Buch, Deutsch, 269 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 215 mm, Gewicht: 350 g
Neue Perspektiven auf einen philosophischen Grundbegriff
Buch, Deutsch, 269 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 215 mm, Gewicht: 350 g
ISBN: 978-3-593-39949-2
Verlag: Campus
Verantwortung wird in der Philosophie einerseits als normativer Maßstab verstanden, andererseits als effektives Mittel zum Umgang mit sozialen Problemen. Galia Assadi erweitert diesen Diskurs um eine neue Perspektive: Sie analysiert Verantwortung im Anschluss an Michel Foucaults "Ordnung der Dinge" und gibt somit eine neue Antwort auf die Frage nach der theoretischen Funktionalität des Begriffs.
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Inhalt
Dank 7
1. Verantwortung als Antwort auf eine Paradoxie 8
2. Zur Ordnung moderner Subjektivität 21
2.1 Untersuchungsgegenstand und Methodik 22
2.2 Die Episteme der Moderne 27
2.3 Das paradoxe Subjekt der Moderne 30
3. Ordnungen der Verantwortung 53
3.1 Verantwortungsgeschichten 56
3.2 Diskursive Explosion: Verantwortung im zwanzigsten Jahrhundert 62
4. Der verantwortliche Souverän 78
4.1 Die Macht des Willens - Søren Kierkegaard 78
4.1.1 Die ästhetische Lebensanschauung 81
4.1.2 Die ethische Lebensanschauung 83
4.1.3 Die freie Wahl und die Verantwortung 89
4.1.4 Freiheit und Souveränität 95
4.2 Führerverantwortung - Max Webers Politik als Beruf 98
4.2.1 Politik 99
4.2.2 Verantwortung 104
4.2.3 Verantwortungspolitik 113
4.3 Die Verantwortung des mächtigen Menschen - Hans Jonas 116
4.3.1 Verantwortung als Antwort auf gesellschaftliche Problemlagen 118
4.3.2 Verantwortung als Korrelat der Macht 125
4.4 Resümee 138
5. Bedingtheit und Verantwortung 142
5.1 Verantwortung als Chance - Emmanuel Levinas 142
5.1.1 Ethik als prima philosophia 144
5.1.2 Das bedingte Subjekt 157
5.1.3 Das bedingte Subjekt und die Ordnung der Verantwortung 165
5.2 Pluralität und Verantwortung - Hannah Arendt 177
5.2.1 Der Mensch als bedingtes Wesen 180
5.2.2 Persönliche Verantwortung 195
5.2.3 Kollektive Verantwortung 200
5.3 Globale Verantwortung in Zeiten des Krieges - Judith Butler 204
5.3.1 Zur Kritik des klassischen Rechenschaftsmodells 209
5.3.2 Verantwortung für die Minderung von Gefährdung 225
5.4 Resümee 233
6. Ordnung der Verantwortung - Ordnung durch Verantwortung 244
Siglen 255
Literatur 257
Personenregister 265
Sachregister 267
Frankreich, Mitte der sechziger Jahre. Das intellektuelle Klima ist geprägt von dem Denken und der Person Jean-Paul Sartres, der in sich die differenten Rollen des existentialistischen Philosophen, des literarischen Autors, sowie des politisch engagierten Intellektuellen vereinigt; eine Persönlichkeit, die durch ihre gelebte Philosophie als inspirierendes Vorbild einer ganzen Generation fungierte. In diesem geistigen Umfeld veröffentlicht 1966 der bis dato außerhalb akademischer Fachkreise relativ unbekannte vierzigjährige Philosoph Michel Foucault ein vierhundertseitiges Œuvre mit dem Titel Les mots et les choses.
Trotz der Dichte und Komplexität des Werkes entwickelt es sich zu einem wahren Bestseller, der bereits im ersten Jahr fünf Auflagen erlebte; ein Umstand, der sich nicht zuletzt der provokanten Thesen des Buches, deren berühmteste die Aussage über den bevorstehenden "Tod des Menschen" darstellt, verdanken dürfte.
Um die These vom "Tod des Menschen" entspann sich eine intensiv geführte Kontroverse unter französischen Intellektuellen, die sich primär auf die Frage nach dem theoretischen Status, der dem Menschen im Rahmen kritischer Theoriebildung zugebilligt werden sollte, fokussierte. Im Verlauf des Diskussionsprozesses gewann die Debatte zunehmend an Schärfe und resultierte im sogenannten "Humanismusstreit" zwischen Michel Foucault und Jean-Paul Sartre.
Innerhalb dieser Auseinandersetzungen vertrat Foucault die Position, dass eine Theoriebildung, die ausgehend vom Menschen denkt, nicht in der Lage sei, die historisch variablen Denkformen und Gesellschaftsstrukturen, die menschliche Existenz- und Denkformen erst ermöglichen, adäquat zu reflektieren. Darauf aufbauend argumentiert er dafür, dass eine kritische Theoriebildung, die das Ziel der gesellschaftlichen Veränderung verfolgt, sich auf die Analyse von Denkformen und Sozialstrukturen fokussieren muss, um im Anschluss an die Analyse wirkungslose Kritikformen zu identifizieren und wirksame Kritik- und Veränderungsmechanismen bestimmen zu können.
In Abgrenzung zu Foucaults Antihumanismus argumentierte Jean-Paul Sartre, dass man zwar die Form, innerhalb derer der Mensch beispielsweise im bürgerlichen Humanismus gedacht wird, verändern muss, jedoch nicht den Menschen als Subjekt der gesellschaftlichen Veränderung verabschieden soll.
Die philosophische Aufmerksamkeit, die Les mots et les choses zum Zeitpunkt seines Erscheinens zu Teil wurde, korrespondierte allerdings nicht mit einer intensiven, kontinuierlichen Rezeption. Zwar erwiesen sich das 1975 publizierte Werk Überwachen und Strafen, sowie die drei Bände von Sexualität und Wahrheit, die Foucault zwischen 1976 und 1984 verfasste, als anschlussfähig innerhalb differenter wissenschaftlicher Disziplinen, jedoch lässt sich konstatieren, dass die Arbeiten des französischen Denkers im philosophischen Diskurs bis dato wenig Anschlüsse produzierten.
"Insbesondere in der Philosophie ist es ruhig um Foucaults Denken geworden. Dabei hatte es in der Philosophie ohnehin eine vergleichsweise zögernde Reaktion auf das erste große Interesse an Foucaults Arbeiten gegeben. Fast überall war es eher die Geschichtswissenschaft als die Philosophie gewesen, die sich der historischen Analysen Foucaults annahm und diese Analysen als eine theoretisch brisante Form der Gegenwartskritik begriff."
Vermeidet man jedoch den Rückschluss vom Status, den ein theoretisches Modell innerhalb der gegenwärtigen diskursiven Ökonomie einnimmt, auf dessen analytisches Potential, lässt sich die Behauptung aufstellen, dass die in der Ordnung der Dinge vertretenen Thesen weder als veraltet, noch als widerlegt verstanden werden sollten, sondern dass sie nach wie vor fruchtbare Werkzeuge für eine "Ontologie unserer Selbst" zur Verfügung stellen können.
Um die These der Anschlussfähigkeit der Ordnung der Dinge zu stützen, wird im Rahmen dieser Untersuchung das moderne Verantwortungsdenken vor dem Hintergrund der Foucaultschen Thesen zur Entstehung des modernen Subjekts als paradoxaler Figur aus Unterwerfung und Souveränität als Lösungsversuch rekonstruiert. Gelänge es nachzuweisen, dass moderne Verantwortungsmodelle auf den von Foucault rekonstruierten Möglichkeitsbedingungen beruhen und sie sich infolgedessen als konzeptionelle Versuche lesen lassen, mittels derer die Paradoxie der modernen Subjektposition aufgelöst werden soll, ließe sich die Frage nach der theoretischen Funktionalität des Verantwortungskonzepts in neuer Form beantworten. Eine Analyse der theoretischen Rahmenordnung, der gemäß Verantwortung gedacht wird, sowie der Implikationen und Konsequenzen der differenten Theoriebildungsstrategien, mit Hilfe derer auf die Paradoxie moderner Subjektivität geantwortet wird, könnte demnach einen Beitrag zur Klärung der Frage, ob - und wenn ja - um welchen Preis am Verantwortungsdenken festgehalten werden sollte, leisten und somit als Orientierungshilfe für Rekonzeptualisierungen des Begriffes genutzt werden.
Ausgangspunkt: Der Mensch als unterworfener Souverän
Im Rahmen der Ordnung der Dinge geht Foucault der Frage nach, welchen theoretischen Möglichkeitsbedingungen Aussagen zu differenten historischen Zeitpunkten entsprechen mussten, um als Wissen anerkennbar zu sein. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich die europäische Denkgeschichte in drei Epochen (Renaissance, Klassik und Moderne) unterteilen lasse, die sich dahingehend voneinander unterscheiden, dass jede von ihnen über divergierende Wissensformationsregeln verfügt. Foucault bezeichnet die differenten Wissenskonfigurationen mit dem Begriff Epistemai, wobei er davon ausgeht, dass der Wechsel zwischen den Epistemai als Bruch und somit als diskontinuierliche, kontingente Veränderung rekonstruiert werden soll.
Im Rahmen seiner Argumentation stellt er im neunten Kapitel die These auf, dass der "Mensch" in der Moderne als paradoxale Denkfigur entsteht, weswegen er auch für deren Überwindung plädiert. Die Moderne denke den Menschen in der widersprüchlichen Form des "unterworfenen Souveräns", da der Mensch einerseits in der Kantischen Theoriebildung als Garant der Möglichkeit des Wissens und somit als souveränes Subjekt, von dem ausgehend jedes Wissen erst möglich werde, konstruiert werde. Die Souveränität des Subjekts erstrecke sich jedoch innerhalb der Kantischen Theoriearchitektur ausschließlich auf den Bereich des Denkens.
Andererseits habe der Bruch mit der klassischen Episteme die Aufhebung der Einheit zwischen Denken und Sein, die das gedankliche Fundament der klassischen Ordnungswissenschaft, der mathesis beziehungsweise der taxinomia, bildete, zur Folge. Die Trennung zwischen Denken und Sein resultiere in der Entstehung eigenlogisch strukturierter Bereiche auf Seiten des Seins, das fortan als durch die drei Positivitäten "Arbeit", "Leben" und "Sprache" geordnet gedacht werde. Der Mensch entdecke sich hierbei als ein den Gesetzmäßigkeiten der Positivitäten unterworfenes Wesen und demnach als Wissensobjekt und erkenne sich als eine Gestalt, die Bedingungen unterworfen sei, die nicht vom ihm selbst gesetzt wurden.
In der nachkantischen Theoriebildung werden, Foucault zufolge, die von Kant etablierten Grenzen zwischen dem Empirischen und dem Transzendentalen aufgehoben und der Mensch werde fortan als "empirisch-transzendentale Dublette" gedacht, als ein Wesen, das gleichzeitig als Subjekt und Objekt des Wissens fungiere.