E-Book, Deutsch, Band 8, 368 Seiten
Reihe: Kommissar Brandner
Baecker Siebenmühlental
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96041-475-9
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Schwaben Krimi
E-Book, Deutsch, Band 8, 368 Seiten
Reihe: Kommissar Brandner
ISBN: 978-3-96041-475-9
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sybille Baecker wurde 1970 im Emsland geboren, studierte BWL und arbeitete erst als IT-Prozessingenieurin und später als Pressereferentin. Heute lebt sie als Schriftstellerin in der Nähe von Tübingen. Durch ihre Krimiserie mit Whiskyfreund Andreas Brander wurde sie zur Fachfrau für 'Whisky & Crime', sodass auch ihre Veranstaltungen häufig von einem Whiskytasting begleitet werden.
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Mittwoch
Der Anblick eines toten Menschen ist niemals schön. Auch wenn dieser Mensch »sanft entschlafen« ist. Tot war tot. Es bedeutete niemals mehr miteinander reden, lachen, streiten, den anderen niemals mehr berühren, spüren, hören, riechen. Was blieb, war die Erinnerung. Vielleicht war es ein Trost, wenn man wusste, dass der andere in Frieden gegangen war. Die Augen schließen. Vorbei.
Der Mann, der vor Kriminalhauptkommissar Andreas Brander auf dem harten Boden lag, war nicht sanft entschlafen. Er lag auf dem Bauch, die Extremitäten waren zum Teil unnatürlich verrenkt, das Gesicht zur Seite gedreht. Ein dunkler Fleck um den Kopf wies auf eine Blutlache hin.
Das Gebiet um den Viadukt im Siebenmühlental war weiträumig abgesperrt. Die Kriminaltechniker hatten einen schmalen Pfad vom Schotterweg durch das vertrocknete Gestrüpp abgesteckt, über den Brander mit seiner Kollegin Peppi zum Leichenfundort gegangen war. Der Wald um sie herum war trist: kahle Bäume und Sträucher, braunes, verwelktes Laub, das den Boden bedeckte. Hier und da mattgrünes Moos an den Stämmen. Der Himmel darüber strahlte in einem klaren Blau. Es war Anfang März, tagsüber stiegen die Temperaturen knapp in den zweistelligen Bereich. Nachts gab es Frost.
In Ermangelung von Taschen in seinem weißen Schutzanzug stemmte Brander die Hände in die Hüften, während sein Blick über den toten Mann wanderte. Dessen graue Anzugjacke war aufgefächert. Kleine abgebrochene Zweige und Laub hingen in der Kleidung. Am Hosenbein war ein Riss. Das kurze graue Haar war verklebt. Getrocknetes Blut, vermutete Brander. Das Alter des Mannes lag irgendwo zwischen vierzig und sechzig Jahren– eine genauere Einschätzung war auf den ersten Blick nicht möglich. Seine Statur war sportlich-schlank. Offensichtlich hatte er Wert auf seine Fitness gelegt.
»Was hat der Notarzt gesagt?«, wandte er sich an Manfred Tropper.
Der hagere Kriminaltechniker kniete vor der Leiche. Er war schon länger als Brander vor Ort. Der Kriminaldauerdienst hatte die Techniker angefordert und den Fall an die Kriminalinspektion1 in Esslingen übergeben.
»Der hat lediglich seinen Tod bestätigt. Vermutlich von da oben runter.« Tropper deutete zur Brücke. »Suizid, Unfall oder was auch immer, lässt sich so einfach nicht sagen. Maggie ist unterwegs.« Damit meinte der Kriminaltechniker die Rechtsmedizinerin Margarete Sailer.
Suizid, das hätte der KDD selbst abwickeln können, dachte Brander bei sich. Er rieb sich mit der Rechten über das glatt rasierte Kinn und hob den Blick zu der Brücke vor ihnen. Ein Viadukt aus Beton, der zur alten Bahntrasse gehörte, die einst Leinfelden mit Waldenbuch verband. Zehn oder fünfzehn Meter hoch, mehr nicht. Dennoch hoch genug, um sich bei einem Sturz zahlreiche Frakturen inklusive Schädelbruch zuzuziehen. Das vom Winter trockene Gestrüpp reichte sicher nicht aus, um den Aufprall abzufedern.
Brander zählte vier Bögen, unter dem ersten und vierten verliefen breite Schotterwege, die vor der Straße in kleine Stellplätze mündeten. Dazwischen war unwegsames Gelände: Büsche, Sträucher, Bäume. In dem schmalen Bächlein, das sich durchs Unterholz schlängelte und das sie auf dem Weg zu dem Toten überqueren mussten, hätte er sich fast nasse Füße geholt. Hier spazierte man nicht ohne Grund hinein.
»Ist es sicher, dass er von da oben runtergestürzt ist?«, hakte Brander nach.
»Sicher ist gar nichts. Aber solche Brüche ziehst du dir nicht zu, wenn du beim Austreten in die Büsche über eine Baumwurzel stolperst.«
Brander wandte sich um. Von der Straße aus war der Platz nicht einsehbar. Auch auf den vorbeiführenden Wegen musste man vermutlich genau hingucken, um den Toten zu entdecken. Der Mann lag in einer Senke.
»Kann er sich die Verletzungen auf anderem Weg zugezogen haben?«
»Spekulierst du darauf, dass ihn jemand verprügelt und dann hier abgelegt hat?«
»Oder überfahren.« Brander deutete mit dem Kopf zur nahen Straße.
»Eher nicht. Man hat ihn nicht hierhergeschleift. Den Pfad, über den ihr gekommen seid, haben wir mühsam angelegt.« Tropper erhob sich aus der Hocke und streckte die vom Knien schmerzenden Glieder. Ein Grinsen legte sich auf die Lippen des Einundfünfzigjährigen. »Peppi, was ist mit deinem Gesicht passiert?«
Brander drehte sich zu seiner Kollegin Persephone Pachatourides, um zu sehen, was Tropper erheiterte. Die Kollegin trug wie er einen weißen Schutzanzug, die langen lockigen Haare waren unter der Kapuze verborgen. Nicht verborgen war jedoch die neue Brille, die Peppi gerade mit dem Zeigefinger auf ihre Nasenspitze zog. Über den Rand hinweg schielte sie Tropper grimmig an. »Noch ’nSpruch, und du kannst dich gleich dazulegen.« Demonstrativ schob sie die Brille wieder zurück an ihren Platz.
»Ich wusste doch, irgendwas ist anders«, feixte Tropper. »Steht dir, macht dich so…«
Peppi hob drohend den Zeigefinger. »Überleg dir ganz genau, was du sagst.«
Am Tag zuvor war sie mit der Brille zum ersten Mal zum Dienst erschienen. Ein dunkles Gestell, das zu ihren schwarzen Locken und ihren südländisch kantigen Gesichtszügen passte. Mit achtundvierzig hatte sie einsehen müssen, dass nach jahrelangem Blinzeln eine Brille die bessere Alternative war. Doch fühlte sie sich damit verkleidet, wie sie Brander anvertraut hatte.
»Wie lange ist er schon tot?«, fragte er, um eine Fortsetzung von Troppers Frotzelei zu verhindern. Seine Augen arbeiteten zum Glück noch gut. Dafür hatten sich seine Haare früh verabschiedet. Vor gut einem Jahr hatte er sich– wenn auch nicht ganz freiwillig– den Schädel kahl rasiert, wofür er sich noch immer die eine oder andere Neckerei der Kollegen gefallen lassen musste.
»Schwer zu sagen… Die Leichenstarre ist voll ausgeprägt. Ich schätze, zwischen zwölf und vierundzwanzig Stunden.«
»Hinweise auf seine Identität?«
»Er hatte Papiere bei sich. Der Mann heißt Constantin Dreyer, vierundfünfzig Jahre alt, wohnhaft in Tübingen. Dahinten steht sein Auto.« Tropper deutete in Richtung des kleinen Platzes am Fuß der Brücke, auf dem einsam ein silbergrauer Mercedes stand. »Der Schlüssel lag wenige Meter von der Leiche entfernt. Ist vermutlich beim Sturz aus der Tasche gefallen.«
Brander sah zu der knapp zwei Meter entfernten Stelle, die mit einer Nummer versehen und um die mit Sprühfarbe ein Kreis gezogen worden war.
»Wie habt ihr den so schnell im Gestrüpp gefunden?«
»Kollege ist draufgetreten.«
Es ging doch nichts über Kommissar Zufall.
»Was ist mit seinem Handy?«
»Liegt im Auto, ist ausgeschaltet. Wir brauchen die PIN, oder Jens muss ran.«
Jens Schöne war ein Kollege der Computer-Forensik. Es wäre nicht das erste Smartphone, dem er seine Geheimnisse entlockte.
Warum hatte Dreyer sein Handy nicht mitgenommen? Bei den meisten Menschen war es doch ein Automatismus, das Gerät einzustecken, wenn man vonA nachB ging. Manch einer ging nicht einmal ohne Smartphone zur Toilette. Hatte es etwas zu bedeuten, dass Dreyer es im Auto liegen gelassen hatte?
»Hat er Familie?«, fragte Brander.
»Vermutlich ist er verheiratet, zwei Töchter. In seiner Brieftasche waren Fotos.«
»Ruf bitte Fabio an«, bat Brander seine Kollegin. »Er soll das verifizieren und uns alle Infos besorgen, die er kriegen kann, bevor wir seine Frau benachrichtigen.«
Brander wollte vorbereitet sein, wenn er der Witwe die schlechte Nachricht brachte, und Fabio Esposito war dafür genau der richtige Mann. Er gehörte zusammen mit seinem Bürokollegen Peter Sänger zur jüngeren Generation in der Kriminalinspektion1, und bei seinen Recherchen ging er äußerst akribisch vor.
»Verfluchter Mist! Könnt ihr hier kein Warnschild hinmachen?«, ertönte die Stimme von Margarete Sailer hinter ihnen. Brander wandte sich um. Die Rechtsmedizinerin stand im weißen Schutzanzug im Gestrüpp und schüttelte ihren linken Fuß. Sie hatte Mühe, auf dem unebenen Boden das Gleichgewicht zu halten.
»Hey, Maggie, keine Randale an unserem Leichenfundort!«, schimpfte Tropper grinsend.
»Halt die Klappe! Gibt’s hier noch mehr solche Wassergräben?«
»Nächstes Mal fahren wir für dich die Zugbrücke aus.«
»Du versaust mir echt den Tag.« Sailer arbeitete sich zu ihnen vor. »Was haben wir?«
Tropper deutete mit einladender Geste auf den Mann vor ihnen. »Opfer männlich, tot, vermutlich Sturz aus der Höhe.« Er hob den Arm zur Brücke.
Die Rechtmedizinerin stellte ihre Tasche ab und wandte sich der Leiche zu. »Habt ihr irgendetwas verändert?«
»Das würden wir nie wagen ohne deine hoheitliche Genehmigung.«
»Haha.« Sie sah zu Brander. »Hallo, Andi. Peppi nicht da?«
Brander zeigte nach rechts, wo seine Kollegin stand und telefonierte.
Sailer winkte ihr zu. »Schicke Brille.« Sie wandte sich wieder an Brander. »Seid ihr überhaupt zuständig?«
»Wieso?«
»Na, ist das hier Gemarkung Esslingen oder Böblingen? Steinenbronn ist da vorn.« Sie wies unbestimmt in Richtung Süden. »Und Steinenbronn gehört zum Kreis Böblingen, wenn ich mich nicht irre.«
»Die Kollegen vom KDD Nürtingen haben uns angefordert.«
»Leinfelden gehört definitiv zu Esslingen.« Tropper deutete in die Steinenbronn entgegengesetzte Richtung.
Brander nahm sein Smartphone und suchte eine Landkarte heraus. Er fand die Straße, an der sich der Leichenfundort befand, aber es waren keine...