E-Book, Deutsch, 296 Seiten
Arenz Don Fernando erbt Amerika
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86913-188-7
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 296 Seiten
ISBN: 978-3-86913-188-7
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Don Fernando, Sohn von Christoph Kolumbus, hat bei einem Einkaufsbummel in Nürnberg im Jahre 1512 die Urkunde des kastilischen Königs liegen lassen, in der ihm zehn Prozent Amerikas zugesprochen werden. Solche Dinge kommen vor, und nach so langer Zeit ist sowieso alles vergessen. Außer natürlich, wenn einer der Beteiligten versehentlich Unsterblichkeit erlangt und nach fünfhundert Jahren vergeblicher Suche entnervt den Nürnberger Bürgermeister mitten im Wahlkampf entführt, um endlich an seine Urkunde zu kommen. Und damit geht der Ärger erst los, denn die USA ziehen lieber in den Krieg gegen Franken, als den Erben auszubezahlen. Zum Glück findet Don Fernando einige Mitstreiter - Wikinger, aztekische Wissenschaftler, Außerirdische und ein paar Rockmusiker -, die Amerika und dem Rest der Welt mit anarchistischem Humor die Stirn bieten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
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2
Das Adjektiv, das Christoph beim Aufwachen bei noch geschlossenen Augen durch den Kopf schwirrte, war »grauenvoll«. Interessanterweise sah er es gedruckt vor seinem inneren Auge, samt Ausrufezeichen. Das Wort war offensichtlich auf der Suche nach einem Hauptwort. Christoph wollte es nicht aufhalten – er wollte schlafen. Aber es schien, als ob das »grauenvoll« beim Durchsuchen seines Kopfes einen ziemlichen Lärm machte. Es zischte unzufrieden, als es die Worte »Nacht«, »Besäufnis«, »Musik«, »Kneipe« und »körperlicher Zustand« auf ihre Tauglichkeit prüfte. Dann klapperte es mit dem Ausrufezeichen an irgendwelchen Eisenstäben entlang, was einen schrecklichen Lärm ergab. Christoph wollte dem Wort helfen und bot geistesgegenwärtig »Lärm« an. Der Erfolg war, dass sich das »grauenvoll« wütend im Kreis zu drehen begann und Christoph schlecht wurde. Ziemlich schlecht. Nahezu – aber nicht ganz – grauenvoll schlecht. Christoph riss die Augen auf, stand vom Boden auf, wo er offenbar geschlafen hatte, und tastete sich über Bébé hinweg, der auch auf dem Boden lag, zum Klo. Als er es nicht fand, merkte er, dass er nicht in seiner eigenen Wohnung war. Er drückte eine Tür auf und sah eine Frau, die eben Eier und Kaffee kochte und mit einem Schneebesen auf den Töpfen Schlagzeug spielte. Sie sah Christoph, grinste ihn an und sagte fröhlich: »Guten Morgen! Na, wieder fit?« Christoph sah sie blicklos an, probierte kurz, ob die Wörter »fit« oder »Morgen« zu »grauenvoll« passten, kam zu einem schmerzhaft negativen Ergebnis und krächzte: »Klo?« »Hier lang, Junge«, sagte die Frau fröhlich und öffnete die Tür gegenüber. Christoph wankte in ein rosafarbenes Bad, das keine heilende Wirkung auf seine Übelkeit hatte, erwog kurz, sich zu übergeben, entschied sich dagegen und begann, viel Wasser zu trinken. Das schien zu helfen. Als allerdings die Übelkeit nachließ, drängte sich die Erinnerung an den vergangenen Abend in sein Gedächtnis, weigerte sich jedoch beleidigt, ihn darüber aufzuklären, in wessen Wohnung er sich befand und wer die junge Frau in der Küche war. Das sah alles gar nicht gut aus. Dieser Tag begann nicht schön. Christoph sah in den Spiegel und konnte förmlich spüren, wie sich das Wort »grauenvoll« mit befriedigtem Klicken an das Wort »Tag« anhängte. Das sollte offensichtlich eine dauerhafte Beziehung werden. Und dann übergab er sich doch. Auf dem Hauptmarkt war der Betrieb zu dieser Vormittagsstunde eher mäßig. Im Januar lassen die Touristenströme immer stark nach – und der Obstmarkt ist nicht von so berauschender Anziehungskraft, dass um zehn Uhr morgens kein Durchkommen mehr wäre. Dennoch fand die kleine Gruppe Ritter zu Pferde einige Aufmerksamkeit, als sie, von der Burg herabkommend, beim Schönen Brunnen auf den Hauptmarkt einbog. Das lag zum einen an den prächtigen Rüstungen, die sie trugen und die sich in der tiefstehenden Januarsonne sehr hübsch ausnahmen – wenngleich hie und da jemand kritisch bemerkte, dass echte Rüstungen nie so silbern glänzen würden –, zum anderen jedoch daran, dass der Bürgermeister an den Schwanz des letzten Pferdes gebunden war und hinterhergeschleift wurde, wobei er jämmerlich um Hilfe schrie. »Schade«, bemerkte einer der Marktleute, »sie hätten ihm auch was Altes anziehen sollen. So ist es irgendwie unecht. Aber eine schöne Idee!« Der Anführer der Gruppe war im Vergleich zu seinen Kollegen eher klein gewachsen, aber dafür trug er eine schäbige Pfauenfeder am Helm. Auch hier waren sich Hausfrauen und Marktleute einig, dass man sich mit den Kostümen etwas mehr Mühe hätte geben können. Der Trupp bahnte sich einen Weg am Rathaus entlang, kümmerte sich nicht um die Hochzeitsgesellschaft, die eben vor dem Tor des Rathauses fotografiert werden sollte und ziemlich ungehalten Platz machte, bog an der Frauenkirche ab und zog stadtaufwärts gen Lorenzkirche. Der Bürgermeister im Schlepptau schrie jämmerlich. Einige Punks, die am Eingang zur U-Bahn herumhingen, machten abfällige Bemerkungen über die Wahlkampfstrategien der CSU, aber sie schlossen sich trotzdem an. Unter Protest natürlich. Als der kleine Trupp mit dem mittlerweile langen Tross auf dem großen freien Platz vor den imposanten Türmen der Lorenzkirche angekommen war, stiegen alle Ritter, bis auf den Anführer, ab. Die Menge hatte den üblichen Kreis gebildet und hie und da flogen auch schon Münzen in einen der achtlos beiseitegestellten Helme. Die Ritter nahmen mit geübten Griffen einige Holzstangen und -klötze aus den Packtaschen und hatten sie im Nu zu Pranger und Richtblock zusammengebaut, die nun genau in der Mitte des Platzes standen. Der Bürgermeister hing in seinen Fesseln und kreischte mit rotem Kopf: »So helft doch, helft doch!« und erhielt einen kleinen Extraapplaus. Einer der Ritter setzte ein Horn an und blies ein Signal. Daraufhin entrollte der Anführer ein Pergament und verlas in einer unverständlichen Sprache einige Sätze. Dann zog er seinen Degen und hielt ihn hoch in die Luft. Ein Raunen ging durch die Menge und es wurde einen Augenblick still. Es war ein außerordentlich schöner Degen – er sah aus, als würde er leuchten. Augenblicklich zerrten zwei Ritter den Bürgermeister zum Richtblock und zwangen seinen Kopf in den Pranger. Die Menge brüllte vor Lachen, weil das Gesicht des Bürgermeisters so komisch aussah. Der Ritter ließ den Degen in einer komplizierten Figur singend durch die Luft kreisen und dann genau vor dem Gesicht des Bürgermeisters in das Pflaster sinken, wo der Degen schwankend steckenblieb. Erst klatschte die Menge, aber als der Bürgermeister blau anlief und offenbar einen Herzinfarkt vortäuschte, fanden sie diese Art Wahlkampf nicht mehr lustig, gingen einfach auseinander, taten so, als hätten sie nichts gesehen, und fuhren fort, ihre Einkäufe zu erledigen. Währenddessen packten die Ritter wieder zusammen, hoben den strampelnden und vor Wut kreischenden Bürgermeister auf ein Pferd und verschwanden schnell und leise, wobei einer der Ritter fluchend seinen Helm noch einmal abnahm und diverse Münzen ausschüttete, die darin lagen. Nur die Punks fanden den Auftritt cool und einer von ihnen beschloss sogar, von nun an konservativ zu wählen. Sie hätten den Auftritt unter Umständen noch cooler gefunden, wenn sie gesehen hätten, dass die Ritter direkt hinter der Kirche von ihren Pferden stiegen, ihnen die Sättel und den Bürgermeister abnahmen und in einen Kleinbus wechselten, der in der Einfahrt zur Parkgarage der Deutschen Bank stand. Die Pferde – nunmehr im wahrsten Sinne des Wortes ungebunden – begaben sich zu Karstadt und fanden die Feinkostabteilung. Im Gegensatz zum Bürgermeister war der Tag für sie ein voller Erfolg. Christoph war – für sich betrachtet – nicht das, was ein unbeteiligter Beobachter für den Durchschnitt der menschlichen Rasse gehalten hätte. Zum einen war er dafür zu intelligent und zum anderen teilte er die Verachtung einzelner Individuen für den Rest der Menschheit nicht im gleichen Maße. Er neigte dazu, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Durch eine ungewöhnliche Kindheit, in der viele Bücher, eigenwillige Geschwister, ein abgelegenes Juradorf und etwas sonderbare Eltern eine tragende Rolle gespielt hatten, war er zu einem Mann geworden, der weder sich selbst noch die Umwelt wirklich ernst nahm. Er konnte durchaus hervorragend vorgeben, vernünftig und erwachsen und ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein, aber innerlich amüsierte er sich dabei. Das Problem war: Er sah immer noch einen Sinn im Leben, glaubte, das Ganze würde doch noch zu irgendeinem Ziel führen und hielt die meisten Menschen im Innersten für gut. Nachdem das aber weder in unserem Jahrhundert noch in überhaupt irgendeinem Zeitraum der bekannten Historie en vogue ist und war (die meisten Leute, die diesen Modetrend zu etablieren versuchten, endeten entweder am Kreuz oder auf dem Scheiterhaufen) und Christoph zudem – wie schon oben angemerkt – intelligent war, sagte er vorsichtshalber das, woran er glaubte, als sei es nicht ernst gemeint. Was ihm den Ruf eines brillanten Zynikers einbrachte. Im Augenblick allerdings war er sich nicht sicher, ob sich eine dreißig Jahre alte, gut fundierte Weltsicht gegen einen Kater durchsetzen konnte, der gerade erst zehn Minuten alt war. Er verschob dieses Problem auf später. Zuerst musste er herausfinden, wo er war. Das Bad war kein echter Anhaltspunkt, außerdem waren die rosafarbenen Kacheln nicht gut für seinen Magen. Er öffnete das Dachfenster, stellte sich auf die Toilette, wobei ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, den Deckel zu schließen, und sah hinaus. Die kalte Luft war ein Schock. Aber sie öffnete ihm wenigstens vollständig die Augen. Über den Rand des Daches hinweg konnte er auf die Straße hinuntersehen. Offensichtlich war er im dritten Stock eines Hauses am Burgberg. ›Aha‹, dachte er, ›Nürnberg. Immerhin.‹ Dann musste links oben die Burg sein. Er verdrehte den Kopf, um nach oben zu sehen. Keine gute Idee, fand sein Magen, aber er kämpfte die Übelkeit nieder. Von unten klangen Hufschläge herauf. Er sah einen Trupp Ritter den Berg hinabreiten. Na toll! Wenn heute irgendein Fest in der Stadt war, wurde ihm garantiert das Auto abgeschleppt. Wenn er mit dem Auto gefahren war. Vielleicht waren sie ja mit Bébés Auto gekommen. Wenn er nur wüsste, wer diese Frau war und ob sie nun Bébé oder ihn abgeschleppt und den jeweils anderen nur in Kauf genommen hatte. In moralischer Hinsicht war das irgendwie wichtig. Denn er war ja nun seit gestern solo, Bébé hingegen … Christoph...