E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Bächler / Hosemann Gesammelte Gedichte
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-10-401732-7
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Herausgegeben von Katja Bächler und Jürgen Hosemann
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-10-401732-7
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolfgang Bächler, geboren 1925 in Augsburg, gestorben 2007 in München, gilt als einer der wichtisten deutschsprachigen Lyriker; auch seine Prosa, darunter die »Traumprotokolle«, wurde hochgerühmt. Nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft studierte er in München Literatur- und Theaterwissenschaft und war der jüngste Mitbegründer der Gruppe 47. 1956 ging er nach Paris und später ins Elsaß; von 1967 bis zu seinem Tod lebte er in München.
Weitere Infos & Material
Lichtwechsel
Gedichte 1949 bis 1955
Tage
Auf der Schwelle der Tür
Variation eines Motivs von Gottfried Benn,
zu seinem 65. Geburtstag geschrieben
Immer
sind wir
zwischen dem Dunkel und zwischen dem Schimmer
des Lichts,
auf der Schwelle
der Tür, am Rande
des Nichts.
Die Helle,
o wie sie uns manchmal trifft für Sekunden,
Minuten,
in denen Gott lebt!
Wir bluten
und – zaubern und brausen.
Das Dasein, das Versmaß schwebt.
Nie
zögern die Stunden,
in denen uns wieder die Ohren sausen
vom Sogwind der Leere –
ein Ton, monoton,
eine müde Schwere,
– Melancholie.
Schmal
ist der Rain.
Wir tanzen in Trance am Rande.
Das Dunkel
schlägt über uns zu. Wir graben die Konterbande
erbeuteten Lichts in uns ein.
Der Rest, das Gefunkel
der Taten wird schal.
Tag
Die Nacht fließt ab in andere Gebreiten.
Mit weißen Reihern fliegt der Tag empor.
Die Wolken öffnen ihm ein gelbes Tor.
Auf roten Meeren wechseln die Gezeiten.
Die Segel füllen sich mit blauen Weiten.
Der Mond ertaubt, ein abgestorbnes Ohr.
Die Himmel tauschen, und die Bilder fluten
in uns hinein in ihrem neuen Licht.
Schon schlägt die Sichel an, die Halme bricht.
Aus Traumesschlacken, halb veraschten Gluten,
die in den Schlünden des Bewußtseins ruhten,
erwacht die Welt noch einmal zum Gedicht.
Der Föhn
Die Gelenke der Bäume knarren verknöchert
im Griff des Föhns. An Fenster und Wände
schlagen kraftlos die schwarzen Hände.
Der Schnee auf den Dächern ist regendurchlöchert.
Ihm ist seine weiße Farbe genommen.
Er drückt auf die Rinnen. Er bröckelt herab
in den Sumpf der Straße wie in ein Grab,
in das der heulende Föhn beklommen
die Schaufel leert: Der Winter ist tot.
Aus seinen zerschlissenen Decken tauchen
Inseln, auf denen Krater rauchen,
die Ziegel der Dächer in brandigem Rot.
Vormittag
Aus feuchten Kelchen strömt es dir entgegen,
die Wut der Farben, ihr Geruch und Rausch.
Noch gärt die Erde nach vom letzten Regen.
Die Horizonte bluten aus im Tausch
des Lichts. In dir verglimmt die Dämmerstunde.
Du siehst die Schatten, die dich überdeckt,
nun unter dir gesammelt, tief im Grunde
des Tals. Die Nacht hat sich in dir versteckt.
Die Himmel täuschen dich, und die Alleen
verschränken sich, von Laub und Staub verschleiert.
Du weißt nicht mehr, durch welche sollst du gehen,
und starrst ins Blühn, das satt sich selber feiert.
In aufgewölbter Bläue, die du streifst,
suchst du des Mondes leergetrunknes Horn,
erkennst, daß du nur in den Nächten reifst,
und gehst ins Haus. Die Sonne bräunt das Korn.
Schwarz und Weiß
Noord-Holland
Wie Tiere aus nächtlichen Welten,
schwarzbäuchig und weiß gefleckt,
sind Kühe unter den Zelten
der Wolken ins Grün gestreckt.
Schwärme von Möwen und Krähen
kreuzen sich diagonal.
Westliche Winde blähen
die Segel auf dem Kanal.
Mit Dünensand überwehen
sie Gräber der Widerstandszeit.
Die Flügel der Mühlen drehen
den Staub durch die Ewigkeit.
Variationen über Rot
In den roten Farben ist Gott,
im Blut, das das Herz in die Adern stößt,
unter vereinigten Lippen
und auf der Haut, die in Scham sich rötet.
In den roten Blumen wächst Gott,
im flüchtigen Brand des Mohns,
in der Rosen wütender Glut,
im herbstlichen Feuer der Astern.
In den roten Früchten reift Gott,
unter der prallen Haut der Tomaten,
im rosigen Fleisch der Wassermelone,
in der Kirschen Süße, der bitteren Vogelbeere.
In der roten Sonne brennt Gott,
in den Fackeln der Frühe,
im Glutball des Abends,
im Flammenstrich auf des Wassers gelöster Haut.
Miß die Zeit am rinnenden Blute der Frauen!
Schmecke am Rot der Blumen die Lust!
Sauge die Reife aus glühender Frucht!
Spüre den Wandel am Röten der Sonne!
In den roten Farben ist Gott.
(Antithese)
Die Häuser ertrinken in Rosen,
die Felder verbrennen am Mohn.
Die roten Farben tosen
so laut in die Stille!
Enthemmt ist der Wille.
Der Knecht tritt die Katze,
er schlägt nach der Stute,
er preßt die Rute
des Hunds in der Hand
und tötet die Mücken,
Zikaden und Käfer. Er raubt
sich die Falter, die ihn berücken,
zerreibt sie zu Staub,
über Rosen und Mohn.
2. Fassung des Gedichts »Rot«
Es wandern die Schatten
Hirschkäfer kämpfen im Moos.
Singen die Mücken so tief
von deinem Blut?
Noch birgt der Stein die Glut
des Mittags. Im Blütenschoß
saugen noch Immen.
In der Röte des Abends verschwimmen
die Wolken. Es wandern
die Schatten. – Schief
breitet ein Kreuz der Schatten
des Wegweisers über uns hin.
Was wir gelitten hatten,
einer am andern,
war’s ohne Sinn?
Im Wasser des Bachs meine Hand
wird kühler, wird kalt.
Die Welle, ich halte sie nicht.
In ihr zerrinnt mein Gesicht,
so fremd und uralt.
Hast du mich jemals gekannt?
Am Sonntagnachmittag
Unter ihren Schenkeln den Motor,
um die Hüften Mädchenarme,
jagen phallische Dämonen
durch die götterleeren Straßen.
Ihre aufgestauten Aggressionen
lösen sich im Rausch der Schnelligkeit,
brüllen durch das Auspuffrohr,
wirbeln Gas und Staub in unsre Nasen,
streifen lüstern an die Todeszonen
und zerspellen Raum und Zeit.
Interieur
Tapeten in Ocker, mit Sepia
dunkel besprengt und gemustert,
in Vasen und Töpfen geborgenes Grün,
Geranien, Gummibaum, Clivia,
Zinnoberrot, Purpur und Ultramarin
über die Blätter geplustert.
Exotische Nippes, Phiolen, Kakteen,
vertrocknetes Gift, gebrochene Stacheln.
Ein Samowar und ein Krug aus Athen
auf dem Sims vor den Delfter Kacheln.
Und hinter den spiegelnden Plexiglaswänden
das Farbspiel der Fische und Maden.
Der Blütenstaub und Staub von den Bänden
Jean-Jacques Rousseaus vermengt mit den Schwaden
des Rauchs malt Säulen und Gitter
vors späte Licht.
Die Asche im Becher, im Tee der Traum
von brauner Weite und Wolkenschaum
wird schwarz und kalt und bitter
und löst sich nicht.
Alles fließt
Hast du eine Nachmittagsstunde lang
ins Fließen der Seine geschaut,
erkennst du die Häuser am Kai
als Schollen gefrorenen Wassers,
gleitende Blöcke im Strom, im Wind,
zerbrechlich, spaltbar und schmelzbar.
Die mündenden Straßen sind Kanäle,
Wellen die Äste der Uferplatanen,
Schaumkronen das Laub
und Planken die Bänke darunter,
auf denen die Liebenden treiben,
hinaus aus der Stadt,
aus der Zeit, aus der Haut,
Wellen auch sie,
die sich heben und senken,
Wellen, in denen sich Strahlen brechen
und widerspiegeln von einer zur andern.
Sie spielen sich tanzende Korken zu
und fangen die springenden Fische auf,
während die alten Angler drüben
mit leeren Händen zerfließen.
Gefrorenes Wasser
sind auch die Brücken
unter den schwimmenden Wolken,
dem strömenden Himmel.
Am Seine-Ufer des Bois de Boulogne
Ich tauchte die Finger ins Wasser der Seine.
Sie spülte mir Wellen des Mains in die Hand
aus der Kindheit herüber, und Ufer und Bäume
des fränkischen Hains verschwammen darin
mit dem Bois de Boulogne. Ich warf Kastanien
wie einst als Knabe ziellos über den Fluß.
Nur eine flog bis ans Quai de Surêsnes,
als ich die Schritte vernommen habe,
das knisternde Kleid und den zornigen Fuß,
der gerötetes Laub auf die Böschung stieß
und die dornigen Ruten niederbog.
Ihr Lächeln kreiste gedehnt im Strom
dem Fischer ins Netz. Er zog es ins Boot.
Ich tauchte die Finger in ihr Haar,
wühlte es auf und sah die Wolken schäumen
im Wind. Von schrägen Strahlen durchleuchtet,
vom Staub der Erde gesüßt
und bitter zugleich vom Meersalz gefeuchtet,
entblätterte er mit den Bäumen,
was wir erlebt im verflossenen Jahr.
Ich...




