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E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Baer Männerwürde

Laut und leise, stark und zart – ein Handbuch
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-451-82206-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Laut und leise, stark und zart – ein Handbuch

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-451-82206-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Würde ist nicht gegeben, Würde entsteht, wenn Menschen andere würdigen und wenn sie von anderen gewürdigt werden. Das gilt für Männer wie Frauen. In seinem Buch wird Udo Baer an konkreten Beispielen von 20 Männern vorstellen, welche Erfahrungen sie mit Entwürdigung haben und wie sie den Weg der Würdigung beschreiten können. Thematisiert werden u.a.: Würde allein durch Leistung; Aufwachsen ohne Vatervorbild; Belastungen durch das Kriegserbe; die Pflicht, immer stark sein zu müssen; Opfer oder Täter; Verletzungen durch Mütter; Bewältigung von Traumata; Umgang mit Scham; das Damoklesschwert der Wirksamkeit; das Widerspiel der Werte; die Ambivalenz der Aggressivität …

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2. Entwürdigung und Männerwürde
„Es ist nie genug!“
„Ich strenge mich mein Leben lang an“, sagt Steffen M., „aber es ist nie genug. Ich habe mich so angestrengt, ein guter Sohn zu sein, aber das ist mir nicht gelungen. Und jetzt strenge ich mich an, ein guter Vater und ein guter Ehemann zu sein. Ich strenge mich an, die Familie zu ernähren, und haue rein im Beruf, in der Arbeit, und das noch und noch, um allen anderen Sicherheit zu bieten. Und dann halte ich mich noch fit. Wenn ich von der Arbeit komme, soll ich entspannt und offen sein. Dabei bin ich einfach nur platt. Irgendwie hören diese Anstrengungen nie auf.“ Geht es Ihnen auch so? Finden Sie sich in etwa in dieser Aussage wieder? Ist es für Sie auch nahezu selbstverständlich, sich anzustrengen? So geht es meiner Erfahrung nach vielen Männern. Für viele ist die Anstrengung schon selbstverständlich. Sie werden streng, auch sich selbst gegenüber (in dem Wort „Anstrengung“ ist das Wort „streng“ enthalten). Und sie fühlen sich – wenn sie denn dieses Gefühl bzw. den Gedanken zulassen – in ihren Bemühungen und Leistungen nicht oder nicht genug gewürdigt: „Ich habe den Eindruck, dass mich da niemand sieht, dass niemand ernst nimmt, dass ich so viel tue. Irgendwie bin ich nur noch auf Leistung, und diese Leistung wird gar nicht gesehen.“ Dass Steffen M. dies ausspricht, fällt ihm nicht leicht. Er will nicht jammern. Das gehört nicht zu seinem Selbstverständnis. Doch wenn Männer wie er sich überanstrengen und darunter leiden, dann ist Jammern der erste Schritt, dass sie anerkennen, was ist, dass sie würdigen, was ist, dass sie ihr Leiden ausdrücken und hörbar machen. „Würdigen, was ist“ – das ist eine Haltung, alle Aspekte des Lebens und Erlebens wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Steffen M. begann damit, an einem Seminar für Väter und Söhne teilzunehmen. Aussprechen, was ist, ist nicht einfach und widerspricht den bisherigen Rollenbildern, mit denen Steffen M. und viele andere Männer aufgewachsen sind. Doch es ist der notwendige erste Schritt der Veränderung. Zur Würde gehört, dass jeder Mensch das Recht hat, gewürdigt zu werden, dass jeder Mensch wertvoll ist. Der Mensch hat auch einen Wert, wenn er nichts leistet. Der Druck, etwas leisten zu müssen, um wertvoll zu sein, ist ein Drama, das oft in der Kindheit entstanden ist und sich dann im Erwachsenenleben fortsetzt. Als Steffen M. hörte und begriff, dass er ein Recht auf Würde und Würdigung hat, auch ohne viel zu leisten, begann er zu weinen. Ein großer Druck begann von ihm abzufallen. Eine grundlegende tiefe Anspannung in ihm löste sich. Dies war der Anfang eines längeren Prozesses mit vielem Auf und Ab und vor allem mit Unterstützung durch andere. Er leistete gern und übernahm gern Verantwortung. Für seine Familie und auf seiner Arbeitsstätte, auch in seiner Nachbarschaft. Doch er begann den Unterschied zu spüren, ob er dies freiwillig tat oder als „Muss“. Mit dem „Muss“ war er aufgewachsen, er hatte es eingeatmet wie die Luft seiner Umgebung. Für seine Eltern waren „preußische Disziplin“ und „Pflichterfüllung“ das Größte. Gegen diese soldatischen Tugenden lehnte er sich auf, indem er zum Entsetzen seiner Eltern den Wehrdienst verweigerte. Doch das „Muss“ des Leistens und der Verantwortungsübernahme war in ihn hineingesickert und geblieben. Er hatte sich so daran gewöhnt, dass es für ihn, seine Leistungen, keine positiven Rückmeldungen gab, dass er ins Leere ging und er nicht gewürdigt wurde, dass es ihm selbstverständlich geworden war. Das konnte und wollte er nun nicht mehr aushalten. Nach einiger Zeit in diesem Prozess begann er seine Sehnsucht zu spüren und fand auch Worte dafür: „Ich möchte einfach so geliebt oder zumindest akzeptiert werden, wie ich bin, und nicht nur, wenn ich etwas tue und mich maßlos anstrenge. Ich wünsche mir so sehr, dass jemand einmal sagt: ‚Es ist genug, was du tust. Es reicht.‘“ Ihm konnte jetzt auch einfallen, dass er das durchaus schon von anderen, ihm vertrauten Menschen gehört hatte, aber er war bisher nicht in der Lage gewesen, es in sich einsickern zu lassen. Er würdigte die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit als Teil seiner Persönlichkeit: Ich bin derjenige, der viel leistet und viel leisten kann, viel für sich, die Familie und die Gesellschaft tut UND der darin seine Wirksamkeit fühlt und sich spürt UND sich wünscht, darin anerkannt zu werden. Ich will mich nicht wegbremsen, denn das tut mir auch nicht gut, UND ich will mein eigenes Maß finden. Dazu brauche ich andere. Gewalt, Aggression, Würde
Ben A. wurde als Junge regelmäßig verprügelt. Das Spektrum der Gewalt, der er ausgesetzt war, reichte von Ohrfeigen bis zu Schlägen mit dem Ledergürtel. Die Anlässe waren beliebig. Ein Fleck in der Hose. Ein Widerwort. Eine nicht gemachte Hausaufgabe. Ein Trödeln beim Essen … Vor allem der Vater hatte geprügelt. So früh er konnte, verließ Ben A. sein Elternhaus und legte möglichst viel Distanz zwischen sich und die Eltern. Doch die Erfahrungen der Gewalt und deren Folgen blieben, wie bei allen Menschen. Gewalt ist eines der Monster der Entwürdigung. Gewalt hinterlässt Spuren. Es gibt Männer, denen als Kind Gewalt angetan wurde und die später selbst zu Gewalttätern werden. Sie leben das, was sie kennen. Sie wollen nie mehr Opfer werden und werden im Umkehrschluss Täter. Kommt dann noch Alkohol dazu, führt das zu einem Verhalten, von dem Polizisten sagen: „Gewalt ist männlich und alkoholisiert.“ Manche dieser Männer verrohen so sehr, dass sie ihr Selbstwertgefühl nur noch mit systematischer Gewalttätigkeit gegen schwächere Menschen, meist Frauen und Kinder, aufrechterhalten. Wenn sich, wie zum Beispiel die Ermittlungen in Bergisch-Gladbach ergeben haben, 30 000 Männer an einem Kinderporno-Netzwerk beteiligen, dann macht mich das Ausmaß trotz allem Wissen aus meiner therapeutischen und pädagogischen Praxis fassungslos. Doch auch Frauen können gewalttätig sein und sind es. Das sind viel weniger als unter den Männern, doch einem siebenjährigen Jungen, der von seiner Mutter regelmäßig geschlagen wird, ist die Statistik egal – er leidet. Ben A. wollte den Weg, seine Gewalterfahrungen weiterzugeben, nicht gehen. Er schwor sich, nie so zu werden wie sein Vater. Also wich er allen Konflikten aus und versuchte immer wieder, zu versöhnen und zu beschwichtigen. Er erdrückte alle aggressiven Impulse in sich. Seine Lebenshaltung bestand in chronischer Zurückhaltung, außer beim Sport. Dort tobte er sich aus. Der Schwur, nicht so zu werden wie die Täter und dafür jede Aggressivität zu unterdrücken, ist ehrenhaft und viel würdevoller, als selbst zum Täter zu werden. Denn dieser Weg entwürdigt keine anderen Menschen. Doch er schadet den Männern selbst, die ihn eingeschlagen haben, zumindest auf Dauer. Zu viel und zu oft hat der Vater von Ben A. immer noch die Macht über Ben A.s Leben, indem er seine Verhaltensweisen und seine Gefühle massiv beeinflusst. Ben A.s Weg der chronischen Zurückhaltung ging bis hin zur Selbstverletzung. Denn er fesselte sich und schränkte sich in seinem Leben ein. Wer wie Ben A. Aggressivität nur als verletzend und destruktiv erfahren hat, lehnt Aggressivität oft grundsätzlich ab oder wird selbst wahllos aggressiv. Doch aggressive Gefühle können nützlich sein, wenn sie in konstruktives Verhalten münden. Zorn gegen Gewalt, die anderen Menschen angetan wird, ist gerecht und gerechtfertigt. Aggressive Gefühle können die Würde der Menschen verteidigen und schützen. Sie können Veränderungen hervorrufen. Werden Aggressionen nicht gelebt, bleibt vieles beim Alten. Letzten Endes wendet sich die Aggressivität dann gegen den Menschen selbst, wie bei Ben A. Er war immer wieder krank und begann mit sich zu hadern. Er machte sich selbst Vorwürfe, dass er sein Leben nicht besser hinbekam, und begann zu trinken. Er fand aus seiner Rolle als Opfer nicht heraus, zumindest gelang ihm das nicht allein. Erst als er nach einem Entzug Hilfe annehmen konnte, löste er sich aus seiner Opferrolle, ohne zum Täter werden zu müssen. Es gibt nämlich einen dritten Weg zwischen Opfer bleiben und Täter werden. Das ist der Weg der Würde, der Männerwürde. Viele Männer fragen: „Wenn ich die Wut in mir spüre und aggressiv werde, wenn ich mich über meine Partnerin (oder meinen Partner) ärgere oder mit einem Kollegen schimpfe oder mit meinem Chef, bin ich dann nicht doch so wie mein Vater, der mich immer verprügelt hat?“ Ich frage dann zurück: „Bitte überprüfen Sie und sagen Sie mir: Wenn Sie mit einem Kollegen ärgerlich sind und ihn kritisieren, entwürdigen Sie ihn dann? Machen Sie ihn fertig? Fügen Sie ihm Gewalt zu? Erniedrigen Sie ihn? Nur dann kann ich Ihnen eine Antwort geben.“ Die Frage wird fast immer verneint. Dann reden wir darüber, dass eine Aggressivität gelebt werden kann, die andere Menschen würdigt. Wir können jemandem achten UND ihn oder sie kritisieren, jemanden lieben UND auf ihn oder sie sauer sein. Wir können jemandem sagen: „Ich möchte, dass du dein Verhalten änderst“, oder: „Ich möchte, dass du dies und jenes nicht mehr tust“ – und dies kann respektvoll geschehen und nicht herablassend, entwürdigend, gewalttätig. Das Kriterium für eine Aggressivität, die würdigt, ist die Würde. Das ist ganz einfach und doch schwer. Die Gewalt, die...


Udo Baer, geb. 1949, Dr. phil., ist Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor zahlreicher Sachbücher.



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