E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Baggot Winterzauber im Central Park
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-25050-8
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-641-25050-8
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mandy Baggot ist preisgekrönte Autorin romantischer Frauenunterhaltung. Sie hat eine Schwäche für Kartoffelpüree und Weißwein, für Countrymusic, Reisen – und natürlich für Weihnachten. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Töchtern in der Nähe von Salisbury.
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KAPITEL
EINS
Marktplatz in Appleshaw, Wiltshire, England
Es regnete heftig, und die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt. Die Scheibenwischer von Lara Weeks’ Sattelschlepper schafften es kaum, gegen das typisch britische Winterwetter anzukämpfen. Eine Meile. Sie mussten nur noch eine Meile zurücklegen, bevor sie den Marktplatz von Appleshaw erreichen würden, ihres Heimatdorfs, in dem jedes zweite Haus mit Stroh gedeckt war. Dann konnte das Fest beginnen.
Lara schaltete die Windschutzscheibenheizung höher, drehte die Musik lauter – Taylor Swift sang über Bluetooth ihre Version von »Last Christmas« – und konzentrierte sich auf die Straße, während ihr Atem im Fahrerhaus Wölkchen in der eisigen Luft bildete. Sie waren mit beiden LKWs der Weeks unterwegs: Einen fuhr sie, und den anderen lenkte Aldo, ihr Beinahe-Bruder. Er war vor ihr und beförderte einen riesigen Nadelbaum, geschmückt mit Girlanden und glitzernden goldfarbenen, roten, grünen und ein wenig ungewöhnlichen violetten Lämpchen, den Mrs Fitch zu einem günstigen Preis im Gartencenter gekauft hatte. Unter dem Baum saßen alle Darsteller des Krippenspiels: Maria, Joseph, zwei Schafe – die mit jeder Minute feuchter wurden –, Milo, die Hausziege des praktischen Arztes im Ort, ein Schäfer und die Heiligen Drei Könige. Die Weisen aus dem Morgenland waren Mrs Fitchs Enkel – dreizehnjährige Drillinge, die in ihren Kostümen aus Goldlamé keinen sehr glücklichen Eindruck machten.
Das war Aldos großer Abend. Der Achtzehnjährige hatte fast sein ganzes Leben darauf gewartet, an der jährlichen Parade am ersten Dezember einen LKW von Weeks zu fahren, und jetzt war es endlich so weit. Ein paar Monate zuvor hatte er seinen LKW-Führerschein bestanden, und Lara war diejenige gewesen, die ihm alles beigebracht hatte. Außer vielleicht, was zu tun war, wenn man das Jesuskind in der Krippe transportierte, und es zu hageln begann … Warum schneite es nicht stattdessen? So, wie es sich im Dezember gehörte? Ein leichter Zuckerguss auf dem malerischen Appleshaw würde den Ort eher wie einen festlichen Weihnachtskuchen aussehen lassen als wie eine einfache Pralinenschachtel.
»Fahr langsam, Aldo. Runter vom Gas. Nur keine Eile«, sagte Lara zu sich selbst und drehte Taylor Swift wieder leiser. Sie warf einen Blick auf das Funkgerät am Armaturenbrett. Niemand in ihrem Bekanntenkreis benutzte noch CD-Funk – außer dem Fuhrunternehmen ihres Vaters Gerry. Ihr Dad hatte zwar nach einer wirtschaftlich guten Phase zwei brandneue LKWs gekauft – Lara hatte ihren Truck Tina getauft –, aber darauf bestanden, die alten Funkgeräte zu behalten. »Das ist Tradition«, hatte er erklärt, also befanden sich in den Wagen immer noch Geräte, die aussahen, als gehörten sie in ein Museum, neben USB-Anschlüssen und eingebauten Navigationssystemen. Lara nahm das Walkie-Talkie aus der Station und hielt es sich an den Mund.
»Aldo, hörst du mich? Over.«
Sie legte das Handfunkgerät auf ihren Schoß, um das Lenkrad wieder mit beiden Händen greifen zu können. Die Sicht wurde immer schlechter. Sie konnte sich an keine Parade erinnern, bei der das Wetter so grauenhaft gewesen war. Vielleicht waren gar keine Zuschauer auf der Straße …
»Lara? Bist du das?«
Lara schüttelte den Kopf, als sie Aldos überraschte Stimme hörte. Außer dem Fahren eines Trucks hatte sie ihm auch beigebracht, wie man über CB funkte. Aldo hatte leider ein Problem damit, sich manche Dinge zu merken, außer wenn es um LKWs ging – sie waren seine große Leidenschaft. Ebenso wie Football und Marvel-Comics. Und seit einiger Zeit auch Kampfsport. Falls diese Besessenheit anhalten sollte, würde sie ihm dazu raten müssen, seine immer weiter wachsende Bruce-Lee-Sammlung einzuschränken und sich vielleicht nur auf Kung-Fu-Filme wie zu konzentrieren …
»Ja, ich bin’s, Aldo. Bleib bei deinem Tempo, over.«
Sie hörte ein knisterndes Geräusch, als würde jemand ein Stanniolpapier zerknüllen, und warf einen Blick auf ihr Mobiltelefon, aus dessen Lautsprecher die Musik schallte. Sie könnte ihn anrufen, aber wenn er dann nach seinem Telefon griff, anstatt die Freisprechfunktion einzuschalten?
»Was war gleich noch das ?«, ertönte Aldos Antwort. »Daran kann ich mich aus der Prüfung nicht mehr erinnern, Lara.«
Sie atmete tief durch. Wahrscheinlich machte sie sich zu viele Gedanken. Aldo würde es schon schaffen. Sie hatten nur noch eine knappe Meile vor sich, fuhren mit einer Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern, und sie befand sich dicht hinter ihm. Was konnte da schon schiefgehen?
Plötzlich leuchtete Laras Telefon auf, und ein Seitenblick auf das Display zeigte ihr ein Foto von ihrem Freund Dan. Sie hatte es im Sommer geschossen, nachdem er einen Tequila getrunken und anschließend in eine große Scheibe Zitrone gebissen und entsprechend das Gesicht verzogen hatte. Lächelnd drückte sie auf den Knopf am Lenkrad, um das Gespräch sicher annehmen zu können.
»Sind schon viele Leute da, oder haben sich alle vor dem Hagel ins Pub geflüchtet?«
»Was?« Dans Stimme hörte sich so an, als käme sie aus einem Auto. Oder die Verkehrsabsperrung für die Parade durch die Ortsmitte von Appleshaw hatte nicht geklappt.
»Ich bin nur noch eine halbe Meile vom Marktplatz entfernt. Aldo und ich werden den Umzug durch den Ort anführen. Hast du eine gute Stelle gefunden? Ist jemand bei dir? Mrs Fitch hat heute wahrscheinlich gute Chancen, diese Golf-Regenschirme zu verkaufen.«
»Findet der Umzug heute Abend statt?«
Lara lachte. Er nahm sie gern auf den Arm, wenn es um die Eigenheiten des Dorfs ging. »Sehr witzig. Als ob er nicht immer am ersten Dezember stattfinden würde.«
Es kam keine Antwort. Sie hörte nur Verkehrslärm. Von einer Autobahn?
»Dan? Wo bist du?«, fragte Lara. »Du weißt doch, dass heute Abend auch die Weihnachtsparty mit meinen Kollegen stattfindet, oder? Es gibt Melone, Truthahn und Schokorolle.«
Er sagte immer noch nichts. Wenn sie nicht das unaufhörliche Rauschen einer Autobahn gehört hätte, hätte sie geglaubt, dass die Verbindung abgebrochen war. »Dan, hörst du mich?«
»Hör zu, Lara, ich werde es heute Abend nicht schaffen.«
Sie biss sich auf die Unterlippe. Das war nun bereits das dritte Mal, dass Dan zu einem für sie wichtigen Anlass nicht kommen konnte. Vor dem Fest auf dem Autohof hatte er angeboten, beim Grillen zu helfen, war aber dann nicht erschienen. Und auch als sie Aldos achtzehnten Geburtstag im Vereinsheim gefeiert hatten, war er nicht gekommen. Sie hatten an diesem Abend dort eine Disco und einen tollen Darts-Wettbewerb veranstaltet, und Aldo hatte Cocktails aus einem Eimer geschlürft, den er später noch einmal gebraucht hatte, als ihm schlecht geworden war. Laras beste Freundin Susie war Beziehungsberaterin und hatte Lara gesagt, wie sie mit solchen Situationen umgehen sollte.
»Oh. Tja, das ist sehr schade, aber … kein Problem.« Sie schluckte. Das fühlte sich nicht richtig an. Sie war wütend auf ihn. Zornig sogar. Und es fiel ihr nicht leicht, diese Frustration zu unterdrücken. Gefühle zu verbergen war nicht ihre Stärke … Weil sie sie oft nicht im Zaum halten konnte, hätte sie im letzten Jahr beinahe Punkte im Verkehrsregister kassiert. Ein PKW war vor ihrem Lastwagen eingeschert, und sie hatte gehupt und ein paar Kraftausdrücke ausgestoßen. An der nächsten Ampel hatte sie Tina mit quietschenden Reifen abgebremst und war aus dem Wagen gesprungen, um mit dem Fahrer ein Wörtchen zu reden. Leider hatte es sich um einen Polizisten in Zivil gehandelt … »Du hast aber meine SMS wegen Weihnachten bekommen, oder?«
Susie hatte ihr geraten, jeder Absage mit etwas Positivem zu begegnen. Pläne zu machen. Ihn und sich selbst an all die schönen Dinge zu erinnern, die ihnen noch bevorstanden. Es ging darum, alles lebendig zu erhalten und sich nicht selbstzufrieden zurückzulehnen. Sie waren bereits seit zwei Jahren zusammen; natürlich schwebten sie nicht mehr pausenlos im siebten Himmel, sondern mussten sich um die alltäglichen Dinge kümmern. Aber das war in Ordnung – ganz normal. Und Dan war ihr Fenster zur Welt, da er Whirlpools in ganz Europa und darüber hinaus verkaufte und viel herumkam. Wenn er von einer seiner Reisen zurückkam, fragte sie ihn aus, und er erzählte ihr von den kleinen Straßencafés in Paris, den Kanälen in Amsterdam und dem geschäftigen Treiben in Manhattan, New York. Auch wenn sie die Geborgenheit und den idyllischen Charme von Appleshaw liebte, hörte sie sich mit Begeisterung die Geschichten über das Leben an, wie es sich in anderen Teilen der Welt abspielte.
»Lara … ich habe gedacht, du wärst zu Hause«, erwiderte Dan.
»Nein. Heute ist der erste Dezember, also fahre ich meinen Truck, wie ich es schon seit meinem achtzehnten Lebensjahr an diesem Tag getan habe.« Vor sechs Jahren hatte sie zum ersten Mal den Festzug angeführt und hätte sich mit ihrem LKW auf dem Glatteis beinahe quer gestellt. »Wie auch immer – Aldo möchte am Weihnachtsabend chinesisch essen und sich einen Film anschauen. Am ersten Weihnachtsfeiertag sind wir bei Mrs Fitch zum Mittagessen eingeladen, und am zweiten Weihnachtsfeiertag könnten wir vielleicht …«
»Lara, es tut mir leid … ich kann das nicht mehr. Ich …«
»Dan … ich befürchte, die Verbindung bricht gleich ab«, rief Lara. Sie...




