Bächler / Hosemann | Gesammelte Gedichte | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Bächler / Hosemann Gesammelte Gedichte

Herausgegeben von Katja Bächler und Jürgen Hosemann
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-10-401732-7
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Herausgegeben von Katja Bächler und Jürgen Hosemann

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-10-401732-7
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Er war das jüngste Gründungsmitglied der Gruppe 47, hochgelobt von Dichtern wie Thomas Mann, Gottfried Benn und Heinrich Böll. Er schrieb Liebesgedichte, in denen die Liebe nicht benannt wird, und die vorsichtigsten und zerbrechlichsten Verse der deutschen Nachkriegsliteratur. Zeit seines Lebens blieb er ein Autor für Kenner und Eingeweihte, ein immer im Verschwinden begriffener Riese. Sein lyrisches Werk wuchs in die Tiefe statt in die Breite und liegt nun - ergänzt um bisher unveröffentlichte Gedichte und ein Nachwort von Albert von Schirnding - mit diesem Band erstmals gesammelt vor.

Wolfgang Bächler, geboren 1925 in Augsburg, gestorben 2007 in München, gilt als einer der wichtisten deutschsprachigen Lyriker; auch seine Prosa, darunter die »Traumprotokolle«, wurde hochgerühmt. Nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft studierte er in München Literatur- und Theaterwissenschaft und war der jüngste Mitbegründer der Gruppe 47. 1956 ging er nach Paris und später ins Elsaß; von 1967 bis zu seinem Tod lebte er in München.
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Lichtwechsel


Gedichte 1949 bis 1955

Tage


Auf der Schwelle der Tür


Variation eines Motivs von Gottfried Benn,
zu seinem 65. Geburtstag geschrieben

Immer

sind wir

zwischen dem Dunkel und zwischen dem Schimmer

des Lichts,

auf der Schwelle

der Tür, am Rande

des Nichts.

Die Helle,

o wie sie uns manchmal trifft für Sekunden,

Minuten,

in denen Gott lebt!

Wir bluten

und – zaubern und brausen.

Das Dasein, das Versmaß schwebt.

Nie

zögern die Stunden,

in denen uns wieder die Ohren sausen

vom Sogwind der Leere –

ein Ton, monoton,

eine müde Schwere,

– Melancholie.

Schmal

ist der Rain.

Wir tanzen in Trance am Rande.

Das Dunkel

schlägt über uns zu. Wir graben die Konterbande

erbeuteten Lichts in uns ein.

Der Rest, das Gefunkel

der Taten wird schal.

Tag


Die Nacht fließt ab in andere Gebreiten.

Mit weißen Reihern fliegt der Tag empor.

Die Wolken öffnen ihm ein gelbes Tor.

Auf roten Meeren wechseln die Gezeiten.

Die Segel füllen sich mit blauen Weiten.

Der Mond ertaubt, ein abgestorbnes Ohr.

Die Himmel tauschen, und die Bilder fluten

in uns hinein in ihrem neuen Licht.

Schon schlägt die Sichel an, die Halme bricht.

Aus Traumesschlacken, halb veraschten Gluten,

die in den Schlünden des Bewußtseins ruhten,

erwacht die Welt noch einmal zum Gedicht.

Der Föhn


Die Gelenke der Bäume knarren verknöchert

im Griff des Föhns. An Fenster und Wände

schlagen kraftlos die schwarzen Hände.

Der Schnee auf den Dächern ist regendurchlöchert.

Ihm ist seine weiße Farbe genommen.

Er drückt auf die Rinnen. Er bröckelt herab

in den Sumpf der Straße wie in ein Grab,

in das der heulende Föhn beklommen

die Schaufel leert: Der Winter ist tot.

Aus seinen zerschlissenen Decken tauchen

Inseln, auf denen Krater rauchen,

die Ziegel der Dächer in brandigem Rot.

Vormittag


Aus feuchten Kelchen strömt es dir entgegen,

die Wut der Farben, ihr Geruch und Rausch.

Noch gärt die Erde nach vom letzten Regen.

Die Horizonte bluten aus im Tausch

des Lichts. In dir verglimmt die Dämmerstunde.

Du siehst die Schatten, die dich überdeckt,

nun unter dir gesammelt, tief im Grunde

des Tals. Die Nacht hat sich in dir versteckt.

Die Himmel täuschen dich, und die Alleen

verschränken sich, von Laub und Staub verschleiert.

Du weißt nicht mehr, durch welche sollst du gehen,

und starrst ins Blühn, das satt sich selber feiert.

In aufgewölbter Bläue, die du streifst,

suchst du des Mondes leergetrunknes Horn,

erkennst, daß du nur in den Nächten reifst,

und gehst ins Haus. Die Sonne bräunt das Korn.

Schwarz und Weiß


Noord-Holland

Wie Tiere aus nächtlichen Welten,

schwarzbäuchig und weiß gefleckt,

sind Kühe unter den Zelten

der Wolken ins Grün gestreckt.

Schwärme von Möwen und Krähen

kreuzen sich diagonal.

Westliche Winde blähen

die Segel auf dem Kanal.

Mit Dünensand überwehen

sie Gräber der Widerstandszeit.

Die Flügel der Mühlen drehen

den Staub durch die Ewigkeit.

Variationen über Rot


I.

In den roten Farben ist Gott,

im Blut, das das Herz in die Adern stößt,

unter vereinigten Lippen

und auf der Haut, die in Scham sich rötet.

In den roten Blumen wächst Gott,

im flüchtigen Brand des Mohns,

in der Rosen wütender Glut,

im herbstlichen Feuer der Astern.

In den roten Früchten reift Gott,

unter der prallen Haut der Tomaten,

im rosigen Fleisch der Wassermelone,

in der Kirschen Süße, der bitteren Vogelbeere.

In der roten Sonne brennt Gott,

in den Fackeln der Frühe,

im Glutball des Abends,

im Flammenstrich auf des Wassers gelöster Haut.

Miß die Zeit am rinnenden Blute der Frauen!

Schmecke am Rot der Blumen die Lust!

Sauge die Reife aus glühender Frucht!

Spüre den Wandel am Röten der Sonne!

In den roten Farben ist Gott.

II.

(Antithese)

Die Häuser ertrinken in Rosen,

die Felder verbrennen am Mohn.

Die roten Farben tosen

so laut in die Stille!

Enthemmt ist der Wille.

Der Knecht tritt die Katze,

er schlägt nach der Stute,

er preßt die Rute

des Hunds in der Hand

und tötet die Mücken,

Zikaden und Käfer. Er raubt

sich die Falter, die ihn berücken,

zerreibt sie zu Staub,

über Rosen und Mohn.

2. Fassung des Gedichts »Rot«

Es wandern die Schatten


Hirschkäfer kämpfen im Moos.

Singen die Mücken so tief

von deinem Blut?

Noch birgt der Stein die Glut

des Mittags. Im Blütenschoß

saugen noch Immen.

In der Röte des Abends verschwimmen

die Wolken. Es wandern

die Schatten. – Schief

breitet ein Kreuz der Schatten

des Wegweisers über uns hin.

Was wir gelitten hatten,

einer am andern,

war’s ohne Sinn?

Im Wasser des Bachs meine Hand

wird kühler, wird kalt.

Die Welle, ich halte sie nicht.

In ihr zerrinnt mein Gesicht,

so fremd und uralt.

Hast du mich jemals gekannt?

Am Sonntagnachmittag


Unter ihren Schenkeln den Motor,

um die Hüften Mädchenarme,

jagen phallische Dämonen

durch die götterleeren Straßen.

Ihre aufgestauten Aggressionen

lösen sich im Rausch der Schnelligkeit,

brüllen durch das Auspuffrohr,

wirbeln Gas und Staub in unsre Nasen,

streifen lüstern an die Todeszonen

und zerspellen Raum und Zeit.

Interieur


Tapeten in Ocker, mit Sepia

dunkel besprengt und gemustert,

in Vasen und Töpfen geborgenes Grün,

Geranien, Gummibaum, Clivia,

Zinnoberrot, Purpur und Ultramarin

über die Blätter geplustert.

Exotische Nippes, Phiolen, Kakteen,

vertrocknetes Gift, gebrochene Stacheln.

Ein Samowar und ein Krug aus Athen

auf dem Sims vor den Delfter Kacheln.

Und hinter den spiegelnden Plexiglaswänden

das Farbspiel der Fische und Maden.

Der Blütenstaub und Staub von den Bänden

Jean-Jacques Rousseaus vermengt mit den Schwaden

des Rauchs malt Säulen und Gitter

vors späte Licht.

Die Asche im Becher, im Tee der Traum

von brauner Weite und Wolkenschaum

wird schwarz und kalt und bitter

und löst sich nicht.

Alles fließt


Hast du eine Nachmittagsstunde lang

ins Fließen der Seine geschaut,

erkennst du die Häuser am Kai

als Schollen gefrorenen Wassers,

gleitende Blöcke im Strom, im Wind,

zerbrechlich, spaltbar und schmelzbar.

Die mündenden Straßen sind Kanäle,

Wellen die Äste der Uferplatanen,

Schaumkronen das Laub

und Planken die Bänke darunter,

auf denen die Liebenden treiben,

hinaus aus der Stadt,

aus der Zeit, aus der Haut,

Wellen auch sie,

die sich heben und senken,

Wellen, in denen sich Strahlen brechen

und widerspiegeln von einer zur andern.

Sie spielen sich tanzende Korken zu

und fangen die springenden Fische auf,

während die alten Angler drüben

mit leeren Händen zerfließen.

Gefrorenes Wasser

sind auch die Brücken

unter den schwimmenden Wolken,

dem strömenden Himmel.

Am Seine-Ufer des Bois de Boulogne


Ich tauchte die Finger ins Wasser der Seine.

Sie spülte mir Wellen des Mains in die Hand

aus der Kindheit herüber, und Ufer und Bäume

des fränkischen Hains verschwammen darin

mit dem Bois de Boulogne. Ich warf Kastanien

wie einst als Knabe ziellos über den Fluß.

Nur eine flog bis ans Quai de Surêsnes,

als ich die Schritte vernommen habe,

das knisternde Kleid und den zornigen Fuß,

der gerötetes Laub auf die Böschung stieß

und die dornigen Ruten niederbog.

Ihr Lächeln kreiste gedehnt im Strom

dem Fischer ins Netz. Er zog es ins Boot.

Ich tauchte die Finger in ihr Haar,

wühlte es auf und sah die Wolken schäumen

im Wind. Von schrägen Strahlen durchleuchtet,

vom Staub der Erde gesüßt

und bitter zugleich vom Meersalz gefeuchtet,

entblätterte er mit den Bäumen,

was wir erlebt im verflossenen Jahr.

Ich...


Bächler, Wolfgang
Wolfgang Bächler, geboren 1925 in Augsburg, gestorben 2007 in München, gilt als einer der wichtisten deutschsprachigen Lyriker; auch seine Prosa, darunter die 'Traumprotokolle', wurde hochgerühmt. Nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft studierte er in München Literatur- und Theaterwissenschaft und war der jüngste Mitbegründer der Gruppe 47. 1956 ging er nach Paris und später ins Elsaß; von 1967 bis zu seinem Tod lebte er in München.

Hosemann, Jürgen
Jürgen Hosemann, geboren 1967, arbeitet nach einer Ausbildung zum Verlagskaufmann und einem Studium der Germanistik als Lektor für den S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main. Er ist Herausgeber zahlreicher Anthologien, Mitherausgeber der Werke Wolfgang Hilbigs und Autor von 'Das Meer am 31. August'.

Schirnding, Albert von
Albert von Schirnding, 1935 in Regensburg geboren, ist Lyriker, Erzähler, Essayist und Literaturkritiker. Er studierte klassische Philologie und Germanistik an den Universitäten München und Tübingen, unterrichtete an einem Münchener Gymnasium und war Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung. Von 1991 bis 2004 leitete er die Abteilung Literatur in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Wolfgang BächlerWolfgang Bächler, geboren 1925 in Augsburg, gestorben 2007 in München, gilt als einer der wichtisten deutschsprachigen Lyriker; auch seine Prosa, darunter die 'Traumprotokolle', wurde hochgerühmt. Nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft studierte er in München Literatur- und Theaterwissenschaft und war der jüngste Mitbegründer der Gruppe 47. 1956 ging er nach Paris und später ins Elsaß; von 1967 bis zu seinem Tod lebte er in München.
Jürgen HosemannJürgen Hosemann, geboren 1967, arbeitet nach einer Ausbildung zum Verlagskaufmann und einem Studium der Germanistik als Lektor für den S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main. Er ist Herausgeber zahlreicher Anthologien, Mitherausgeber der Werke Wolfgang Hilbigs und Autor von 'Das Meer am 31. August'.
Albert von SchirndingAlbert von Schirnding, 1935 in Regensburg geboren, ist Lyriker, Erzähler, Essayist und Literaturkritiker. Er studierte klassische Philologie und Germanistik an den Universitäten München und Tübingen, unterrichtete an einem Münchener Gymnasium und war Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung. Von 1991 bis 2004 leitete er die Abteilung Literatur in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.



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