Babendererde | Lakota Moon | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Babendererde Lakota Moon


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-401-80113-1
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

ISBN: 978-3-401-80113-1
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Oliver ist 15 und schwer verliebt in Nina. Und - o Wunder - Nina liebt ihn auch. Doch dann passiert das Unfassbare: Olivers Mutter beschließt wieder zu heiraten und zwar einen waschechten Indianer. Aller Protest nützt nichts - Oliver muss mit seiner Mutter nach Amerika auswandern. Doch im Pine Ridge Indianerreservat ist nichts so, wie er es sich vorgestellt hat, und Oliver möchte nur eins: so schnell wie möglich zurück nach Deutschland zu Nina. Bis eines Tages etwas passiert, das Oliver seiner neuen Familie näher bringt, als er es jemals geahnt hätte. 2006 ausgezeichnet mit dem Harzburger Jugendliteraturpreis.
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1. Kapitel

Ich rannte durch die Nacht. Es regnete und die Straßen der Stadt waren beinahe menschenleer. Niemand beachtete mich und das war auch gut so. Ich heulte vor Wut und Verzweiflung. Ich wollte laufen, nur noch laufen, so weit weg von zu Hause wie möglich.

Nicht dass irgendetwas schlecht war an meinem Zuhause. Im Gegenteil, auf einmal schien es für mich nichts Schöneres zu geben als die kleine Zweizimmerwohnung im dritten Stock des alten Mietshauses, wo ich mit meiner Mutter wohnte. Auf einmal erschien mir sogar unsere Stadt attraktiv, obwohl an ihr eigentlich nichts Umwerfendes dran war.

Ich rannte weg, weil ich bleiben wollte.

Das klingt verrückt, aber genau so war es. Ich rannte, bis ich vollkommen durchnässt war und die kühle Luft in meine Lungen biss. Aber die Wut ließ nicht nach und der Schmerz auch nicht. Beides pochte in mir und nahm mir den Atem. Ich konnte einfach nicht fassen, was meine Mutter mir antun wollte: einen waschechten Indianer heiraten und nach Amerika auswandern.

Ich lachte laut in die Nacht. Es klang ein bisschen irre und tatsächlich hatte ich das Gefühl, jeden Augenblick verrückt zu werden. Es war nämlich kein Spaß und ich war auch nicht im falschen Film. Meine Mutter war tatsächlich fest entschlossen diesen Rodney Bad Hand zu heiraten und mit ihm in sein Reservat nach South Dakota zu ziehen. In ein Indianerreservat!

Und ich musste natürlich mit. Wo sollte ich denn auch hin? Ich war erst fünfzehn und meine Mutter durfte über mich bestimmen, als wäre ich ihr Eigentum. »Oliver«, hat sie gesagt, »jeder andere Junge wäre begeistert, wenn ihm ein solches Abenteuer bevorstünde.« Abenteuer! Dass ich nicht lache. Es war ein Alptraum. Ich würde irgendwo in einer klapprigen Indianerhütte ohne Wasser und Strom im Grasland hausen müssen, mit Indianern zur Schule gehen, meine Sprache nicht mehr sprechen können, meine Freunde niemals wieder sehen und Nina . . .

. . . ach verdammt, Nina war mein Traum, meine große Liebe, der Mittelpunkt meiner Gedanken und Gefühle und nun war sie mein größtes Problem. Weil ich sie verlassen musste. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so schrecklich gefühlt wie nach dieser Offenbarung meiner Mutter.

Was sollte ich bloß tun? Mein Herz flimmerte vor Liebe. Nina war für mich das aufregendste Mädchen der ganzen Schule, mit den längsten Beinen und den schönsten grünen Augen, die ich je gesehen hatte. Sie war der Grund, warum ich überhaupt geboren wurde. Ich hatte mich schon vor einer Ewigkeit in Nina verliebt und sie wochenlang angehimmelt, bis ich mir endlich einen Ruck gegeben und sie angesprochen hatte. Und ich hatte unglaubliches Glück: Nina mochte mich auch. Ich meine, ich war nicht gerade der Typ, auf den die Mädchen flogen. Ich konnte ganz gut zeichnen und ein bisschen Gitarre spielen. Aber ich war nicht besonders sportlich. Körperlichen Rangeleien hielt ich mich fern, soweit dies möglich war, denn ständig eine neue Brille kaufen, das konnten wir uns nicht leisten.

Also, meine Kondition war nicht die beste. Ich war zu schnell gewachsen und machte im Augenblick einen etwas klapprigen Eindruck. Ich war ein langer Schlaks, eine Bohnenstange, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Mir fehlte einfach der Mumm in den Knochen. Zu Hause, in meinem Zimmer, hatte ich heimlich begonnen Gewichte zu stemmen. Vielleicht brachte das ja was, wenn ich Nina mal verteidigen musste. Unsere Stadt war zwar klein, aber trotzdem ein ziemlich heißes Pflaster, jedenfalls bei Nacht.

Aber eigentlich war ich nicht erpicht darauf, meine Fäuste zu gebrauchen. Ich war mehr der sanftmütige Typ und hasste jede Art von Gewalt. Wahrscheinlich war es genau das, was Nina an mir gefiel. Dass ich von anderen Jungs hin und wieder als Weichei betitelt wurde, schien sie jedenfalls nicht zu stören.

Nina, meine Traumfrau. Wir gingen jetzt seit vier Monaten miteinander und meine Mutter hatte natürlich keine Ahnung, wie weit unsere Beziehung inzwischen fortgeschritten war. Kaum zu glauben, aber ich hatte Kondome gekauft. Was ich damit sagen will: Ich stand kurz davor, meine Unschuld zu verlieren, und da sollte ich nach Amerika auswandern. Das war einfach absurd, unmöglich. Ich würde mich nicht zum Indianer machen lassen ich nicht. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als wegzulaufen.

Aber wohin? Zu meinem Vater konnte ich nicht, ich wusste nicht einmal, an welchem Punkt der Erde er sich gerade aufhielt. Die letzte Postkarte von ihm war aus Brasilien gekommen, aber das war jetzt auch schon wieder drei Monate her. Es gab Momente im Leben, da konnte ein Vater ganz nützlich sein, aber in solchen Momenten war meiner nie da gewesen. Nein, mein Vater konnte mir nicht helfen.

Er ging von uns weg, als ich neun war. Aber schon vorher, als er noch bei uns lebte, hatte ich begriffen, dass ich mich nicht auf ihn verlassen konnte. Hatte er den Auftrag, mich vom Kindergarten abzuholen, war ich meist der Letzte und manchmal vergaß er mich ganz. Das war dann immer richtig schlimm. Ich war unglücklich und heulte nach meiner Mutter. Waren wir beide allerdings allein zu Hause, lief meistens alles ganz prima. Ich durfte fernsehen bis zum Umfallen, wir aßen Pizza und Eis und er erzählte mir von seinen Rucksackreisen, die er als Student gemacht hatte. Das war mächtig interessant und damals wollte ich genauso werden wie er. Wir waren eine ganz normale Familie, bis er auszog und einen Neunjährigen zurückließ, der nichts begriff.

»Papa will frei sein«, hatte meine Mutter zu mir gesagt. »Er ist ein rastloser Mensch und wir sind ihm nur ein Klotz am Bein.«

Dieses Bild verfolgte mich lange. Meine Mutter und ich, geschnitzt aus schwerem Holz, wie wir als Gewichte an den Beinen meines Vaters hingen. Das war ein ganz schöner Brocken für einen Jungen von neun Jahren. Und dann, später, als mein Vater uns das erste Mal nach langer Zeit wieder besuchte und er mir in der Stadt ein Eis spendierte, erzählte er, dass meine Mutter ihn rausgeworfen hatte. Ich weiß bis heute nicht, wer von beiden nun im Recht gewesen war, aber ich denke, jeder von beiden ein bisschen.

Ich liebte meinen Vater. Obwohl ich ihn vor einem Jahr das letzte Mal gesehen hatte, liebte ich ihn. Wenn wir zusammen waren, hatten wir meistens eine Menge Spaß miteinander. Aber um zur Sache zu kommen: Ich hatte einen Vater, auch wenn der mir im Augenblick nicht helfen konnte. Was ich auf keinen Fall brauchte, war noch ein Vater. Und schon gar keinen, der Rodney Bad Hand hieß. »Schlimme Hand«, das konnte alles Mögliche bedeuten. Ich kannte den Mann überhaupt nicht, der mein neuer Vater werden sollte. Ich hatte ihn erst einmal kurz gesehen. Meine Mutter hatte ihn zweimal gesehen, aber ich hielt auch das für unzureichend. Sie musste von allen guten Geistern verlassen sein einen Mann heiraten zu wollen, den sie nur zweimal gesehen hatte.

Als ich meiner Mutter heute sagte, dass ich nicht mit nach Amerika kommen würde, fing sie an zu heulen. »Warum gönnst du mir nicht, dass ich glücklich bin?«, fragte sie mich. So ein Unsinn. Natürlich wollte ich, dass sie glücklich ist. Aber sie konnte ja schließlich auch hier glücklich werden. Warum musste es unbedingt Amerika sein? Und noch dazu ein Indianerreservat. Keine Ahnung, ob sie überhaupt begriff, was sie uns da einbrockte. Wenn dieser Rodney sie wirklich so sehr liebte, wie sie es behauptete, dann konnte er doch auch zu uns ziehen. Wir würden uns eine größere Wohnung mieten und alles wäre in Butter. Ich könnte Nina haben und meine Mutter Rodney. Ich meine, ich habe doch genauso das Recht, glücklich zu sein, wie meine Mom, oder?

Ich liebe Nina schon so lange. Wir kennen uns besser als meine Mutter diesen Indianer kennt. Sie haben sich Briefe geschrieben. Briefe! Als ob das was bringt. Da kann man den anderen überhaupt nicht richtig kennen lernen. Sie schreibt ihm nur Gutes über sich und er ihr nur das Beste über seine Person und sein Leben. Klar, dass jeder den anderen für einen tollen Typen hält. Aber so läuft das nicht. Das sind doch alles nur Hirngespinste.

Auf jeden Fall: Ich werde nicht mitkommen nach Amerika, niemals. Ich haue ab. Ich bleibe hier.

»Mein Gott Oliver«, rief meine Mutter erleichtert, als mich der Polizist um vier Uhr morgens an unserer Haustür ablieferte. Ich war sogar zu dämlich zum Abhauen. Als die Streifenpolizisten mich am Stadtrand aufgriffen, bin ich nicht mal weggerannt. Ich konnte einfach nicht mehr. Meine Kondition war eben nicht die beste.

Nachdem wir eine Weile im Streifenwagen umhergefahren waren, hatte ich dem Polizisten...


Antje Babendererde, geboren 1963, wuchs in Thüringen auf und arbeitete nach dem Abi als Hortnerin, Arbeitstherapeutin und Töpferin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Viele Jahre lang galt ihr besonderes Interesse der Kultur, Geschichte und heutigen Situation der Indianer. Ihre einfühlsamen Romane zu diesem Thema für Erwachsene wie für Jugendliche fußen auf intensiven Recherchen während ihrer USA-Reisen und werden von der Kritik hoch gelobt. Mit ihren Romanen „Isegrim“ und „Der Kuss des Raben“ kehrt die Autorin zu ihren Thüringer Wurzeln zurück. www.antje-babendererde.deFoto © privat



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