Anter | Theorien der Macht zur Einführung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reihe: zur Einführung

Anter Theorien der Macht zur Einführung

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reihe: zur Einführung

ISBN: 978-3-96060-071-8
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Frage, warum Menschen sich anderen Menschen unterordnen, ist eine der ältesten Fragen der politischen Theorie und gehört bis heute zu ihren grundlegenden Themen - menschliches Handeln scheint unausweichlich durch Machtbeziehungen geprägt. Gestellt wird die Frage nach der Macht in den Sozialwissenschaften auf denkbar verschiedene Weise: Was ist Macht überhaupt? Hat sie mit der menschlichen Natur zu tun? In welchen Formen tritt die Macht in Erscheinung? Welche Rolle spielt sie in der Politik? Würde Politik ohne Macht überhaupt funktionieren? Ist Machtausübung immer repressiv? Wie wird Macht im modernen Staat kontrolliert? Diese Fragen behandelt der Einführungsband insbesondere anhand der Konzepte von wichtigen modernen Theoretikern der Macht: Max Weber, Hannah Arendt, Michel Foucault, Niklas Luhmann und Heinrich Popitz.
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Einleitung
In Haruki Murakamis Roman Naokos Lächeln wird von einem jungen Mann erzählt, der auf seine Umgebung eine ungewöhnliche Wirkung ausübt: »Sein Wesen brachte andere dazu, sich ihm unterzuordnen, und er verfügte über die Fähigkeit, […] anderen routiniert und präzise Anweisungen zu erteilen und sie mit Freundlichkeit dazu zu bringen, diese auszuführen. Diese Aura von Macht umgab ihn wie ein Heiligenschein, so daß jeder in ihm auf den ersten Blick ›ein Ausnahmewesen‹ erkannte.«1 Jeder macht gelegentlich die Erfahrung, dass manche Menschen in der Lage sind, andere dazu zu bewegen, sich ihnen zu fügen. Doch wissen wir in den seltensten Fällen, worauf diese Fähigkeit beruht. Die Frage, warum Menschen sich anderen Menschen unterordnen, gehört zu den klassischen Fragen der Sozialwissenschaften. Soziale Strukturen und politische Institutionen scheinen unausweichlich durch Machtbeziehungen geprägt. Eine Grundfrage der Sozialwissenschaften lautet: Warum? Bis heute ist diese Frage jedoch nicht beantwortet. Die Phänomene der Macht gehören zwar zu den prominentesten sozialwissenschaftlichen Gegenständen, aber entschlüsselt sind sie nicht einmal ansatzweise. So ist auch die Macht ein weitgehend ungeklärter Begriff. Jeder versteht darunter etwas anderes. Allein die bunte Vielfalt der Definitionen in der modernen Theoriegeschichte, von Hobbes und Kant über Max Weber und Hannah Arendt bis hin zu Luhmann und Popitz, könnte den Eindruck entstehen lassen, hier spreche jeder von einem anderen Phänomen. Seit einem halben Jahrhundert gehört es daher in der einschlägigen Literatur zum guten Ton, diese Disparität zu monieren. Entsprechend wird in den vielen Darstellungen konstatiert, es gebe weder einen eindeutigen Machtbegriff noch eine maßgebliche Theorie. Konnte der Soziologe Arnold Gehlen schon vor einem halben Jahrhundert nur resignierend sagen, es gebe keine Theorie, »die als maßgeblich gelten könnte«, so wird noch heute die ungeklärte Lage beklagt.2 Zwischen Unklarheit und Popularität scheint es also einen gewissen Zusammenhang zu geben. Je unklarer die Lage, desto größer die Herausforderung. Max Weber machte schon vor mehr als hundert Jahren deutlich, wie sehr die Sozialwissenschaften auf »klare eindeutige Begriffe« angewiesen sind.3 Dies erweist sich auch bei den Theorien der Macht. Die vielen Versuche, die unternommen wurden, haben indes bisher nur wenig Klarheit bringen können. Diese Einführung erhebt nicht den Anspruch, einen Gordischen Knoten zu durchschlagen; sie will nur dazu beitragen, sich auf dem Gebiet der Machttheorien etwas besser zurechtzufinden. Dabei stehen drei Fragen im Vordergrund: Worum geht es, wenn von Macht die Rede ist? Welche Machttheorien lassen sich unterscheiden, und wo liegen ihre Vorzüge und Schwächen? Und: Inwieweit haben die Phänomene der Macht mit der menschlichen Natur zu tun? Vor allem der letztere Punkt verweist auf eine generelle Frage: Warum sind menschliche Handlungen, soziale Institutionen und politische Prozesse so offensichtlich unausweichlich machtförmig strukturiert? Es scheint, als sei die Macht eine Bedingung der Möglichkeit von Gesellschaft, als gebe es keine Gesellschaft ohne Machtbeziehungen. Eben diese Vorstellung gehört seit langem zum Bestand der sozialwissenschaftlichen Theorie. Für den Soziologen Heinrich Popitz ist Macht eine Existenzbedingung jeder sozialen oder politischen Ordnung (PdM, S. 64). Ganz ähnlich argumentiert bereits Hannah Arendt (Va, S. 193). Auch der angloamerikanische Soziologie Michael Mann beginnt seine Geschichte der Macht mit der Feststellung, dass Gesellschaften »aus vielfältigen, sich überlagernden und überschneidenden sozialräumlichen Machtgeflechten« bestehen.4 Aus einer systemtheoretischen Perspektive kommt Niklas Luhmann zu dem gleichen Ergebnis: »Es bilden sich keine sozialen Systeme, ohne daß sich Macht bildet.« (MS, S. 474) Angesichts dieser Befunde kommt es nicht von ungefähr, wenn das Thema in den Sozialwissenschaften so populär ist. Der britische Philosoph Bertrand Russell meinte schon in den 1930er Jahren, »daß der Fundamentalbegriff in der Gesellschaftswissenschaft Macht heißt im gleichen Sinne, in dem die Energie den Fundamentalbegriff in der Physik darstellt«5. Fundamentalbegriffe aber sind meist umstritten. Noch vor einigen Jahrzehnten war der Machtbegriff Gegenstand von heftigen, ideologisch aufgeladenen Kontroversen. Er gehörte zu den »essentially contested concepts«.6 Die Kontroversen haben sich inzwischen weitgehend gelegt, doch nach wie vor gibt es in der Bewertung von Macht und Machtverhältnissen keinen Konsens. Wer zwei verschiedene Konzepte konsultiert, macht in der Regel die Erfahrung, dass das eine mit dem anderen kaum etwas gemein hat. Oft gehen die Theorien schon an der Wurzel auseinander. Diese Heterogenität beruht nicht zuletzt auf den sehr verschiedenen Erscheinungsweisen der Macht. Die kleinen, fast mikroskopischen Phänomene kennt jeder aus eigener Erfahrung; sie zeigen sich bereits in alltäglichen Entscheidungssituationen. Wer bestimmt, wann was und von wem gemacht wird? Wer in einem Unternehmen arbeitet und von seinem Chef gebeten wird, eine bestimmte Aufgabe zu erledigen, wird diese Bitte in der Regel nicht als Repression empfinden. Dennoch handelt es sich hier zweifellos um eine Art Machtbeziehung. Die Etymologie ist hier vielsagend. Das deutsche Wort »Macht« geht auf das alt- und mittelhochdeutsche »maht« zurück, das wiederum vom altgotischen Verb »magan« kommt, was so viel wie »machen« oder »können« bedeutet.7 Diese Wortherkunft lässt einen wichtigen Aspekt des Phänomens hervortreten: dass jemand etwas »macht« oder etwas »kann«. Wer etwa in der Politik als »Macher« bezeichnet wird, gehört meist zu jenen, die in der Politik etwas zu sagen haben. In der Politik sind die Anordnungen und Entscheidungen ähnlich wie in einem Unternehmen verbindlich, nehmen dabei aber eine kollektiv verbindliche Form an, auch wenn sie im demokratischen Verfassungsstaat nur äußerst selten in Form autoritärer Befehlsgewalt auftreten. So gibt es kaum eine politische Theorie, die sich nicht mit den Phänomenen der Macht auseinandersetzen würde. Dies beruht zum einen auf der Präsenz der Machtphänomene in der Politik, zum anderen auf der damit verbundenen Aufmerksamkeit der Politikwissenschaft für die Fragen der Macht. Nach einer verbreiteten, nahezu klassischen Auffassung besteht Politik ganz wesentlich aus dem Streben nach Macht. Politische Prozesse sind nach dieser Sichtweise in erster Linie Machtprozesse. Die Komplexität des Machtphänomens steigert sich noch einmal dadurch, dass nicht jeder in gleicher Weise auf eine Machtsituation reagiert. Manche Menschen ordnen sich verhältnismäßig gern unter; andere können es nicht ertragen, sich fügen zu müssen. Entsprechend unterschiedlich fallen die Bewertungen der Macht aus. Die einen scheinen mit der Macht regelrecht verheiratet zu sein und werden nicht müde, ihre Vorzüge zu preisen; den anderen ist jede Form von Macht verhasst. Sie hat, wie der Soziologe Rainer Paris sagt, »sehr verschiedene Formen und Ausprägungen, mit denen sich höchst unterschiedliche Motive, Auswirkungen und Leidensqualitäten verbinden«8. In einem sehr allgemeinen Sinne kann man Macht als die Fähigkeit verstehen, Einfluss auf seine Umgebung zu nehmen, die Dinge so zu beeinflussen, wie man sie gern hätte. In diesem Sinne argumentiert die bis heute prominenteste Machtdefinition: Max Weber definiert die Macht als die »Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht« (WuG, S. 28). Diese Definition, die seit achtzig Jahren auf die gesamte Machtliteratur eine bannende Wirkung ausübt, wird entsprechend in diesem Band häufiger zur Sprache kommen. Um sich einen Überblick über die verschiedenen Machtkonzepte zu verschaffen, kann man unterschiedliche Zugänge wählen. Eine verbreitete Möglichkeit ist, die Konzepte nach ihrer jeweiligen Systematik vorzustellen, die einer informativen Darstellung in der Regel zugrunde liegt.9 In der Tat sind Aussagen über die Macht erst aufgrund einer Beobachtung ihrer Wirkungen und Formen möglich. So unterscheidet der italienische Soziologe Gianfranco Poggi drei Formen sozialer Macht: ökonomische, normativ-ideologische und politische Macht,10 während Heinrich Popitz vier »anthropologische Grundformen der Macht« formuliert: Verletzungsmacht, instrumentelle Macht, autoritative Macht und datensetzende Macht.11 Ein duales Modell findet sich demgegenüber bei dem amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph S. Nye; er unterscheidet zwischen einer soft power, die ihre Ziele durch Einflussnahme erreicht, und einer hard power, die sich mit Zwangsmitteln durchsetzt.12 Noch prominenter ist das duale Modell seiner Kollegin Hanna F. Pitkin wie auch ihrer Kollegen Keith...


Andreas Anter ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Erfurt und Senior Research Fellow am Zentrum für Europäische Rechtspolitik in Bremen.


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