Bahl | Die professionelle Praxis der Ausbilder | Buch | 978-3-593-50965-5 | www.sack.de

Buch, Deutsch, Band 15, 327 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 215 mm, Gewicht: 414 g

Reihe: Arbeit und Alltag

Bahl

Die professionelle Praxis der Ausbilder

Eine kulturanthropologische Analyse
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-593-50965-5
Verlag: Campus

Eine kulturanthropologische Analyse

Buch, Deutsch, Band 15, 327 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 215 mm, Gewicht: 414 g

Reihe: Arbeit und Alltag

ISBN: 978-3-593-50965-5
Verlag: Campus


Ausgehend von situations- und praxisorientierten Lerntheorien betrachtet Anke Bahl die Ausbildung in fünf Unternehmen, die sich in ihren Arbeitstätigkeiten stark unterscheiden: einem Metzgerbetrieb mit eigener Schlachtung, einem produzierenden Industrieunternehmen, einer Versicherungsgesellschaft, einer Holding der IT-Branche sowie einem Elektro- und SHK-Dienstleister. Die ethnografische Darstellung auf Basis von Narrationen liest sich wie eine Kulturgeschichte. Die Studie zeigt die Leistung der Berufsausbilderinnen und -ausbilder auf und beleuchtet deren Beitrag und betriebliche Position im Kontext aktueller Veränderungen.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Inhalt
Dank 11
1 Einleitung 13
1.1 Themenstellung 15
1.2 Stand der Forschung: Theoretische und empirische Vorarbeiten 19
1.3 Zur Spezifik der Position des Ausbilders 26
1.4 Anlage der Studie 30
2 Theoretische Zugänge zum Lernen und zur Praxis von Tradierung 33
2.1 Situiertes Lernen in Praxisgemeinschaften im Zuge legitimer peripherer Partizipation (Lave und Wenger) 33
2.2 Taskscape, Task und Skill als Elemente einer ökologischen Theorie biosozialer Menschwerdung (Ingold) 42
3 Methodik: Über Narrationen zur Praxis 53
3.1 Zielsetzung und Datengrundlage des vorgelagerten Forschungsprojekts am Bundesinstitut für Berufsbildung 53
3.2 Perspektivwechsel Ethnographie: Verdichtung der Ausbildungspraxis als Taskscape 59
4 Ausbildung im Fleischerhandwerk 73
4.1 Zur Spezifik von Branche und Beruf 73
4.2 Das Fallunternehmen und seine Ausbildungsorganisation 77
4.3 Die Praxis: Ausbilden in der Produktion 84
4.4 Fazit zu Taskscape und Skill im Fleischerhandwerk 97
5 Ausbildung im Elektro- und Sanitär-, Heizungs-, Klimatechnik-Handwerk 101
5.1 Zur Spezifik der Berufe Anlagenmechaniker/-in und Elektroniker/-in 101
5.2 Das Fallunternehmen und seine Ausbildungsorganisation 104
5.3 Die Praxis: Ausbilden im Bau und im Kundendienst (Service) 107
5.4 Fazit zu Taskscape und Skill im Elektro- und Sanitär-, Heizungs-, Klimatechnik-Handwerk 123
6 Ausbildung von Facharbeitern in den industriellen Metallberufen 127
6.1 Zur Spezifik der Branche und ihrer Berufe 127
6.2 Das Fallunternehmen und seine Ausbildungsorganisation 137
6.3 Die Praxis I: Ausbilden in der Lehrwerkstatt 144
6.4 Die Praxis II: Ausbilden in der Fachabteilung (Werkzeugbau) 160
6.5 Fazit zu Taskscape und Skill in der Industrie 172
7 Ausbildung von Kaufleuten in der Versicherungswirtschaft 177
7.1 Zur Spezifik von Branche und Beruf 177
7.2 Das Fallunternehmen und seine Ausbildungsorganisation 183
7.3 Die Praxis I: Ausbilden in der Zentrale 186
7.4 Fazit zu Taskscape und Skill in der Verwaltung 205
7.5 Die Praxis II: Ausbilden in Vertriebsdirektion und Agentur 206
7.6 Fazit zu Taskscape und Skill im Vertrieb 218
8 Ausbildung in den neuen Berufen der Informationstechnologie-Branche 221
8.1 Zur Spezifik der Branche und ihrer Berufe 221
8.2 Das Fallunternehmen und seine Ausbildungsorganisation 227
8.3 Die Praxis I: Ausbilden in der Software-Entwicklung 231
8.4 Fazit zu Taskscape und Skill in der Software-Entwicklung 244
8.5 Die Praxis II: Ausbilden in Technik und Vertrieb 246
8.6 Fazit zu Taskscape und Skill in Technik und Vertrieb 259
9 Die Beziehung zwischen Ausbilder und Azubi 261
9.1 Ursprünge: Das Lehrverhältnis in den Zünften 262
9.2 Prägungen: Vorbilder aus der eigenen Lehrzeit 266
9.3 Tauschbeziehungen 273
10 Ausbilden als spannungsreicher Auftrag im Betrieb 283
10.1 Die Dynamik des unternehmerischen Ausbildungsauftrags 284
10.2 Gefährdungen: Die Verwundbarkeit des Ausbilders 293
11 Fazit: Ausbilden als umstrittenes Skill und die Zukunft des Ausbilders 301
Literatur 321


1 Einleitung
"Keeping up with the Schmidts" - unter diesem Slogan erschien am 26. April 2014 ein Beitrag im Wirtschaftsmagazin The Economist. Darin setzt sich der Autor kritisch mit den bislang vergeblichen Versuchen des Inselstaats Großbritannien auseinander, seine Wirtschaft durch den Aufbau eines beruflichen Ausbildungswesens zu stärken, das dem deutschen dualen System gleichkäme. "Attempts to build a snazzy, German-style apprenticeship system crash into cultural and economic differences", heißt es im Untertitel; der Text problematisiert, dass die von der Regierung zur Verfügung gestellten Fördergelder bislang weniger von technologieintensiven Unternehmen als von solchen, die Stellen im Niedriglohnsegment anbieten, abgerufen wurden.
Eine Supermarktkette hatte sich hierbei besonders hervorgetan. Ein eingefügter Cartoon zeigt einen rothaarigen jungen Mann, der im Begriff ist, Konservendosen aus einem Karton zu einer Pyramide mit dem Schild "Special Offer" an der Spitze zu stapeln. Eine Landesflagge mit dem Schriftzug "Apprentice" auf seinem Rücken kennzeichnet ihn als britischen Auszubildenden, und er schaut staunend über seine rechte Schulter. Dort sitzt mit dem Rücken zu ihm eine blonde junge Frau mit Pferdeschwanz und Schutzhelm an einer gewaltigen, elektronisch gesteuerten Maschine. Sie ist über die entsprechende Nationalflagge als deutsche Auszubildende gekennzeichnet und bedient über Steuerknüppel und vielerlei Schalter vier Roboterarme, die mit unterschiedlichen Instrumenten Operationen an einem eingespannten Werkstück vornehmen.
Inhalt und Ikonographie dieses Beitrags sind exemplarisch für das weltweit anhaltend große Interesse am Erfolgsrezept der dualen beruflichen Erstausbildung in Deutschland und den vielfachen Initiativen, das Prinzip der Kombination der Lernorte Berufsschule und Betrieb in andere Länder zu übertragen. Große Bewunderung ruft primär die arbeitsintegrierte Ausbildung in den Betrieben hervor, und dabei sind zwangsläufig auch Mythen im Spiel.
Diese Arbeit möchte durch eine vertiefte ethnographische Auseinandersetzung mit der Ausbildungspraxis deutscher Betriebe dazu beitragen, zumindest einige der gängigen Klischees zu zerstreuen. Sie wendet sich dabei einer Gruppe von Personen zu, die auf dem Cartoon nicht abgebildet ist, auf den Lern- und Arbeitsprozess der Auszubildenden jedoch großen Einfluss nimmt, nämlich jene der sie ausbildenden Fachkräfte. Ihr Beitrag und ihre Position im betrieblichen Ausbildungsgeschehen stehen im Zentrum dieses Buches.
1.1 Themenstellung
Die Praxis der Entwicklung von Fertigkeiten in sozialen Gemeinschaften und deren Weitergabe von Generation zu Generation gehört zu den zentralen Gegenständen der Kulturanthropologie. Die Tradierung von kulturellem Wissen im Kontakt zwischen Experten und Novizen ist der Schlüssel für die Reproduktion und Weiterentwicklung jeder Gesellschaft. In dieses Themenfeld reiht sich auch die berufspraktische Ausbildung im Betrieb ein, wie sie für die duale Berufsbildung im deutschen Bildungssystem konstitutiv ist. Als Teil der Belegschaft und im Prozess der Erwerbsarbeit werden junge Menschen (Auszubildende) schrittweise in die Praxis ihres Berufsfelds eingeführt und dabei von erfahrenen Fachkräften unterstützt.
Diese Urform des ›organischen‹ Lernens durch soziale Teilhabe an der Praxis erfährt im Zuge der Modernisierung und Globalisierung große Veränderungen. Aus der schrittweisen Teilhabe an einer Praxis wird ›Lernen‹ als eigene, selbstständige Tätigkeit konstruiert; dieses findet zunehmend entbettet von sozialen Praktiken in der Arbeit statt und wird an eigene Institutionen wie Schulen und Bildungsstätten verschoben. Lernen wird zu einer eigenen ›Technik‹ beziehungsweise zu einer eigenen Tätigkeit erhoben. Entsprechend wird auch die Anleitung und Beförderung von Lernprozessen, das ›Lehren‹, zu einer eigenen Technik, die sich weiter professionalisiert und zugleich standardisiert.
Diese Entwicklung ist überall auf der Welt in ähnlicher Form zu beobachten, trägt jedoch je nach den Rahmenbedingungen vor Ort spezifische Züge. Sie soll hier am Fall der deutschen Berufsausbildung und ausgehend von der Figur und Warte des Berufsausbilders und der Berufsausbilderin exemplarisch untersucht werden. Beruflich gefasste Arbeit und die Ausbildung des Nachwuchses war in Europa über Jahrhunderte über das städtische Zunftwesen geregelt. Im Zuge der Erosion der Zünfte im 18. Jahrhundert jedoch beginnt sich die Tätigkeit des ›Ausbildens‹ allmählich als eigene Praxis zu konstituieren. Maßgebliche Treiber dieser Entwicklung, die parallel zum Aufbau eines modernen Schulwesens verläuft, sind die Aufklärung und die Industrialisierung. Insbesondere die Entstehung von Großbetrieben, der große Bedarf an qualifizierten Fachkräften, einschließlich der fortschreitenden Arbeitsteilung und Spezialisierung der Branchen, machten eine gründliche Revision der bislang handwerklich geprägten Erziehungstradition erforderlich.
Zum einen wird die allein arbeitsintegrierte Ausbildung nun schrittweise um einen öffentlich geregelten, schulischen Zweig ergänzt. Dies beginnt mit der Einrichtung von Sonntags-Gewerbeschulen in verschiedenen deutschen Kleinstaaten und führt über die Reform der kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungsschulen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Institutionalisierung einer - didaktisch am künftigen Beruf orientierten - Berufsschule. Deren verpflichtender Besuch wird im Jahr 1938 durch das Reichsschulpflichtgesetz allgemein verankert. Zum anderen werden für die Anleitung der zukünftigen Facharbeiter in den Großbetrieben der deutschen Industrie als "Lehrecken" oder "Lehrwerkstätten " bezeichnete Bereiche geschaffen. So entsteht - analog zum Berufsschullehrer in der öffentlichen Schule - im Zuge der schrittweisen Professionalisierung der betrieblichen Bildung die Position eines ›Berufsausbilders‹, der anders als die anderen betrieblichen Fachkräfte formal und primär mit dieser Aufgabe betraut ist.
Als Besonderheit in den Bildungssystemen der mitteleuropäischen Bundesstaaten Deutschland, Österreich und der Schweiz wird die Position des Berufsausbilders durch staatliche Interventionen und die Schaffung nationaler Berufsbildungsgesetze auch rechtlich verankert und entsprechend institutionalisiert. Diese Entwicklung ist weltweit bislang einzigartig in der beruflichen Bildung, und insbesondere die hohe Qualifikation der Lehrkräfte an Berufsschulen als auch jene der betrieblichen Ausbilderinnen und Ausbilder in Deutschland genießen hohen Respekt.
Durch den Betrieb bestellte, persönlich und fachlich geeignete Ausbilder tragen in Deutschland gemäß Berufsbildungsgesetz (BBiG 2005, § 28) die Verantwortung für die Vermittlung der vorgeschriebenen Lerninhalte und die berufliche Sozialisation der Auszubildenden in dem jeweils gewählten Ausbildungsberuf. Jugendliche und junge Erwachsene können derzeit aus einer Gesamtzahl von 327 anerkannten dualen Ausbildungsberufen auswählen (Stand 2017). Die dazu jeweils vorliegenden Verordnungen nach § 4 Absatz 1 BBiG beziehungsweise § 25 Absatz 1 Handwerksordnung (HwO) bilden die Grundlage für die Berufsausbildung im dualen System und werden für den berufsschulischen Bereich durch die Rahmenlehrpläne der Kultusministerkonferenz ergänzt.
Der Cartoon aus dem eingangs zitierten Artikel des Economist assoziiert deutsche Berufsausbildung mit hochtechnisierten Arbeitsfeldern in der Fertigungsindustrie. In der Vorstellung vieler ausländischer Bewunderer verbirgt sich dahinter die deutsche Automobil- und Fahrzeugindustrie, die durch große Unternehmen mit betriebseigenen Lehrwerkstätten gekennzeichnet ist. Faktisch jedoch machen Großbetriebe mit mehr als 500 Beschäftigten weniger als ein Prozent aller Ausbildungsbetriebe in Deutschland aus, und das Gros der Ausbildung wird von Klein- und Mittelbetrieben getragen.
Und obschon Großbetriebe gleich mehrere Berufe ausbilden, decken sie nicht annähernd das breite Spektrum der Berufsbilder ab. Auch sind die statistisch am stärksten besetzten Ausbildungsberufe mittlerweile weniger in der Produktion als vielmehr im Dienstleistungssektor angesiedelt.
Diese Arbeit widmet sich der Frage, welche soziokulturelle Funktion den Berufsausbilderinnen und Berufsausbildern in der betrieblichen Praxis deutscher Unternehmen aktuell zukommt und welche Rolle sie für berufliche Vermittlungsprozesse von Können einnehmen. Wie gehen sie in der Ausbildung vor, um die Auszubildenden dorthin zu bringen, wo sie sie als ›Ausgelernte‹ gern hätten? Worauf legen sie in ihrer Anleitungspraxis Wert, und welches ›Skill‹ steht im jeweiligen Betrieb im Zentrum? Am Beispiel unterschiedlicher Wirtschaftszweige nimmt die Studie eine ethnographische Annäherung vor.
Mit dieser Themenstellung wird insofern eine Forschungslücke adressiert, als sich noch keine Studie aus anthropologischer Sicht mit dem Auftrag und der Praxis betrieblicher Berufsausbilder in Deutschland befasst hat. Auch hat sich im Fach Kulturanthropologie noch keine Arbeit - weder theoretisch noch empirisch - dezidiert mit dem Beitrag von Ausbilderinnen und Ausbildern im Sinne von erfahrenen Älteren und Experten im Zuge der Weitergabe von Wissen an den Nachwuchs auseinandergesetzt. Insbesondere die Rolle des ›menschlichen Mittlers‹ bei der gezielten Entwicklung beruflich gefassten Könnens, das über das Beherrschen einzelner handwerklicher Fertigkeiten hinausgeht und bis zur Ausprägung einer sozialen und beruflichen Identität reichen kann, wurde bislang nicht untersucht.
Methodologisch-ethnographisch wird ebenfalls Neuland betreten. Die betriebliche Ausbildungspraxis in den fünf ausführlich behandelten Betrieben der Wirtschaftsbereiche Fleischer-Handwerk, Elektro- sowie Sanitär-Heizungs-Klimatechnik-Handwerk, Elektrotechnik, Versicherungen und Informationstechnologie wird praxeologisch als ›Taskscape‹ (Ingold 1993) gefasst. Der ethnographische Zugang zu dieser Praxis erschließt sich dabei - statt wie im Fach sonst üblich durch teilnehmende Beobachtungen der Forscherin - in erster Linie anhand von Schilderungen verschiedener Ausbilderinnen und Ausbilder über ihre Praxis. Die empirische Datenbasis liefern Interviews, die im Zuge eines von mir gesteuerten Forschungsprojekts am Bundesinstitut für Berufsbildung in den Jahren 2009 bis 2012 durchgeführt wurden. Das Projekt trug den Titel "Die Situation des ausbildenden Personals in der betrieblichen Bildung" und verfolgte einen qualitativen Fallstudienansatz (vgl. Bahl/Blötz 2012). Die dabei erhobenen Daten gehören dem BIBB und werden hier für eine neue Fragestellung genutzt.


Anke Bahl ist wiss. Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn und promovierte am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Frankfurt am Main.



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