Badraun | Tod im Engadin | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Gaudenz Huber

Badraun Tod im Engadin

Kriminalroman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96041-663-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Gaudenz Huber

ISBN: 978-3-96041-663-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ein Racheengel am Silsersee. Bei der Bündner Hochjagd wird der Kantonstierarzt von einer Felswand in den Tod gestoßen. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden: Steivan Chafrun, Biobauer und Querkopf, der das Opfer mehrfach bedroht hat und sich in der Nähe des Tatorts aufhielt. Der Silser Dorfpolizist Gaudenz Huber hingegen ist von der Unschuld des Bauern überzeugt und sucht stattdessen in den illustren Kreisen einer Kulturveranstaltung zum Thema »Schuld und Sühne« nach dem wahren Mörder. Doch den betuchten Teilnehmern schmeckt seine Recherche ganz und gar nicht ...

Daniel Badraun wuchs im bündnerischen Engadin auf. Der Vater von vier erwachsenen Kindern und begeisterte Großvater unterrichtet eine Kleinklasse und war Abgeordneter im thurgauischen Parlament. Seit über 30 Jahren lebt er mit seiner Frau in der Nähe vom Bodensee. Er schreibt Krimis, Theaterstücke und Kolumnen sowie Texte für Kinder.
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PROLOG

Dienstag, 13. September

Sie legt die Seiten vor sich auf den Schreibtisch und schaut hinaus in die Herbstlandschaft. Unter dem tiefblauen Engadiner Himmel liegt der Silsersee. Ein Ruderboot quert die Wasserfläche. Hier im Hotel Waldhaus mit diesem Blick in Richtung Süden schrieben schon viele bekannte Autorinnen und Autoren. Ein gutes Omen, findet sie und schaut auf ihr Manuskript. Seit Jahren wollte sie die Geschichte zu Papier bringen, doch immer wieder kam etwas dazwischen, und sie schob das Projekt hinaus. Langsam streicht sie über die Blätter. Ihre Hände zittern. Die Müdigkeit, die Anspannung, denkt sie. In den letzten Wochen hatte sie viel zu viel gearbeitet. Das hat Spuren hinterlassen.

Neben dem Berufsalltag mit den vielen Gesprächen und der Büroarbeit dazwischen schrieb sie an einem Artikel für eine Fachzeitschrift, die sowohl von Insidern wie auch von Laien gelesen wird. Unter dem Titel «Die Verjährung der Schuld» wollte sie eine These, die sie seit langer Zeit beschäftigt, einem breiten Publikum vorstellen. Der Abgabetermin war Ende Juli, unerbittlich rückte er näher, und obwohl sie hart arbeitete, kam sie nicht voran. Immer wieder musste sie ganze Passagen streichen. Sie waren zu sperrig, zu theoretisch und zu weltfremd, auch waren ihre Schlüsse nicht überzeugend formuliert. Sie wurde immer nervöser, und der Kaffeekonsum stieg steil an. Atemnot und Herzrasen waren die Folge. Sie wurde unausstehlich, suchte Streit mit der Verkäuferin im Einkaufszentrum und verfluchte jeden Radfahrer, der in der Fussgängerzone zu nahe an ihr vorbeifuhr.

Plötzlich war es ganz einfach. Zwei Tage vor dem Abgabetermin fügten sich die Teile des Textes ineinander, die Argumente ergänzten sich, und der Artikel wurde zu einem stimmigen Ganzen. Kurz nachdem sie die Mail mit ihrem Beitrag abgeschickt hatte, klingelte das Telefon.

«Kompliment», sagte Schulze, der verantwortliche Redaktor. «Sie haben es geschafft, eine schwierige Frage verständlich darzustellen, wir werden ihren Text an den Anfang unseres Heftes setzen.»

Das passe ausgezeichnet, antwortete sie, sie sei an eine Fachtagung zum Thema «Schuld und Sühne aus Sicht der Silser Literaten» im Oberengadin eingeladen worden, der Artikel gebe ihrem Auftritt zusätzliches Gewicht.

«Sils? Da verbrachte doch Nietzsche einige Sommer. Er hatte, soviel ich mich erinnere, sehr interessante Ansichten zu Schuld, Sühne und dem ganzen Drumherum», sagte Schulze und wünschte ihr alles Gute.

Dann war sie da, die Leere. Der Schreibtisch aufgeräumt, die Notizen zusammen mit dem Manuskript fein säuberlich in einer Kartonmappe abgelegt, beschriftet und in einer Archivbox staubsicher für die Nachwelt verstaut. Ihr Referat für Sils war bereit, sie würde es kurz vor ihrem Auftritt an der Fachtagung noch einmal hervorholen. Thema erledigt, mehr gab es im Moment nicht zu tun.

Zurück blieb die Unruhe, die sie vom Arbeitszimmer in die Küche, dann vor den Fernseher und wieder zurück an den Schreibtisch trieb. Die Zeitung war schnell durchgeschaut, das Essen schmeckte nach nichts, und ihre beruflichen Tätigkeiten füllten sie zu wenig aus. Neben dem Alltagskram blieb zu viel freie Zeit, die gefüllt werden wollte. Sie konnte nicht nichts tun.

Schliesslich öffnete sie die unterste Schublade ihres Schreibtisches und holte eine gelbe Mappe mit der Aufschrift «Ella, Pino, Kurt und ich» heraus. Langsam hob sie den Deckel. Zuoberst lag der Plan der Klosterinsel Reichenau im Untersee, dem Anhängsel des Bodensees. Dazu einige Prospekte, die sie kurz durchschaute. Gasthöfe, Hotels, UNESCO-Welterbe, eine Preisliste des Campingplatzes sowie ein zerknitterter Flyer. «Das grosse Hafenfest, Freitag, 18. und Samstag, 19. August 1997», las sie und atmete tief durch. Vor mehr als zwanzig Jahren, da waren sie noch jung, unverbraucht und wild.

Sie klappte den Laptop auf und begann zu schreiben. Das war vor drei Wochen.

Ella lernte ich auf der Überfahrt zur Insel kennen. Sie fiel mir schon auf dem Steg in Mannenbach auf. Besser gesagt waren es ihre Eltern. Unermüdlich gaben sie der Tochter gute Ratschläge mit auf den Weg. «Ruf an, wenn du dort bist. Hast du alles eingepackt? Der Brief für Dr. Suter ist oben im Koffer. Iss nicht dies und iss nicht das.» So was in der Art. Armes Mädel, dachte ich.

Die Solarfähre war eine bessere Nussschale. Vierzehn Personen, vier Fahrräder. Ella war bleich, ihre dunklen Augen wanderten ohne Ziel umher, blieben zwischendurch an einem sommergebräunten Gesicht hängen, rissen sich los, wanderten weiter, musterten dann mich – länger als die anderen Passagiere, wie ich mir einbildete –, und erst nach einigen Minuten kam ihr Blick draussen auf den Wellen zur Ruhe.

Sie setzte sich auf den freien Platz links neben mir.

«Bist du auch Asthmatikerin?», fragte sie und hustete.

Ich schüttelte den Kopf.

«Dann solltest du nicht hier sein.»

«Warum nicht?»

«Diese Insel ist nichts für junge Leute. Hierher kommen nur Kranke und Allergiker. Dazu einige Kulturverrückte. Wegen den Kirchen. Altes Zeug für Langweiler.» Sie deutete mit dem Kinn auf die Leute, die es sich auf den Bänken bequem gemacht hatten. Sahen so Kranke oder Langweiler aus?

«Ich werde meinen Spass haben, verlass dich drauf.» Ich zeigte auf mein bepacktes Fahrrad mit dem Zelt obendrauf, das vorne auf der Fähre stand.

«Wenn du Spass hast», sagte sie und hustete wieder, «dann lass es mich wissen. Ich bin gerne mit dabei.»

Ich hielt ihr die Hand hin, und sie schlug ein.

«Wie heisst du?», fragte ich.

«Was sind schon Namen?» Sie lachte. «Ballast. Sie sind nichts anderes als eine Bezeichnung unserer Rollen. Deine Eltern benutzen einen Kosenamen für ihr Projektkind, dahinter verstecken sich tausend Erwartungen und Ängste. Der Lehrer betont, wenn er die Schülerin ruft, jede Silbe in Erwartung eines Verhaltens, die ungeliebte Konkurrentin in Liebesdingen dagegen zerquetscht die Buchstaben zwischen den Zähnen. Nein, hier brauche ich etwas Neues. Drüben auf der Insel bin ich Ella.»

«Sue», sagte ich schnell, ohne nachzudenken, dankbar, meinen Namen eine Weile ablegen zu können.

«Heute Nachmittag», Ella nahm ein Blatt aus ihrer Umhängetasche und legte es zwischen uns auf die Bank, «sind die ersten Untersuchungen beim Arzt. Da habe ich keine Zeit für Spass.»

Ich schaute mir das Programm an. Termin folgte auf Termin. Von Frau Doktor A ging es ins Labor, dann zu Doktor B und zur Krankengymnastin. Und dick angestrichen der Termin beim Oberarzt, bei Dr. Suter. Auf achtzehn Uhr war das Abendessen angesetzt.

«Wir könnten uns später am Hafen treffen», sagte sie und holte einen Plan der Insel aus ihrer Tasche. «Hier beim Musikpavillon.» Sie machte ein Kreuz. «Den Plan kannst du behalten, ich kenne mich hier aus, das ist schon mein zweiter Sommer auf der Reichenau.»

«Und was mache ich in der Zwischenzeit?», fragte ich.

«Du suchst den Campingplatz, stellst dein Zelt auf und packst deine Tasche aus. Und dann, liebe Sue …» Sie zwinkerte mir zu.

«Was ist dann?»

«Dann suchst du zwei nette Jungs, die zu uns passen. Einverstanden?»

«Was hättest du lieber? Zwei Kranke oder zwei Alte? Wir könnten im Quartett husten. Oder uns über antike Kirchenbilder unterhalten.»

Ihr Lachen ging in einen Hustenanfall über, der erst endete, als sie einen Spray aus der Tasche zog und tief inhalierte.

Sie lässt die Seiten der Geschichte sinken und schaut zum Fenster hinaus. Die Aussicht war das Erste, das sie bemerkte, als sie heute Mittag ihr Zimmer im Hotel Waldhaus betrat. Und auch jetzt ist sie verzaubert vom Blick. Das Hotel liegt auf einer Anhöhe oberhalb des Dorfzentrums am Eingang des Fextales. Zwischen den Bäumen schimmert die Wasserfläche des Silsersees in der Nachmittagssonne, wie ein dunkler Mahnfinger ragt die lang gezogene Halbinsel Chastè in den See hinaus. Da traf Friedrich Nietzsche auf Zarathustra. Diese Begegnung hatte er in einem Gedicht beschrieben, das auf einem Stein für die Nachwelt verewigt wurde.

Am Abend würde die Tagung mit der Vorstellung der Referenten und einem Begrüssungsapéro beginnen. Small Talk unter Gleichgesinnten. Wie sie der Liste entnehmen kann, sind verschiedene Fachleute aus den Bereichen Philosophie, Psychologie, Geschichte und Literatur anwesend. Gespannt ist sie auf das Zusammentreffen mit einer Bestsellerautorin, die ihre psychologischen Krimis um die Themen Schuld, Vergeltung, Rache und Sühne kreisen lässt. Fragen, die sie in ihrem Berufsalltag immer wieder umtreiben. Seit der Begegnung mit Ella. Wenn alles gut läuft, wird sie der Dame einige Seiten ihres Textes zum Lesen geben.

«Es soll ein Roman werden, wenn er fertig ist», würde sie ihr sagen, «ich weiss nicht, wie das Ende sein wird.» Vielleicht bekommt sie einen Tipp von einer Insiderin. Vielleicht gibt die Autorin ihr auch die Adresse eines Verlages oder noch besser ihrer Literaturagentur. Vielleicht würde die Autorin sie sogar weiterempfehlen, sie als Kollegin im Kreis der Literatinnen willkommen heissen. Träume. Sie schüttelt den Kopf, lächelt über diese naiven Wünsche, denn sie weiss, dass man nicht auf eine Newcomerin wie sie gewartet hat, auf Themen, die bereits mehrfach in Romanen breitgewalzt worden sind.

Sie löst den Blick von der Umgebung und liest...


Badraun, Daniel
Daniel Badraun wuchs im bündnerischen Engadin auf. Der Vater von vier erwachsenen Kindern und begeisterte Großvater unterrichtet eine Kleinklasse und war Abgeordneter im thurgauischen Parlament. Seit über 30 Jahren lebt er mit seiner Frau in der Nähe vom Bodensee. Er schreibt Krimis, Theaterstücke und Kolumnen sowie Texte für Kinder.

Daniel Badraun wuchs im bündnerischen Engadin auf. Der Vater von vier erwachsenen Kindern und begeisterte Großvater unterrichtet eine Kleinklasse und war Abgeordneter im thurgauischen Parlament. Seit über 30 Jahren lebt er mit seiner Frau in der Nähe vom Bodensee. Er schreibt Krimis, Theaterstücke und Kolumnen sowie Texte für Kinder.



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