Artkämper / Floren / Schilling | Vernehmungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 632 Seiten

Artkämper / Floren / Schilling Vernehmungen

Taktik, Psychologie, Recht
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8011-0902-8
Verlag: Verlag Deutsche Polizeiliteratur
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Taktik, Psychologie, Recht

E-Book, Deutsch, 632 Seiten

ISBN: 978-3-8011-0902-8
Verlag: Verlag Deutsche Polizeiliteratur
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



In der Praxis der Strafverfolgung führen Polizeibeamte regelmäßig eigenverantwortlich Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten im Ermittlungsverfahren durch. Die Vernehmung selbst ist ein höchst vielschichtiger Vorgang, der beim Vernehmenden psychologische, kriminalistische und juristische Fachkenntnisse erfordert. Wie man polizeiliche Vernehmungen professionell und erfolgreich meistert, zeigt dieses Buch in verständlicher Weise auf. Jedes Kapitel ist in sich eigenständig gehalten und informiert umfassend zum jeweiligen Themenkomplex. Angereichert mit zahlreichen Praxistipps und Grafiken bietet dieses Handbuch Polizeibeamten Handlungssicherheit in den vielfältigsten Vernehmungssituationen. Die vorliegende Neuauflage wurde umfassend überarbeitet und ergänzt. So wurden u.a. Kapitel zur Anhörung von Kindern und zu unternehmensinternen Befragungen und Vernehmungen neu aufgenommen. Ferner wurden Gesetzesänderungen sowie die aktuelle Rechtsprechung und Literatur berücksichtigt.

Dr. Heiko Artkämper, Staatsanwalt als Gruppenleiter bei der Staatsanwaltschaft Dortmund und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e.V. Thorsten Floren, Kriminalhauptkommissar, Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW und stellv. Leiter des Kriminalkommissariats 1 beim Landrat Höxter. Karsten Schilling, Kriminalhauptkommissar a.D., ehemaliger Leiter des Kriminalkommissariat 1 der Direktion Kriminalität beim Landrat Unna.
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Weitere Infos & Material


1Vernehmungen im Kontext von menschlicher Erinnerung, Irrtum und Lüge


Vernehmungen sind Kommunikationsprozesse, deren Ziel es ist, möglichst umfassende Informationen über einen Sachverhalt zu gewinnen. Selbst bei optimaler Professionalität des Vernehmenden sind ihnen gewichtige Unsicherheitsfaktoren immanent: Die bewussten oder unbewussten Fehlleistungen des Faktors „Mensch“ und seiner Erinnerung.1

Praxistipp:

Die nachfolgenden Ausführungen zeigen weniger juristische Probleme auf, sondern beschäftigen sich mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen.

Das menschliche Gehirn speichert Informationen nicht gebündelt und unveränderbar gesichert wie ein Computer ab; die Signalverwertung ist einerseits bedeutend komplexer, andererseits aber anfälliger gegen Umgestaltungen, Änderungen, Auffüllungen, Blockaden bis hin zu Löschungen. Informationen, also Reizungen der Sinnesorgane, gelangen in das sog. limbische System und werden von dort an unterschiedlichen Stellen kurz- oder langfristig gespeichert.

Wissen und Wahrgenommenes sind keine Computerdateien; es werden keine historischen Vorgänge und Wahrheiten gespeichert. Vielmehr bleiben Informationen nur für kurze Zeit – maximal zwei Minuten – in einer Art „Arbeitsspeicher“ und werden dann in einem „Zwischenspeicher“ – dem Hippocampus – abgelegt. Die hier angehäuften Tagesreste werden in der Nacht während des Schlafes weiter verarbeitet, indem das Gehirn diese neuen (Er-)Kenntnisse mit bereits vorhandenen Informationen assoziiert, also clustert.

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Diese Assoziationsketten sind von Person zu Person unterschiedlich und von einer persönlichen (emotionalen) Betroffenheit und gewissen Einmaligkeiten des Wahrgenommenen abhängig; sie funktionieren beispielsweise bei traumatisierten Zeugen nicht oder nicht vollständig.2

Zur Beurteilung der Qualität und Aussagekraft einer Äußerung bzw. Vernehmung ist es erforderlich, die Grundzüge der Informationsaufnahme, -speicherung und -wiedergabe zu kennen.3 Das ernüchternde Ergebnis sei vorangestellt: Etwa zwei Drittel der vorhandenen und wahrnehmbaren Informationen werden auch tatsächlich wahrgenommen und nur ein Drittel kann später noch reproduziert werden.

Praxistipp:

(Zeugen-)Aussagen sind zwar das häufigste, aber zugleich auch das unzuverlässigste Beweismittel im Strafverfahren; ihr Zustandekommen und ihre Leistungsgrenzen muss der Vernehmende kennen und sich stets vor Augen halten. Dieser Unsicherheit muss daher – soweit wie möglich – mit einer ständigen Objektivierung der Aussage begegnet werden.4

1.1Menschliches Erinnern: Grundzüge von Wahrnehmung, Codierung, Speicherung und Wiedergabe


Anders als bei einer Filmdokumentation, die authentisch den wahrnehmbaren, wirklichen Sachverhalt aufnimmt, abspeichert und später reproduziert, vollzieht sich menschliches Erinnern subtiler: Informationen müssen

–wahrgenommen,

–codiert,

–gespeichert und sodann

–wiedergeben werden.

Jede dieser vier Phasen ist – wenn auch in unterschiedlichem Maße – fehleranfällig. Neben diese Fehlerquellen tritt das Phänomen der Lüge, einer bewusst falschen Wiedergabe vorhandener Informationen.

Begrifflich ist zwischen der Glaubwürdigkeit einer Person und der Glaubhaftigkeit einer Aussage zu differenzieren.5

Praxistipp:

Der Vernehmende muss sich stets vor Augen halten, dass Fehler im Sinne von Irrtümern

–bei der Wahrnehmung,

–bei der Codierung,

–bei der Speicherung,

–bei der Wiedergabe

auftreten können.

Er muss zudem die Möglichkeit einer Lüge einkalkulieren.

1.1.1Fehlerquellen bei der Wahrnehmung

Bei der Wahrnehmung bedarf es zunächst eines Auslöseanreizes, der überhaupt dazu führt, dass (irgend-)etwas wahrgenommen wird. Hier sind zunächst insbesondere die biologischen Möglichkeiten unserer Sinnesorgane zu berücksichtigen, die einer Wahrnehmungsmöglichkeit natürliche Grenzen setzen. Hierzu zählen neben sensorischen, physikalischen und sozialen Wahrnehmungsbedingungen insbesondere die Wahrnehmungsdauer, die vorhandene Aufmerksamkeit und der Wahrnehmungskontext.6

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Darüber hinaus ist die Wahrnehmung bzw. sind die etwa 60 %, die wir von einem tatsächlichen Geschehen aufnehmen, höchst individuell und selektiv.7 Auch wenn es schwerfällt, muss man sich vor Augen führen, dass niemand etwas wahrgenommen haben muss.

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Bereits bei der Wahrnehmung wird die Information selektiert, interpretiert und nach gewissen Schemata aufgenommen. Der Leser sollte versuchen, sich auf den nachfolgenden Text einzulassen und ihn zu lesen:

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Entscheidend für die flüssige Aufnahme der Information ist nur, dass sämtliche Buchstaben eines Wortes vorhanden sind und der erste und der letzte Buchstabe „stimmen“; den Rest macht das Gehirn selbst. Bei einer Einteilung beispielsweise in Buchstabengruppen funktioniert dies selbst dann kaum, wenn „an sich“ eine korrekte Rechtschreibung verwendet wird:

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Die Information wird aufgenommen, sofern die Buchstaben eines Wortes vollständig vorhanden und zutreffend gruppiert sind und der erste und der letzte Buchstabe an der richtigen Stelle stehen; den Rest (er)schafft unser Gehirn. Die Interpretation, die hier deutlich wird, ist eine Leistung des Gehirns und nicht steuerbar. Informationsaufnahme und Interpretation gehen daher unbewusst Hand in Hand.

1.1.2Fehlerquellen bei der Codierung

Eine weitere Fehlerquelle kann in einer nicht stattfindenden Codierung liegen: Gemeint sind damit Sachverhalte, in denen ein bestimmtes Geschehen zwar wahrgenommen, dann aber nicht im Gehirn codiert wurde, also keine entsprechende Repräsentation dort erhält;8 völlig emotionslose (subjektiv belanglose) Wahrnehmungen werden zwar gemacht, dann aber schlagartig...



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