E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Angelowski Die dunklen Straßen von Köln
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96041-324-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Maline Brass und Lou Vanheydens
ISBN: 978-3-96041-324-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein stiller, eindringlicher Krimi aus der Domstadt.
Die junge Mutter Romy steht vor den Scherben ihrer Existenz: Von Obdachlosigkeit bedroht, stiehlt sie aus Verzweiflung einen Kleintransporter im Bergischen Land, um darin zu wohnen. Ohne es zu ahnen, manövriert sie sich und ihren kleinen Sohn damit in eine gefährliche Lage. Von den Mordfällen, in denen die Kölner Kommissarinnen Maline Brass und Lou Vanheyden ermitteln, ahnt sie nichts – doch durch ihren Diebstahl gerät Romy in unmittelbare Lebensgefahr.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Polizeipräsidium Köln Jette hält die Walnuss-Muffins, die sie in eine Cellophantüte gepackt hat, in Augenhöhe. Toffee zerrt an der Leine, als Maline aus dem Fahrstuhl tritt und auf den Eingang zum Gebäude C des Präsidiums zugeht. Sie dirigiert ihre Freundin samt Hund von der Glastür weg. Fort aus dem Sichtfeld des Pförtners, an dem sich niemand vorbeischleichen kann, um in den Fahrstuhl und damit zu den Kommissariaten zu gelangen. »Ich hab’s versucht«, lacht Jette, als sie auf dem Bürgersteig stehen. »Aber euer Security-Mann ist wachsam wie ein Schießhund und hat dich sofort angerufen.« »Am liebsten würde ich jetzt mit dir picknicken«, sagt Maline und küsst Jette auf den Mund. »Kannst du dir freinehmen? Ganz spontan? Du schiebst doch so viele Überstunden vor dir her.« Jette blinzelt gegen das Sonnenlicht. Ihre Brille sitzt oberhalb der Stirn auf den Haaren, die sie zurückgekämmt hat. Sie trägt ein knielanges Kleid mit buntem Flower-Power-Druck im Stil der siebziger Jahre. Für Jette hat der Sommer begonnen, auch wenn die warmen Temperaturen nur ein Gastspiel geben. Ihre Wintersachen lagern seit den ersten sonnigeren Tagen in Kisten auf dem Speicher ihrer Wohnung. »Ich bin mit deinem Wagen hier«, flüstert sie Maline ins Ohr. »Wenn du willst, sitzen wir in zwanzig Minuten irgendwo auf einer Wiese im Bergischen Land und läuten den Feierabend ein.« »Du musst doch die Vierbeiner sitten.« »Die cancel ich.« »Alle? Das gibt Stress.« Jette lacht, und ihre Sommersprossen scheinen zu hüpfen. »Für dich nehme ich jeden Ärger in Kauf.« »Eine verlockende Vorstellung«, seufzt Maline. »Aber ich muss tausend Dinge erledigen.« »Geht es um den alten Mann von gestern Nacht?« »Ja.« Jette schiebt sich die Sonnenbrille auf die Nase, stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst Maline. Toffee sieht zu den beiden Frauen auf. »Hast du schon mit Henry gesprochen?«, fragt Maline und drängt ihre Freundin sachte auf Abstand. »Nein.« »Du wolltest ihn anrufen.« »Ich kümmere mich darum, keine Sorge.« »Wann?« Jette geht einen Schritt zurück. Ihr Lächeln versiegt. »Keine Angst, du musst nicht mit mir zusammenziehen!« Sie drückt Maline die Muffins in die Hand und stapft zusammen mit Toffee auf Malines Smart zu, der auf einem der wenigen Parkplätze vor dem Präsidium steht. Ihr Kleid schwingt bei jedem Schritt. »Jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt«, ruft Maline und folgt ihr. Jette hilft Toffee in den Wagen, startet den Motor und öffnet das Fenster. »Ich habe kapiert, dass du noch nicht bereit bist, dich wirklich auf uns einzulassen, glaub mir, das sehe ich glasklar.« »Das ist Unsinn.« »Dann willst du also den nächsten Schritt wagen?« Maline beugt sich zu ihr hinunter. »Ehrlich gesagt geht mir alles etwas zu schnell. Und nur weil du eventuell Toffee adoptieren willst … Bisher war eine gemeinsame Wohnung keine Option.« »Irrtum, wir haben schon vor Wochen darüber gesprochen. Mit deiner Ex wolltest du schließlich auch zusammenziehen.« »Bei ihr und mir lagen die Dinge ganz anders«, sagt Maline, ohne nachzudenken. »Ach, wie lagen die Dinge denn?« »Ich weiß nicht, da stimmte einfach alles und …« Toffee schüttelt den Kopf und schließt die Augen. »Falsche Antwort«, sagt Jette, legt den Rückwärtsgang ein, schießt aus der Parklücke und biegt mit überhöhter Geschwindigkeit auf den Walter-Pauli-Ring. Maline pfeift durch die Zähne. Sie ärgert sich über den Verlauf des Gesprächs. Wegen ihrer unbedachten Bemerkung ist Jettes nette Besuchsabsicht völlig in den Hintergrund geraten. Einen kurzen Moment erwägt sie, ihren Chef tatsächlich um dienstfrei zu bitten. Aber natürlich verwirft sie die Idee im Fahrstuhl bereits wieder. Sie erkundigt sich, ob der richterliche Beschluss zu Demirkans Einzelverbindungsnachweisen vorliegt, und erfährt, dass sie sich noch gedulden muss. Anschließend versucht sie, seine Verwandte in der Türkei zu erreichen. Sie hat Glück. Die Cousine geht ans Telefon und ist bereits durch Sibel Demirkan informiert. »Es ist alles so schrecklich, der arme Oktay.« »Sie sprechen akzentfrei Deutsch«, stellt Maline fest. »Ich bin in Köln geboren, aber dann hat mein Mann die kleine Bäckerei seiner Eltern in Sanliurfa übernommen. Aus diesem Grund sind wir zurückgegangen und wohnen jetzt in Konuklu.« »Aber Sie haben regelmäßig mit Herrn Demirkan telefoniert?« »Ich habe ihn ab und zu angerufen.« »Auf dem Festnetz?« »Er besaß kein Handy.« »Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?« »Ungefähr vor drei Wochen.« »Können Sie mir etwas zum Verhältnis zwischen Vater und Tochter sagen?« »Es war zerrüttet, wirklich krass.« »Was führte zu der Auseinandersetzung?« »Zum einen hat sich Sibel, davon bin ich überzeugt, für ihren Vater geschämt. Er hatte in der Türkei nur die Volksschule besucht und dadurch in Deutschland beruflich kaum Chancen. Es reichte gerade so für Aushilfsjobs. Überwiegend hat er als Straßenkehrer gearbeitet, und Sibel fand das peinlich.« »Hat sie das gesagt?« »Nicht direkt, aber sie sprach abfällig über ihren Vater.« »Und worum ging es zweitens?« »Oktay verkraftete den Tod seiner Frau einfach nicht, und dann starb auch noch sein Sohn. Schrecklich, manche Menschen müssen wirklich viel ertragen.« Die Cousine entschuldigt sich, spricht leise einige Wörter Türkisch und fährt fort: »Mit Sibels Erziehung war er schlicht und ergreifend überfordert. Meine Eltern haben sie in unserer Familie aufgenommen. Ich denke, dadurch hat sie einfach nie ein liebevolles Verhältnis zu ihm aufbauen können. Sie fühlte sich abgelehnt, und das ist bis heute so geblieben. Egal, wie er sich ihr gegenüber verhalten hätte.« »Woran ist Sibels Bruder gestorben?« »Plötzlicher Kindstod. So etwas ist tragisch, aber es kommt vor, und Oktay traf keine Schuld. Trotzdem hat er sich natürlich Vorwürfe gemacht. Warum fragen Sie nach Sibel und ihrem Bruder? Ich denke, Oktay ist einem Herzinfarkt erlegen?« »Das steht noch nicht hundertprozentig fest.« »Wenn Sie glauben, Sibel könnte etwas mit seinem Tod zu tun haben, dann täuschen Sie sich gewaltig.« »Das habe ich nicht gesagt.« »Aber Sie fragen mich nach ihr aus.« »Ich versuche, mir nur ein Bild zu machen«, sagt Maline. »Können Sie sich vorstellen, dass er Selbstmord begangen haben könnte?« Demirkans Cousine holt tief Luft. »In der Sure vier des Korans steht: ›Tötet euch nicht selbst, doch wer das tut, aus Feindseligkeit oder Frevel, den werden wir im Höllenfeuer brennen lassen.‹ Ich kann mir nicht vorstellen, dass Oktay diesen Weg eingeschlagen hat. Früher, ja, vielleicht. Als seine Wunden noch frisch waren, aber jetzt, nach so vielen Jahren, das macht doch gar keinen Sinn.« »Sibel hat gesagt, dass ihr Vater nicht gläubig gewesen ist.« »Woher will sie das wissen?«, schnaubt die Cousine. »In den letzten Jahren ist er ein anderer Mensch geworden, aber seine Tochter hat davon keinen blassen Schimmer. Gut, vielleicht ist er nicht immer zum Freitagsgebet gegangen, aber im Grunde war er frommer Moslem.« Maline gönnt ihr eine kleine Verschnaufpause, bevor sie die nächste Frage stellt. »Stimmt es, dass Herr Demirkan weder schreiben noch lesen konnte?« »Hat Sibel das behauptet?« Die Cousine klingt gereizt. »Daran können Sie sehen, wie wenig sie ihren Vater kannte. Aber es stimmt, früher war er Analphabet. Bis er ins Krankenhaus kam wegen seiner Herzgeschichte, und dort ist ein Sozialarbeiter oder so ein Seelsorger auf ihn aufmerksam geworden, ich glaube, weil er keinen Besuch bekam. Dieser Mann hat Oktay mit einem Verein zusammengebracht, der ihm einen Alphabetisierungskurs bezahlte.« »Wissen Sie, wie der Verein hieß?« »Leider nicht«, sagt die Cousine nach einer kurzen Pause. »Oktay hat sich weiterhin mit dem Lesen schwergetan, das Schreiben klappte dagegen ganz gut. Er hat meiner Tochter noch im Frühjahr eine Karte zum Geburtstag geschickt. Viel Text stand nicht drauf, aber immerhin. Unsere Kleine war ganz happy und hat ihm ebenfalls eine Postkarte zugesandt.« »Sie sagten, dass sich Herr Demirkan verändert hat. Was meinen Sie damit?« »Kurz nach den Schicksalsschlägen hat Oktay angefangen zu trinken, und in dem Zustand ist er eines Tages auf die Straße gelaufen. Ein Wagen musste ihm ausweichen und ist in ein anderes Fahrzeug geknallt, das vor einer Ampel stand. Oktay wurde am Oberschenkel verletzt, er hätte fast sein Bein verloren.« »Wann war das?« »Vor zehn Jahren. Dieses Ereignis hat zum endgültigen Bruch zwischen Tochter und Vater geführt. Sibel wollte, dass er sich bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt, aber das hat er abgelehnt.« »Welche Opfer?« »In dem wartenden Auto saßen zwei junge Leute. Einer von ihnen ist bei dem Unfall verletzt worden, nicht schwer, aber es wäre anständig gewesen, sich zu entschuldigen.« »Und Sie glauben, dass er danach mit dem Trinken aufgehört hat?« »Ehrlich gesagt hat es uns auch überrascht, aber es ist nie wieder zu Ausfällen gekommen. Egal, wann ich ihn angerufen habe, er war immer ruhig und klar.« Maline denkt an das fehlende Leergut. »Als einen weiteren Wendepunkt in seinem Leben würde ich seinen Krankenhausaufenthalt im Zusammenhang mit seiner Herz-OP bezeichnen«, fährt die Cousine...