Andersen Nexø | Sonnentage | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 334 Seiten

Andersen Nexø Sonnentage

Reisebilder aus dem Süden
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8412-1352-5
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Reisebilder aus dem Süden

E-Book, Deutsch, 334 Seiten

ISBN: 978-3-8412-1352-5
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der angehende Dichter ist 25 Jahre alt, als er nach Italien und Spanien aufbricht, um in dem milden Mittelmeerklima eine Lungentuberkulose auszuheilen. Er besucht die berühmten Städte, erlebt die so oft beschworene Landschaft und beobachtet das Treiben der Bauern, Händler und Bettler. Sein Auge ist empfänglich für alle Farbnuancen des Südens, und sein Ohr erfreut sich an dem geräuschvollen Leben ringsum.



Martin Andersen Nexö wurde am 26. Juni 1869 in Kopenhagen geboren. 1877 Übersiedelung der Familie Andersen nach Neksø auf die Insel Bornholm, Arbeit als Hütejunge und Dienstmann. Nach Beendigung einer Schuhmacherlehre Besuch der traditionsreichen Volkshochschule in Askov, danach Lehrer in Odense auf der Insel Fünen, literarisch-journalistische Betätigung. 1894-1896 Reise nach Italien und Spanien, um eine Tuberkulose auszuheilen. Seit 1910 längere Reisen nach Deutschland, wo er von 1923 bis 1929 seinen festen Wohnsitz hat. 1925 heiratet er in dritter Ehe Johanna May aus Karlsruhe. Andersen Nexö unterstützt alle wichtigen internationalen Aktionen gegen Faschismus und Krieg und nimmt an den Schriftstellerkongressen zur Verteidigung der Kultur in Paris und Madrid teil. Während der deutschen Besetzung Dänemarks 1941 verhaftet, 1943 Flucht nach Schweden, 1944 Exil in Moskau, 1945 Rückkehr nach Dänemark. 1951 Übersiedelung in die DDR, wo er in Dresden-Weißer Hirsch eine Ehrenwohnung bezieht. Hier stirbt Andersen Nexø am 1. Juni 1954. Die Beisetzung erfolgt in Kopenhagen, wo auch sein literarischer Nachlaß betreut wird.

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Die weiße Stadt


Und wieder sind wir auf dem Wasser. Wir verließen Malaga um Mitternacht, lautlos, wie wir gekommen, passierten Gibraltar früh am nächsten Morgen und steuerten nach Westen. Die afrikanische Küste entfernte sich gegen Süden, hinter uns versank die Felsenfestung Fuß um Fuß in den Wogen; harte See und kalter Wind verrieten, daß wir uns dem Atlantischen Ozean näherten. Vor nicht mehr als zwei Stunden glitten wir über die unterseeische Schwelle, die die andalusischen Berge mit dem Gebirge Nordafrikas verbindet und eine unsichtbare, aber scharfe Grenzscheide zwischen zwei Meeren bildet: dem lächelnden blauen Mittelmeer, dessen Wärme (19–22 °C) uns erlaubte, jetzt im November täglich zu baden, und jenem Zipfel des Atlantischen Ozeans, der wie ein schmollend gespitzter Mund uns Strömung und See und kalten Wind entgegenspeit, so daß uns trotz sorgfältiger Vermummung ganz heimatlich friert.

Der Himmel war hell, fast weißblau, ohne die verzehrende Tiefe, die der südliche Himmel sonst zeigt; und an Stelle der blauenden Steilküste des Mittelmeers mit den endlos hintereinander aufragenden Berggipfeln wies uns Spanien im Norden wellenförmiges Ackerland und eine bald flache und sandige, bald in gelbe, vom Meer benagte Lehmschollen zerklüftete Küste.

Im Laufe des Vormittags kam die See allmählich in gute Laune, so wie das Mittelmeer hie und da in üble gerät. Es fing damit an, daß die Sonne zu stechen begann; aufreizend wie der böse Blick saß sie an dem kalten Himmel und stach. Dann legte sich der Wind vor ihr auf den Bauch, kroch wie ein Hund über die Wellen hin und blieb zuletzt still liegen. Und die Wogen sanken zusammen zu langer Dünung, die schwächer und schwächer wurde, je wärmer und einschläfernder sich die Luft auf sie niedersenkte. Der Himmel ging von Weiß in Blau über und in purpurgesättigten Azur; es schien, als sauge er Tiefe aus der Unendlichkeit des Raumes. Unmerklich stieg er durch Violett und Lila, ward zu heftigem Blutrot, zu hitzestrahlendem Feueräther und zuhöchst zur Sonne selbst, die in den weißglühenden Lichtmassen wie ein toter Fleck erschien – das einzige, worauf das Auge zu verweilen vermochte. Das ganze Himmelsgewölbe zitterte in starkem Licht und tiefen Wärmetönen Sonne aus, während die Sonne selbst wie eine leere Insektenhülle droben am Firmament hing. Starrte man aber hinein in ihre matte Haut, dann floß alsobald alles in Milchweiß auseinander, und das Auge fing nicht Bilder ein, sondern nur schmerzende Lichtmassen.

Über Himmel und See legte sich ein Glanz der Entzückung, ein Schimmer großer Freude. Vielleicht griff er auch in die Tiefe hinab, denn fliegende Fische tauchten auf, blitzten eine silberhelle Sekunde lang über dem Wasser und verschwanden wieder. Thunfische schnitten da und dort wie schwarze Drehscheiben einzeln durch die Wogen oder huschten wie Schaukelpferde in langen Reihen über das Meer dahin. Hie und da stieg ein Strahl steil empor, stand in der Luft – und entschwand als feiner weißer Staubregen. Das war dort, wo die großen Wale gingen.

Zahlreiche Dampfer nehmen denselben Weg wie wir oder kommen uns entgegen oder steuern südlich die afrikanische Küste entlang. Einer steht mit dem Steven ganz oben auf dem spanischen Land; ein eifriges kleines Bergeschiff zerrt unermüdlich an ihm herum, ohne ihn vom Fleck zu rühren – wie eine Ameise, die sich mit einem toten Käfer abquält. Die dänische Flagge auf dem Bergeschiff brennt wie roter Mohn in der Sonne.

Weit vor uns ragen unzählige Rauchsäulen wie Pinien in den Himmel, als lägen dort Hunderte von Fabriken. Aber dies ist eine der Weltstraßen des Ozeans; unter der nächsten Rauchpinie erhebt sich ein Schiffsrumpf und dampft uns entgegen, gleitet vorüber und verschwindet in der Meerenge – und noch einer, und wieder einer, bis ins Unendliche. Schwarze Stahlungetüme von zehntausend Tonnen wälzen sich mit Hilfe zweier Schrauben stöhnend heran, stoßen fortwährend schmutziggelbes Wasser aus der Seite und hinterlassen einen Kielwasserstreifen von Schlacke, Küchenabfällen und glänzendem Kohlenstaub, worüber ein erstickender Rauchstreif hängt, blauschwarz wie eine Gewitterwolke. Das sind die großen Kohlendampfer nach Gibraltar, Malta und Port Said.

Es leuchtet über dem Meer festlich von weißen Perlenfarben und Vergoldung, von blankem Metall und dem Kristallglas in unzähligen Bullaugen. Aus den vier Schornsteinen des gewaltigen Schiffsrumpfs wogt kein Rauch, sondern nur Wärme; auf den beiden übereinanderliegenden Promenadendecks wandeln saisongeputzte Menschen, oder sie liegen hingeworfen in niedrigen Deckstühlen; schwarzgekleidete Stewards springen zwischen ihnen umher. Während das Schiff dicht an uns vorbeigleitet, steigen aus seinem Innern die Töne eines Orchesters empor. Über seinem blanken Kielwasser schweben die schönen Bassansgänse und fangen in der Luft auf, was goldlockige Kinder mit bloßen Knien vom Achterdeck aus ihnen zuwerfen. Es ist ein Paketboot, das mit englischen Offizieren und Beamten nach Indien fährt; wie eine festliche Fata Morgana schreitet es an uns vorüber und ist in einer halben Stunde verschwunden.

Zahllose kleine Dampfer begegnen uns, werden von uns überholt – überholen uns. Ungefähr die Hälfte sind skandinavische, zumeist norwegische, aber auch dänische und schwedische, die ausländische Frachten führen. Dreimal die Flagge hoch! Ein Gruß an diese unbekannten Nordländer, die hier in der Fremde für Weib und Kinder das dürftige Schmalz zum Brot und den anspruchsvollen Aktionären daheim den guten Aufschnitt verdienen, um sodann jedes dritte, vierte Jahr einen kurzen Abstecher in die Heimat zu machen und den hungrigen Mäulern, die gesättigt werden wollen, Hals über Kopf ein neues hinzuzufügen.

In kleinen Kolonien zu zwanzig Mann schwimmen sie draußen auf den Meeren umher, arbeiten tagsüber an der Erhaltung des Schiffs, beziehen nachts ihre Wache und sind jederzeit bereit, ihre Haut zu Markte zu tragen; darin besteht die ganze Romantik des Seelebens. Oft löschen und laden sie des Tags, fahren bei Nacht, löschen und laden den nächsten Tag wieder und machen in dieser Weise die Runde um das Mittelmeer. An Land kommen sie selten, und geschieht es manchmal, dann zur Nachtzeit, der Ausflug geht dann nicht weiter als bis zu den Seemannskneipen am Hafen und von da hinein in die engen Gäßchen. »Erzählen Sie mir doch etwas von den Gegenden da drinnen«, sagte eines Tages ein Matrose zu mir, »denn nun bin ich achtzehn Monate auf dem Mittelmeer gefahren und nicht ein einziges Mal an Land gewesen!« Er war auf See gegangen, weil er geglaubt hatte, das Leben zur See sei mehr als nur ein gleichmäßiger Wechsel von Arbeit und Wachen bei ruhigem Wetter und ununterbrochenen Tag-und-Nacht-Wachen bei Sturm und Unwetter. Jeder junge Mann, der aus abenteuerlichen Vorstellungen heraus auf See will, sollte sich darüber klar sein, daß es nur dieses gleichmäßige Schuften gibt, hin und wieder unterbrochen von dem nackten Kampf ums Leben. Und dann selbstverständlich die monatliche Heuer, die zwar nicht ausreicht, um Frau und Kinder anständig zu versorgen, aber trotzdem schuld daran sein soll, daß die dänische Schifffahrt zugrunde geht.

Der Dampf hat dem Meer gebahnte Straßen gegeben. So weit das Auge reicht, rückwärts und vorwärts – bis hin zu den zartesten Rauchfähnchen jener Schiffe, die sich noch viele Meilen unter dem Horizont befinden –, läuft eine gerade, unendliche Reihe von Schiffen, die alle denselben schmalen Streifen pflügen. Es sieht aus, als führen sie im Gänsemarsch rings um die Erde.

Draußen aber, auf dem breiten Wasserspiegel, ziehen die Segler willkürlich in allen Richtungen. Weit drüben schwimmt ein Vollschiff, alle vier Maste voll weißer Segel; wolkenhoch ragt es empor und kommt schräg auf uns zu wie ein blendender Eisberg. Kleine Schuten mit Gaffelsegeln durchkreuzen das Meer nach allen Seiten, gleich weißen Vögeln, die mit der einen Flügelspitze die Wasserfläche streifen. Unser holländischer Kapitän zeigt uns einen Svendborger Schoner und eine Schute aus Marstal; alle seefahrenden Nationen kennen diese beiden Schiffstypen, von denen der erste seiner harmonischen Schönheit, der andere seiner seltsamen Hinterpartie halber berühmt ist.

Weit voraus zur Rechten tauchen an dem unsäglich reinen Himmelsrand zwei gelbe Flecken auf. Eine Zeitlang schwimmen sie am Horizont wie zwei Seerosen, lösen sich dann von ihm ab und wachsen auf schlanken weißen Stengeln langsam aus dem Meer empor. Sie beben in der sonnenflimmernden Ferne wie zwei Staubgefäße, und zwischen ihnen erhebt sich ein großer gelber Blumenkelch. Man starrt und staunt ob dieses Wachstums, das wie das der Gräser ist, langsam, langsam; man ist erwartungsvoll gespannt und wird doch nicht ungeduldig. Die See dämpft, und das bedächtige Tempo des nimmer ruhenden Kolbenschlags der Schiffsmaschine, die eintönig pocht wie der Puls des Wiederkäuers, macht ruhig. Und dies Wachsen da draußen teilt einem etwas mit von der großen Geduld der Ewigkeit, so unendlich langsam ist es.

Es vervielfältigt sich; seltsame Formen und Farben sprossen aus der Tiefe auf und schmelzen zusammen zu einem mächtigen weißen Beet – die See blüht. Sie nimmt gebrochene Konturen an: Zinnen, minarettartige Türme, Kuppeln; zittert eine Weile vage vor dem Auge, ferne, unwirklich – ein Silberschloß mit goldenen Kuppeln, das sich auf einer blendenden Kreidebank aus dem blauen Meer erhebt, bis die weiße Masse vor dem Blick in unzählige Flächen zerbricht und sich die Stadt, auf Blättern und Stielen sich wiegend wie eine Wasserlilie, auf dem blauen Ozean ausbreitet – die Kuppel und die beiden Turmspitzen der Kathedrale als Krone und...



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