Arriaga | Das Feuer retten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 800 Seiten

Arriaga Das Feuer retten

Roman
Die Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes.
ISBN: 978-3-608-11835-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 800 Seiten

ISBN: 978-3-608-11835-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Einer der kraftvollsten, intensivsten und originellsten Gegenwartsautoren, die in spanischer Sprache schreiben.« El Exprés Eine ekstatische Liebe und der Wille, alles aufs Spiel zu setzen, vereinen sich in diesem temporeichen Roman über die mexikanische Unterwelt zu einem Spiel auf Leben und Tod. Arriaga lässt die Milieus einer bürgerlichen Tänzerin und eines Kriminellen aufeinanderprallen.  Marina Longines, Tänzerin und Choreografin mit eigener Kompagnie, lebt als verheiratete Frau und Mutter ein geregeltes Leben. Doch immer stärker regt sich der Wunsch, in ihrem tänzerischen Ausdruck aufs Ganze zu gehen und Grenzen zu überschreiten. Als sich die Möglichkeit bietet, in einem berüchtigten Gefängnis vor Straftätern aufzutreten, sagt sie zu. Und trifft im Gefängnis auf José Cuauhtémoc, einen gebildeten Indio und verurteilten Mörder. José Cuauhtémoc vereinigt in sich all das, was Mexiko zu dem gemacht hat, was es heute ist: die Gewalt, die Ungerechtigkeit und ungleiche Verteilung, die Unterdrückung der Ursprungskultur durch skrupellose Eroberer. Zwischen dem charismatischen Kriminellen, der allein den Gesetzen der Straße gehorcht, und der Tänzerin Marina Longines entbrennt eine Leidenschaft, die alle Grenzen niederreißt. 'Das Feuer retten' ist ein existentieller Roman über die Frage, was ein Leben lebenswert macht. Und ein großer Roman über die Ungerechtigkeit.

Guillermo Arriaga, geboren 1958 in Mexiko-Stadt, gehört zu den bedeutendsten Drehbuch- und Buchautoren der Gegenwart. Von ihm stammen die Drehbücher zu der mit mehreren Oscars ausgezeichneten Filmtrilogie Amores Perros, 21 Gramm und Babel. Neben seinen Drehbüchern hat er bislang drei Romane und einen Kurzgeschichtenband veröffentlicht; dieser neue, hier vorliegende Roman markiert einen Höhepunkt in Arriagas Werk.
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Wenn ich den Moment bestimmen müsste, an dem mein Leben sich von Grund auf veränderte, dann würde ich sagen, es war der Tag, an dem Héctor uns in sein Haus in Tepoztlán einlud. »Marina, kommt doch am Samstag vorbei, die Arteagas, Mimí, Klaus, Laura und ihr Freund kommen auch, außerdem Aljure, Ruvalcaba, Ceci, Julio, plus die üblichen Schmarotzer.« Ich nahm die Einladung an, obwohl ich wusste, dass Claudio überhaupt keine Lust haben würde. Er konnte meine »Hippiefreunde« nicht ausstehen, nannte sie nur »aufgeblasene Möchtegernkünstler«. Sie langweilten ihn, er hatte nichts mit ihnen gemein. Für Claudio war ein Film dann gut, wenn er sich amüsierte, er mochte billige Mainstreamkomödien, »Hauptsache, ich kann nach der Arbeit abschalten«. Die Filme von Héctor, in denen kaum etwas passierte, fand er unerträglich. »Langweiliger geht’s nicht«, befand mein Mann, ungeachtet der Lobeshymen aus Cannes und Venedig. An jenem Samstag fuhren wir also nach Tepoztlán, und da, genau da, fing alles an. Hätte ich die Einladung ausgeschlagen, hätte Claudio darauf bestanden, wie jeden Samstag bei seinen Eltern zu essen, dann wäre mein Leben heute noch so wie immer, glücklich, geordnet und vorhersehbar, dann wäre das Uhrwerk des Desasters nicht in Gang gesetzt worden.

Der sonnige Tag im Verbund mit Héctors Versprechen, dass er sich das Vorrundenspiel der Champions League im Fernsehen anschauen konnte, hatten Claudio schließlich überzeugt. Außerdem wollten die Kinder unbedingt hin. Sie liebten es, mit den Tieren zu spielen, die Héctor und sein Lebensgefährte Pedro auf dem Grundstück hielten: elf Klammeraffen, zwei Waschbären, drei verspielte und aufdringliche Labradore, vier Katzen und sechs zahme Pferde, auf denen sie reiten konnten. »Bitte, bitte, lass uns hinfahren«, riefen meine drei Kinder begeistert. Sie hatten bei Héctor und Pedro immer jede Menge Spaß. Und hätte Claudio nicht so viele Vorurteile, hätte auch er viel Spaß gehabt, jede Wette. Seine »Abneigung« gegen meine Freunde war garantiert nur eine Pose, denn viele von ihnen kannte er von klein auf.

Wir trafen früh ein. Héctor und Pedro waren gerade erst aufgestanden und unrasiert. »Entschuldigt, wurde ziemlich spät gestern. Kommt rein, Luchita wird sich um euch kümmern, während wir kurz unter die Dusche springen. Sie kann euch Chilaquiles machen, und auf dem Tisch steht frisch gepresster Orangensaft. Macht es euch gemütlich, in dem Zimmer da könnt ihr euch umziehen.« Héctor und Pedro zogen sich zurück, um sich fertigzumachen, und Claudio konnte sich eine seiner typischen Bemerkungen nicht verkneifen. »Diesen Ferkeln riecht der Arsch noch nach Vaseline«, sagte er und lachte laut. Es war sein Lieblingssatz, wenn er von Homosexuellen sprach: »Dem riecht der Arsch noch nach Vaseline.« Diesen Satz hatten sich er und seine Klassenkameraden für die affektierten Priester ausgedacht, die an ihrer Schule unterrichteten. Unverbesserliche Päderasten, die mehrere ihrer Schüler missbraucht hatten. Daher rührten auch Claudios homophobe Anflüge. Er war kein Schwulenhasser. Man musste sich nur vor Augen halten, dass seine Ansichten zu »Schwuchteln« geprägt waren von seinen Erfahrungen an der katholischen Schule. Einer der Grundschullehrer nahm seine sieben- und achtjährigen Schüler immer mit in sein Kabuff. »Das Gift der Sünde ist in mir«, sagte er mit honigsüßer Stimme zu ihnen, »und es bringt mich langsam um. Der Heilige Vater, der von meiner Drangsal weiß, hat mir die Erlaubnis erteilt, mir einen unschuldigen Mund zu suchen, der mir das Gift aussaugt und ihm mit seiner Reinheit die Wirkung nimmt.«

Héctor sah sich selbst als enfant terrible des mexikanischen Kinos und tat alles, um diesen Ruf zu festigen. Gegenüber der Presse gebärdete er sich anstößig, exhibitionistisch und hochmütig. Wenn er über seine Kollegen urteilte, dann mit selbstherrlicher Attitüde; die meisten kanzelte er als plump und nichtssagend ab. Seine eigenen Filme zeigten monströse und perverse Wesen, deren sexuelle Gier unersättlich war. Zwerge, die fettleibige Frauen vergewaltigten, Selbstbefriedigung in Großaufnahme, cellulitegeplagte Hintern und riesige Schwänze. Héctors Filme gossen Eiter und Urin über die Zuschauer, wie Claudio so schön sagte. Kritiker und Festivals vergötterten ihn. Le Monde hatte ihn als »Genie, das wuchtige Bilder zu erschaffen vermag« bezeichnet, Der Spiegel über sein Werk geurteilt: »Als ob Dante und Hieronymus Bosch beschlossen hätten, Filmregisseure zu werden.« Héctor genoss die Buhrufe der Zuschauer, die angeekelt den Saal verließen und ihn beschimpften. Er erfüllte perfekt das Klischee, dass ein Künstler »die Bourgeoisie aufschrecken und ihr geben sollte, was sie verdient«. Dabei war er selbst der personifizierte Bourgeois. Er hatte ein Vermögen geerbt, das auf der Ausbeutung Hunderter Bergarbeiter beruhte, und trotzdem nie den Schmerz und das Elend hinterfragt, das seine Firmen verursachten. Als seine Eltern starben, stieß er die Firmen nicht ab, sondern übernahm ihre Leitung als Vorsitzender des Verwaltungsrats. Seine Filme waren finanziert von anonymen Menschen, deren Gesichter schwarz waren von Kohle und deren Lungen hart vom jahrelangen Einatmen schändlichen Minenstaubs. »Black lungs matter«, hatte ihm auf einer Pressekonferenz ein Journalist an den Kopf geworfen, um ihn zu provozieren. Héctor ließ ihn rausschmeißen und trat noch nach, indem er ihn diskreditierte: »Noch so ein Idiot, der von meinen Feinden bezahlt wird. Geschickt hat ihn garantiert …« und dann nannte er kurzerhand den Namen irgendeines Kritikers oder Kollegen, der seine Filme verrissen hatte.

Im Gegensatz zu seinem arroganten Auftreten und seinem Ruf als Großkotz war Héctor privat ein netter Kerl. Ein treuer Freund, immer hilfsbereit. Ohne Claudios Wissen hatte Héctor seinen Finanzdirektor angewiesen, Geld seines Unternehmens in den Fonds zu investieren, den Claudio managte. Er tat es für mich, aus Zuneigung, wegen all der Jahre, die wir uns nun schon kannten, aus reiner Großzügigkeit. Jedenfalls verbesserte sich unsere finanzielle Lage von einem Monat auf den anderen. Achtzig Millionen Dollar sind kein Pappenstiel. Claudio, der ein geschicktes Händchen für Geld hatte, sorgte dafür, dass dieses Kapital bald schon konstante Gewinne abwarf. Héctor nahm mir das Versprechen ab, Claudio nie zu verraten, wer diese beträchtliche Summe in seinen Fonds eingezahlt hatte. Und Claudio, der Trampel, schmähte Héctor, ohne zu ahnen, dass er seine gesteigerte Kaufkraft der »Kinoschwuchtel« zu verdanken hatte.

Pedro stammte ebenfalls aus einer »guten Familie«, die über Grundbesitz verfügte. Sein Vermögen war nicht so üppig wie das von Héctor, aber doch üppiger als das von neunundneunzig Prozent aller Sterblichen. Die »Ranch«, wie sie das Haus in Tepoztlán gern nannten, hatte seinen Großeltern gehört. Das Grundstück umfasste zwanzig Hektar, und darauf bauten sie, wie könnte es anders sein, ein Haus, das ein Pritzker-Preisträger entworfen und dessen Inneneinrichtung das berühmte New Yorker Designbüro Ten Rainbows übernommen hatte. Jeder Winkel wurde mit allergrößter Sorgfalt gepflegt. Zwölf Angestellte hielten die Finca in makellosem Zustand. »Bei denen kriegt sogar das Grundstück Maniküre«, scherzte Klaus.

Héctor und Pedro waren leidenschaftliche Mäzene. Sie finanzierten Messen, Galerien, Bildhauerakademien, Orchester und Bibliotheken. Meine Tanzkompanie erhielt ebenfalls Unterstützung von ihnen. Ich achtete zwar immer auf gesunde Finanzen, aber ihre Spenden verschafften mir Luft, befreiten mich von Budgetzwängen, denen andere Kompanien unterworfen waren. Ich konnte für unsere Aufführungen bessere Theater anmieten, Coaches von Weltruf bezahlen und die Verträge der talentiertesten Tänzer verlängern.

Pedro war derjenige, der sich um die Stiftung kümmerte. Trotz aller Großzügigkeit schloss ihr Mäzenatentum nicht aus, dass sie Gewinne machten. Manchmal schenkten Galeristen ihnen Bilder eines vielversprechenden Malers, dessen Wert in nur zwei Jahren um das Zwanzig- oder Dreißigfache anstieg. Wenn eines der Orchester, für das sie die Schirmherrschaft übernommen hatten, im Ausland tourte, strichen sie fünf Prozent der Gage ein. Und natürlich waren ihre Spenden steuerlich absetzbar.

In all den Jahren war ich nur einmal fremdgegangen, und zwar ausgerechnet mit Pedro. Er wiederum gestand mir, dass auch er Héctor nie betrogen hatte. Wir waren also beide Neulinge in Sachen Affäre. Es begann alles mit kleinen Scherzen. »Die einzige Frau, mit der ich schlafen würde, wärst du«, sagte er mir einmal als Kompliment vor zahlreichen Leuten. Sein Witz rief lautes Gelächter hervor. Sogar Claudio lachte mit. »Meine Frau ist so sexy, dass selbst Hunde scharf...


Arriaga, Guillermo
Guillermo Arriaga, geboren 1958 in Mexiko-Stadt, gehört zu den bedeutendsten Drehbuch- und Buchautoren der Gegenwart. Von ihm stammen die Drehbücher zu der mit mehreren Oscars ausgezeichneten Filmtrilogie Amores Perros, 21 Gramm und Babel. Neben seinen Drehbüchern hat er bislang drei Romane und einen Kurzgeschichtenband veröffentlicht; dieser neue, hier vorliegende Roman markiert einen Höhepunkt in Arriagas Werk.

Strobel, Matthias
Matthias Strobel, geboren 1967, übersetzt aus dem Spanischen und Englischen, u.a. Alfredo Bryce Echenique, Federico Axat und Daniel Griffin. 2014 wurde er mit dem Europäischen Übersetzerpreis Offenburg ausgezeichnet (Förderpreis), 2017 gehörte er mit einer Übersetzung von Alberto Barrera Tyszka zu den Finalisten des Internationalen Literaturpreises. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Guillermo Arriaga, geboren 1958 in Mexiko-Stadt, gehört zu den bedeutendsten Drehbuch- und Buchautoren der Gegenwart. Von ihm stammen die Drehbücher zu der mit mehreren Oscars ausgezeichneten Filmtrilogie Amores Perros, 21 Gramm und Babel. Neben seinen Drehbüchern hat er bislang drei Romane und einen Kurzgeschichtenband veröffentlicht; dieser neue, hier vorliegende Roman markiert einen Höhepunkt in Arriagas Werk.

Matthias Strobel, geboren 1967, übersetzt aus dem Spanischen und Englischen, u.a. Alfredo Bryce Echenique, Federico Axat und Daniel Griffin. 2014 wurde er mit dem Europäischen Übersetzerpreis Offenburg ausgezeichnet (Förderpreis), 2017 gehörte er mit einer Übersetzung von Alberto Barrera Tyszka zu den Finalisten des Internationalen Literaturpreises. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Guillermo Arriaga, geboren 1958 in Mexiko-Stadt, gehört zu den bedeutendsten Drehbuch- und Buchautoren der Gegenwart. Von ihm stammen die Drehbücher zu der mit mehreren Oscars ausgezeichneten Filmtrilogie Amores Perros, 21 Gramm und Babel. Neben seinen Drehbüchern hat er bislang drei Romane und einen Kurzgeschichtenband veröffentlicht; dieser neue, hier vorliegende Roman markiert einen Höhepunkt in Arriagas Werk.

Matthias Strobel, geboren 1967, übersetzt aus dem Spanischen und Englischen, u.a. Alfredo Bryce Echenique, Federico Axat und Daniel Griffin. 2014 wurde er mit dem Europäischen Übersetzerpreis Offenburg ausgezeichnet (Förderpreis), 2017 gehörte er mit einer Übersetzung von Alberto Barrera Tyszka zu den Finalisten des Internationalen Literaturpreises. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.



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