E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Baecker Sturm über den Highlands
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96041-893-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-96041-893-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sybille Baecker ist gebürtige Niedersächsin und Wahlschwäbin. Ihr Herz schlägt für die Highlands und die rauen Küsten Schottlands, die sie immer wieder gern und ausgiebig bereist. Ebenso hegt sie ein Faible für den Scotch Whisky. Die Fachfrau für »Whisky & Crime« ist Autorin der erfolgreichen Krimiserie um den Kommissar und Whiskyfreund Andreas Brander. 2020 wurde sie mit dem Arbeitsstipendium des Autorinnennetzwerkes Mörderische Schwestern ausgezeichnet. www.sybille-baecker.de
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Freitag
Thybster
Das Schaf war tot. Der Regen hatte das Blut, das aus der aufgeschnittenen Kehle geflossen war, in den weichen Boden gespült. Noch immer tröpfelte leichter Nieselregen auf das Fell. Der Mai war kalt und feucht. Douglas MacKeith starrte auf das tote Tier zu seinen Füßen. Es lag auf der Seite, die Klauen hatten die Erde aufgewühlt, ein Vogel hatte dem Schaf ein Auge ausgepickt. Der Geruch von Dung und nasser Wolle hing in der Luft.
»Wer macht so etwas?« Tiefe Furchen bildeten sich im Gesicht des Sechzigjährigen. Er war groß, sein Körper drahtig, mit sehnigen Muskeln von der jahrelangen harten Arbeit. Der Wind strich durch sein graues Haar und den kurzen Bart aus schwarzen und grauen Stoppeln. Die braunen Augen blickten betrübt auf das Elend.
»Ich hab dich sofort angerufen, als ich es entdeckt habe.« Conor Greenless war ebenso alt wie Douglas. Sie kannten sich seit Kindertagen. Der Mann stand neben ihm, die Hände in den Taschen seiner verschlissenen Waxcotton-Jacke vergraben, die Schultern hochgezogen. Er war kleiner, leicht untersetzt, Wangen und Nase waren gerötet und von Äderchen durchzogen. »Eine Sauerei ist das, eine elende Sauerei.«
Douglas’ Blick schweifte über die Weide, die in leichten Wellen bergab bis zur Kante der Klippen verlief. Die Herde graste in sicherer Entfernung. Kleine Grüppchen – Mutterschafe mit ihren Lämmern. In der Ferne sah er auf dem Pentland Firth die Fähre von Scrabster zu den Orkneyinseln übersetzen. Möwen ließen sich vom Wind tragen und kreischten hoch über ihren Köpfen.
»Kannst du mal mit anpacken?«
»Was willst du machen?«
»Ich kann sie nicht hier liegen lassen.« Douglas deutete mit dem Kopf auf seinen in die Jahre gekommenen Land Rover.
Gemeinsam hievten sie das tote Schaf auf die Ladefläche.
»Du solltest das anzeigen«, riet Conor ihm.
»Und dann?« Douglas schnaufte abfällig. »Irgendwelche besoffenen Rowdys haben sich einen üblen Spaß erlaubt. Ich find schon raus, wer’s war, und dann wird er die Rechnung dafür bekommen.«
Conor sah ihn stirnrunzelnd an.
»Danke, dass du mir gleich Bescheid gegeben hast.« Fleisch und Fell würde er nicht verwerten können, aber ein totes Tier beunruhigte die Herde. Und Stress war nicht gut für seine Schafe. Douglas öffnete die Wagentür, und Trevor sprang heraus. Der schwarz-weiß gefleckte Border Collie trippelte aufgeregt hechelnd um ihn herum. »Ich dreh eine Runde, muss schauen, ob der Rest der Herde okay ist.«
»Soll ich dich begleiten?«
»Nein, lass gut sein.«
Douglas sah Conor hinterher, der in seinen alten Nissan stieg und über die holprige Weide davonfuhr. Er klopfte kurz an sein Hosenbein, sodass der Hund an seine Seite trabte, und begann seinen Rundgang.
Aberdeen
Aberdeen Airport empfing Kimberly Hart mit strömendem Regen. Sie wartete am Gepäckband auf ihren rot-schwarzen Rucksack, hievte das Ungetüm vom Band auf ihren Rücken und durchlief die Passkontrolle. So weit war alles wie immer.
Es war nicht ihr erster Flug, und sie war nicht zum ersten Mal im Ausland. Aber dieses Mal war sie ohne Begleitung unterwegs, und niemand stand mit einem Namensschild in der Ankunftshalle, um sie willkommen zu heißen und zu ihrem Hotel zu bringen.
Etwas verloren glitt ihr Blick durch die Halle. Hier und da gab es herzliche Umarmungen zur Begrüßung, Geschäftsleute eilten zielstrebig zum Ausgang oder Richtung Autovermietung. Stewardessen und Stewards zogen tratschend Rollkoffer hinter sich her.
Sie strich sich eine Strähne aus den Augen. Sie hatte ihre blonden Haare wachsen lassen, aber sie waren noch nicht lang genug, um sie zu einem Zopf zu binden. Halblange blonde Zotteln, die ihr ständig ins Gesicht fielen.
Da stand sie nun. Allein. Es wurde ihr in diesem Moment erst richtig bewusst. Zum allerersten Mal in ihrem Leben war sie ganz auf sich allein gestellt. Siebenundzwanzig Jahre lang hatte es immer jemanden gegeben, an den sie sich halten konnte, der ihr sagte, wohin sie gehen musste und welcher Termin als Nächstes im Kalender stand.
Sie hatte keine Termine, keinen einzigen.
Was nun? Sie war es nicht gewohnt, Entscheidungen zu treffen. Das hatte sie anderen überlassen. Wenigstens war sie so geistesgegenwärtig gewesen, die erste Übernachtung in einem Hotel im Voraus zu buchen. Wie es weitergehen sollte, stand in den Sternen.
Sie marschierte vorbei an Shops und Restaurants, den Hinweisschildern zum Ausgang folgend. Ihre Unerfahrenheit bei der Reiseplanung wurde ihr deutlich vor Augen geführt, als sie unter dem Vorbau des Flughafengebäudes ihr Smartphone einschaltete und die Adresse ihrer Unterkunft in die Navi-App eingab. Mit unmittelbarer Nähe zum Flughafen hatte das Hotel geworben.
Sie hatte bei ihrer Buchung gesehen, dass sich das Gebäude direkt neben dem Flughafen befand. Allerdings – und das bemerkte sie erst jetzt, als sie auf die Routenbeschreibung sah – auf der gegenüberliegenden Seite. Sie musste das halbe Gelände umrunden. Die Hallen, die sie auf der Internetkarte irrtümlich für das Flughafengebäude gehalten hatte, waren der Hangar für die Offshore-Hubschrauber.
Sie rümpfte die Nase, als sie im trüben Licht den Regen in feinen Fäden zu Boden fallen sah. Bei dem Wetter in der Dämmerung an einer viel befahrenen Straße entlangzulaufen war wenig verlockend.
Sie suchte ein Taxi. Der Fahrer musterte sie stirnrunzelnd, als sie ihm die Adresse nannte. »Sind Sie sicher?«
»Ja«, erwiderte sie, aber vielleicht hatte er sie falsch verstanden? Sie zeigte ihm die Adresse auf dem Display ihres Smartphones.
»Aye.« Die Skepsis in seinen Augen blieb. Er öffnete ihr die Tür zum Fond des Wagens und setzte sich hinters Steuer. »Sind Sie zum ersten Mal in Schottland?«
»Nein.« Sie war vor drei Jahren einmal in Edinburgh gewesen. Allerdings hatte sie bei dem Besuch nicht viel von Land und Leuten gesehen. Das hatte sie nie. Flughafen, Taxi, Hotel, Halle und wieder zurück. Für Sightseeing war keine Zeit. Es hatte sie auch nicht interessiert. »Ist das Hotel nicht gut?«
»Nun, es gibt bessere Orte für eine junge Frau.«
»Ich komm schon klar.«
Er warf ihr einen Blick über den Rückspiegel zu. »Machen Sie Urlaub?«
Gute Frage. »Ja.«
»Und was wollen Sie in Schottland machen?«
»Ein bisschen wandern in den Highlands«, improvisierte sie.
»Bleiben Sie im Osten, da ist das Wetter besser als an der Westküste.«
Sie sah auf die Seitenscheibe, über die der Regen mittlerweile in dicken Schlieren strömte. »Tobt im Westen gerade ein Blizzard?«, fragte sie ironisch.
Der Taxifahrer lachte. »Das Wetter wird besser. Morgen scheint hier die Sonne.«
Das klang sehr optimistisch, fand Kim.
Die Fahrt endete nach wenigen Minuten vor einem lang gestreckten Gebäudekomplex. Ein Flachbau aus den Siebzigern. Der einst vermutlich weiße Putz schimmerte schmutzig grau im fahlen Licht. Um das gesamte Hotel zog sich ein voll belegter Parkplatz. Der Asphalt war mit Schlaglöchern übersät. Auf den Fotos im Internet hatte das Hotel hübscher und moderner ausgesehen.
Auf einem dunkelbraunen Blechvordach stand in großen Lettern »Reception«. Ein paar kräftige Männer in Jeans und dicken Baumwollhemden standen rauchend unter dem Dach eines Übergangs, der anscheinend Rezeption und Hotel miteinander verband.
»Das ist mein Hotel?«
Der Taxifahrer nickte bedauernd. »Ich sagte ja, es gibt schönere Ecken. Möchten Sie woandershin?«
»Nein, ist nur für eine Nacht.« Sie stieg aus.
Der Taxifahrer hob ihren großen Rucksack aus dem Kofferraum und fuhr davon.
Thybster
Marley MacKeith streifte mit kräftigen Strichen das Regenwasser von seiner Jacke, bevor er die Tür zum Pub aufstieß. Im JJ’s empfingen ihn fröhliches Stimmengewirr und eine Wärme, die ihm sogleich den Schweiß aus den Poren trieb. Eilig zog er die Jacke aus und hängte sie an die Garderobe neben dem Eingang. Auf dem Weg zur Theke grüßte er hier und da in die Runde.
»Hey, Marley, wie geht’s?« Joyce Sandison schenkte ihm ein Lächeln, wobei sich tiefe Grübchen in den Wangen ihres runden Gesichts bildeten. Sie hielt ein Glas hoch. »Wie immer?«
»Alkoholfrei.« Er war mit dem Wagen gekommen und wollte durch den Regen nicht zu Fuß nach Hause gehen.
Joyce stellte ihm das Glas und eine Flasche alkoholfreies Bier auf den Tresen. Die langen Ketten, von denen sie gleich mehrere um ihren Hals geschlungen hatte, klimperten gegen das Thekenholz, als sie sich ein Stück zu ihm vorbeugte. »Ich hab das mit Douglas’ Schaf gehört. Das tut mir leid.«
Marley zog grimmig die Augenbrauen zusammen. »Wenn ich den erwische, der das getan hat, kann er sich warm anziehen.«
Sie tätschelte beschwichtigend seine Hand. »Hast du mit deinem Vater gesprochen? Ich finde, er sollte das anzeigen.«
»Du weißt, was Douglas von meiner Meinung hält.«
Joyce nickte bedauernd. »Du solltest wenigstens Grace informieren.«
Grace war seine ältere Schwester. Sie arbeitete bei der Polizei in Thurso, keine fünf Meilen entfernt. Mit Sicherheit hatte sich der Vorfall längst bis zu ihr herumgesprochen. »Ich rufe sie nachher an«, versprach er dennoch.
Die Wirtin lächelte zufrieden und wandte sich dem nächsten durstigen Kunden zu.
Marley nahm sein Bier und setzte sich zu Ryan und Dave an den Tisch. Die beiden arbeiteten im Fischerei- und Fährhafen Scrabster. Kräftige Männer, die zupacken konnten, so wie er auch. Sie waren in eine Diskussion über ein mögliches Bauvorhaben vertieft. Es gab anscheinend einen Geldgeber, der in die Region...