Avni Der Garten der toten Bäume
2. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86300-174-2
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Liebesbriefe eines Unbekannten
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-86300-174-2
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Der Garten der toten Bäume' ist ein Paradebeispiel dafür, was die besondere Perspektive des Außenseiters leisten kann. Auf hohem sprachlichen Niveau vermittelt Avni dem Leser ein Gefühl für den Alltag der jungen Generation in Israel, vor dessen Hintergrund melancholische Liebesgeschichten und verträumte Kindheitserinnerungen ihren großen ästhetischen Reiz entfalten.
Avni erzählt von der anstrengenden Normalität in Familie, Nachbarschaft, Beruf und Beziehungen. Klammernde Mütter, Lebenslügen und überraschende Begegnungen entfalten unter flirrender Sonne ihr eigenes, unverwechselbares Aroma.
Die Episode 'Schnecken im Regen' wurde im Jahr 2013 verfilmt und kam unter dem Titel 'Liebesbriefe eines Unbekannten' in die Kinos.
Jossi Avni-Levy wurde 1962 als Sohn von Einwanderern aus Afganisthan und dem Iran in Israel geboren. Nach dem Studium von Geschichte und Rechtswissenschaften arbeitete er für kurze Zeit als Rechtsanwalt in Tel Aviv und trat darauf in den diplomatischen Dienst ein. Er war tätig an den israelischen Botschaften in Bonn, Belgrad und Warschau. Ein mehrjähriger Deutschlandaufenthalt hat ihn stark beeinflußt. 'Der Garten der toten Bäume' ist sein erster Roman und erschien unter dem Namen Jossi Avni.
Weitere Infos & Material
ERSTER TEIL: WIE ICH RON KENNEN LERNTE SCHMERZEN Ärgerlich fingerte Frau Ziemel am Schloss, um es zu öffnen. Sie murrte, wie unhöflich es sei, sie so spät noch aufzuwecken. Andreas ging wortlos, während ich einen Moment verweilte, ohne die schwachen Proteste der alten Portiersfrau zu beachten, dann stieg ich die Holztreppe zur Wohnung hinauf und fiel ins Bett. Wie viele Stunden schlief ich so, die Ärmel meines Hemdes voller Krümel von Apfelkuchen oder was auch immer, ich weiß nicht, das Telefon klingelte und du sprachst zu mir, immer derselbe teuflische Instinkt, der mich längst nicht mehr überrascht, und auf der Fensterscheibe landeten dicke, wattige Schneeflocken. Bestimmt sitzt du gerade auf dem Küchenfußboden, stumme Hühnerkadaver in der großen Schüssel zwischen deinen Beinen, du gießt heißes Wasser über ihre kalten Körper und rupfst die weißen Federn. Du rupfst die weißen Federn aus und träumst von fernen Orten. Unter glitzernden Kristalllüstern dreht dich leicht ein eleganter, großer Mann zu den Klängen eines Walzers, und die geschminkten, hässlichen Gesichter der Damen ringsum verfinstern sich in ihrem Neid. Ja, du hältst die heiße Schüssel zwischen deinen nackten Knien, durch die sich wie Stricke dicke Adern ziehen. Du sitzt auf dem Boden, ein dünnes, zweifelndes Lächeln auf deinen runden, plattgedrückten Wangen, und plötzlich starrst du durchs Küchenfenster auf die staubigen Weinblätter, auf den niedrigen Himmel, um gleich wieder entschieden die nassen Federn auszureißen und in den Eimer zu werfen. Ich kann deine Sehnsucht jetzt greifen. Sie ist hier, in diesem Zimmer, in dem Kleiderhaufen auf dem Stuhl, im Wecker, in den Laken, die mir Andreas, Andreas zuraunen, in den Schneeflocken, die sich auf den Dächern türmen. Ich spüre dein Verlangen aus den Wänden hauchen und über meine Wimpern streichen, du bist mir so nah, unglücklich bist du, und ich hasse dich. Diese Stille – weißes Todesraunen fallenden Schnees. Es gibt keine schönere Musik als das Pochen der weichen Berührung dieser dicht gesponnenen Tropfen, die die feuchte, nächtliche Erde kosen. Mach mir die kleine Katze, flüstere ich ins Kissen, und ich höre Andreas’ genießerische Zunge miauend an meinem Ohrläppchen und meinem Hals lecken. Ich stöhne, genüsslich an die Wand gepresst, und Andreas kichert mir das Kichern der bösen Hexe zu, das mich immer zum Lachen bringt, und bedeckt mich mit seinen Küssen. Mach mir die kleine Katze. Von meiner Nasenspitze an der Wand tropfen drei lange, salzige Tränen, und ich versuche vergeblich einzuschlafen. Dieses Land ist schön, und es lässt mir keine Ruhe. Frische Furchen verschwinden im nassen Schoß waldiger Hügel. Hinter den Biegungen der Wege dehnen sich grünrote Ebenen, die Wipfel der Tannen, und an den Ufern von Bächen ohne Namen weiden Kühe. Irgendetwas an dieser fruchtbaren, satten Erde, an den gehobelten Holzdächern unter schweren Wolken erweckt in mir Furcht und Staunen. Das gewaltige Grün der undurchdringlichen Wälder erschreckt mich, und Andreas hält den alten Volkswagen auf einer Anhöhe und lacht über das ganze Gesicht. Auf einer Steinbank im Hof des Schlosses Waldenburg verschlingen wir gierig belegte Brote und sammeln welke Blätter, von Rot zerfressen, die unablässig auf unsere Köpfe und Schultern und auf die dicken Stücke Apfelkuchen aus der Konditorei Michelhof fallen, die Andreas besonders liebt. Und später, in einem Café, das die Gärten von Wackersheim überblickt, bringt uns ein Kellner in weißen Handschuhen milchweiße Porzellantassen, und Andreas schaut mir leise, leise in die Augen und kichert boshaft sein Hexenkichern. Ich winde mich, der Kellner dreht sich erschreckt um. Es beginnt zu regnen; große Tropfen hängen sich an zurechtgestutzte Büsche und vermengen sich mit dem Wasser der Springbrunnen. Frauen spannen ihre Regenschirme auf, werfen strenge Blicke zum Himmel, und Andreas’ Bein berührt kaum merklich mein Bein. So gut, es ist so gut. Du und ich, wir müssen uns vor Männern in acht nehmen, hast du mir gesagt. Ich war ein Kind und blickte mit großen, schwarzen Augen auf deinen warmen Leib und auf zwei dunkle blaue Flecken auf deiner Wange, die du mit deinem Handrücken verdecktest. Alle Männer wollen dasselbe, drangen deine Worte aus dem Totenreich, du hast dir die kleine Nase geputzt, und ich wollte deinen Bauch fest, fest umarmen, mein Gesicht an das abgetragene Nachthemd gepresst, um zu weinen. Iss, iss, triebst du mich zur Eile an und häuftest von allem Guten auf meinen Teller. Du musst gesund und groß und stark sein. Verstohlen sah ich auf die riesigen Löffel Reis, die in Vaters Mund verschwanden, leerte den ganzen Teller und bat um mehr. Wenn er vor dem Fernseher saß und eingeschlafen war, öffnetest du deine Verstecke und holtest Leckereien heraus – geräucherte Würste und dunkelbraune Hühnerleber, mit Zwiebelringen geröstet, und helle Streifen von Hühnerbrust –, du standst neben mir, bis ich alles aufgegessen hatte, und erst danach ging ich schlafen. Und die Pfirsiche. Du liebst Pfirsiche, ich weiß. Du hast große Pfirsiche gekauft und dich an der Schönheit ihrer Farbe gefreut, an ihrer gelb-samtenen Haut, und du hast sie nicht angerührt. Du hast sie tief in der Lade des Kühlschranks verborgen, hinter den in Zeitungspapier gewickelten Stängeln von Petersilie und Sellerie, hast gewartet, bis ich am Freitag nach Hause kam, um sie auf dem Balkon einen nach dem anderen aus deinem Kleid zu ziehen, weich zum Erbrechen, Iss, hast du gesagt und nicht geglaubt, dass ich Pfirsiche nicht mag. Weißt du, auf diesem Schulausflug – wir fuhren, um den Sonnenaufgang in den Bergen zu sehen – saßen wir in einem Lastwagen, der uns den ganzen Weg durchrüttelte. Ich saß neben Gideon, tat so, als schliefe ich ein, und ließ meinen Kopf auf sein Knie sinken, sah von ganz nah den Reisverschluss seiner Hose; und als wir ankamen und auf einen Hügel voll kleiner Steine kletterten, sagte die Lehrerin: Augenblick mal, und schaute zurück, und alle sahen eine kleine Gestalt, in einen Nylonmantel gewickelt, die sich an unsere Fersen geheftet hatte und am Abhang verzweifelt gegen den Wind ankämpfte. Dann holte sie uns ein, kurzatmig und in ihrer Hand ein schweres Essenspaket, und die Lehrerin sagte: Schaut, Jossis Mutter wacht sogar vor der Sonne auf, und alle guckten zu mir und lachten, Gideon lauter als die anderen. Danach die Armee. Weiß gestrichene Bäume, der Geruch von verbranntem Staub, die Rennerei bei der letzten Nachtwache, das blendende Licht der kahlen Berge Samarias. Ich saß auf dem Betonboden im Zelt, die Teile der zerlegten Waffe vor mir zwischen den Beinen. Ich polierte sie mit einem ekelhaften Stofffetzen und träume von fernen Orten. Nachts trieb ich mich lange in den verlassenen, dunklen Duschkabinen herum. Heiße weiße Dämpfe stiegen mir in die Nasenlöcher, und ich spürte, wie die reißenden Qualen mich erbarmungslos peitschten. Und eines Abends, auf dem Höhepunkt eines Lehrgangs, erschienst du am Tor, mit einer Tüte voller Früchte und Kuchen, die du an alle verteiltest. Ich ging neben dir die Eukalyptusallee entlang, und du sagtest mir mit leiser, gepresster Stimme, du wüsstest, dass ich es tun wolle, aber unter gar keinen Umständen, ich dürfe mir unter keinen Umständen eine Kugel in den Kopf schießen, und ich starrte dich mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an. Zwischen den Eukalyptusbäumen flatterten raschelnde Schwärme stummer Fledermäuse, und die Garben der Scheinwerfer spalteten ihre durchsichtigen Flügel in hauchdünne Bahnen aus schwarzer Seide. Du und ich, wir müssen uns vor Männern in acht nehmen. Umarme mich jetzt, Andreas. Ich bin allein, und ich will dich. Lass mich deine Schulter spüren, die Finger in deinen kräftigen Nacken graben, zusehen, wie Tropfen Lichts von der Senke deines Halses geschluckt werden und vergehen. Wo bist du jetzt, Andreas? Ob du dich, mit Schraubenschlüsseln und Kabeln, über den Motor des Volkswagens beugst, um einen der ewigen Kurzschlüsse zu reparieren? Oder sitzt du in der Finsternis, trinkst ein Bier nach dem anderen? Wann sehe ich dich wieder? Werde ich dich wieder sehen? Als der Offizierslehrgang zu Ende war, hast du in einer der ersten Reihen gesessen und Vater gezwungen, mir die ganze Zeit mit der Hand zu winken, und du hast vor Glück geweint. Mit dem Ende des Militärdienstes bin ich zum Studium nach Jerusalem gefahren; während der Unterrichtsstunden starrte ich auf die uralten Landschaften, die sich hinter den gläsernen Wänden ausbreiteten, auf die Berge, die Minarette, die Wüste, und ich wusste, weit von hier gibt es noch andere Orte. Ich bin selten nach Hause gefahren. Du hast am Telefon geweint und gebettelt, ich solle doch kommen, hast gesagt, eigens für mich habest du ganze Töpfe voll guter Dinge gekocht, und ich habe mir auf die Lippen gebissen, bis ich mich nicht länger beherrschen konnte, dich anschrie, du sollest endlich aufhören. Und an den folgenden...




