diese Erhöhung des Tempos aus unserer Sicht auch auf die Versäumnisse der letzten 70 Jahren zurückzuführen, wenn es um unsere grundsätzlichen ökologischen, ökonomischen wie gesellschaftlichen Fragestellungen geht. Zumindest vermeintlich ist das Tempo der Entwicklung und auch die Relevanz ihrer Auswirkungen auf die Unternehmen in den vergangenen zehn bis 20 Jahren massiv gestiegen. Welches sind die Themen, die Einfluss auf Organisationen ausüben? Welches die Leuchttürme, an denen sie Orientierung finden können? In diesem Kapitel betrachten wir die Herausforderungen, die das Umfeld an Organisationen stellt. Welche konkreten, machbaren Veränderungen wollen wir angehen? Wo kann unser Beitrag sein? Wie können wir und unsere Organisationen die Welt mitgestalten – in einer guten, ethischen Art und Weise? Um zu verstehen, wie sich Arbeit in den letzten Jahrhunderten entwickelt und verändert hat, lohnt sich ein Blick in die Geschichte ... „Falls Gott die Welt geschaffen hat, war seine Hauptsorge sicher nicht, sie so zu machen, dass wir sie verstehen können.“ Albert Einstein, Physiker Geschichte der Arbeit
Die Geschichte der Arbeit verdeutlicht, wie sich Arbeit über die Jahrzehnte und Jahrtausende verändert hat. Insbesondere aber kann sie das Bewusstsein dafür schärfen, dass sich das Verständnis und die Ausgestaltung von Arbeit immer wieder verändern und dass dies, kommt es einmal ins Rollen, fast unaufhaltsam stattfindet. Und in diesem Moment gilt stets, dass alte Muster nicht mehr greifen und nur tiefgreifende und kreative Entwicklungen zu etwas wirklich Neuem führen. Die Geschichte der Arbeit beginnt damit, dass die Menschen sesshaft wurden. Damals waren es drei Dinge, die alles veränderten: erstens Werkzeuge, zweitens Wissen und Erfahrung und drittens die Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben mit bestimmten Kompetenzen. Seither sind etwa 12.000 Jahre vergangen. In der Antike galt Lohnarbeit mit den Händen als unfein und niedrige Tätigkeit. Die Philosophen des Altertums werteten sie ab, weil sie nicht auf Selbstverwirklichung und Erkenntnisgewinn des Menschen gerichtet sei. Der Römer Cicero erhob einige Jahrhunderte später hingegen die Arbeit zur allgemeinen Tugend, da sie dem Gemeinwohl diene. Dieser Gedanke findet sich mit religiösem Hintergrund auch in der Reformation wieder („Wer nicht arbeitet, ist nicht mein Nächster“, Martin Luther). Dazwischen lag das Mittelalter mit seinen Zünften und Gilden, die der Ausbildung der Arbeiter und der Qualität der Ware einen hohen Stellenwert zumaßen. In dieser Zeit war es übrigens normal, dass Familie und Arbeiten an einem Ort verbunden war. Die Trennung von Privatem und Beruflichem wurde in der Folge als Errungenschaft gesehen. Die Industrialisierung änderte alles: Monotone Akkordarbeit und katastrophale Arbeits- und Lebensbedingungen ließen Karl Marx von der „Entfremdung der Arbeit“ schreiben und deren „bewusste Gestaltung“ fordern. Stattdessen schuf Frederick Winslow Taylor, der rein auf die Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit setzte, so etwas wie den Superlativ der Marx’schen Entfremdung. Der höhere Zweck oder Sinn einer Tätigkeit war in diesen Fabriken kaum noch spürbar; die Arbeit stark entkoppelt vom einzelnen Menschen. Mit den Auswirkungen des Taylorismus vor Augen prägte in den 1970er Jahren der österreichisch-amerikanische Philosoph Frithjof Bergmann den Begriff „New Work“. Unter anderem forderte er sinnstiftende Arbeit mit Handlungsfreiheit und Selbstständigkeit. Um dies zu erreichen, müsse der Mensch wissen, was er „wirklich wirklich will“. Zur gleichen Zeit, nämlich 1972, wurde eine Studie im Auftrag des Club of Rome veröffentlicht. Unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ zeichnete er ein beklemmendes Bild von Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und dem Versiegen von Rohstoffen. In den folgenden Jahrzehnten wurde der ein oder andere Versuch unternommen, das Credo zu durchbrechen, dass es ohne Wachstum keinen Wohlstand geben könne. Für den Bereich der Ökonomie wurden beispielsweise die folgenden Konzepte als visionäre Ansätze entwickelt: Postwachstums- und Gemeinwohlökonomie, Donut-Ökonomie nach Kate Raworth, Glücksökonomie und menschengerechtere Ökonomie etc. Sie alle beziehen sich auf einen Wandel von Lebensstil, Versorgung und Produktion. Gemeinwohlökonomie
Das Konzept der Gemeinwohlökonomie geht zurück auf das gleichnamige Buch von Christian Felber (2010), Mitgründer von „attac“, einem internationalen Netzwerk, das sich mit den negativen Auswirkungen globalisierter und ungeregelter Finanzmärkte auseinandersetzt. Es sieht die Wirtschaft nicht als ein über der Gesellschaft stehendes, eigenes autonomes System, sondern strebt die Wiedereinbettung der Wirtschaft in das gesellschaftliche Wertesystem an. Wirtschaft, so der Grundgedanke, hat die Aufgabe, den Menschen zu dienen und das Gemeinwohl, also das Wohl aller, sicherzustellen. Die Gemeinwohlökonomie hat drei inhaltliche Zugänge: Werte, Struktur und Messbarkeit. Die Wertebasis der Gemeinwohlökonomie sind Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen. Diese Werte sollen sich in der konsequenten Umsetzung einer neuen Wirtschaftsordnung zeigen. Dazu gehören etwa die Umpolung wirtschaftlicher Anreizsysteme und eine Steuerregelung für Unternehmen vom größtmöglichen Gewinn hin zum größtmöglichen Beitrag zum Gemeinwohl. Die wirtschaftliche Erfolgsmessung wird umgestellt von Tauschwert-Indikatoren zu Nutzwert-Indikatoren. Die Gemeinwohlökonomie will das messen, was Menschen grundlegend benötigen; was sie zufrieden und glücklich macht. Das Gemeinwohlprodukt einer Volkswirtschaft und die Gemeinwohlbilanz eines Unternehmens lösen BIP und Finanzgewinn ab. Werte und Prinzipien werden gemeinsam, demokratisch und transparent bestimmt. Die Kooperation der Unternehmen ist nicht von Konkurrenz, sondern von Kooperation im Sinne der gemeinsamen Schaffung von Gemeinwohl bestimmt. Basierend auf diesen Ideen entstehen heute im Rahmen der ESG-Kriterien konkret messbare Zahlen, die in Zukunft zunächst von Kapitalgesellschaften (inklusive Audit) veröffentlicht werden müssen. Donut-Ökonomie
Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth stellt die Welt als ein rundes, frittiertes Gebäck dar – einen Donut. In dessen Zentrum sieht sie das gesellschaftliche Fundament, darum einen Kreis aus Ökologie, Politik und Wirtschaft, die harmonisch im Einklang stehen. In der Mitte stehen ein gerechter und sicherer Raum für die Menschen und eine regenerative und distributive Ökonomie, die nach außen von einer „ökologischen Decke“ und nach innen von einem „sozialen Fundament“ begrenzt werden. Was weiter nach außen oder innen geht, überschreitet in der Donut-Ökonomie Grenzen, die planetarer und sozialer Art sein können. Zu den planetaren Grenzen gehören etwa Klimawandel, Verlust an Biodiversität und Artenvielfalt, Luftverschmutzung und Umwandlung von Landflächen. Für Raworth dürfen diese Grenzen nicht überschritten werden. Soziale Grenzen sind beispielsweise Gesundheit, Bildung, Einkommen, Gerechtigkeit und politische Teilhabe. Bei diesen Grenzen gilt: Es darf kein Defizit geben. Die Grenzen und die Form des Donuts visualisieren den Handlungsspielraum für ökonomisches Handeln. Was über die (äußere) planetarische Grenze hinaus geht, gilt als Exzess. Was in den mittigen Kreis hineinreicht (zum Beispiel Hunger, soziale Ungleichverteilung, Krieg), wird für die Gesellschaft zum Mangel. Raworth stellt die Einhaltung des durch die Donutform definierten Bereichs des „gerechten und sicheren Raums“ als alternative Zielvorgabe dem reinen Wachstum des BIP gegenüber. Einfach gesagt: Gesamtwohlergehen ist wichtiger als „mehr Euros auf dem Konto“. Mit dieser Neuauslegung der Wirtschaft will sie die Sicht darauf ändern, wer wir sind, wo wir stehen und was wir sein wollen. Und heute?
Der Begriff „New Work“ war oder ist zwar in aller Munde, wird aber selten mit all seinen Facetten betrachtet. Tischkicker und Homeoffice mögen irgendwie dazugehören, sind aber als Symbole weit überschätzt. Es geht um viel mehr: Es geht um eine neue Weltanschauung, in welcher Arbeit...